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Abschließende Bemerkungen zum Forschungsstand in den deutschsprachigen Ländern deutschsprachigen Ländern

Vorbemerkung zur publizierten Ausgabe

Kapitel 8 referiert als zweiten Teil der empirischen Studie Konzeption, Durchfüh- Durchfüh-rung, Auswertung und Ergebnisse einer Online-Befragung, an der Mitglieder des

3 Persönliche Archive, Langzeitarchivierung und präkustodiale Intervention – ein Literaturbericht

3.3 Der Forschungsstand

3.3.5 Abschließende Bemerkungen zum Forschungsstand in den deutschsprachigen Ländern deutschsprachigen Ländern

In der Zusammenschau der Literatur seit 1994 ergibt sich für die deutschsprachi-gen Beiträge das foldeutschsprachi-gende Bild: Vor allem Mitarbeiter von Literaturarchiven oder Literaturarchiv-nahen Institutionen (Österreichisches Literaturarchiv, Deutsches Literaturarchiv, Rheinisches Literaturarchiv, Staatsbibliothek zu Berlin)330 publi-zierten über das Thema, während andere nachlassverwaltende Institutionen – wie Staatsarchive, Landes- oder Kommunalarchive – dies bisher offenbar unterließen.

329 Vgl. hierzu die unter Abschnitt 3.3.3.1 stehenden Ausführungen.

330 Vgl. die Beiträge von Rotter 1997; von Bülow 8./9. Mai 2003; Brenner-Wilczek, Stahl 2006;

Kaukoreit 2008; Kamzelak 2010; Kramski, von Bülow 2011 und Hertling 2012.

Der Postkustodialismus spielt in der Literatur keine Rolle.331 Forschungsbeiträge und Praxisberichte aus der englischsprachigen Literatur wurden nicht rezipiert. Im Rahmen von Fachtagungen wurde das Thema aber schon erörtert – zum ersten Mal bei der österreichischen KOOP-LITERA-Tagung 2003 in Mattersburg. Die Veranstalter der deutschen KOOP-LITERA Tagung boten aber erst 2012 einen Workshop zum Thema „digitale Nachlässe“ an.332

Lässt sich aus diesem Befund auch die These ableiten, dass die deutschsprachige Forschung und Praxis verglichen mit internationalen als defizitär zu betrachten ist? Einleitend wurde darauf hingewiesen, dass die englischsprachigen Länder in Forschung und Praxis international führend sind. Diese Behauptung stützte sich auf den quantitativen Befund der Literaturrecherche. Allerdings könnte dieser quantitative Befund auch mit der größeren Reichweite der englischen Sprache erklärt werden. Als Begründung reicht die Zahl der Beiträge somit nicht aus. Es gibt aber auch qualitative Gründe:

1. In den englischsprachigen Ländern findet eine durchgehende Beschäftigung mit dem Thema seit 1994 statt (Cunningham 1994). Die ersten deutschspra-chigen Beiträge datieren aus dem Jahr 1997 (Rotter 1997) und dem Jahr 2003 (Bülow 2003). Erste umfängliche Lösungsvorschläge für die präkustodiale In-tervention wurden 2011 und 2012 (Kramski 2011; Hertling 2012) publiziert.

2. Im englischsprachigen Raum wurden großdimensionierte Projekte durchge-führt (Paradigm 2005-2007; Digital Lives 2007-2009; Präsentation des Vorlas-ses von Rushdie, 2010). Im deutschsprachigen Raum gab es bisher (Stand 2014) noch keine vergleichbaren Projekte.

3. In Großbritannien (The First Digital Lives Research Conference 2010) und den USA (PDA, ab 2010) finden Konferenzen statt, die sich ausschließlich mit persönlichen Archiven befassen. In Deutschland, Österreich und der Schweiz findet das Thema auf Konferenzen zwar eine gewisse Beachtung (KOOP-LITERA, ab 2012). Konferenzen, die sich ausschließlich mit persönlichen Ar-chiven und digitalen Nachlässen befassen, gab es jedoch bisher noch nicht.

Anhand dieser drei Punkte lassen sich qualitative Unterschiede zwischen den Er-gebnissen der englischsprachigen und der deutschsprachigen Forschung nachwei-sen. Das Fehlen von Projekten und Konferenzen sowie die vergleichbar geringe

331 Eine Ausnahme bildet Strodl u. a. 2008.

332 Vgl. KOOP-LITERA Österreich 2012.

und zeitlich verzögert einsetzende Publikationstätigkeit rechtfertigt die Feststel-lung eines Forschungs- und Praxisdefizits im deutschsprachigen Raum. Diese Feststellung gilt trotz der in der Literatur belegbaren Defizite in den englischspra-chigen Ländern, da diese sich auf die Breitenwirkung in der Praxis und nicht auf die generelle und theoretische Auseinandersetzung mit digitalen Nachlässen be-ziehen.333

3.4 Fazit

Der ausgewertete Literatur befasst sich einem Forschungsfeld, der sich in etwa so umschreiben lässt: „Wie können persönliche, mit digitalen Medien erstellte, Ob-jekte und Archive sowohl durch den Bestandsbildner, durch Archive und Biblio-theken, aber auch durch Dritte langfristig archiviert und zugänglich gemacht wer-den?“ Die Publikationstätigkeit beschränkt sich überwiegend auf die englischsprachigen Länder Großbritannien, USA, Kanada und Australien. Im Ver-gleich hierzu kann der Forschungsstand in Deutschland, Österreich und der Schweiz nur als defizitär bezeichnet werden.

Der explorative Charakter der Forschungsansätze hinterlässt den Eindruck eines noch neuen Forschungsfeldes, dessen Grundlagen noch nicht vollständig erarbei-tet sind. Methodisch beherrschen Analysen persönlicher Archive und die Analysen zum persönlichen Informationsmanagement der Bestandsbildner die Forschungs-designs. Zur Datenerhebung werden die Methoden der empirischen Sozialfor-schung – und zwar sowohl qualitative als auch quantitative Verfahren – angewen-det. Die Analyseergebnisse dienen der Konzeptualisierung und der Lösungsentwicklung, wobei mit dem Postkustodialismus und dem Kustodialismus zwei theoretische Grund-Positionen identifiziert werden konnten. Je nach Stand-punkt des Diskutanten und der Zielgruppe votiert man für die dauerhafte Archivie-rung durch den Bestandsbildner oder einen Dienstleister (Postkustodialismus, bzw. dessen non-kustodiale Variante) oder für eine Übernahme der digitalen Ob-jekte durch ein Archiv, eine Bibliothek oder ein Literaturarchiv (Kustodialismus).

Inzwischen erkennt man auch auf Seiten der nachlassverwaltenden Institutionen, dass postkustodiale Instrumente die Zusammenarbeit zwischen Bestandsbildner und Nachlasskurator vereinfachen, sodass eine Konvergenz der beiden Positionen zu beobachten ist. Das zeigen auch die konkreten Lösungsvorschläge zur präkus-todialen Intervention: Zwar konnte gezeigt werden, dass Archivare und Bibliothe-kare durchweg für kustodiale Lösungen plädieren. Die endgültige Archivierung von digitalen Objekten oder Nachlässen in den Repositorien von

333 Vgl. Goldman 2011, S.11ff.

tenden Institutionen wird bekräftigt und nicht hinterfragt. Es herrscht zugleich aber auch Konsens darüber, dass die präkustodiale Phase in die Arbeitsprozesse von Archiven, Bibliotheken und Literaturarchiven zu integrieren ist, und dass hierzu auch postkustodiale Ansätze gehören. Man kann jedoch davon ausgehen, dass solche Lösungsansätze nur dann in Betracht kommen, wenn sie den Kustodi-alismus nicht in Frage stellen. Demzufolge sind z.B. Heim-Archivierungs-Systeme nicht Teil des möglichen Maßnahmenspektrums.

Interessant ist die Beobachtung, dass einige wenige Bestände die Beschäftigung mit digitalen Nachlässen auslösten und somit Praxisbezüge als Katalysatoren für Forschungsprojekte und -beiträge dienten. Die Projekte wirkten dann wiederum auf die Praxis zurück. Allerdings beschränkte sich deren Wirkung zumeist auf die Projektträger, sodass auch hier eine breitere Rezeption unterblieb. Trotz herausra-gender Projekte und einer Vielzahl von Einzelpublikationen, hat das Thema auch in den englischsprachigen Ländern noch keine große Breitenwirkung entfaltet.

Eine Ausnahme sind die Ergebnisse des Projektes Paradigm, dessen Vorschläge durch die Literatur mehrfach aufgegriffen wurden.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass es eine allgemein akzeptierte und realisierbare Lösung für die präkustodiale Intervention noch nicht gibt. Auf-grund des beständigen Technologiewandels werden sich Forschung und Praxis zudem immer wieder neuen Herausforderungen ausgesetzt sehen. Offene For-schungsfragen konnten dabei insbesondere im Bereich der Online-Medien identi-fiziert werden. Ungeklärt ist zum Beispiel die Frage, wie online-generierte oder -gespeicherte Objekte in die Interventions-Strategie und auch in die gesamte Langzeitarchivierungs-Strategie von Bibliotheken, Archiven oder Literaturarchi-ven integriert werden können. Für den deutschsprachigen Raum fehlt zudem bis-lang eine Bestandsaufnahme in den nachlassverwaltenden Institutionen und insbe-sondere in den Literaturarchiven. Umfangreiche Daten von Bestandsbildnern zum persönlichen Informationsmanagement und zur präkustodialen Intervention wur-den bislang ebenfalls noch nicht erhoben.

Als wichtigstes Ergebnis des Literaturberichtes soll aber nochmals auf die Defizi-te in der deutschsprachigen Forschung hingewiesen werden. Erst seit 2011 wurden Beiträge publiziert, die sich mit präkustodialen Formen der Langzeitarchivierung befassten. Mit den möglichen Gründen für dieses Defizit befasst sich nunmehr das nächste Kapitel.

4 Länderspezifische Faktoren als Einflussgrößen