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Vorbemerkung zur publizierten Ausgabe

Kapitel 8 referiert als zweiten Teil der empirischen Studie Konzeption, Durchfüh- Durchfüh-rung, Auswertung und Ergebnisse einer Online-Befragung, an der Mitglieder des

1.3 Zum Problem der Terminologie

Die Beschäftigung mit digitalen Nachlässen zwingt zu terminologischen Festle-gungen und Definitionen in einem für wissenschaftliche Arbeiten sonst nicht übli-chen Ausmaß. Diese Tatsache mag der Aktualität eines Themas geschuldet sein, das sich erst in den letzten beiden Jahrzehnten herausbildete und dessen Bearbei-tung insbesondere im deutschsprachigen Raum noch in Kinderschuhen steckt. Ein Ausweichen auf in der englischsprachigen Literatur vorgeformte Benennungen

nuum“ und „Postkustodialismus“. Im Folgenden wird eine Übersicht über weitere wichtige terminologische Entscheidungen gegeben, die der Verfasser dieser Arbeit treffen musste.

1.3.1 Archivische und bibliothekarische Terminologie

Archivische14 und bibliothekarische Terminologie konkurrieren bis in die heutige Zeit miteinander. Das gilt auch für Schriftstellernachlässe und damit für Literatur-archive, die entweder der archivischen oder der bibliothekarischen Tradition ver-pflichtet sind. Um die eindeutige Verwendung von Begriffen sicherzustellen, greift der Text dieser Arbeit in der Regel auf das Glossar der 2010 veröffentlichten zweiten Fassung der Regeln zur Erschließung von Nachlässen und Autographen (RNA)15 zurück, das eine Synthese bibliothekarischer und archivischer Termino-logie darstellt. Dort, wo Fachbegriffe weiterhin konkurrieren, erhält die bibliothe-karische Terminologie den Vorzug. Wo die Arbeit jedoch auf den Bezug zwischen Nachlass und Archivgut eingeht, wird auf die archivwissenschaftliche Fachtermi-nologie zurückgegriffen. Das gilt auch für den Begriff des Bestandsbildners, der anstatt „Urheber“ und „Verfasser“ benutzt wird. Zur Kennzeichnung einer Privat-person, die ein persönliches Archiv anlegt und pflegt, erscheinen beide Begriffe durch ihre Konnotation mit der literatur- bzw. rechtswissenschaftlichen Termino-logie als ungeeignet. Ergänzend werden außerdem noch die Bezeichnungen „Au-tor“ und „Schriftsteller“ verwendet, um eine Spezifizierung des Bestandsbildners vorzunehmen. Wenn diese beiden Begriffe vorkommen, dann ist deren Funktion als Bestandsbildner darin inbegriffen.

1.3.2 Langzeitarchivierung und die präkustodiale Intervention

Ausdrücklich soll an dieser Stelle auch auf die Problematik der Begriffe „Kurati-on“ und „Langzeitarchivierung“ hingewiesen werden. Im Englischen unterschei-det man zwischen den Begriffen „digital preservation“ und „digital curation“.16 Während digital preservation die Langzeitarchivierung in einem

14 Diese Arbeit hält sich an die Definition von Brenneke: „Es empfiehlt sich, zu unterscheiden zwischen den Bezeichnungen: archivalisch, archivarisch und archivisch, je nachdem ob das Ar-chivale, der Archivar oder das Archiv im Vordergrund der Betrachtung steht.“ (Brenneke, Leesch 1953, S. 7.)

15 Vgl. Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Österreichische Nationalbib-liothek 2010, S. 60ff.

16 Zur Definition von Digital Curation siehe Digital Curation Centre (DCC) 2004-2010 und Neu-roth u. a. 2009, S. 15:7.

gen Archiv mit Hilfe diverser Archivierungs-Strategien17 wie etwa Migration oder Emulation bezeichnet, bezieht sich „digital curation“ auf alle bestandserhaltenden Maßnahmen während des gesamten Lebenszyklus eines digitalen Objektes und somit auch auf die Zeitspanne zwischen seiner Erstellung und dem Ingest in ein Archiv. Im Deutschen existiert eine solche Differenzierung nach Meinung des Verfassers dieser Arbeit bisher nicht in dieser Ausdrücklichkeit. Die Lektüre der von nestor vorgelegten Definition für Langzeitarchivierung bestätigt diese Auffas-sung zumindest implizit:

"Langzeit" bedeutet für die Bestandserhaltung digitaler Ressourcen nicht die Abgabe einer Garantieerklärung über fünf oder fünfzig Jahre, sondern die verantwortliche Entwicklung von Strategien, die den beständigen, vom In-formationsmarkt verursachten Wandel bewältigen können [...]. „Archivie-ren" bedeutet zumindest für Archive, Museen und Bibliotheken mehr als nur die dauerhafte Speicherung digitaler Informationen auf einem Datenträger.

Vielmehr schließt es die Erhaltung der dauerhaften Verfügbarkeit […] der digitalen Ressourcen mit ein.18

Bezogen auf das Thema dieser Arbeit bedeutet das: Sollen Strategien für digitale Nachlässe entwickelt werden, „die den beständigen, vom Informationsmarkt ver-ursachten Wandel bewältigen können“ und schließt die Archivierung der Nachläs-se „die Erhaltung der dauerhaften Verfügbarkeit digitaler Ressourcen mit ein“, dann gehören dazu auch jene bestandserhaltenden Maßnahmen, die schon vor dem Ingest in die Systeme des Literaturarchivs durchgeführt werden. Somit wird in der Arbeit der Begriff Langzeitarchivierung wie folgt verwendet:

a) Für die dauerhafte Archivierung digitaler Nachlässe in einem Langzeitspeicher und

b) für alle Maßnahmen, die im weitesten Sinne der Vorbereitung digitaler Nach-lässe auf diese Archivierung dienen.

Zu (b) gehören somit auch alle Maßnahmen, die Mitarbeiter eines Literaturarchivs oder einer anderen Archivinstitution vor der Erwerbung eines Nachlasses durch-führen, um die Vorbereitung auf die Archivierung zu gewährleisten. Der Nachlass befindet sich dann noch als persönliches Archiv in der Obhut des Bestandsbild-ners. Die Archiv-Mitarbeiter müssen folglich in persönliche Archive eingreifen, um die betreffenden Maßnahmen einzuleiten. Für diese Form des Eingriffs, der

17 Der einfacheren Lesbarkeit wegen wird bei unübersichtlichen Wortzusammensetzungen die Schreibung mit Bindestrich bevorzugt.

18 Neuroth u. a. 2009, S. 1:3.

nur in Zusammenarbeit mit dem Bestandsbildner erfolgen kann, hat der australi-sche Archivar Adrian Cunningham den Begriff „Pre-custodial Intervention“19 geprägt, der für diese Arbeit mit „präkustodiale Intervention“ übersetzt wurde.

Dieser Begriff kennzeichnet alle präkustodial durchzuführenden Maßnahmen und wird aufgrund der vorausgehenden Definition von Langzeitarchivierung als Bau-stein derselben betrachtet.

1.3.3 Persönliches Informationsmanagement als Archivmanagement

Zur Beschreibung der Aktivitäten des Bestandsbildners in Bezug auf sein persön-liches Archiv ist der Begriff „persönpersön-liches Informationsmanagements“ von großer Bedeutung. In der Literatur wird dieser Begriff sehr umfassend verwendet. Er bezieht sich auf alle Handlungen, die eine Privatperson ausführt, um Informatio-nen zu finden, zu verarbeiten und zu speichern. Um diese Handlungen zu be-schreiben und zu verstehen, entwickelte man ein sehr umfangreiches Theoriege-bäude, das aber in dieser Arbeit nur sehr begrenzte Aufmerksamkeit findet. Für deren Fragestellungen sind vor allem alle Handlungen des Bestandsbildners inte-ressant, die das persönliche Archiv direkt betreffen.

Nach dem derzeit führenden Theoretiker des persönlichen Informationsmanage-ments, William Jones, lassen sich drei unterschiedliche PIM Aktivitäten unter-scheiden:

Aktivitäten des Suchens und Wiederfindens von Informationen (ding/re-finding activities): Das sind alle Tätigkeiten des Suchens und Fin-dens neuer oder schon gespeicherter Information im persönlichen Informati-onsraum eines Menschen.

Aktivitäten des Speicherns von Informationen (Keeping activities): Diese Aktivitäten beziehen sich auf alle Entscheidungen darüber, ob und wie Infor-mationen aufbewahrt werden sollen.

Aktivitäten der Informationsorganisation und -pflege

(Meta-level-activities): Das sind alle Aktivitäten, die der längerfristigen Speicherung von Informationen dienen, etwa durch die Organisation der Daten (in Ordnern, durch Metadaten), Pflege (Backup, Migration, Updates etc.), Datenaustausch und Datenschutz, Auswahl von Tools und Archivierungs-Strategien etc.20 In dieser Arbeit bezieht sich der Begriff „persönliches Informationsmanagement“

auf diese Aktivitäten, allerdings nur soweit sie von einer Privatperson in

19 Vgl. Cunningham 1994, S. 101f.

20 Vgl. Jones 2010, S. 4140.

menhang mit ihrem persönlichen Archiv ausgeführt werden. Handlungen, die sich auf andere Informationsspeicher oder Informationsmittel beziehen, werden nicht betrachtet.

1.3.4 Objekt als Substitut für den englischen Begriff „Record“ und die deutschen Begriffe „Dokument“ und „Akte“

Als ebenso problematisch erwies sich die Suche nach der Bezeichnung des zu archivierenden Gegenstandes, der als Video, Fotografie oder Textverarbeitungsda-tei BestandTextverarbeitungsda-teil eines digitalen Nachlasses oder persönlichen Archivs ist. Auch hier herrscht in der Literatur keine einheitliche Auffassung darüber, welcher Begriff zu verwenden sei. Es finden sich in der Literatur Begriffe wie „record“, „document“,

„materials“, „file“, „object“, oder das deutschsprachige „Schriftstück“, „Akte“,

„Dokument“ oder „Materialien“.

Besondere Schwierigkeit bereitete in diesem Zusammenhang der Begriff „Re-cord“. Einerseits wird er in der englischsprachigen Literatur oft und ganz selbst-verständlich verwendet, andererseits gibt es für ihn im Deutschen keine direkte Entsprechung; allenfalls könnte man sich mit „Dokument“ oder „Akte“ behelfen.

Im angelsächsischen Records Management bezeichnet man ein Dokument jedoch nur dann als Record, wenn es beweiskräftig ist. Es ist dann bereits in einen Kon-text eingeordnet, etwa als Bestandteil eines Vorgangs, den es dokumentiert und zu dem es relevante Informationen enthält. Ein Record ist also nicht einfach ein Do-kument, sondern ein kontextualisiertes DoDo-kument, das mit entsprechenden Meta-daten angereichert wurde und deswegen beweiskräftig ist. Auch dem deutschen Begriff Akte entspricht Record nur bedingt, da eine Akte einen Vorgang repräsen-tiert und demzufolge auch mehrere Records enthalten könnte. Die Beibehaltung des Begriffs Record in einem Umfeld, das deutschsprachige Institutionen und Ar-chivierungsumgebung untersucht, erschien aufgrund dieser differierenden und offensichtlich auch nicht überall bekannten Terminologie als unpassend. Zudem kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich in einem Schriftstellerarchiv Dokumentaggregationen befinden, die einer Akte entsprechen, denn dies würde den Einsatz von elektronischen Bürosystemen oder der Schriftgutverwaltung in einem privaten – oder zumindest halb-privaten – Umfeld voraussetzen. Aus diesen Gründen wurde von der Verwendung der Begriffe Record, Akte oder Dokument abgesehen und stattdessen auf die Terminologie des Open Archive Information System (OAIS) zurückgegriffen21. OAIS beschreibt den Aufbau und die Prozesse eines Langzeitarchives und liefert dazu auch die geeigneten Begriffe.

21 Vgl. hierzu Abschnitt 2.4.2 und Abschnitt 5.1.1.

chive arbeiten nach diesem Modell mit physischen oder digitalen Objekten. Ein digitales Objekt wird von OAIS wie folgt definiert:

An object composed of a set of bit sequences.22

Der Erfolg von OAIS, das sich seit seiner Veröffentlichung im Jahre 2002 zum Referenzmodell für digitale Langzeitarchive entwickelt hat, lässt vermuten, dass sich „Objekt“ als Begriff für die von der Langzeitarchivierung zu behandelnden Einheiten auf Dauer durchsetzen wird. Es wird daher in dieser Arbeit als Bezeich-nung für ein digitales Einzelstück verwendet. Der Begriff Record wird im Text nur in Zitaten beibehalten oder in Abschnitten verwendet, die sich ausdrücklich mit dem Records Management befassen. Der Begriff Dokument kommt hingegen ausnahmsweise in der empirischen Studie zum Einsatz, um gegenüber den Pro-banden eine vertraute Wortwahl zu gewährleisten. In der Ergebnisdarstellung wurde diese Wortwahl beibehalten.

An einigen Stellen taucht auch der Begriff „kontextualisiertes Objekt“ auf. Dieser Begriff beschreibt ein digitales Objekt, das in einem persönlichen Archiv abgelegt und durch diesen Vorgang kontextualisiert wurde, z.B. als Version eines Werkma-nuskripts oder durch die Ablage in einem individuellen Ordnersystem des Be-standsbildners. Ein kontextualisiertes Objekt ist jedoch noch keine Akte.

1.3.5 Digitale, analoge oder hybride Archive

Als terminologisch noch nicht gefestigt, erscheint auch die Differenzierung zwi-schen digitalen und nicht-digitalen Nachlassteilen. Obgleich sich in der Literatur der Begriff „digitaler Nachlass“23 durchzusetzen scheint, fehlt eine adäquate Be-zeichnung für das Antonym: ein Attribut, das jene Nachlassteile bezeichnet, die nicht digital sind. Nicht-digitale Bestände werden als klassisches Sammelgut der Literaturarchive jedoch oft nur mit dem Wort Nachlass bezeichnet, während man digitale Teile darunter subsumiert. So geschieht es in den aktuellen

22 Consultative Committee for Space Data Systems 2012, S. 1-08-11.

23 Nicht verschwiegen werden soll an dieser Stelle, dass die Attribute „digital“ und elektronisch“ in Bezug auf Nachlässe oft synonym verwendet werden. Der Begriff elektronisch ist allerdings nicht eindeutig in Bezug auf die Fragestellung der Arbeit, denn es gibt elektronische Technolo-gien, die ohne die für die Langzeitarchivierung maßgebliche binäre Codierung auskommen. Das betrifft den gesamten Bereich der Analogelektronik, die sich unter anderem mit Verstärkern be-schäftigt.

ken.24 Diese Praxis entwickelt sich bei der Untersuchung digitaler Nachlässe aber zu einem Problem. So benötigt man etwa zur Beantwortung der Frage: „Was un-terscheidet digitale Nachlässe von anderen Beständen?“ einen Komplementärbe-griff, welcher erlaubt, die unterschiedlichen Bestände miteinander zu vergleichen.

Ohne ein geeignetes Antonym würde sich eine verständliche Darstellung erheblich erschweren.

Eine hinreichende Lösung stellt aus Sicht des Verfassers das Gegensatzpaar digital – analog dar25, wohingegen die auch vorkommende Verwendung von Begriffen wie „Papiernachlass“ und „schriftlicher Nachlass“ nicht exakt genug ist: Nicht-digitale Nachlässe bestehen nicht nur aus Papier, sondern auch aus anderen Trä-gerstoffen, etwa Magnetbändern oder Vinyl; zudem können digitale Dokumente auch schriftlich sein, man denke nur an die Ergebnisse der Textverarbeitung. Das Begriffspaar digital-analog ist auch unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung von Nachlassbeständen sinnvoll, weil es die Codierung von Informationen sowie die Beschaffenheit der Träger und der Schreibwerkzeuge akzentuiert. Analog bedeu-tet, dass kontinuierliche Signale auf analogen Trägerstoffen (Papier, Film etc.) gespeichert werden, die sich dem Rezipienten mittels eines intellektuellen Prozes-ses (erkennen, lesen, sehen etc.) erschließen. Digital bedeutet, dass diskrete Signa-le auf eSigna-lektronisch Signa-lesbaren Trägern gespeichert werden, zu deren Interpretation ein dem intellektuellen Prozess vorgelagerter Prozess notwendig ist, nämlich der Einsatz von Technologien, die ihrerseits einem stetigen Wandel unterworfen sind.

Das Begriffspaar digital-analog transportiert damit exakt jene Herausforderung, die ein digitaler Nachlass für Literaturarchive darstellt. Es wird daher durchge-hend in dieser Arbeit verwendet.

Die Frage, ob gegenständliche Objekte zum digitalen oder zum analogen Nachlass eines Autors gehören, wird an dieser Arbeit pragmatisch gehandhabt: Medien, die zur Repräsentation digitaler Materialien notwendig sind (z.B. Computer, Monito-re, Tastaturen, Kabel etc.) fallen unter den Begriff „digitaler Nachlass“; alle ande-ren gegenständlichen Objekte, seien es Möbel, Gemälde, Projektoande-ren, Plattenspie-ler oder Sammelobjekte, gehören zum analogen Nachlass. Gleiches gilt für die Software: Betriebssysteme, Anwendungsprogramme und Treiber gehören zum digitalen Nachlass. Papierausdrucke stellen einen Sonderfall dar, da sie durch ein

24 Vgl. Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Österreichische Nationalbib-liothek 2010, S. 14.

25 Auch in der Literatur wird das das Attribut „analog“ mittlerweile häufiger verwendet, etwa von Beagrie 2005; Kaiser 08./09.05.2003; Kaye u. a. 2006; Kirschenbaum, Farr, Kraus 2009b; Neu-roth u. a. 2009 und UNESCO 2003.

digitales Medium ausgegeben werden. Sie liegen jedoch auf einem analogen Trä-ger vor und sind daher Bestandteil eines analogen Nachlasses.

Bei alldem ist nicht zu erwarten, dass literarische Nachlässe oder persönliche Ar-chive zukünftig ausschließlich aus digitalen Objekten bestehen. Analoge Bestände mischen sich mit digitalen Beständen. Nachlässe werden nach Meinung der meis-ten Forscher in Zukunft mehrheitlich hybrid sein.26 Zur verständlichen Darstel-lung des Themas ist die Differenzierung analog-digital jedoch unverzichtbar. Dar-über hinaus gilt für diese Arbeit: Wenn im Text von Nachlässen oder persönlichen Archiven gesprochen und nicht ausdrücklich auf analoge oder hybride Inhalte hingewiesen wird, dann sind damit deren digitale Anteile gemeint.

1.3.6 Zur Ablehnung des Begriffs „born-digital“

An dieser Stelle soll auch ein Wort zu dem im Englischen oft gebrauchten Attribut

„born digital“ verloren werden. Diese Bezeichnung soll den Unterschied zwischen unmittelbar durch digitale Medien erstellten Objekten und digitalisierten Objek-ten, z.B. Scans, digitalisierte Fotos, Videos etc., kennzeichnen. Man will damit auf die größere Gefahr der Obsoleszenz und anderer technischer Schwierigkeiten bei born-digitalen Objekten hinweisen, wohingegen bei Digitalisierungsprojekten auf den Einsatz von Standard und Normen vertraut wird. In dieser Arbeit wird von einer solchen Unterscheidung abgesehen, weil sie im Hinblick auf persönliche Archive oder digitale Nachlässe unfruchtbar ist. Denn auch digitalisierte Objekte können, wenn sie von einer Privatperson hergestellt wurden, in einem proprietären Format vorliegen, das zum Zeitpunkt der Übernahme durch ein Literaturarchiv obsolet ist. Dann stellt sich nicht die Frage „born-digital“ oder digitalisiert, son-dern nur, ob der Zugriff auf das vorliegende Objekt ohne weiteres möglich ist oder nicht. Aus diesem Grunde wird der Begriff „born-digital“ nur zitiert, niemals aktiv vom Verfasser genutzt. 27

26 Vgl. Whittaker, Hirschberg 2001, S. 164; Kaye u. a. 2006, S. 283f; Corbyn 2009 und zuletzt Becker, Nogues 2012.

27 Eine ablehnende Haltung gegenüber dem Begriff „born-digital“ nimmt auch Thorsten Ries ein, der sich als bislang einziger deutscher Editionswissenschaftler mit dem Thema befasst hat. Er schreibt: „Der sich bereits einbürgernde Begriff ‘born digitals’ ist m.E. unglücklich. Jedes digital vorliegende Dokument ist ‘digitally born’ – auch die stets verlustbehafteten Digitalisate von analogen Dokumenten bzw. deren Inhalten. Der Begriff ‚born digitals’ definiert eine Gruppe von Dokumenten über die mediale Geschichte ihres ‚Inhalts‘, was notwendig zu Verwirrungen führt.“ (Ries 2010, S. 150, Fußnote 4.)

1.3.7 Berufsbezeichnungen

Zuletzt soll noch auf die uneinheitliche Verwendung der Berufsbezeichnung jener Personengruppe hingewiesen werden, die mit der Pflege von Nachlässen und allen damit verbundenen Aufgaben betraut ist. Der Begriff des Literaturarchivars wird in der Literatur so gut wie gar nicht verwendet. Im Deutschen Literaturarchiv Marbach spricht man von Mitarbeitern – die vorherrschende Berufsgruppe sind dort die Bibliothekare – im Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar, aufgrund der vorherrschenden archivischen Tradition von Archivaren. Unter dem Aspekt der beruflichen Ausbildung sind es in der Tat Archivare, Bibliothekare, aber auch Li-teraturwissenschaftler, die mit Nachlässen und Nachlassern arbeiten. Da diese Bezeichnungen jedoch für eine Beschreibung der beruflichen Tätigkeit nicht prä-zise genug sind, wird in dieser Arbeit die Berufsbezeichnung Nachlasskurator bevorzugt verwendet.

2 Digitale Nachlässe als persönliche Archive –