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Der Einzelhandel: eine flexible Niedriglohnbranche mit hohem FrauenanteilFrauenanteil

Belastungsprobe für die berufliche Identität der Beschäftigten im Einzelhandel

2.2 Ambivalente Chance-Risiko-Konstellationen am Arbeitsmarktam Arbeitsmarkt

2.2.3 Der Einzelhandel: eine flexible Niedriglohnbranche mit hohem FrauenanteilFrauenanteil

Diese Kriterien prägen auch das Personalmanagement der Einzelhandelsunterneh-men. Im Rahmen ihrer Geschäftsmodelle müssen sie die folgenden Herausforderun-gen bewältiHerausforderun-gen (vgl. Merkel/Jackson/Pick 2010; Voss-Dahm/Lehndorff 2003, 29 ff., 2007; Deloitte 2017a):

• die Qualität an der Kundenschnittstelle durch einen wettbewerbsfähigen Preis-Sortiment-Service-Mix;

• die quantitative Flexibilisierung des Personaleinsatzes für eine passgenaue Be-darfsplanung;

• die qualitative Flexibilisierung des Personaleinsatzes zur Bewältigung von Um-strukturierungen sowie

• die Bestimmung des Verhältnisses von Technologie und Personal.

Gravierende Konsequenzen für die Beschäftigten im Einzelhandel sind bereits in einem Branchenvergleich der Beschäftigtenstruktur und des Lohnniveaus erkennbar.

Der deutsche Einzelhandel gehört mit ca. 2,1 Mio. sozialversicherungspflichtigen Be-schäftigungsverhältnissen (6,7 % aller Erwerbstätigen) – hiervon ca. 140.000 Auszubil-dende (8,9 % aller Ausbildungsplätze) – zu den beschäftigungs- und ausbildungs-stärksten Branchen (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2019; Dummert 2013, 22 ff.). In Deutschland arbeiten ca. 1,1 Mio. der Beschäftigten in sozialversicherungspflichtiger Teilzeit. Hinzu kommen ca. 850.000 geringfügig Beschäftigte (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2019; Dummert 2013, 13 ff.). Nur ein Drittel der Beschäftigten verfügt demnach über eine reguläre Vollzeitstelle. Der Einzelhandel gehört neben der Reinigungsbran-che und der Gastronomie zu jenen BranReinigungsbran-chen, welReinigungsbran-che Minijobs am intensivsten nut-zen (vgl. Schäfer/Schmidt 2016, 23; Abb. 14).

Qualifikation, Minijobs und Fluktuation sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse nach Branchen (Bundesagentur für Arbeit 2019, eigene Berechnungen)

Abbildung 14:

Ambivalente Chance-Risiko-Konstellationen am Arbeitsmarkt 67

Eine indexierte Darstellung der Beschäftigungsentwicklung seit 2010 macht deutlich, dass der Beschäftigungszuwachs im Zuge der Ausweitung und Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten im Bereich der sozialversicherungspflichtigen Teilzeitverhält-nisse stattgefunden hat, während Vollzeitstellen an Bedeutung verloren haben (vgl.

Abb. 15; Bundesagentur für Arbeit 2019; HDE 2016, 5). Durch einen hohen Anteil be-ruflich Qualifizierter gelingt es jedoch, eine Segmentation der Beschäftigten in Rand-und Kernbelegschaften zu verhindern (vgl. Voss-Dahm 2007, 2009).

Entwicklung der Beschäftigungsverhältnisse im Einzelhandel 2015–2019 indexiert (WABE-Insti-tut 2020, 22)

In Deutschland sind drei Viertel der Beschäftigten bzw. 60 % der Auszubildenden weiblich (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2019). Der hohe Frauenanteil hängt eng mit dem Angebot an Teilzeitarbeitsverhältnissen und Minijobs zusammen (vgl. Kap. 2.3.4).

84 % der geringfügig Beschäftigten und 93 % der Beschäftigten mit Wochenarbeitszei-ten zwischen 15 und 25 Stunden sind Frauen (vgl. Schäfer/Schmidt 2016, 23). Der Anteil unfreiwilliger Teilzeit ist mit 14 % noch relativ gering, allerdings wünschen fast ein Drittel der Beschäftigten – hiervon ca. die Hälfte Geringqualifizierte – eine Ar-beitszeitverlängerung (vgl. ebd., 58 f., 63). Die Zahl der befristet Beschäftigten ent-spricht mit 8,3 % in etwa dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt (vgl. ebd., 60 f.;

Dummert 2013, 15).

Abbildung 15:

68 Subjektivierung und Entgrenzung

Der Einzelhandel ist eine Niedriglohnbranche, was nicht nur auf den hohen An-teil atypischer Beschäftigung zurückzuführen ist (vgl. Voss-Dahm 2012), denn auch Vollzeitbeschäftigte verdienen mit mtl. 2.427 € brutto weniger als der gesamtwirt-schaftliche Durchschnitt von 3.211 €. Unter Einbezug der Teilzeitbeschäftigten fällt die Differenz noch deutlicher aus: 1.639 € brutto mtl. im Einzelhandel gegenüber 2.593 € in der Gesamtwirtschaft (vgl. Abb. 16). Die Bruttostundenlöhne erreichen mit 10,70 € nur 74 % des gesamtwirtschaftlichen Durchschnitts. Nur 15 % der Beschäftig-ten im Einzelhandel verfügen über eine betriebliche Altersversorgung, dagegen 37 % in der Gesamtwirtschaft (vgl. Schäfer/Schmidt 2016, 35 f.). Wegen der hohen Teilzeit-quote stellt das Gehalt bei ca. 2/3 der Beschäftigten nicht die Haupteinkommens-quelle des Haushalts dar. Der Anteil des Gehalts am Haushaltseinkommen ist mit 44 % der zweitniedrigste aller untersuchten Branchen. Eine wichtige Kennzahl für das verfügbare Einkommen pro Haushaltsmitglied, das Nettoäquivalenzeinkommen, liegt mit 1.417 € pro Haushaltsmitglied deutlich unter dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt von 1.667 €. 13 % der Erwerbstätigen im Einzelhandel (gegenüber 7 % in der Gesamtwirtschaft) verfügen über weniger als 60 % des durchschnittlichen Netto-äquivalenzeinkommens und gelten damit als armutsgefährdet (vgl. ebd., 44 ff.). Laut Berechnungen des von der Gewerkschaft ver.di beauftragten WABE-Instituts erwirt-schaftete 2017 jeder Beschäftigte zusätzlich zum Gehalt einen Gewinn von 540 € mtl.

(vgl. WABE-Institut 2020, 34).

Obwohl der Einzelhandel eine Niedriglohnbranche ist, liegen die Ausbildungs-vergütungen mit durchschnittlich 840 € brutto (2016) für Einzelhandelskaufleute im Vergleich zu anderen Berufen im oberen Mittelfeld (vgl. Beicht 2019).

Durchschnittliche Bruttomonatslöhne von Erwerbstätigen (Schäfer/Schmidt 2016, 36) Abbildung 16:

Ambivalente Chance-Risiko-Konstellationen am Arbeitsmarkt 69

Trotz dieser unattraktiven Bedingungen weist das Verhältnis von vakanten Stellen zu nachfragenden Arbeitslosen auf ein auskömmliches Arbeitskräfteangebot hin, sodass von einem Fachkräftemangel wie in anderen Branchen nicht gesprochen werden kann (vgl. Schäfer/Schmidt 2016, 13; Voss-Dahm 2007, 2012; BIBB 2019, 149 ff.), ob-wohl ein hoher Anteil der Betriebe über Probleme bei der Stellenbesetzung klagt (vgl.

Dummert 2013, 29 ff.). Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist seit Aufhebung der Allgemeinverbindlichkeitsklausel im Jahr 2000 deutlich gesunken (vgl. Dummert 2013, 8). Rund 71 % der Betriebe sind nicht an Tarifverträge gebunden. Da besonders große Betriebe tarifgebunden sind, arbeiten jedoch 46 % der Beschäftigten in einem Betrieb mit Branchen- oder Haustarifvertrag. Zudem profitieren 60 % der verbleiben-den Beschäftigten indirekt von einem Tarifvertrag, da sich der Betrieb am Branchenta-rifvertrag orientiert (vgl. ebd., 19 ff.). Nur in 35 % der Betriebe existiert ein Betriebsrat.

Dem stehen 55 % in der Gesamtwirtschaft gegenüber (vgl. Schäfer/Schmidt 2016, 21).

Die Mitbestimmung wird von den großen Einzelhandelskonzernen häufig durch ge-sellschaftsrechtliche Gestaltung umgangen (vgl. Tornau 2016).

Auf Basis der Daten des sozioökonomischen Panels zeigen die Beschäftigten im Einzelhandel im Vergleich zu anderen Branchen eine leicht unterdurchschnittliche Arbeitszufriedenheit und eine deutlich unter dem Durchschnitt liegende Zufrieden-heit mit Einkommen und Lebensstandard, was aufgrund des niedrigen Lohnniveaus zu erwarten war (vgl. Schäfer/Schmidt 2016, 53, 55). Nur ein Viertel der Beschäftigten macht sich keine Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation – der geringste Wert aller Branchen. Auch um ihren Arbeitsplatz machen sich Beschäftigte im Einzelhan-del tendenziell mehr Sorgen als in den meisten anderen Branchen (vgl. ebd., 68 f.).

2.3 Auswirkungen auf den Arbeitsalltag der Beschäftigten

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