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Praxis der Eintragung in das Handwerksordnungsbuch

III. Das Wiener Handwerksordnungsbuch: Verwaltungsgeschichtlicher

III.1. Verwaltungsschriftwesen des Wiener Rats

III.1.4. Praxis der Eintragung in das Handwerksordnungsbuch

Wie bereits angedeutet, hatte der Eintrag im Stadtbuch Beweiskraft. Die Bücher fun-gierten somit als rechtssichernde Instanz und die Eintragung eines Textes ersetzte im Laufe des Spätmittelalters mehr und mehr die Ausfertigung einer diese Rechtshandlung beglaubigenden Originalurkunde300. Am Wiener Beispiel ist dies unter anderem an der Überlieferung der Handwerksordnungen zu sehen: Nur ein geringer Teil der im 15. und 16. Jahrhundert erlassenen Ordnungen ist ebenso als ausgefertigte Originalurkunde er-halten. In der Regel galt der Eintrag in T₁–T₃ bzw. ab 1430 in das HWOB als rechtset-zend. Von diesem Eintrag konnten in weiterer Folge vom Stadtschreiber geschriebene und mit dessen Signet bzw. mit dem Stadtsiegel beglaubigte Abschriften angefertigt wer-den301.

Geht man vom Fall des HWOB aus, so lag die Initiative der Zusammenstellung einer speziell Handwerksordnungen verzeichnenden Handschrift definitiv zunächst beim Rat bzw. vielleicht bei Ulrich Hirssauer selbst, auf den wohl allgemein eine umfassende Ord-nungstätigkeit in der städtischen Kanzlei zurückgeht. Doch schon vor 1430 – dem Jahr, in dem das HWOB kompiliert wurde – sind Handwerksordnungen in städtische Bücher eingetragen worden; diejenigen, die vom Rat ausgestellt wurden, finden sich teilweise in den sogenannten Testamentenbüchern (T₁–T₃), landesfürstliche Handwerksordnungen sind mitunter auch im Eisenbuch (EB) enthalten302. Durch die Praxis, Handwerksord-nungen in den meisten Fällen nicht als Urkunden auszufertigen, sondern rechtssichernd und rechtsetzend in eines der Stadtbücher – ab 1430 eben in das HWOB – einzutragen, bemühten sich die Handwerker wohl zunehmend, die sie betreffenden Rechtstexte in dieser Form festhalten zu lassen.

Nahezu alle Ordnungen, die vom Rat ausgestellt worden sind, weisen eine ähnliche Narratio auf: Die Handwerker seien vor den Rat gekommen und hätten die Ausstellung einer Ordnung betreffend mehrerer von ihnen vorgebrachter Punkte erbeten. Manchmal

299 Zu Hirssauers Hand im Grundstock und in den Nachträgen bis 1461 siehe unten S. 62–65.

300 Pitz, Schrift- und Aktenwesen 27f.

301 Zatschek, Konzepte 292. Zu diesen siehe auch weiter unten S. 56.

302 Siehe dazu auch unten S. 177.

wird auch ausdrücklich erwähnt, dass die Handwerker eine Ordnung als Entwurf vorge-legt hätten, den der Rat begutachtet, bestätigt und in das Stadtbuch eingetragen habe303.

Vereinzelt haben sich diese von den Handwerkern beim Rat eingereichten Entwürfe bzw. die in der städtischen Kanzlei angefertigten Konzepte erhalten. Schon für die Zeit vor der Anlage des HWOB ist solch ein relativ einfach gehaltenes Pergamentblatt für eine Ordnung der Bader überliefert304. Ein Datum fehlt, einzelne Artikel weisen jedoch darauf hin, dass es sich hier um den von den Badern im Jahr 1421 eingereichten Entwurf einer Ordnung handelt, die vor allem Probleme mit den Untergebenen der Meister, allgemein als diener305 bezeichnet, Sittenverstöße innerhalb des Handwerks bzw. kriminelle Delikte anspricht306. Der Text enthält gleich zu Beginn die Anrede: Gnedigen lieben herren, wo-raus geschlossen werden kann, dass es sich beim Adressaten um die Ratsherren handelt.

Danach werden die Umstände geschildert, die dazu geführt haben, dass eine Ordnung erlassen werden muss307. Der Entwurf zählt in weiterer Folge – immer wieder unterbro-chen durch die Anrede: lieben herren – die einzelnen Artikelvorschläge der Ordnung auf.

So fand beispielsweise ein die wilde bzw. unrechtmäßige Ehe (unee) betreffender Artikel aus dem Entwurf in abgewandelter Form auch Aufnahme in die verschriftlichte Ordnung:

Derjenige, der in unee lebe, dürfe das Baderhandwerk nicht ausüben und müsse von der Stadtobrigkeit – im Entwurf werden Bürgermeister und Rat genannt, in der Ordnung der Stadtrichter – verurteilt werden308. Im Entwurf wird auf eine diesbezügliche Ordnung von Bürgermeister Paul Holzkäufel und dem Rat der Stadt Wien aus dem Jahr 1400 verwiesen, die jedoch weder in T₁ noch im HWOB enthalten und auch nicht als Ori-ginalurkunde unter den H. A.-Urk. des WStLA zu finden ist309. In der ausformulierten Ordnung, die erstmals in T₃ niedergeschrieben wurde und auf deren Text die Abschrift des HWOB beruht, fehlt der Verweis auf die Ordnung von 1400. Hier wird lediglich erwähnt, dass der Stadtrichter urteilen solle, als der stat recht ist 310.

Im Gegensatz zu den Ordnungen des 15. Jahrhunderts haben sich für die des 16. Jahr-hunderts vermehrt Konzepte in den H. A.-Akten des WStLA erhalten311. Diese wurden in der Regel von der Ausstellerseite angefertigt: Die Handwerker legten die von ihnen ge-wünschten Artikel vor, von städtischer Seite kamen die formelhaften Teile sowie diverse

303 So z. B.: Ordnung der Schneidergesellen (1442), siehe Nr. 82; Ordnung der Gürtler (1454), siehe Nr. 91; als Beispiel für eine vom Landesfürsten ausgestellte Urkunde: Ordnung der Goldschläger (1481), siehe Nr. 153.

304 WStLA, H. A.-Akten 29/15. Jh.

305 Dieser Begriff scheint sowohl im Entwurf als auch in der Ordnung allgemein für männliche und weibliche Bedienstete der Meister – Lehrlinge, Gesellen und Mägde – Verwendung zu finden; siehe zu den ansonsten im HWOB vorzufindenden Bezeichnungen für Lehrlinge und Gesellen unten S. 69f., 89–92.

306 Siehe Nr. 209.

307 WStLA, H. A.-Akten 29/15. Jh.: Wann uns ayn diener aws dem dienst get, des vil geschiecht, davon wir grozz schèden nemen, wann wìr unsers hanntwerchs allain nicht gearbaytten mùgen, als das ewr weishayt wol verstet, sein wìr aynhellichleich ùberain worden, maister und diener des gantzen hanntwerchs, ob es ewrn gnaden also gevellet. Die Narratio der Ordnung berichtet davon, dass die Meister ettleich geprechen und unordnung vorgelegt hätten, die vorher under in gegen irm dinstvolkch und gesind und das gesind wider sy von unbesichtikait gehalten hieten, siehe Nr. 209.

308 WStLA, H. A.-Akten 29/15. Jh.; Nr. 209 Art. 8.

309 WStLA, H. A.-Akten 29/15. Jh.: Das hat gepoten Paul Holtzkewffel, dietzeit purgermaister, und der gantz rat der stat ze Wienn, do man zalt von Kristi gepurd viertzehenhundert jar.

310 Siehe Nr. 209 Art. 8.

311 Beispielsweise WStLA, H. A.-Akten 42/16. Jh., siehe Nr. 306; 3/1540, siehe Nr. 345; 5/1545, siehe Nr. 182.

Änderungen in der Formulierung der einzelnen Artikel hinzu. Schön zu sehen ist dies bei-spielsweise in dem Konzept der Ordnung für die Handschustergesellen von 1519312. Der Text beruht ursprünglich auf das Ansuchen der Handschustergesellen, eingeleitet mit der Adresse: Edl, ersam, fùrsichtig, hochweis, genèdig herrn313. Alle zum ursprünglich von den Gesellen vorgelegten Text gehörigen Teile wurden von der städtischen Kanzlei gestrichen und durch das für die von Bürgermeister und Rat ausgestellten Handwerksordnungen ty-pische Eingangs- und Schlussformular ersetzt, das auf einem eigenen Blatt dem Rest des Textes beigefügt worden ist314. Auch der ursprünglich im Ansuchen der Handschustergesel-len verwendete subjektive Stil wurde konsequenterweise durch den objektiven Stil ersetzt.

Besonders bemerkenswert ist das Konzept für eine Ölerordnung aus dem Jahr 1547, da dieses den Ablauf der einzelnen Verwaltungsschritte nachvollziehen lässt315. Auf dem nicht sonderlich umfassend überarbeiteten, in der städtischen Kanzlei angefertigten Kon-zept findet sich auf der letzten Seite ein sogenannter Ratschlag, also eine Stellungnahme des Stadtrats zum Konzept sowie die Anweisung, die vorliegende Ordnung in das Stadtbuch zu schreiben und den betreffenden Handwerkern eine beglaubigte Abschrift – einen auszug – zu geben316. Das Ausstellungsdatum der im HWOB eingetragenen Ordnung ist der 26.

November 1547. Am 3. Dezember desselben Jahres wurde den Ölern der Wortlaut der Ord-nung öffentlich im Rat vorgelesen, erst dann folgte der Befehl, den Text auch in das HWOB – hier als statpuech bezeichnet – einzuschreiben317. Die Ordnung trat jedoch erst zwei Wo-chen nach der öffentliWo-chen Verkündigung (nach verscheinung 14 tag) in Kraft und erst dann musste auch bei Androhung einer Strafe eine beglaubigte Abschrift318 besorgt werden.

Die Rolle dieser Abschriften ist – wie bereits erwähnt – eindeutig: Neben dem Eintrag in das HWOB, der als rechtsetzender Akt galt, fungierten sie als der an die Handwerker ausgehändigte und beglaubigte auszug aus diesem Buch, von dem diese im Alltag Ge-brauch machten. In den H. A.-Akten des WStLA haben sich so manche dieser „Auszüge“

erhalten, die im Falle einer Beglaubigung mit Unterschrift und Siegel entweder von den Handwerkern nicht abgeholt worden sein dürften oder meist nicht komplett ausgefertigt wurden, da neben der Unterschrift des Stadtschreibers jegliche Spur eines Siegels fehlt319. Die sowohl mit einer Unterschrift als auch mit einem Siegel versehenen Abschriften zei-gen das Signet des jeweilizei-gen Stadtschreibers unter Papier als Beglaubigungsmittel neben dessen Unterschrift320.

312 WStLA, H. A.-Akten 3/1540 fol. 14r–20v, siehe Nr. 345.

313 WStLA, H. A.-Akten 3/1540 fol. 15r.

314 WStLA, H. A.-Akten 3/1540 fol. 16r.

315 WStLA, H. A.-Akten 1/1547; Nr. 284.

316 WStLA, H. A.-Akten 1/1547 fol. 3v: Dise ordnung ist den(en) òlern anheut offentlich im rat furgelesen u(nd) bevolhen ins statpuech ze schreiben, auch innen im ernst aufgetragen worden, derselben òler ordnung nach verscheinung 14 tag ghorsamblich nachzukhumen u(nd) derhalben auszug zu nemen bey der straff darinen vermeldet, sambstags, d(en) 3. Decembris a(nno) [15]47.

317 Vom öffentlichen Vorlesen der Ordnung berichten noch andere Ratschläge auf Konzepten der ers-ten Hälfte des 16. Jhs., vgl. dazu Zatschek, Konzepte 297.

318 Zwei zwar von Stadtschreiber Franz Igelshofer unterschriebene, jedoch nicht mit einem Signetsiegel beglaubigte Abschriften der Ölerordnung finden sich ebenso im Akt: WStLA, H. A.-Akten 1/1547 fol. 4r–8v.

319 Diese Abschriften dürften nie besiegelt worden sein: WStLA, H. A.-Akten 39/15. Jh., siehe Nr.

232; 48/15. Jh., siehe Nr. 237; 102/15. Jh., siehe Nr. 142; 176/15. Jh., siehe Nr. 309; 9/16. Jh., siehe Nr. 330;

1/1547, siehe Nr. 284.

320 WStLA, H. A.-Akten 18/15. Jh., siehe Nr. 169; 47/15. Jh. fol. 13r–14r, siehe Nr. 206; 167/15. Jh., siehe Nr. 304. In zwei Fällen finden sich die beglaubigten Abschriften im Archiv der Bäckerinnung, sie wurde also von der Zeche abgeholt: Nr. 194; 322.

Wie die obigen Beispiele zeigen, lag nach erfolgter Durchsetzung des HWOB als rechtssichernde und rechtsetzende Instanz die Initiative für die Eintragung einer neuen Ordnung in das HWOB in vielen Fällen bei den Handwerkern selbst. Diese wandten sich mit den von ihnen gewünschten Artikeln an den Wiener Stadtrat, der wiederum ein Konzept erstellen ließ, das als Grundlage für die Eintragung in das HWOB diente. Wie weitere bis in das ausgehende 17. Jahrhundert reichende, jedoch außerhalb des Unter-suchungszeitraums der vorliegenden Studie liegende Beispiele zeigen321, entstanden die Handwerksordnungen bis weit in die Frühe Neuzeit somit in einem Zusammenspiel zwi-schen Vertretern des jeweiligen Handwerks und der städtizwi-schen Obrigkeit. Beide Seiten hatten dadurch Vorteile. Für die Handwerker bedeutete die Niederschrift im HWOB eine zentral aufbewahrte Sicherung ihrer Ordnungen. Die von Herzog Rudolf IV. im Jahr 1364 getroffene Bestimmung, dass die Ausstellung einer Handwerksordnung allein Zuständigkeit des Rats sei, hat sich im 15. und 16. Jahrhundert ohne Zweifel durchge-setzt und ist gängige Praxis geworden322. Die städtische Obrigkeit hatte durch die Ein-tragung in das HWOB wiederum die Möglichkeit, einen Überblick über die geltenden Handwerksordnungen zu behalten und somit leichter Kontrolle über die Einhaltung der Normen auszuüben323.