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Vorbemerkung zur publizierten Ausgabe

Kapitel 8 referiert als zweiten Teil der empirischen Studie Konzeption, Durchfüh- Durchfüh-rung, Auswertung und Ergebnisse einer Online-Befragung, an der Mitglieder des

3 Persönliche Archive, Langzeitarchivierung und präkustodiale Intervention – ein Literaturbericht

3.1 Chronologischer Abriss der Forschungsaktivitäten

3.1.2 Die Entwicklung in Deutschland, Österreich und der Schweiz

In den deutschsprachigen Ländern beschränkten sich Beiträge bis weit in die 1990er Jahre hinein auf das klassische Aufgabenspektrum der Nachlassarchivie-rung: Bewertung, Erschließung und Benutzung. Zudem beschäftigte der Kompe-tenzstreit, also die Frage ob und wie Nachlässe in Archiven oder Bibliotheken aufbewahrt werden sollten, die beteiligen Akteure.211 Persönliche Archive, die präkustodiale Intervention und auch das persönliche Informationsmanagement wurden, soweit sich dies den Rechercheergebnissen ableiten lässt, nicht mit eigen-ständigen Beiträgen bearbeitet. Insbesondere lässt sich kein Interesse für die per-sönlichen Archive breiter Bevölkerungsschichten nachweisen.

Aus dem Jahre 1997 datiert die erste Publikation, die sich mit digitalen Nachläs-sen befasste. Werner Rotter berichtete über die Archivierung digitaler Vor- und Nachlässe im Österreichischen Literaturarchiv am Beispiel des Vorlasses von Franz Josef Czernin. Probleme, die durch Disketten als Träger auftreten, wurden aber nur summarisch angeschnitten. Rotter erwähnte unter anderem den Urheber-rechtschutz, den Datenschutz, die Bearbeitung und Benutzung der digitalen Ob-jekte.212 Der nächste nennenswerte Beitrag stammt dann aus dem Jahre 2003. Es

208 Eine Frucht dieser Konferenz ist der Sammelband „Personal Archiving“, der den aktuellen Diskussionstand umfänglich widerspiegelt. Vgl. Hawkins 2013.

209 Vgl. Biblioteca nazionale centrale di Roma 2010.

210 Vgl. Hertling 2012, S. 8f; The Royal Library - National library of Denmark and Copenhagen University Library 2014.

211 Vgl. Asmus 2010, S. 15ff und die Darstellung in Abschnitt 4.2.1.3.

212 Vgl. Rotter 1997.

ist der eingangs schon erwähnte Vortrag von Ulrich von Bülow über die Erwer-bung, Bearbeitung und Archivierung des Nachlasses von Thomas Strittmatter durch das Deutsche Literaturarchiv in Marbach. Bülow referierte neben IT-technischen Prozessen auch die Auswirkungen der digitalen Textproduktion auf Originalität, Authentizität und Integrität der Nachlassdokumente.213 Bei Rotter und Bülow handelte es sich um Praxisberichte, die Problemstellungen und deren Lösungen in einer bestimmten Institution beschrieben und keine konzeptionellen Gedanken zu verallgemeinerbaren Lösungsansätzen enthielten. Die Tendenz zu Praxisberichten setzte sich in den nächsten Jahren fort, wobei hier aber gleichzei-tig der Versuch gemacht wurde, das Problem informations- oder literaturwissen-schaftlich einzuordnen. So berichteten Brenner-Wilczek und Stahl über die Ange-bote des Rheinischen Literaturarchivs an Schriftsteller und stützten sich dabei auf eine Autorenumfrage.214 Bargmann befasste sich mit den Auswirkungen sozialer Netzwerke, Webseiten und Online-Tagebüchern auf die biographische For-schung215, Kaukoreit mit dem Begriff des Originals, der aus seiner Sicht durch die digitalen Medien und den aus ihnen resultierenden neuen Formen der Textproduk-tion und -verbreitung zunehmend in Frage gestellt wird216, Kamzelak mit der Fra-ge, wie Internet und E-Mail editorisch und methodisch einzuordnen sind.217 Kei-ner der genannten Beiträge befasste sich mit der präkustodialen Intervention.

Den ersten konkreten Lösungsansatz veröffentlichten 2011 Kramski und von Bülow. 218 In ihrem Beitrag beschrieben sie die Archivierungs-Strategie für digita-le Objekte im Deutschen Literaturarchiv in Marbach, die hauptsächlich aus der Sicherung des logischen Objektes und dessen Einspeisung in die Langzeitarchi-vierung besteht. Ausgangspunkt war aber auch hier ein Praxisbericht, aus dem sie dann – wieder beruhend auf den Erfahrungen mit dem Nachlass von Thomas

213 Vgl. von Bülow 8./9. Mai 2003. Über die Erschließung des Strittmatter-Nachlasses durch das DLA Marbach berichtet auch die Süddeutsche Zeitung aus feuilletonistischer Sicht im selben Jahr. Vgl. Bernard 26.05.2003.

214 Vgl. Brenner-Wilczek, Stahl 2006. Die Darstellung beruht auf einer Umfrage, die seit 2005 vom Rheinischen Literaturarchiv Düsseldorf kontinuierlich durchgeführt wird und sich vor-wiegend mit der Nutzung von Literaturarchiven durch Autoren befasst. Die persönlichen Ar-chive der Autoren streift der zugrundeliegende Fragebogen nur oberflächlich.

215 Vgl. Bargmann 2007.

216 Vgl. Kaukoreit 2008.

217 Vgl. Kamzelak 2010. Zum Komplex der Online-Medien ist 2010 ein Sammelband mit Beiträ-gen zur Archivierung von Netzliteratur erschienen. Die Beiträge stammen sowohl von Medien- und Literaturwissenschaftlern als auch von Kulturschaffenden und Archivaren. Unter anderem wird die Funktion des Internets als Archiv sowie dessen Defizite im Hinblick auf diese Funkti-on diskutiert. Vgl. hierzu Hartling 2010.

218 Vgl. Kramski, von Bülow 2011.

Strittmatter – die einzelnen Lösungsschritte ableiteten. Kramski und von Bülow waren auch die ersten deutschsprachigen Autoren, die über kustodiale Prozesse hinausdachten und – wenn auch nur im Vorübergehen – „das möglichst frühzeitige Gespräch mit Autoren und Sekretariaten über deren EDV-Praktiken“219 einforder-ten. Auf die Erfahrungen mit dem Strittmatterschen Nachlass bezog sich auch Hertling, die 2012 eine Lösung für die präkustodiale Intervention publizierte.

Hertling skizzierte in ihrem Beitrag Aufgaben, Komponenten und den rechtlichen Rahmen eines web-basierten „digitalen Vorlass-Systems“ (DVS), das dem Be-standsbildner den sukzessiven Transfer digitaler Objekte aus seinem persönlichen Archiv in das Archivsystem einer Bibliothek ermöglichen soll.220 Soweit aus der recherchierten Literatur ersichtlich, veröffentlichte Hertling damit den ersten Bei-trag im deutschsprachigen Raum, der die Bedeutung der präkustodialen Interven-tion für die Langzeitarchivierung digitaler Nachlässe benannte und konzeptuali-sierte. Hinsichtlich dieses doch sehr dünnen Literaturertrags ist es wenig verwunderlich, dass sich Hertling in ihrem Beitrag kritisch über den Status quo in Deutschland äußerte:

Angesichts dessen, dass computerunterstütztes Arbeiten seit Anfang der 1990er Jahre zum Alltag gehört, wäre kritisch anzumerken, dass die Erarbei-tung von technischen, bibliothekarischen und juristischen Lösungen im Umgang mit digitalen bzw. hybriden Nachlassmaterialien erst gegenwärtig seinen Anfang findet, während die technischen Entwicklungen weiter voran-schreiten. 221

Aus dem Jahre 2014 datiert dann noch die Masterarbeit von Silke Becker, Mitar-beiterin des Deutschen Literaturarchivs Marbach, die sich der Einordnung digita-ler Nachlässe in die Geschäftsgänge eines Literaturarchives widmete und dabei auch die präkustodiale Phase streifte. Die Autorin kam zu dem Schluss, dass Lite-raturarchive frühzeitig Kontakt zu Autoren aufnehmen sollten, um die langfristige Nutzbarkeit digitaler Nachlassteile sicherzustellen. Unter anderem schlägt sie auch die Ablage digitaler Objekte in Cloud-Speichern vor.222 Becker wies in ihrer Arbeit auch auf das PreIngest Tool (PIT) des Bundesarchivs hin, das für präkusto-diale Intervention adaptiert werden könnte.223

219 Kramski, von Bülow 2011, S. 161.

220 Vgl. Hertling 2012.

221 Hertling 2012, S. 7.

222 Vgl. Becker 2014, S. 71.

223 Vgl. Becker 2014, S. 29.