• Keine Ergebnisse gefunden

IV. Inhaltliche Aspekte

IV.2. Gesellen und Gesellenschaften

IV.2.4. Die arbeitsbezogenen Bestimmungen

IV.2.4.3. Abreden der Gesellen

Ein offenbar umfangreiches Problem stellte der Wettbewerb um die Gesellen einer Stadt dar, der sich in dem in den meisten Handwerken unerwünschten Abreden der Ar-beitskräfte einerseits durch die Meister, aber andererseits auch durch die Gesellen selbst widerspiegelt. Bei den Schustern wird bereits 1422 verboten, einem Meister einen schon gedingten Gesellen abzureden bzw. vorzuenthalten660. Den Gesellen der Kürschner wird ebenso wie ihren Meistern das emphròmbden eines Bediensteten einer Werkstatt unter-sagt661. Auch bei den Hutmachern steht 1453662 das Abwerben eines Gesellen von einem anderen Meister unter strengstem Verbot; die gleiche Bestimmung gilt in der Müller-ordnung von 1488663. Die Beutler strafen 1530 das Abreden eines Gesellen durch einen Meister mit zehn Pfund Pfennigen664.

Das wohl verbreitetste Mittel, um einen Gesellen von einem anderen Meister abzu-werben oder einen Gesellen länger in der eigenen Werkstatt zu halten als ursprünglich ausgemacht, dürfte – neben dem Versprechen eines höheren Lohnes665 – die Gewährung eines Darlehens gewesen sein, das die Bediensteten abarbeiten mussten666. Schon 1421 wird bei den Badern die Höhe der Geldleihe auf 60 Pfennige, also etwa einem dreifa-chen Wodreifa-chenlohn667 entsprechend, begrenzt668. In einer ebenso in das erste Viertel des 15. Jahrhunderts zu datierenden Ordnung der Barchentweber findet sich die Angabe von 32 Wiener Pfennigen, die ein Meister maximal an einen Gesellen verleihen dürfe669. In der Ordnung der Zimmerleute von 1435 wird das Abreden von Gesellen anderer Meis-ter verboten und das Darlehen als Mittel dieser Abwerbung explizit erwähnt670. Bei den Messerern wird 1439 das Leihen von mehr als sechs Schilling Pfennigen verboten und gleichzeitig auch untersagt, Gewand von den Gesellen anzunehmen671. Letzteren Punkt interpretiert Pauline Hollnsteiner als Beleg dafür, dass es mitunter üblich war, dem Meis-ter Kleidung als Pfand für das aufgenommene Darlehen zu geben672. 1442 legt der Rat für die Hutmacher fest, dass deren Meister nicht mehr als ein Pfund Pfennige an Gesellen leihen dürfen, und zwar damit ain maister dem andern sein dinstgesellen mit grossem anlehen

660 Siehe Nr. 83 Art. 7; Hollnsteiner, Lehrlings- und Gesellenwesen 63.

661 Siehe Nr. 252 Art. 12; Hollnsteiner, Lehrlings- und Gesellenwesen 62.

662 Siehe Nr. 271 Art. 7.

663 Siehe Nr. 190 Art. 7.

664 Siehe Nr. 143 Art. 2; Hollnsteiner, Lehrlings- und Gesellenwesen 61.

665 Siehe oben S. 94.

666 Hollnsteiner, Lehrlings- und Gesellenwesen 61, bezeichnet das Darlehen sogar als das „belieb-teste Mittel“ für das Abreden eines Gesellen. Siehe auch Zatschek, Handwerk 196, der bereits 1367 aus der außerhalb des HWOB überlieferten Ordnung der Goldschmiede ein damals übliches Darlehenswesen schließt, da einem Gesellen verboten wird, bei einem anderen Meister zu arbeiten, solange er einem anderen Arbeitgeber noch etwas schuldig ist, siehe auch ders., Ordnung der Wiener Goldschmiedezeche 323.

667 Zatschek, Handwerk 197.

668 Siehe Nr. 209 Art. 5. Die Strafe für eine Übertretung dieser Begrenzung war umfangreich: Der Meister musste der Stadt ein Pfund Wiener Pfennige, dem Stadtrichter einen Gulden und der Zeche der Bader fünf Pfund Wachs geben.

669 Siehe Nr. 65 Art. 7.

670 Siehe Nr. 237 Art. 2; Hollnsteiner, Lehrlings- und Gesellenwesen 63.

671 Siehe Nr. 104 Art. 7.

672 Hollnsteiner, Lehrlings- und Gesellenwesen 62; Zatschek, Handwerk 197. Bei den Hafnerge-sellen findet sich im Jahr 1489 ebenso ein Beispiel für die Annahme von Kleidung als Pfand für das Darlehen, siehe Nr. 309 Art. 5.

nicht entziech 673. Die angegebene Höhe des Darlehens ist besonders im Fall der Hutma-cher bemerkenswert: Ein Pfund Pfennige entsprach wohl etwa dem Lohn eines Gesellen, der für 13 Wochen angestellt wurde674. Deutlich reduziert findet sich die Angabe der Darlehenshöhe jedoch in der Ordnung der Riemer von 1451: Hier sind 28 Pfennige als Höchstzahl für ein Vierteljahr vorgeschrieben, damit diejenigen Meister, die über kein oder nur ein geringes Grundkapital zur Ausstattung der Werkstatt (urkauff ) verfügen, ebenso gute Chancen am Arbeitsmarkt haben wie die vermögenderen Kollegen675.

Aus den genannten Beispielen wird ein tendenzielles Ansteigen der durch die Meister gewährten Darlehenshöhen ersichtlich, erst in der Riemerordnung von 1451 wird wie-der eine etwas geringere Summe genannt. Die Bestimmungen des Rats gehen in zwei Richtungen: Zum einen wurde das Abwerben der Gesellen durch Vorschüsse komplett untersagt, zum anderen aber auch die Höhe dieser Darlehen begrenzt. Bei letztgenannter Variante kam es aber offenbar trotzdem zu Benachteiligungen der weniger vermögen-den Meister, wie beispielsweise die Ordnungen der Hutmacher zeigen: Wurde hier das Darlehen 1442 noch in einer Höhe von einem Pfund Pfennige gestattet, folgte 1453 das komplette Verbot jeglicher Form des Abredens und damit wohl auch der Geldleihe676. IV.2.4.4. Zusammenfassung

Die die Gesellen betreffenden arbeitsbezogenen Bestimmungen des HWOB regeln vor allem drei Aspekte: die Einstellung, die Entlohnung und die Arbeitszeit der Beschäf-tigten. Es überrascht nicht, dass besonders diese Bereiche so detailliert festgesetzt wurden.

Gerade die Mobilität und Flexibilität der Gesellen als Arbeitskräfte erforderte eine genaue Festlegung der Aufnahmemodalitäten in beiderseitigem Interesse: Der Meister wusste, wo und wie er eine neue Arbeitskraft in der Stadt finden konnte, für den Gesellen als in der Regel Stadtfremden waren diese Vorgaben ein erster Anhaltspunkt zur Absicherung seiner Arbeit. Durch die Regelung der Zuständigkeit im Bereich der Arbeitsvermittlung wusste jeder neu in die Stadt kommende Geselle, wie er zu seiner Beschäftigung kommen konnte: entweder durch selbstständige Suche von Werkstatt zu Werkstatt, durch Anreden in der Herberge oder durch Vermittlung durch die Gesellenschaft oder den Herbergsvater.

Zahlreiche Handwerke – wie beispielsweise die Schuster – kannten seit dem beginnenden 15. Jahrhundert nur eine Vermittlungsart, nämlich die in der Herberge, andere – wie die Schneider – gingen irgendwann zwischen 1419 und den 1430er Jahren zur Form der Herbergsvermittlung über. In Gewerben, in denen sich Gesellenschaften etablieren konnten, übernahmen zunehmend Vertreter derselben die Vermittlung der neu ange-kommenen Kollegen. Die Gesellenschaften monopolisierten jedoch nicht zwangsweise auch die Arbeitsanbahnung, wie das genannte Beispiel der Schuster zeigt, bei denen zwar schon relativ früh für Wiener Verhältnisse eine Gesellenbewegung und spätestens seit den 1440er Jahren eine Gesellenorganisation nachgewiesen werden können, aber bei denen auch zumindest bis in das ausgehende 15. Jahrhundert die Vermittlung der Arbeitsplätze durch das Anreden eines Gesellen in der Herberge funktionierte.

673 Siehe Nr. 124 Art. 2.

674 Zatschek, Handwerk 197.

675 Siehe Nr. 167 Art. 2; Zatschek, Handwerk 197.

676 Siehe Nr. 271 Art. 7.

Um die Chancengleichheit zwischen den einzelnen Meistern eines Gewerbes zu er-höhen, wurden in vielen Ordnungen auch Höchstzahlen der aufgedingten Gesellen pro Meister festgelegt, jedoch scheinen diese Punkte nur in wenigen Fällen wirklich strikt eingehalten worden und mehrheitlich eine Maßnahme gewesen zu sein, um Chancen-gleichheit zwischen den Meistern eines Handwerks herzustellen.

Die durch die Angaben des HWOB für das 15. und frühe 16. Jahrhundert erhobe-nen Löhne der Gesellen müssen ebenso mit Vorsicht interpretiert werden, da für eine repräsentative Auswertung systematische, jährlich geführte Aufzeichnungen fehlen. So ergeben sich meist nur punktuelle Einblicke in als Richtlinien dienende Normvorgaben von Lohnhöhen, die mitunter auch der jeweiligen wirtschaftlichen Situation in der Stadt angepasst wurden677. Dass der Wettbewerb um die sich vor Ort aufhaltenden Gesellen groß gewesen sein muss, zeigen die zahlreich vorhandenen Verbote von übertrieben ho-hen Lohnangeboten und von Abwerbungen der Gesellen durch anscheinend lukrative Darlehensangebote. Trotz allem dürften die in den Ordnungen angegebenen Löhne Aus-gangspunkt für die Lohngestaltung der Meister gewesen sein, wobei eine individuelle An-passung nach den Fertigkeiten der Gesellen wohl die Regel war: In zahlreichen untersuch-ten Handwerken bekam nur der kunstfertigste Bedienstete den vollen Lohn, während die weniger fleißigen oder geschickten Gesellen mit Lohneinbußen rechnen mussten. Kost und Unterkunft im Haushalt des Meisters zählten in der Regel zum Lohn.

Die täglichen Arbeitszeiten wurden ebenso in den Ordnungen fixiert, jedoch scheint dieses Thema häufig zu Konflikten zwischen Meistern und Gesellen geführt zu haben. In manchen Gewerben gab es Unterschiede zwischen Sommer- und Winterarbeit, die sich auch in den Lohnsätzen widerspiegelten. Tendenziell war es das Bestreben der Gesellen, mehr Freizeit zu erlangen und die Arbeitszeiten zu verringern, wie sich in der im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts beginnenden Entwicklung des blauen Montags zeigt. Dieser dürfte sich bis in das 16. Jahrhundert kaum dauerhaft und in allen Gewerben mit Willen der Obrigkeit durchgesetzt haben, in vielen Ordnungen wiederholen sich immer wieder diesbezügliche Verbote. Die ständige Bekämpfung des blauen Montags deutet allerdings wiederum auf eine durchaus gängige Praxis des freien Tags am Beginn der Woche hin, zumindest dürfte das Problem bis weit in die Frühe Neuzeit aktuell gewesen sein.

677 Zatschek, Handwerk 189–191, hebt hervor, dass die Lohnangaben des 15. Jhs. wenig aussagekräf-tig sind, da sie nicht verraten, wie viel ein Geselle tatsächlich bekam. Generell attestiert er den Taglohnsätzen eine bessere Anpassungsfähigkeit an Preissteigerungen als der Zahlungsform des Wochenlohns. Dirlmeier, Untersuchungen 167–173, 203, zeigt für den oberdeutschen Raum, dass die in den Ordnungen genannten Taxlöhne als Richtlinie für vergleichende Lohnberechnungen brauchbar sind; der Unterschied zwischen den Taxlöhnen und den nachweislich bezahlten scheint in vielen Fällen nicht allzu groß gewesen zu sein. Einen Blick auf die generell sehr schwankende wirtschaftliche Situation im Spätmittelalter liefert Pribram, Materia-lien 269, wo anhand der Rechnungen des Wiener Bürgerspitals (bzw. teilweise des Wiener Pilgramhauses) die Preisentwicklung für einen Metzen Getreide angegeben wird; allein beim Weizen schwankt der Preis zwischen 144 Pfennigen im Jahr 1533 und 18,92 Pfennigen im Jahr 1451. Die ebd. 344f. angegebenen Löhne, welche das Bürgerspital an Maurer- und Zimmerleutegesellen als Taglohn zahlte, blieben jedoch von 1440 bis 1540 – entgegen der oben formulierten Annahme Zatscheks – in konstanter Höhe von 24 Pfennigen (mit Kost).

Die Preis- und Lohntabellen des Stifts Klosterneuburg bieten im 15. Jh. dasselbe Bild wie die Rechnungen des Wiener Bürgerspitals, siehe ebd. 447–449, 515f. Aufbauend auf diesen Angaben Přibrams kommt auch Bert-hold, Brotsatzungen 25, zu einem ähnlichen, die Preisentwicklung im Spätmittelalter betreffenden Befund.

Für oberdeutsche Städte sieht Dirlmeier, Untersuchungen 175, 220, 533, ebenfalls ein um 1500 zunehmendes Zurückbleiben der Löhne hinter der Preisentwicklung und eine Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Einkommen und Lebenshaltung. Siehe zur Ermittlung von Lebenshaltungskosten von einem durchschnittli-chen Haushalt im Spätmittelalter allgemein auch ders., Problem passim.

IV.2.5. Die bruderschaftlich-religiösen Bestimmungen