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Neuordnung der Ausbildung im Einzelhandel

Belastungsprobe für die berufliche Identität der Beschäftigten im Einzelhandel

2.4 Auswirkungen auf die Auszubildenden im Einzelhandel

2.4.1 Neuordnung der Ausbildung im Einzelhandel

Trotz sinkender Ausbildungszahlen ist die Ausbildungsleistung des Einzelhandels beachtlich (vgl. HDE 2016). Die beiden wichtigsten Ausbildungsberufe im Einzelhan-del belegten 2018 Platz 2 und 4 (Platz 4 und 7 bei Männern, Platz 2 und 4 bei Frauen) der 20 am stärksten besetzten Ausbildungsberufe (vgl. Statistisches Bundesamt 2018, 39 f.). Von den Ausbildungsverhältnissen entfallen ca. zwei Drittel auf die Ausbil-dungsberufe Kaufmann/-frau im Einzelhandel (27.243 Neuabschlüsse/22.698 bestan-dene Abschlussprüfungen 2018) und Verkäufer/-in (22.074 Neuabschlüsse/16.467 bestandene Abschlussprüfungen 2018) (vgl. Statistisches Bundesamt 2018, 37, 332).

Hinzu kommen 5.412 Neuabschlüsse für Fachverkäufer/-innen im Lebensmittelhand-werk, 1.287 Drogist/-innen, 1.317 pharmazeutisch-kfm. Assistent/-innen, 5.220 Automobil-kaufleute, 432 Buchhändler/-innen sowie in geringem Umfang Tankwarte, Fotomedien-fachleute und Musikfachhändler/-innen (vgl. Statistisches Bundesamt 2018, 235).

Zudem gibt es seit August 2018 auf Initiative des HDE wegen der steigenden Bedeu-tung des Onlinehandels einen neuen Ausbildungsberuf Kaufmann/-frau im E-Com-merce (vgl. HDE 2016, 15 f.; BIBB 2019, 51; Weinert 2017). Der für den Einzelhandel typische hohe Frauenanteil betrifft nicht die Ausbildung: der Frauenanteil ist seit vielen Jahren rückläufig und betrug 2016 bei den Neuabschlüssen zum/r Kauf-mann/-frau im Einzelhandel 53 %, bei den Verkäufer/-innen 55 % (vgl. Vock/

Balschun/Annen 2015, 49 f.). Insbesondere den Hauptschulabsolventen bietet der Einzelhandel Ausbildungschancen. Der Anteil der Hauptschüler/-innen bei den Neu-abschlüssen betrug bei den Verkäufer/-innen 50 %, bei den Kaufleuten im Einzelhan-del 28 % (vgl. Destatis 2016, 69, eigene Berechnungen). Damit führen die beiden Ein-zelhandelsberufe die Top 10 der Ausbildungsberufe mit den meisten Hauptschüler/-innen und Schüler/-Hauptschüler/-innen ohne Abschluss an und tragen in erheblichem Umfang dazu bei, Jugendlichen den Übergang von der Schule in den Beruf zu ermöglichen (vgl. Kap. 3.2.6.2; BIBB 2019, 143 ff.; Brötz 2011, 212). Zudem weisen die Einzelhan-delsberufe einen hohen Migrantenanteil (21,8 %) auf (vgl. BIBB 2019, 392 f.). Obwohl formal in allen Ausbildungsberufen der Hauptschulabschluss als Zugangsvorausset-zung reicht, setzen die Ausbildungsbetriebe in vielen Berufen einen (guten)

Real-80 Subjektivierung und Entgrenzung

schulabschluss oder Abitur voraus. Realschüler/-innen stellen den größten Anteil der Auszubildenden (48 % der Neuabschlüsse im Jahr 2016 für Kaufleute im Einzelhandel bzw. 37 % für Verkäufer/-innen). 20 % der neuen auszubildenden Kaufleute im Ein-zelhandel verfügten über ein Abitur bzw. nur 7 % bei den Verkäufer/-innen (vgl. De-statis 2016, 70, eigene Berechnungen). Auch der Einzelhandel hat – bedingt durch demografische Effekte, einen Trend zur Akademisierung und regionale Passungspro-bleme – zunehmend Schwierigkeiten, geeignete Bewerber für die angebotenen Aus-bildungsplätze zu finden (vgl. BMBF 2019, 34 ff.; HDE 2016, 14 ff.). Für Abiturienten werden daher besonders attraktive Einstiegspakete angeboten, die die Erstausbildung unmittelbar mit einer Aufstiegsfortbildung als Handelsfachwirt/-in kombinieren (vgl.

HDE 2016, 20). Die Ausbildungsquote – das Verhältnis von Auszubildenden zu sozial-versicherungspflichtig Beschäftigten – sank zwischen 2007 und 2016 von 7,7 % auf 6,0 % (vgl. BIBB 2018, 214). Die Quote der ausbildenden Betriebe reduzierte sich im gleichen Zeitraum von 25,9 % auf 22,6 %. Diese Entwicklung entspricht dem gesamt-wirtschaftlichen Trend (vgl. BIBB 2018, 213). Dabei sind im Einzelhandel mehr Be-triebe ausbildungsberechtigt als in der gesamten Privatwirtschaft (vgl. Dummert 2013, 23).

Die beiden großen Einzelhandelsberufe wurden 2004 in Hinblick auf den Struk-turwandel der Branche neu geordnet. Dies führte zu folgenden wesentlichen Ände-rungen (vgl. Vock/Balschun/Annen 2015; BMWI 2009):

Erleichterung des Durchstiegs von Verkäufer/-innen zu Einzelhandelskaufleuten

Für beide Ausbildungsberufe wurden neue berufsschulische Rahmenlehrpläne und betriebliche Ausbildungsrahmenpläne formuliert, wobei das 1. und 2. Ausbildungs-jahr der Einzelhandelskaufleute mit der Verkäuferausbildung identisch ist. Hier-durch soll es Verkäufer/-innen erleichtert werden, nach abgeschlossener Ausbildung eine Weiterqualifizierung zum/r Einzelhandelskaufmann/-frau zu absolvieren (vgl.

Abb. 20; Vock/Balschun/Annen 2015, 247 ff.).

Befähigung zur Aneignung von Warenkenntnissen

Wegen des steigenden Selbstbedienungsanteils, kurzer Produktzyklen, Neuzuschnit-ten bzw. starker Restriktion von SortimenNeuzuschnit-ten haben das Warensortiment und entspre-chende Beratung in den Ausbildungsbetrieben sehr unterschiedliche Bedeutung.

Statt spezialisiertes Warenwissen standardisiert auf Vorrat zu vermitteln, steht nun die Fähigkeit zur selbstständigen Aneignung von Warenkenntnissen am Arbeitsplatz im Mittelpunkt (vgl. Vock/Balschun/Annen 2015, 56 ff.; 234 ff.).

Einführung von Wahlqualifikationen

Durch das Angebot von insgesamt neun (bei Verkäufer/-innen vier) Wahlqualifikatio-nen, von denen insgesamt vier gewählt werden müssen, wird den Lernenden ermög-licht, individuelle Schwerpunkte in Abhängigkeit von betrieblichen Erfordernissen und persönlichen Entwicklungszielen zu setzen (vgl. Abb. 20). Die Wahlqualifikation

„Beratung, Ware und Verkauf“ hat dabei eine herausragende Stellung, da sie von 90 % aller Auszubildenden belegt wird (vgl. Vock/Balschun/Annen 2015, 200 ff.). Das

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auf eine Selbstständigkeit abzielende Wahlmodul „Grundlagen unternehmerischer Selbstständigkeit“ wird dabei äußerst selten gewählt (vgl. ebd., 219 ff.).

Einführung des Lernfeldkonzepts

Die beruflichen Curricula sind nun – wie bereits in Kap. 1.2 dargestellt – nach Lernfel-dern strukturiert. Der Zuschnitt der vierzehn Lernfelder (vgl. Abb. 21) lässt eine Ana-logie zu den Tätigkeiten erkennen, welche das Berufsbild ausmachen (vgl. Kap. 2.3.1).

Hierbei absolvieren Verkäufer/-innen nur die ersten zehn Lernfelder in zwei Ausbil-dungsjahren, Einzelhandelskaufleute im dritten Ausbildungsjahr zusätzlich vier Lernfelder, welche auf eine Selbstständigkeit bzw. Führungsaufgaben vorbereiten.

Qualifikationseinheiten der Ausbildung in den Berufen des Einzelhandels (Vock/Balschun/

Annen 2015, 29) Abbildung 20:

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Gestreckte Abschlussprüfung

Zudem wurden die Prüfungsverfahren 2009 mit der probeweisen Einführung der Ge-streckten Abschlussprüfung aufeinander abgestimmt. Hierdurch wird die Prüfung der Einzelhandelskaufleute in zwei zeitlich getrennten Teilen absolviert, wobei der erste Teil am Ende des zweiten Ausbildungsjahres absolviert wird und strukturell mit der Abschlussprüfung der Verkäufer/-innen identisch ist (vgl. Vock/Balschun/Annen 2015, 31 ff., 66–195). Nach positiver Evaluation durch das BIBB (vgl. 2015) wurde diese Regelung 2017 in Dauerrecht überführt.

Übersicht der Lernfelder für die Ausbildungsberufe im Einzelhandel (KMK 2004/2016, 7)

Die neuen Regelungen haben zu einer deutlichen Steigerung der Anschlussverträge für Verkäufer/-innen geführt, welche in der neuen Berufsbildungsstatistik seit 2008 nicht mehr in der Zahl der neu abgeschlossenen Verträge enthalten sind. 2018 waren dies 4.107 Verträge (vgl. BIBB 2019, 44; HDE 2016, 18). Hierbei ist jedoch von einer

Abbildung 21:

Auswirkungen auf die Auszubildenden im Einzelhandel 83

Untererfassung der Anschlussverträge auszugehen (vgl. BIBB 2019, 44). Auf Basis eines Schätzverfahrens geht das BIBB davon aus, dass ca. 45 % der Verkäufer/-innen eine Ausbildung als Einzelhandelskaufmann/-frau anschließen – dies entspricht 30 % der Einzelhandelskaufleute des Folgejahres. Dieser Wert lag vor der Neuordnung bei ca. 10 % (vgl. Vock/Balschun/Annen 2015, 247–259). Zugleich sind die Vertragslösun-gen bei den Verkäufer/-innen merklich angestieVertragslösun-gen: 2018 wurden 9.573 Verträge vor-zeitig gelöst, davon 4.422 in der Probezeit, 7.329 im 1. Ausbildungsjahr und 2.244 im 2. Ausbildungsjahr (vgl. Abb. 22; Statistisches Bundesamt 2018, 341; BIBB 2019, 155 ff.;

Uhly 2015). Die Ursachen hierfür sind nicht eindeutig bekannt, da die Berufsbil-dungsstatistik den Verbleib der Auszubildenden nach der Vertragslösung nicht nach-verfolgt. Bekannt ist jedoch aufgrund empirischer Studien, dass mindestens die Hälfte der Vertragslösungen Betriebs- oder Berufswechsel innerhalb des dualen Systems darstellen (vgl. Uhly 2015, 16 ff.). Daher ist zu vermuten, dass viele Verkäufer/-innen bereits vorzeitig zum attraktiveren Berufe des/r Einzelhandelskaufmanns/-frau wech-seln.

Vertragslösungsquoten im Einzelhandel (WABE-Institut 2020, 29)

Es gibt empirische Befunde, die darauf hindeuten, dass die Ausbildungsqualität, da-raus resultierende Konflikte mit Vorgesetzten und die fehlende Attraktivität des Aus-bildungsberufs häufig Auslöser für eine Vertragslösung sind (vgl. Uhly 2015, 19 f.;

Krewerth 2010). Vertragslösungen als Scheitern der Auszubildenden zu interpretie-ren, ist demnach unzulässig. Häufig ziehen Vertragslösungen eine Verbesserung der Ausbildungssituation nach sich (vgl. BIBB 2019, 155 ff.; Uhly 2015, 17 f.). Dieser

Be-Abbildung 22:

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fund wird auch dadurch gestützt, dass die Vertragslösungsquoten bei Einzelhandels-kaufleuten traditionell deutlich geringer sind als bei den Verkäufer/-innen (vgl.

Abb. 22). Insgesamt liegen die Lösungsquoten im Einzelhandel über dem gesamtwirt-schaftlichen Durchschnitt.

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