• Keine Ergebnisse gefunden

Faktoren der Wettbewerbsfähigkeit und Geschäftsmodelle

Belastungsprobe für die berufliche Identität der Beschäftigten im Einzelhandel

2.1 Globalisierung und Ökonomisierung im Einzelhandel

2.1.2 Globalisierte Geschäftsmodelle im Einzelhandel .1 Charakteristika und Trends der Einzelhandelsbranche.1 Charakteristika und Trends der Einzelhandelsbranche

2.1.2.2 Faktoren der Wettbewerbsfähigkeit und Geschäftsmodelle

Grewal et al. (2010) benennen sechs Faktoren, welche in ihrer Wechselwirkung über den Erfolg eines Einzelhandelsunternehmens im globalen Wettbewerb entscheiden:

Ladenformat, Service, Warensortiment, Preispolitik, Supply Chain Management, ein-gesetzte Technologien. Diese werden nun näher erläutert, da sie den Arbeitsalltag der Beschäftigten maßgeblich prägen.

Ladenformate: Da Kund/-innen aus Zeitgründen kurze Wege und Wartezeiten an-streben, findet ein Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Ladenformaten (Discoun-ter, Verbrauchermarkt, Kaufhaus, Einkaufszentren) statt, der über die Frequenz der Besuche entscheidet. Hierbei sind für die Kundschaft die Nähe des Standortes, Sorti-mentsbreite und -tiefe sowie Preisniveau zentrale Entscheidungsfaktoren (vgl. Sonn-eck/Ott 2010). Discounter waren aufgrund dessen gezwungen, ihr Sortiment durch Frischwaren und Markenartikel auszuweiten (vgl. Wortmann 2011, 134 f.). Um unter-schiedliche Marktsegmente anzusprechen, werden häufig parallel unterunter-schiedliche Ladenformate betrieben, welche als Marke beworben werden, z. B. Rewe (Vollsorti-ment)/Penny (Discount), Lidl (Discount)/Kaufland (Verbrauchermarkt), Metro Cash und Carry (Großhandel)/Real (Verbrauchermarkt), Edeka (Vollsortiment)/Marktkauf (Verbrauchermarkt)/Netto (Discount), KIK (Discountbekleidungsmärkte)/OBI (Bau-märkte) (vgl. Nielsen 2016, 13 ff.).

Studien belegen, dass die Kundenbindung steigt, wenn mehrere Vertriebskanäle eines Anbieters genutzt werden (vgl. Sonneck/Ott 2010). Der Anteil des Onlineumsat-zes beträgt inzwischen fast 10 %, wobei Bekleidung und Konsumentenelektronik überproportional vertreten sind (vgl. Abb. 9). Häufig geht dem stationären Kauf eine Onlineinformation voraus (vgl. Abb. 10).

Onlineanteil am Einzelhandelsumsatz (HDE 2019, 8) Abbildung 9:

Globalisierung und Ökonomisierung im Einzelhandel 57

Onlinenutzungsverhalten der Käufer/-innen (HDE 2019, 27)

Das Internet ermöglicht es, Umsatzrückgänge im stationären Geschäft zu kompen-sieren, Informationen über das Kaufverhalten zu gewinnen und der Kundschaft einen ergänzenden Service zu bieten (vgl. Weitz 2010, 369 f.; HDE 2019, 15). Die stationären Einzelhandelsunternehmen haben ihren Marktanteil von ca. einem Drittel am On-linehandel durch Internetpräsenz gegenüber Versendern und reinen Internethänd-lern behaupten können (vgl. HDE 2019, 20), da sie über eine Reihe von Wettbewerbs-vorteilen wie Markenreputation, Kundennähe, Waren-Know-how sowie exklusive Marken verfügen (vgl. Weitz 2010, 368 f.). Dennoch fällt die Wahl auf den stationären Vertrieb immer häufiger nur noch, wenn das Einkaufen komfortabel ist und sogar zum Erlebnis wird (vgl. Deloitte 2017, 7; Dawson 2010, 75 ff.; Uncles 2010, 213 f.). So bieten Lebensmitteldiscounter inzwischen Kaffeeautomaten am Eingang. Der Ein-kauf bei der amerikanischen Bekleidungskette Hollister wird zu einem illusorischen Erlebnis und die Ware zur Nebensache (vgl. Guldner 2010). Outdoorgeschäfte werden mit Kälte- und Regenkammern, Kletterwand und Laufbändern ausgestattet (vgl.

www.globetrotter.de), die Buchhandelskette Thalia bietet Weihnachtsbasteln, Lesun-gen und Signierstunden (vgl. www.thalia.de), Galeria Kaufhof realisiert in Düsseldorf ein neues Dream Concept (https://www.galeria-kaufhof.de/unternehmen/handeln/

dream-concept/, 09.06.2019). Bryman (1999) bezeichnet diesen auch in anderen Dienstleistungssektoren anzutreffenden Trend zur Kreation von Konsum- und Erleb-niswelten als Disneyization (vgl. Birken/Dunkel 2013, 39 ff.).

Service: Ein wichtiger Einflussfaktor auf das subjektive Erleben der Kundschaft ist neben dem Warenangebot und der Ladengestaltung auch der Service. Das beste La-dendesign führt nicht zum Umsatz, wenn die Waren nicht gefunden werden (vgl.

Verhoef/Sloot 2010), keine entscheidungsrelevanten Informationen über die Ware verfügbar sind oder Zeit fehlt, um vor der Kasse in der Schlange zu stehen. Eine große Herausforderung besteht für Einzelhandelsunternehmen darin, diesen Service auf-grund einer aus Kostengründen niedrigen Personaldecke sicherzustellen (vgl. Voss-Dahm 2009, 106 ff.; Voss-Voss-Dahm/Lehndorff 2003, 29 ff., 49 f.; Voswinkel/Korzekwa 2005, 44 ff.). Erschwerend kommt hinzu, dass Kund/-innen ihre Unzufriedenheit heute über das Internet jederzeit öffentlich kundtun können, wodurch Missmanage-ment schnell zu einem größeren Reputationsschaden führen kann (vgl. Uncles 2010,

Abbildung 10:

58 Subjektivierung und Entgrenzung

215 f.; Dannenberg/Kulke 2010). Um die Qualität an der Kundenschnittstelle zu si-chern und zugleich zu rationalisieren, ist im Einzelhandel ähnlich wie in anderen Dienstleistungssparten ein Trend zur McDonaldization (vgl. Ritzer 1993) erkennbar, d. h. die Interaktionsprozesse zwischen Kundschaft und Beschäftigten werden in Form von Skripten standardisiert und damit kontrolliert. So haben z. B. Kassierer/-innen häufig detaillierte Anweisungen, wie sie sich gegenüber der Kundschaft verhal-ten sollen (vgl. Birken/Dunkel 2013, 37 ff.).

Ein wichtiger Aspekt sind angesichts steigender Erwerbsquoten von Frauen auch die Ladenöffnungszeiten. Diese sind in Deutschland bereits seit dem Jahre 1900 regle-mentiert. Bis 1996 galt ein bundesweiter Ladenschluss um 18:30 Uhr mit Ausnahme eines seit 1989 geltenden Dienstleistungsabends sowie eine Sonn- und Feiertagsruhe.

Diese Restriktionen wurden 1996 und 2003 sukzessive gelockert, seit 2006 liegen die Ladenöffnungszeiten in der Gesetzgebungskompetenz der Länder. Insgesamt haben sich die Ladenöffnungszeiten deutlich ausgeweitet. Derzeit wird intensiv über eine mögliche Ausweitung der verkaufsoffenen Sonntage debattiert (vgl. Spiekermann 2004; Tegebauer 2007). Einerseits stellen die ausgeweiteten Öffnungszeiten ein neues Geschäftspotenzial für den Einzelhandel dar, andererseits setzen sie ihn auch unter Wettbewerbsdruck und erfordern eine aufwendige Personaleinsatzplanung (vgl. Voss-Dahm/Lehndorff 2003, 29 ff.).

Baethge (2004a), Voswinkel/Korzewka (2005) und Munz/Wagner/Hartmann (2012) stellen übereinstimmend fest, dass eine grundsätzlich denkbare und in der Li-teratur oft diskutierte Qualitätsführerschaft, welche sich im Wettbewerb durch beson-dere Beratungs- und Servicequalität hervorhebt, in der Empirie kaum anzutreffen ist.

Vielmehr verfolgen alle untersuchten Betriebe eine Kostenstrategie unter Ausnut-zung des Selbstbedienungskonzepts, bei der die Service- und Beratungsqualität auf ein unverzichtbares Minimum reduziert wird (vgl. Voss-Dahm 2009, 98–101). Einige Betriebe nehmen bewusst eine geringe Servicequalität in Kauf, die in irgendeiner Form (z. B. freundlicher Service an der Kasse, lokales Engagement des Betriebes) kompensiert wird (vgl. ebd., 104–106). Andere gewährleisten Beratungsqualität durch zusätzlichen Personaleinsatz unter der Voraussetzung, dass ein unmittelbarer Tauschwert in Form von Wertschöpfung entsteht (vgl. ebd., 106 ff.). Dies führt in der Regel zu einer Segmentation der Personalintensität in Abhängigkeit von der Bera-tungsintensität der Produktgruppe der jeweiligen Abteilung (vgl. ebd., 103).

Warensortiment: Auch die Zusammenstellung des Warensortiments stellt eine Optimierungsaufgabe dar. Einerseits muss der Warenbestand unter Rentabilitätser-wägungen gering gehalten werden, andererseits hängt die Kundenfrequenz von Breite und Tiefe des Sortimentes ab (vgl. Fox/Sethuraman 2010). Dies erfordert einen intelligenten Vertriebswegemix und detaillierte Informationen über das Kaufverhal-ten. Diese Informationen sind durch Warenwirtschaftssysteme und Internet zwar im-mer besser verfügbar, ihre zielgerichtete Auswertung stellt jedoch eine Herausforde-rung dar (vgl. Uncles 2010; Burke 2010). Mehrere Entwicklungen führen zu stark fragmentierten Märkten. Die wachsende Schere zwischen Arm und Reich führt dazu,

Globalisierung und Ökonomisierung im Einzelhandel 59

dass Kaufkraft und Warenkorb zwischen einzelnen Bevölkerungsschichten sehr ver-schieden sind (vgl. Fox/Sethuraman 2010, 242; Abb. 11).

Einkommensungleichheit in Deutschland (Krause 2015, 573)

Zudem wird das Kaufverhalten immer komplexer, da Produkte nicht nur dazu dienen, den täglichen Bedarf zu decken, sondern auch einen bestimmten Lebensstil prägen, der Teil der Identität der Kund/-innen ist (vgl. Giddens 1991, 196 ff.; Kap. 5.2.5). Delo-itte beobachtet einen Trend zu geringerem, bewussterem Konsum, denen der Handel mit Bio- und Fair-Trade-Produkten begegnet (vgl. Deloitte 2017, 6; Burke 2010; Uncles 2010, 212 f.; Hamilton/Petrovic 2011, 6 f.; Dannenberg/Kulke 2010). Über Kunden-treuekarten oder Social Media soll die Kundschaft gezielt an Marken gebunden wer-den (vgl. Sonneck/Ott 2010, 235 f.). Häufig werwer-den durch eine Produktdifferenzierung weitere Absatzmärkte wie Reisen, Mobilfunkverträge, Fotoaufträge, Blumenservice und Versicherungen erschlossen (z. B. Aldi, Lidl, Tchibo). Auch durch Non-Food-Son-derangebote im Lebensmitteleinzelhandel soll die Kundenbindung gesteigert werden.

Preispolitik: Welcher Preis durchgesetzt werden kann, hängt maßgeblich davon ab, was den Kund/-innen das Gesamtpaket der genannten Erfolgsfaktoren wert ist.

Hierbei kommt es bei Vollsortimentern nicht nur auf den Preis einzelner Produkte, sondern auf die Preisgestaltung des gesamten Sortiments an (vgl. Simon/Gathen/

Daus 2010). Über Handelsmarken kann es Vollsortimentern z. B. gelingen, Kund/-in-nen dazu zu bewegen, auf den Besuch eines Discounters ganz zu verzichten, um Zeit zu sparen. Ein Preiskampf mit Discountern würde aufgrund höherer Kosten unwei-gerlich zu Verlusten führen. Im Idealfall kann es durch das Gesamtpaket der hier genannten Faktoren gelingen, höhere Preise durchzusetzen. Eine Anhebung von Preisen hat bei geringen Margen einen deutlich höheren Hebel auf den Gewinn als Kosteneinsparungen. Diese Möglichkeit wird jedoch noch wenig genutzt, da sie eine umfangreiche Datenbasis über Preiselastizitäten, Wechselwirkungen zwischen

Pro-Abbildung 11:

60 Subjektivierung und Entgrenzung

duktgruppen und einen komplexen strategischen Preisbildungsprozess erfordert (vgl.

Simon/Gathen/Daus 2010). Angesichts geringer Margen (nur ca. 1 % im Lebensmit-telbereich) ist ein stringentes Kostenmanagement auch für Vollsortimenter unent-behrlich, um Skaleneffekte nutzen zu können (vgl. Fox/Sethuraman 2010, 244 f.; Si-mon/Gathen/Daus 2010).

Supply Chain Management: Ein entscheidender Faktor des Kostenmanagements ist die Beschaffung. Moderne Warenwirtschaftssysteme bieten hierbei neue Optimie-rungsmöglichkeiten, welche unter dem Stichwort lean retailing diskutiert werden (vgl.

Hamilton/Petrovic 2011; Dawson 2010, 69–71; Dannenberg/Kulke 2010; Voss-Dahm 2009, 111 ff.). Durch auf Barcodes basierende Scannerkassen (UPC-Technologie) wird der Abgang von Ware automatisch erfasst und der Bestand reduziert (vgl. Kalyanam/

Lal/Wolfram 2010; Litfin/Wolfram 2010). Bei Hinterlegung entsprechender Schwel-lenwerte löst dies automatisch eine Bestellung aus, ggf. ist sogar eine elektronische Anbindung des Lieferanten denkbar. Hierbei kann die Gestaltung des Sortiments so-wohl zentral als auch lokal vor Ort erfolgen. Ein zentralisierter Wareneinkauf ermög-licht es, durch höhere Bestellmengen niedrigere Einkaufspreise durchzusetzen, wäh-rend ein dezentrales Bestellwesen besser auf Bedarfe der Kundschaft eingehen kann (vgl. Voss-Dahm 2009, 121 ff., 2003, 47 ff.). Um globalisiertes und fragmentiertes Mar-keting auszubalancieren, werden zunehmend elektronische Daten über das Kaufver-halten erfasst. Informationsquellen sind z. B. die Verkaufsdaten der Scannerkassen, Kundentreuekarten und das Bestellverhalten im Internet (vgl. Burke 2010).

Durch die großen Marktanteile der Global Player im Einzelhandel gelingt es die-sen zunehmend, selbst den Markt auf der Kunden- und Lieferantenseite zu gestalten.

Discounter wie Aldi oder Lidl haben eine sehr große Verhandlungsmacht gegenüber mittelständischen Lieferanten. Auf der anderen Seite können sie durch die Auswahl des Sortiments auch die Nachfrage beeinflussen und durch eine Globalisierung des Sortiments die Kostenvorteile der Massenproduktion nutzen (vgl. Dawson 2010; Ha-milton/Petrovic 2011, 6 f.; Grewal et al. 2010). Die Kontrolle der Wertschöpfungskette geht oft mit der Kreation von Eigenmarken einher (vgl. Dawson 2010, 73; Hamilton/

Petrovic 2011, 4 f.; Eichholz-Klein 2016). So ist und war der Einzelhandel maßgeblich daran beteiligt, Auftragsproduktion von Eigenmarken von Westeuropa und Nordame-rika nach Asien zu verlagern (vgl. Hamilton/Petrovic 2011, 6; Sturgeon/Humphrey/

Gereffi 2011; Hamilton/Kao 2011). Die durch den Einzelhandel bei Lieferanten und Produzenten induzierte Wertschöpfung beträgt ca. 100 Mrd. € gegenüber 73 Mrd. € eigener Wertschöpfung (vgl. HDE 2017a, 45).

Technologie: Nicht nur der Erfolg auf der Beschaffungsseite, sondern auch auf der Absatzseite wird heute maßgeblich von den eingesetzten Technologien bestimmt. Der Einzelhandel ist bemüht, den Personalbedarf im Kassenbereich durch Selbstscanner weiter zu reduzieren (vgl. Litfin/Wolfram 2010). Zudem ist eine Umstellung auf RFID-Technologie (radio-frequency-identification) angestrebt, um Durchlaufzeiten an Warenannahme und Kasse zu reduzieren und zusätzliche Funktionen wie die Ortung fehlender Ware zu nutzen. Personal im Verkaufsraum kann zudem durch Personal Shopping Assistants ersetzt werden. Dies sind kleine Tablets, welche am

Einkaufswa-Globalisierung und Ökonomisierung im Einzelhandel 61

gen befestigt sind und bei der Warensuche unterstützen sowie Produktinformationen liefern (vgl. Voss-Dahm 2009, 111 ff.; Kalyanam/Lal/Wolfram 2010). Um Akzeptanz zu erzielen, ist jedoch Wissen über den Umgang der Kund/-innen mit neuen Technolo-gien erforderlich (vgl. Uncles 2010, 201 f.; Litfin/Wolfram 2010). Die Metro-Gruppe errichtete zur Erprobung der Akzeptanz eigens einen Extra Future Store. Tatsächlich konnten Umsatzzuwächse erzielt werden, sodass die neuen Technologien nun suk-zessive eingeführt werden (vgl. Kalyanam et al. 2010).

Auch der Erfolg im Vertriebskanal Internet hängt maßgeblich von den techni-schen Möglichkeiten und dem generierten Kundennutzen ab. So schafft es z. B. Ama-zon, durch Kundenbewertungen einen Informationsvorsprung zu schaffen und den Komfort durch Sofortlieferungen (Amazon Prime) zu erhöhen. Auch die Verteilung des Marktes für die Direktbelieferung mit Lebensmitteln wird davon abhängen, wie effizient die damit einhergehenden logistischen Probleme gelöst werden können.

Hier können Entwicklungen im Bereich der Robotik neue technische Möglichkeiten eröffnen (vgl. Deloitte 2017, 8).

Outline

ÄHNLICHE DOKUMENTE