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Bezeichnungen für Gesellen

IV. Inhaltliche Aspekte

IV.2. Gesellen und Gesellenschaften

IV.2.3. Bezeichnungen für Gesellen

Wie bereits oben erwähnt521, wurden die Bediensteten eines Meisters nach Ablauf der Lehrzeit ursprünglich meist als knechte bezeichnet, wobei im 14. Jahrhundert großteils Fremdbezeichnungen für diese Handwerkerschicht vorliegen und sich damit die Frage nach Selbstbezeichnungen der Gesellen für diese Zeit in der Regel erübrigt. Von der For-schung wird die allmähliche Zunahme des Gebrauchs des Wortes geselle mit einem stei-genden Selbstbewusstsein und einem zunehmenden Standesbewusstsein der Gesellen in Verbindung gebracht; auch das korporative Element der lateinischen Entsprechung (so-cius) ist dabei zu berücksichtigen522. Dennoch gibt es schon für die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert vereinzelt Nachweise dafür, dass sowohl die Gesellen selbst – in der ein-fachen Bedeutung als „Mitgenosse“ – als auch die städtische Obrigkeit die schwankende Benutzung von knecht und geselle kannten523. Im 15. Jahrhundert nahm die Verwendung

518 Einen Hinweis auf die in der ersten Hälfte des 15. Jhs. zunehmende Unterscheidung zwischen Handwerksmeistern und -gesellen gibt beispielsweise auch die Urkunde WStLA, H. A.-Urk. Nr. 3000 (1444 Juli 13, St. Pölten). In einer die St. Pöltener Zaumstricker- und Riemerlehrlinge betreffenden Zuschrift des Amtmannes, Richters und Rates von St. Pölten an den Bürgermeister, Richter und Rat von Wien werden die maister und gesellen der Wiener Zaumstricker und Riemer explizit angesprochen, die Meinung zu den neuen Bestimmungen über die Lehrlinge wird jedoch nur von den Meistern eingeholt; vgl. QGW II/2 Nr. 3000.

519 Schmölzer, Pest 60–64; Niederstätter, Herrschaft 14–19. Allein unter den Studenten soll es da-mals über 1.000 Tote gegeben haben, auch die Witwe Albrechts IV., Herzogin Johanna, war unter den Opfern.

520 Siehe oben S. 17–19 und 31.

521 Siehe S. 70.

522 Reininghaus, Gesellengilden 69.

523 Ebd. 69. Beispielsweise bezeichnete sich die Überlinger Schneidergesellenschaft bereits im Jahre 1395 selbst als gesellschaft. In Wimpfen sprach die städtische Obrigkeit 1406 von gesellen und knechten.

von knecht tendenziell ab, während die Bezeichnung geselle immer häufiger wurde, wenn-gleich sich letzterer Begriff erst im 16. bzw. 17. Jahrhundert allgemein durchsetzte und den knecht mehr und mehr verdrängte524.

Im Abschnitt über die Anfänge von Gesellenschaften in Wien wurden bereits die in das 14. Jahrhundert zurückreichenden Erwähnungen von Gesellen inner- und außerhalb des HWOB erwähnt525; sie alle lauten durchgehend auf knecht. Auch in der Urkunde, welche die erste überlieferte Nennung einer Wiener Gesellenschaft enthält, wird von pek-chenknecht gesprochen526. Aus dem Jahre 1413 lässt sich jedoch im sogenannten Testa-mentenbuch 2 eine testamentarische Verfügung Michaels von Horn, sneydergesell, zuguns-ten der Pfarrkirche St. Michael zu Wien finden527.

Bei den Bezeichnungen der Gesellen im HWOB – und hier sei darauf hingewiesen, dass es sich bei diesen Texten in den meisten Fällen um von der städtischen Obrigkeit for-mulierte Statuten handelt – überwiegt in der zweiten Hälfte des 14. und im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts eindeutig der knecht-Begriff. Erstmals taucht hier die Bezeichnung geselle in der die Nadlergesellen betreffenden Ordnung von 1417 auf528 und kommt auch im folgenden Jahr in der Verfügung des Rats nach Beschwerde der Tischlermeister vor529. Weiters ist geselle in der rubrizierten Überschrift der im Jahr 1419 durch den Rat er-lassenen Schneidergesellenordnung530 zu finden. In der früher abgefassten Überlieferung im sogenannten Testamentenbuch 2 ist diese Überschrift im entsprechenden Wortlaut ebenfalls enthalten531. Im Jahre 1429 lassen sich beide Bezeichnungen in der Ordnung der Bäckergesellen finden, die sich vor allem mit dem Verhalten der Gesellen in der Öffent-lichkeit auseinandersetzt. Trotzdem ist hier der Begriff knecht deutlich in der Überzahl, geselle wird nur zwei Mal verwendet532.

Einen interessanten Fall bieten hingegen die Ordnungen der Maurer und Stein-metze533 und der Zimmerleute534, beide auffälligerweise am 2. August 1435 erlassen. In diesen Texten wird zwar ausschließlich der Begriff geselle verwendet, doch verrät ein Blick in die Handschrift, dass dieses Wort auf Rasur geschrieben worden ist. Vereinzelt ist noch das zuvor dort stehende Wort erkennbar, das knecht lautete. Ob die Ersetzung relativ bald nach der Eintragung der Ordnung oder erst später erfolgt ist, kann nicht mehr mit letzter Sicherheit nachvollzogen werden. Betrachtet man die Datumsgleichheit der beiden Ord-nungen, die noch dazu in der Handschrift nicht einmal aufeinanderfolgen, ist es wahr-scheinlicher, dass eine Überarbeitung der Texte bald nach der Eintragung, ja vielleicht so-gar unmittelbar danach stattgefunden hat. Die diese Ersetzungen durchführende Hand ist jedenfalls in beiden Fällen jene Ulrich Hirssauers, der auch jeweils für die Eintragung der restlichen Ordnung verantwortlich ist. Auf wessen Betreiben systematisch knecht durch geselle ersetzt worden ist, lässt sich nicht eindeutig feststellen: Möglich wäre, dass die

Ge-524 Siehe dazu auch als konzisen Überblick: von Heusinger, Art. Geselle 282.

525 Siehe oben S. 84–89.

526 WStLA, H. A.-Urk. Nr. 1844; QGW II/1 Nr. 1844.

527 T₂ fol. 147r; FRA III/10/4 Nr. 1951.

528 Siehe Nr. 110; oben S. 85; Hollnsteiner, Lehrlings- und Gesellenwesen 44.

529 Siehe Nr. 208; oben S. 86; Hollnsteiner, Lehrlings- und Gesellenwesen 44.

530 Siehe Nr. 78.

531 T₂ fol. 284v.

532 Siehe Nr. 192.

533 Siehe Nr. 206.

534 Siehe Nr. 237.

sellen des jeweiligen Handwerks darauf bestanden haben, doch als gesellen im Stadtbuch bezeichnet zu werden; genausogut kann die Änderung aber auch vom Rat oder gar vom Schreiber selbst, der den anderen Begriff für angemessener hielt, ausgegangen sein. In der Vorlage, die für die Niederschrift in das HWOB verwendet wurde, ist mit großer Wahr-scheinlichkeit knecht gestanden, sonst hätte Hirssauer diesen Begriff bei der Eintragung nicht konsequent verwendet. In jedem Fall zeigen diese beiden Ordnungen aber eine erst-mals wahrnehmbare Sensibilität für die Verwendung von entweder knecht oder geselle, sonst wäre dieses eine Wort nicht nachträglich durchgehend ausgebessert worden.

Die Bezeichnung geselle taucht in den Jahren nach 1439 – dem Jahr des Erlasses der allgemeinen Gesellenordnung535, in der noch der knecht-Begriff Verwendung findet – vermehrt auf, beispielsweise 1442 bei den Schneidern536, 1443 bei den Schustern537, 1444 in der Ordnung der Sporer538 und 1445 bei den Kürschnern539. Trotz allem bleibt daneben die Bezeichnung knecht erhalten, wenn auch in deutlich weniger Fällen als noch vor 1439540. Ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts dominiert also, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Bezeichnung geselle in den im HWOB überlieferten Ord-nungen.

Einen Sonderfall stellt die Bezeichnung chnappe dar, die nur sehr selten im HWOB auftaucht: In der undatierten, aber in das erste Viertel des 15. Jahrhunderts zu verorten-den Ordnung der Barchentweber541 findet sie sich einmal neben der damals gängigen Verwendung des Wortes knecht. Über ein Jahrhundert später – in der Tuch- und Kotzen-macherordnung von 1530 – taucht der Begriff knappe erneut auf, hier wird sogar von der Erlangung eines knappenrechts für neu ankommende Gesellen bzw. ausgelernte Lehrlinge gesprochen542. Im Zusatz zur Leinweberordnung von 1555 wird durchgehend khnappe verwendet543. Sowohl „Knecht“ als auch „Knappe“ wurden im Mittelalter in vielen Städ-ten des Heiligen Römischen Reiches gleichwertig verwendet. Beide Begriffe drücken eine Abhängigkeit von einem Herrn aus. In der Gegend um Wien war die Bezeichnung

„Knappe“ eher unüblich, umso bemerkenswerter erscheint deren Verwendung bei den Barchent- und Leinwebern544. Vielleicht hängt dies mit den intensiven Kontakten der Barchentweber mit Kaufleuten aus den wirtschaftskräftigen oberdeutschen

Produktions-535 Siehe Nr. 244, und oben S. 87f.

536 Siehe Nr. 82.

537 Siehe Nr. 84.

538 Siehe Nr. 245a.

539 Siehe Nr. 252.

540 Und zwar in der Riemerordnung von 1451 (Nr. 167), in der Schusterordnung von 1453 (Nr. 85), in der Fronleichnamsprozessionsordnung von 1463 (Nr. 358), bei den Bortenwirkern 1469 (Nr. 217), bei den Müllern 1488 (Nr. 190), erneut in einer jüngeren Schusterordnung (1495, Nr. 312) und noch im 16. Jh. bei den Hufschmieden (1532, Nr. 352). Beide Bezeichnungen finden sich unter anderem in der Schlosserordnung von 1444 (Nr. 107), in der Schusterordnung von 1463 (Nr. 86) und bei den Lebzeltern im Jahr 1516 (Nr. 336).

541 Siehe Nr. 65.

542 Siehe Nr. 314 Art. 16, 18.

543 Siehe Nr. 72.

544 Vgl. dazu Uhlirz, Gewerbe 631; Kluge, Zünfte 166. Hollnsteiner, Lehrlings- und Gesellenwe-sen 48, zeigt, dass „Knappe“ auch singulär bei den Leinwebern von St. Pölten und von Graz vorkommt; Druck der Ordnung der St. Pöltner Leinweber: Horawitz, Zunftwesen 1 220f.; Otruba, Berufsstruktur 308–310 Nr.

80. Vgl. auch zwei kopial überlieferte Urkunden der Leinweber von Waidhofen/Ybbs von 1515 und 1519, in denen ebenso von knappen die Rede ist, siehe dazu Lacroix, Entwicklung 198f.; Marks, Leinengewerbe 183, 185f. Für den Hinweis bezüglich Waidhofen danke ich Herwig Weigl.

zentren wie Augsburg, Regensburg oder Ulm zusammen545. Auch siedelten sich wohl im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts zahlreiche oberdeutsche Barchenter in Wien an546.

Zusammenfassend lässt sich eine Zunahme der Bezeichnung geselle seit ca. 1440 in den Texten des HWOB feststellen. Der ältere Begriff knecht, der sich ursprünglich ledig-lich auf ein Abhängigkeitsverhältnis des so Bezeichneten bezieht und keine negative Kon-notation per se darstellt, hält sich aber bis in das 16. Jahrhundert hinein, teilweise werden in ein- und derselben Ordnung auch beide Begriffe verwendet. Das Wort geselle setzt sich in den Wiener Ordnungen auffälligerweise zunehmend nach dem Erlass der allgemeinen Gesellenordnung von 1439 und der Zunahme von Konflikten zwischen Meistern und Gesellen von den 1410er bis zu den späten 1430er Jahren durch547. Auch die Rasur des Wortes knecht und seine Ersetzung durch geselle in zwei Ordnungen aus dem Jahre 1435 fallen wohl nicht ganz zufällig in diese Zeit der Unruhen und des steigenden Selbstbe-wusstseins der Gesellen als eigenständige soziale Gruppe und sprechen für eine zuneh-mende Bedeutungsverschlechterung des Wortes knecht. Die lateinische Entsprechung für geselle – socius – unterstreicht das korporative Element des sich immer mehr durchsetzen-den neuen Begriffs. Der Befund der zwar häufigeren Verwendung des Wortes geselle seit dem 15. Jahrhundert bei gleichzeitiger Abnahme, aber nicht völligem Verschwinden, der Bezeichnung knecht deckt sich somit mit den vor allem durch Auswertung von Quellen-material deutscher Städte erzielten Ergebnissen548.

IV.2.4. Die arbeitsbezogenen Bestimmungen