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Das Wiener Handwerksordnungsbuch entstand im Jahr 1430 im Zuge von Ord-nungsmaßnahmen, die unter anderem einen Überblick über die große Zahl der Wie-ner Handwerke und der für diese bestehenden Ordnungen ermöglichen sollten. Ulrich Hirssauer – der in dieser Zeit amtierende Stadtschreiber – legte das Buch nach Hand-werkssparten geordnet an und trug für die verschiedensten in Wien ansässigen Gewerbe Ordnungen und Ratsentscheide aus älteren Urkunden und Stadtbüchern zusammen. Die Handschrift ist somit in erster Linie als Sammlung von Handwerksordnungen zu verste-hen, sie wurde dementsprechend auch bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts erweitert und zumindest bis in das beginnende 17. Jahrhundert fortlaufend benützt.

Der auf das Wiener Handwerk und Gewerbe bezogene Schwerpunkt ist auch an der vorangegangenen umfassenden Analyse der Bestimmungen für die drei großen Hand-werkergruppen der Lehrlinge, Gesellen und Meister zu sehen. Alle drei Karrierestufen ei-nes Handwerkers können in unterschiedlicher Intensität in den Ordnungen des HWOB nachverfolgt werden.

Bei den Lehrlingen werden vor allem Punkte wie die Dauer der Ausbildung und die Anzahl der Anstellungen bei einem Meister geregelt. Meistens ist dabei von einer Lehrzeit von drei Jahren die Rede, nur in Ausnahmefällen dürfte diese länger ausgefallen sein;

kürzere Lehrzeiten sind im HWOB nicht überliefert. Die meisten Ordnungen sprechen zudem lediglich von einem Lehrling pro Meister. Über genauere lehrlingsbezogene ar-beitsrechtliche Fragen informieren die Texte des HWOB kaum, manchmal geben sie je-doch Auskunft über den Ablauf der Aufdingung und der Lossprechung von der Lehrzeit.

Um einiges ausführlicher gestalten sich die im HWOB enthaltenen Informationen zu den Handwerksgesellen. Diese reichen von allgemeinen arbeitsbezogenen Bestimmungen über bruderschaftlich-religiöse Satzungen hin zu Regelungen über das Verhalten der Ge-sellen in der Öffentlichkeit. Umfassende Verordnungen gibt es beispielsweise in Bezug auf die Entlohnung der Gesellen, wobei wohl meist mitbedacht werden muss, dass sich die Angaben auf Höchstlöhne beziehen. Der Meister hatte – wie auch einige Ordnungen fest-halten – die Möglichkeit, die Löhne je nach Arbeitsleistung des Gesellen zu vermindern.

Arbeitsrechtliche Fragen führten anscheinend im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts zu zahlreichen Konflikten zwischen Meistern und Gesellen, die Streitigkeiten bezogen sich vor allem auf das Verhältnis zwischen Arbeits- und Freizeit und auf die Möglichkeiten eines Nebenverdienstes der Gesellen. Die vor allem den Konfliktpunkt des unerlaubten Feierns während der Arbeitswoche aufgreifende allgemeine Gesellenordnung von 1439 war unter anderem für eine endgültige Durchsetzung der Gesellenschaften in Wien ver-antwortlich. Die Bedeutung dieser Gesellenverbände wird auch durch die bemerkens-werte Zahl der die Organisation derselben regelnden Ordnungen ab dem Jahre 1442 bis zum Ende des Untersuchungszeitraums (1555) deutlich. Diese bruderschaftlich-religiös

orientierten Satzungen enthalten sowohl Bestimmungen zum finanziellen Rahmen der Gesellenschaften (Gesellenbüchsen und Einzahlungsmodalitäten mit Strafzahlungen), zur Krankenversorgung, die laut den erhaltenen Ordnungen im Untersuchungszeitraum großteils durch Darlehenszahlungen an den erkrankten Gesellen erfolgte, zum Begräbnis-wesen, zur Messfeier und zur Teilnahme der Gesellen an der Fronleichnamsprozession.

Die Zechen und Gesellenschaften achteten offenbar auch auf angemessenes Verhalten der Gesellen in der Öffentlichkeit: Handgreiflichkeiten im öffentlichen Raum, übermäßi-ger Weingenuss in Wirtshäusern und bei den Gesellenversammlungen sowie der zu aus-schweifende Umgang mit Prostituierten wurden streng bestraft.

Im Gegensatz zu den Gesellen – bei denen die bruderschaftlichen Bestimmungen ei-nen großen Platz einnehmen – informieren die Ordnungen des HWOB in Bezug auf die Handwerksmeister weniger über die religiös-karitative Seite der Meisterzechen. Das größte Regelungsbedürfnis dürfte hier in Bezug auf die Voraussetzungen zur Erlangung der Meisterschaft bestanden haben. Schon die ältesten im HWOB enthaltenen Ordnun-gen gehen explizit auf diese ein. Im Laufe der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ent-wickelte sich diesbezüglich ein regelrechtes Formular, das besonders im 15. Jahrhundert durch zusätzliche Voraussetzungen erweitert wurde. Der umfangreichste Forderungskata-log, wie er sich endgültig um die Mitte des 15. Jahrhunderts darstellt, umfasst die Nach-weise der Herkunft, eines guten Leumunds, der ehelichen Geburt, des Ausdienens der Lehrjahre und der Eheschließung, ebenso wurden der Erwerb des Bürgerrechts und der Eintritt in die Zeche vorausgesetzt. Zusätzlich mussten die Meisterschaftsanwärter auch ihre Fertigkeiten nachweisen: Im HWOB gibt es vielerlei Beispiele für genau festgelegte Meisterstücke, die der Kandidat innerhalb eines festgesetzten Zeitraums den Zech- oder Beschaumeistern, den wichtigsten Amtsträgern der Meisterzechen, vorlegen musste.

Die Zuständigkeiten der Zechmeister waren darüber hinausgehend vielfältig. Zum einen waren sie für die finanziellen Angelegenheiten der Zeche verantwortlich, kontrol-lierten die Zechbüchse und nahmen Zecheintritts-, Beitrags- und Strafgelder ein. Zum anderen kümmerten sie sich um das Begräbniswesen und die Messfeierlichkeiten der Ze-chen sowie in vielen Fällen auch um die Organisation des gemeinsamen Einkaufs von Werkzeug und Arbeitsmaterialien durch die Zechmitglieder. Die Beschaumeister – von denen bereits in der ältesten im HWOB enthaltenen Ordnung für die Zaumstricker von 1364 die Rede ist – waren für die Qualitätssicherung der in ihrem Handwerk hergestell-ten Produkte und für die Meisterprüfung zuständig. Im Laufe des 15. Jahrhunderts über-nahmen die Zechmeister laut einzelner Ordnungen mitunter diejenigen Agenden, die ursprünglich den Beschaumeistern zugestanden waren. Während die Informationen zu den Meisterschaftsvoraussetzungen und zu den Zech- und Beschaumeistern – vor allem die wirtschaftliche Seite der Zechen betreffend – reichlich vorhanden sind, schweigt das HWOB weitgehend über die religiös-karitativ-bruderschaftlichen Bereiche der Meisterze-chen. Die wenigen im HWOB enthaltenen diesbezüglichen Ordnungen lassen jedoch ein ähnliches Bild erkennen, wie es bei den Gesellen bereits besprochen wurde, vor allem was regelmäßige Messfeiern und das Begräbniswesen der Zechen betrifft.

Zu den kollektiven Sicherungsmaßnahmen der Zechen zählen auch Bestimmungen über die Weiterführung der Werkstatt durch eine Meisterwitwe. Manche Handwerke er-laubten eine uneingeschränkte Weiterarbeit der Witwe, einige Beispiele belegen jedoch merklich, dass die Wiederverheiratung durch Vergünstigungen für den neuen Ehemann im Bereich des Meisterschaftserwerbs oder des Zechbeitritts erleichtert wurde. Eine zeit-liche Begrenzung für den Verbleib im Witwenstand – in diesem Fall von einem Jahr – ist

lediglich in der Ordnung der Tuchscherer von 1429 überliefert. Bestimmungen über die Erleichterung des Zugangs zur Meisterschaft finden sich ebenso häufig für die Meister-söhne, die laut diversen Ordnungen entweder die Lehrzeit überspringen konnten, die Meisterprüfung nicht ablegen mussten oder weniger Eintrittsgeld für die Erlangung der Zechmitgliedschaft zahlen durften. Als weitere gesellschaftliche Gruppe werden in den Ordnungen des HWOB die Störer, also Handwerker ohne Meister- und Bürgerrecht bzw.

Zechzugehörigkeit, angesprochen. Die wenigen enthaltenen Bestimmungen sprechen vor allem von einem Verbot für Gesellen, bei Störern zu arbeiten.

Die Ordnungen des HWOB decken also die im Spätmittelalter wichtigsten gesell-schaftlichen Gruppen in den Wiener Handwerken ab, mit Abstand am meisten Infor-mationen sind – wenig überraschend – bezüglich der Handwerksmeister und -gesellen überliefert. Das HWOB fungierte neben der hauptsächlichen Funktion als Stadtbuch für Handwerksordnungen jedoch auch als Eidbuch und allgemeines Ordnungsbuch an sich. Die im HWOB überlieferten Eide lassen sich in Amts-, Bürger- und Treueide un-terscheiden. Während die Amtseide, die großteils aus der zweiten Hälfte des 15. Jahr-hunderts stammen dürften, Einblick in die Tätigkeitsfelder verschiedener Ämter geben, veranschaulichen die Bürger- und Treueide, die zum überwiegenden Teil auf den Landes-fürsten und Stadtherrn geleistet wurden, die wechselvolle politische Geschichte Wiens – vor allem für die Zeit um 1458/62 und für die Periode der ungarischen Herrschaft von 1485 bis 1490.

Über die Handwerksordnungen hinausgehend – wenn auch oft die Interessen der Handwerker berührend – sind die weiteren im HWOB überlieferten Satzungen, die zum einen das Maut- und Marktwesen Wiens allgemein, zum anderen den Weinbau und den Weinausschank sowie die Sicherheit und das Zusammenleben innerhalb Wiens und in den Vororten regeln. Die Mautordnungen behandeln neben den Verpflichtungen der fremden Kaufleute dem Hansgrafen gegenüber vor allem die Organisation und die Zu-ständigkeiten der Mitarbeiter der zentralen Mautverwaltung der Stadt, des Wiener Maut-hauses. Dieses wurde durch die sogenannten „Herren auf dem Mauthaus“ geleitet, als de-ren Untergebene fungierten Absamer, welche die fälligen Gebühde-ren für die Marktstände einhoben, Mautner vor den Stadttoren, Beschauer, die die mautpflichtigen Waren kon-trollierten, und Ballenbinder, die diese verpackten. Für den Getreide- und Mehlverkauf war das Metzenleihamt die zentrale Anlaufstelle. Die Leihe von geprüften Hohlmaßen für den Verkauf von Getreide und Mehl war Hauptaufgabe des Metzenleihers, der ihm untergebene Mehlmesser kontrollierte gegen Auftrag die verkaufte Menge. Diese strenge Kontrolle des Getreide- und Mehlhandels war besonders deswegen von Bedeutung, weil sich der Brotpreis bis 1443 am Getreide-, ab 1443 am Mehlpreis orientierte. Auch der Verkauf von Fleisch wurde überprüft, eigens angestellte Fleischbeschauer kontrollierten die Güte der angebotenen Waren und waren auch für die Festlegung und Prüfung des Fleischpreises zuständig.

Die Ordnungen des HWOB berichten auch umfangreich über die sogenannten Weinmeister. Da jeder Wiener Bürger das Recht hatte, seinen Eigenbauwein im eige-nen Haus auszuschenken, konnte er die Weinmeister mit der Abwicklung dieses Aus-schanks beauftragen. Wie die im HWOB überlieferten Satzungen zeigen, war die Tä-tigkeit der Weinmeister – obwohl vom Rat bestellt und vereidet – höchst umstritten;

gänzliche Verbote der Weinmeisterzeche wechselten sich mit erneuter Instandsetzung und mit Einschränkungen der Befugnisse derselben ab. Eine andere Möglichkeit für die Wiener Bürger, ihren Wein zur Ausschank zu bringen, war die Übergabe desselben an

einen Leitgeben, der den Wein in seinem Gasthaus anbot. Im HWOB ist überdies noch von Weinkostern, die den neuen Wein prüften und dessen Ausschank genehmigten, und Weinrufern, die den diese Prüfung bestandenen Wein öffentlich verkündeten, zu lesen.

Das HWOB enthält, wie bereits erwähnt, auch Ordnungen zur Sicherheits- und Wachtorganisation der Stadt. Ursprünglich war es die Pflicht jedes Bürgers, die Stadt im Notfall zu verteidigen. Auch Handwerksmeister – die ja Bürger waren – und ihre Gesellen wurden zu solchen Aufgaben, aber auch zu Wachtdiensten abgeordnet. Die im HWOB überlieferte Ordnung der Wächter, die wahrscheinlich um 1531 erlassen worden ist, und der Eid des Feuerrufers zeigen bereits die ersten Ansätze hin zu einer Professionalisie-rung des städtischen Sicherheitsdienstes. Schon früher, nämlich im Jahr 1432, sind für die Vorstädte Wiens mit den sogenannten „Vierern vor den Toren“ eigens für diese Ge-biete zuständige, beeidete Amtsträger nachweisbar, deren Aufgabenbereiche die Beschau der Gebäude und Feuerstätten sowie die Entscheidung in Grenzstreitigkeiten waren.

Eine ähnliche Funktion übernahmen innerhalb der Stadt die sogenannten geschwore-nen Werkleute. Neben diesen sicherheitsorganisatorischen Ordnungen und Ämtern im engeren Sinn gibt das HWOB ebenso Auskunft über die Rechte der Bewohner des Un-teren Werds. Ein in die Handschrift eingetragenes Weistum hält – unter Hinweis auf die gewohnheitsrechtliche Grundlage der Bestimmungen – Rechte in Bezug auf Diebstähle, öffentliche Streitigkeiten, Hausfriedensbruch, Totschlag und ähnliche Fragen fest.

Das Spektrum der im HWOB enthaltenen Informationen ist also enorm breit. Die Handschrift liefert nicht nur Antworten auf handwerksgeschichtliche Fragestellungen, sondern bietet auch Einblick in die Verwaltung der Stadt Wien im späten Mittelalter, zeichnet in Form der Bürger- und Treueide die politische Geschichte Wiens im 15. Jahr-hundert nach und skizziert die Anfänge der Professionalisierung des Sicherheits- und Ver-teidigungswesens der Stadt. Dies alles macht diese Handschrift zu mehr als einem Buch, in dem „nur“ Handwerksordnungen festgehalten worden sind. Das HWOB stellt ein thematisch vielschichtiges Stadtbuch dar, das bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts intensiv, dann zumindest bis in das 17. Jahrhundert weiterhin genutzt worden ist, und zählt – ne-ben dem Eisenbuch – mit Sicherheit zu den bedeutendsten Produkten des spätmittelalter-lichen Verwaltungsschriftguts Wiens.