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Livland während des 16. Jahrhunderts

Im Dokument Wolter (1515). (Seite 184-193)

1V. Ter Estenaufstand von 1313; Verkauf Estlands an den Orden

II. Liv- und Estland als Provinzen benachbarter Staaten, Kurland als polnisches Lehnsherzogtum

30. Livland während des 16. Jahrhunderts

1563 Gleich nach dem am 4. Februar 1563 im Bischofshof zu Riga erfolgten Tode des Erzbischoss Wilhelm ließ König Sigismund II. August von Polen durch den Herzog Gotthard von Kurland, der seit 1562 königlicher Statthalter von Livland (d. h. dem überdünischen Fürstentum) war, die rigischen Stistsgüter in Besitz nehmen und eine eigene Verwaltung ein­

richten. Dem Koadjutor des Erzbifchofs, Christoph von Mecklenburg, der sich hinter dem Rücken Wilhelms mit Schweden und dem Herzog Magnus eingelassen hatte und der sich jetzt mit Unterstützung seines Bruders, des Herzogs Johann Albrecht, unter Mitwirkung von dessen

Schwieger-vater, Albrecht von Preußen, im Erzstist festzusetzen suchen, gelang das doch nicht. Er hatte sich vermessen, den Polenkönig zu übertölpeln. Er war an den Rechten geraten. Nach einigen lahmen, zwecklosen Be­

wegungen seiner schwachen Truppen zog er sich nach Daleu zurück. Hier nahm ihn der Gubernator Gotthard im August desselben Jahres wie in einer Mausefalle gefangen und ließ ihn nach Polen (anfangs in Wilna, dann in Rawa interniert) abführen. Bis 1569 ist er trotz aller diplo­

matischen Versuche seiner Verwandtschaft in Hast gehalten, dann, nach­

dem er allen seinen Ansprüchen entsagt hatte, in die Heimat entlassen worden. Als Administrator des Bistums Ratzeburg ist er, nachdem er sich verheiratet, 1592 zu Tempzin gestorben.

Gotthard Kettler, beim König verdächtigt, mußte 1566 auf dem 156k

Landtage zu Kokenhufen seine Machtbefugnisse in die Hände des zum Statthalter von Livland ernannten Johann Chodkiewicz niederlegen.

Dieser betrieb die Säkularisation des rigischen Domkapitels (S. 170), und brachte auch die Union des zum Herzogtum erhobenen Livlands mit Litauen zustande, der erste Bruch der dem Lande 1561 erteilten und 1562 sanktionierten Zusagen (Reichstag zu Grodno 1566). Dazu hatte sich Kettler nicht hergeben wollen, denn dadurch wurde Livland wie eine Provinz dem fremden Reiche angegliedert. Livland wurde damals in vier Kreise geteilt: Riga, natürlich mit Ausnahme der Stadt und ihrer Mark, Wenden, Treiben und Dünaburg. Die im Jahre 1569 auf dem Reichstage zu Lublin vollzogene Union Litauens mit 1569

Polen zog nun Livland in engere Verbindung mit letzterem hinein.

Solche Unionen waren zwischen Polen und Litauen seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts schon mehrfach vorgenommen worden; obgleich seit mehr als einem halben Jahrhundert beide Länder unter einem Herrn standen, waren sie staatsrechtlich bisher doch voneinander ge­

sondert gehalten worden. Der Vertrag zu Poswol (S. 150 f.) war z. B.

auch unter dieser Fiktion zustande gekommen: nicht Polen verpflichtete sich, sondern Litauen. Es verdient bemerkt zu werden, daß auf dem eben genannten Reichstage auch Westpreußen, seit dem zweiten Thorner Frieden (S. 104) ein Bestandteil des Polnischen Reichs, erst staatsrecht­

lich mit Polen vereinigt worden ist, nachdem die Grundlagen seiner Verfassung umgestoßen waren. Die Folgen zeigten sich bald: trotz gegenteiliger Zusagen und erneuerter Versprechungen wurden die

Landes-Arbusow, Geschichte der Ostseevrovinzen. 12

ämter in Avland in immer wachsendem Maße mit Polen und Litauern besetzt. Riga, das sich schon 1561 von der Subjektion fern gehalten, wurde vergeblich umworben.

Übrigens hatte auch Polen seinen livländischen Besitz mit

be-1563 waffneter Hand zu verteidigen. Zu Anfang des Jahres 1563 war der , Zar Iwan IV. mit einem starken Heere in Litauen eingedrungen und hatte Polozk erobert, während ein anderes Heer die Gegend von Wolmar und Wenden verwüstete. Der Kleinkrieg zog sich hier lange hin. Im

1564 Januar (bzw. Februar) 1564 aber brachten die litauischen Heerführer den Gegnern an der Ula (bzw. bei Orscha) entscheidende Schläge bei.

In den letzten Tagen des April entwich der russische Heerführer Fürst Andrei Michailowitsch Kurbski aus Dorpat und begab sich nach Polen;

er suchte der drohenden Ungnade des Zaren zu entgehen. Das krank-. hafte Mißtrauen gegen Gerechte und Ungerechte war bei diesem schon

1565 im Wachsen. Als im nächsten Jahre die Schweden von den Polen aus Pernau verdrängt wurden, argwöhnte der Zar einen Anschlag auf Dorpat und meinte dem zuvor zu kommen, indem er fast die gesamte deutsche Einwohnerschaft (mit ganz verschwindenden Ausnahmen) der Stadt plötzlich aufheben und ins Innere des weiten Reiches abführen ließ. Jung und alt, Männer wie Frauen, Gesunde und Kranke, ja Sterbende wurden von dieser Maßregel betroffen; vielen die Rückkehr nach kurzer Zeit wieder gestattet. Der Krieg schleppte sich hin; das 1570 flache Land litt dadurch unsäglich; ein Waffenstillstand (1570) war . nicht von langer Dauer. Der matte Krieg begann wieder, vom pol­

nischen Feldherrn Alexander Polubienski mit großer Lauheit geführt.

Kruse und Taube (S. 172), die in ihren Unternehmungen in Estland kein Glück gehabt hatten und nun aus Furcht vor dem Zaren sich in der Gunst Polens befestigen wollten, begannen hier ihre Zettelungen im Interesse des letzteren. Ihr Probestück, Dorpat in die Hände der

1571 Polen hinüberzuspielen (21. Oktober 1571), mißglückte vollständig. Es hatte noch härtere Maßregeln gegen die unglückliche, bei dieser Unter­

nehmung völlig unbeteiligte Einwohnerschaft zur Folge. Kruse und Taube aber fanden am polnischen Hofe Schutz uud Gunstbezeugungen.

1572 Der im Jahre 1572 erfolgte Tod des Königs Sigismund August und die Wahl des Wojewoden von Siebenbürgen, Stefan Bathorys (poln.: Batöri; die Zwischenregierung Heinrichs von Anjou, als König

von Frankreich Heinrich III., ist belanglos; die Bemühungen des Zaren, zum König von Polen gewählt zu werden, führten nicht zum Ziele) zum König von Polen (Dezember 1575, gekrönt 1. Mai 1576) brachten 1576 die Feindseligkeiten nicht zum Stillstande. Der Krieg entbrannte viel­

mehr jetzt von neuem und Livland wurde wiederum der Tummelplatz russischer und tatarischer Heerscharen. Polen' hatte das Land so gut wie schutzlos gelassen. König Stefan belagerte Danzig, das ihm die . Anerkennung vorenthielt. Um Livland schien er sich nicht kümmern zu wollen. König Magnus fand erwünschte Gelegenheit sich in die süd-livländischen Händel einzumischen. Kokenhusen, Wenden, Wolmar und andere Schlösser ergaben sich ihm. Im Juli 1577 aber rückte der Zar 1577 Iwan IV. in Person mit einem großen Heere in den östlichen Teil Livlands ein. Dem Herzog von Kurland ließ er melden, er wolle für diesmal sein „Gottesländchen" (diese Bezeichnung für Kurland hat sich seitdem eingebürgert) verschonen. Dünaburg (das neue! vgl. S. 87), Kreuzburg, Seßwegen, Bersün, Erla usw., auch Kokenhusen wurden in raschem Fluge genommen, an letzterem Ort als warnendes Beispiel die gesamte Besatzung niedergemacht. Dann rückte der Zar mit der Haupt­

macht auf Wenden vor. Magnus suchte vergeblich seinen Einfluß beim Zaren geltend zu machen. Längst war er bei diesem verdächtigt; fast wie ein Gefangener wurde er behandelt, ihm sein Versuch, sich durch List Livlands zu bemächtigen, als Treulosigkeit gegen den Zaren zum Vorwurf gemacht; mit Recht. Ein Teil der Besatzung Wendens, Prädikanten, Frauen, Kinder, den kaum abzuwehrenden Sturm vor Augen, einem qualvollen Ende entgegengehend, zog einen freiwilligen Tod vor. Sie versammelten sich in einem Raume neben der Schloß­

kirche und im entscheidenden Augenblick legte der Rittmeister Heinrich Boismann (aus Reval) Feuer an die Pulverfässer (31. August).^) Der Urheber wurde halbtot ins feindliche Lager hinausgeschleudert; hierauf einen Pfahl gesteckt. Gegen Magnus erzeigte sich der Zar nun wohl­

wollend, er schien ihm verzeihen zu wollen; der „bunte Bischof" (so hatten ihn die Russen wegen seiner Borliebe für schönes Gewand

be-!) Nach dem Maßstabe einer strengen Moral wird man sich der Ansicht von Joh. Lossius anschließen, der in der Tat keinen Heroismus, sondern ein Zeichen von Kleinmut sah. Den Umständen nach wird man die Beteiligten nachträglich mit Vorwürfen nicht belasten wollen.

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namst) war wohl noch zu anderem zu brauchen. Wolmar erfuhr das­

selbe Schicksal wie Kokenhusen, und endlich ergaben sich auch Ronne­

burg, Emilien, Trikaten dem russischen Heer.

König Stefan hatte Danzig seinem Willen gebeugt. Erst jetzt wurde deutlich, daß er keineswegs auf eine Abrechnung mit dem Zaren, Livlands wegen, verzichtet hatte. Hier hatte unterdessen der Kampf

1578 nicht geruht. Am 21. Oktober 1578 war es sogar zu einer größeren Aktion vor Wenden gekommen; ein polnisch-schwedisches Heer brachte dem an Zahl weit überlegenen russischen Heere eine empfindliche Nieder­

lage bei. Während der Zar sich noch mit König Stefan in Unter­

handlung befand, zu Konzessionen sich bereit, nur auf Livland unter keinen Umständen Verzicht zu leisten erklärte, vergewisserte sich der König bei den Ständen des Reichs der zum Kriege nötigen Mittel.

1579 1579 erfolgte die Kriegserklärung. Stefan führte den Krieg um den Besitz Livlands, den Kriegsschauplatz hat er aber nicht in das total verwüstete und ausgesogene Kampfobjekt verlegt, sondern ins Pskowsche hinein, auf die Rückzugsbasis des Gegners. Zunächst galt es Litauen zu säubern; im August wurde Polozk erstürmt, kleinere Festungen an der Düna zurückerobert, bis zum Festungsgürtel, durch den Iwan IV.

seine Grenze geschützt hatte, vorgerückt. Im Herbst mußte König Stefan wieder mit den Ständen beraten, um eine Kriegssteuer für das nächste Jahr ausschreiben zu dürfen. Der Zar aber entsandte Gesandtschaften nach Wien und Rom: er war zum Nachgeben bereit, aber den errungenen Zugang zum Meere, den Besitz Livlands, gönnte er dem Gegner noch

1580 nicht. Ein zweiter Feldzug, spät im Jahre begonnen, brachte dem energisch vordringenden König neue Erfolge; Welikija-Luki wurde Ende August erstürmt, es fielen Toropez, Cholm und andere Festungen in seine Hände. Polnische Streifscharen drangen ins Gebiet von Smolensk und Starodub ein. Überall wurden starke Polnische Besatzungen zurück­

gelassen; das Hauptheer aber bezog vor Eintritt der schlechten Jahres­

zeit Winterquartiere in Litauen. Auf einen Teil Livlands wollte Iwan jetzt verzichten; Stefan blieb fest. Die Bewilligungen für einen dritten Feldzug waren nur mit Mühe zu beschaffen; Anleihen mußten aus­

helfen. Auch Riga, das jetzt wegen Unterwerfung unter Polen mit dem König zu verhandeln begann, beteiligte sich durch Truppen- und Munitionsendungen, auch an der Anleihe, indem es zwei Drittel seiner

Seezölle dem König abtrat. Schon war im Sommer 1581 der Unter- 1581

Händler aus Rom eingetroffen, ein gewiegter Diplomat, der verschlagene Jesuit Antonio Possevino, als Stefan seinen dritten Feldzug begann.

Ostrow wurde genommen, vor Pskow, das eng umschlossen wurde, ver­

ließ die Polen das Kriegsglück. Vergeblich wurden Sturmversuche an­

geordnet, auch das feste Kloster Petschur, doch ohne Erfolg, bestürmt.

Es wurde nichts Entscheidendes ausgerichtet. Auch murrten die Sold­

truppen wegen der ausbleibenden Ablöhnung. Der Winter kam her­

bei; die Belagerer richteten sich ein, vor der belegten Stadt zu über­

wintern. Pskow wurde nicht genommen, aber trotz dieser für die Polen ungünstigen Wendung des Krieges ein Waffenstillstand, dann ein Friede herbeigeführt. Das war das Hauptverdienst Posseviuos, der nicht müde wurde, fort und fort die um dieselben Punkte sich drehenden Verhand­

lungen zu führen. Einmal nur wurde auch seine Geduld auf eine zu harte Probe gestellt; er vergaß sich und wies dem unterhandelnden Diplomaten unsanft die Tür. Im Frieden zu Sapolje (15. Januar 1582) 1582

verzichtete Iwan auf Livland, wie er es seit 1558 besessen; der nördliche Teil blieb bei Schweden (S. 175). In der Hauptfrage hatte er nachge­

geben, denn noch viele Nebenfragen gab es zu erörtern und zu schlichten.

Polen nahm jetzt von dem durch fast fünfundzwanzigjährige Kämpfe erschöpften Lande Besitz. In Dorpat und dem ehemaligen Stift ver­

fuhr der König, da sie naturgemäß an der Subjektion von 1561 sich nicht hatten beteiligen können, ganz nach Gefallen. Sein Kanzler und Feld­

herr Jan Zamoiski räumte in der Stadt den Jesuiten die Marienkirche ein; polnische Beamte wurden an die Spitze der Verwaltung des Land­

strichs gesetzt. Die fast entvölkerte Stadt mußte mit neuen Ansiedlern besetzt werden. Magnus hatte seinen Königstraum ausgeträumt. Schon 1578 zu Anfang des Jahres hatte er das Land verlassen und sich nach Pilten zurückgezogen. Im Spätherbst fanden unter Vermittlung des Herzogs Gotthard zu Bauske die Verhandlungen wegen der Unter­

werfung Piltens unter polnische Oberhoheit statt. Magnus leistete nicht gerade Verzicht auf seinen anderweitigen Besitz, auf Ösel (das sich die Krone Dänemark zu sichern wußte), die Wiek, das was er in Livland auf­

zugeben gezwungen war. Das alles war ihm dennoch nunmehr verloren.

Auch Riga erkannte, nachdem ihm vom König Stefan die Aufrecht­

erhaltung feiner Privilegien zugesagt war, die polnische Oberhoheit an.

Am letzten Feldzuge hatte es sich schon beteiligt (S. 180). Am 12. März 1582 1582 hielt der König seinen feierlichen Einzug in die Stadt. Das polnisch gewordene Livland hatte jetzt unter den Wirkungen der sog.

Gegenresormation zu leiden. Schon der Legat Possevino hatte sich über die kirchlichen Zustände im Lande unterrichtet. Von verschwinden­

den Ausnahmen abgesehen, wurden nur geringe Spuren der alten Kirche gefunden, in Riga noch ein paar steinalte Nonnen im Kloster.

Übrigens hatte auch in Polen die Reformation Eingang gefunden, namentlich in Litauen. Aber die Gegenreformation wußte diese Elemente zu isolieren, der weiteren Ausbreitung einen Riegel vorzuschieben. Liv­

land gab nun das Versuchsfeld ab für die Neueinbürgerung des Ka­

tholizismus nach den auf dem Konzil zu Trieut festgestellten Normen.

Der König Stefan gründete in Wenden, recht im Herzen des Landes, ein neues Bistum, das reich mit Ländereien dotiert wurde. Auch kamen Jesuiten ins Land und in den Städten mußten den Katholiken Kirchen zum gottesdienstlichen Gebrauch eingeräumt werden. Bis Fellin und Pernau (hier war der Jesuit Quadrantino tätig) erstreckten sich die Maß­

regeln, auch auf dem platten Lande erstanden neue Kirchen oder wurden die evangelischen Prediger aus ihren Ämtern gedrängt. Unter dem Landvolk wurden Konversionen in immer größerem Maße vorgenommen.

In Riga erhielten die Katholiken nicht nur die Klosterkirche zu Marien-Magdalenen, sondern auch die Stadtkirche zu St. Jakob ausgeliefert.

Durch ein neues Verfassungsgesetz (4. Dezember 1582; (ZoostiwtioveZ I^vonias), das mit Willkür und Einseitigkeit verfaßt war, wurde eine neue Einteilung und Verwaltung des Landes verfügt, das nunmehr aus den drei Präsidentschaften Wenden, Dorpat, Pernau bestand. Die königlichen Ämter und Schlösser wurden mit polnischen Hauptleuten besetzt.

Daß König Stefan ein Bauernfreund gewesen, ist eitel Fabel.

Er versolgte bei seinen dahin zielenden Äußerungen politische, nament­

lich kirchenpolitische Ziele; auf den königlichen Domänen wurden keinerlei Schritte in dieser Richtung unternommen. Dies blieb ein wunder Punkt. Die Hörigkeit der landbauenden bäuerlichen Bevölkerung hatte schon in den letzten Jahrzehnten der livländischen Selbständigkeit

durch das Eindringen des römischen Rechts einen hohen Grad der Knechtung erreicht. Die Zustände hatten sich in den bösen Jahren, da Livland der Schauplatz der fast ununterbrochen geführten Kriege fremder Mächte gewesen war, noch zum Schlechten verändert. Alles war drunter und drüber gegangen. Wo hätten die verarmten Besitzer, die sich not­

dürftig und kümmerlich auf ihren Gütern hielten, den Mut zu Neue­

rungen hernehmen sollen. Reiche Leute, so Heinrich von Tiesenhausen (S. 167) waren jahrelang von ihrem ererbten Besitz verdrängt, sie lebten z. T. geradezu im Exil, Tiesenhausen längere Zeit in Mitau.

Frauen und Kinder, viele auf Nimmerwiedersehen, waren in die Ge­

fangenschaft geschleppt worden. Sonderbare, nachdenkliche Schicksale erlebten manche. Suchten sie ihren Besitz in einer Pause des Kampfes wieder auf, so boten sich ihnen die Bilder der schrecklichsten Zerstörung dar. Und wie die Herren, so litten die Bauern. Weite Strecken des einst gesegneten Landes waren seit Jahren nicht unter dem Pfluge ge­

wesen. Junger Wald hatte sich mit Buschwerk untermischt eingestellt.

Noch zu Anfang des 17. Jahrhunderts haben Reisende tagelang die östlichen Teile des Landes durchzogen und sind nur auf Trümmer und Spuren menschlicher Wohnungen gestoßen, mußten mitten in der Wildnis des Nachts kampieren. Zwischen Dorpat, Riga und Pernau wurde, wie es hieß, „kein Hund und kein Hahn mehr gehört". An Arbeitskräften herrschte der allergrößte Mangel; hin und wieder gab es Strecken, wo die Bevölkerung überhaupt vertilgt war. Und doch sind aus diesen Trümmern wieder lebensfähige Bildungen erstanden.

Die Zähheit der Nachkommen der alten Kolonisten hat die entsagungs­

volle Arbeit noch einmal, in vielen Teilen des Landes ganz von neuem, begonnen. Und mit ihnen und von ihnen gestützt hat auch das Land­

volk noch das Herankommen geordneter Zustände erlebt; und auch noch wiederholten Niedergang.

Der Befehl des Königs, den Gregorianischen Kalender anstatt des bisher gebräuchlichen einzuführen, rief in Dorpat, Pernau, namentlich aber in Riga förmliche Tumulte (Kalenderunruhen) hervor. Die Neuerungen galten als papistisch. Der Rat von Riga war bereit, das Weihnachtsfest 1584 nach dem neuen Stil zu begehen; dem widersetzte 1584

sich aber die Stadtgemeinde, die den Rat beschuldigte, das Gemein­

wohl der Stadt hintanzusetzen; das hätte er schon bei der

Aus-lieferung der Jakobikirche bewiesen. Martin Giese, ein Advokat, ein richtiger nach bekannten Rezepten tätiger Demagoge, schürte den Gegen­

satz. Und durch Aufwiegelung des Pöbels gelang es ihm, den Rat einzuschüchtern, der sich nun dazu verstand, sich abweisend gegen den neuen Kalender zu verhalten. Auch sollte die Bürgerschaft (denn die Anstifter des Tumults nahmen den Kalenderstreit nur zum Vorwand, um Verfassungsänderungen in der Stadt durchzusetzen), durch die beiden Gilden vertreten, den Rat in der Verwaltung der Stadtkasse einer Kontrolle unterWersen können. Nachdem der erste Lärm sich ge­

legt hatte, verklagten beide Parteien einander beim König. Dieser entschied, daß der Rat wieder in seinen vorigen Stand gesetzt werde.

Doch gelang es Giese, den Volkshaß gegen zwei Mitglieder des Rats, Tastius und Welling, zu erregen. Man machte ihnen zum Vorwurf, daß durch ihre Schuld die Jakobikirche den Jesuiten übergeben sei, strengte bei der Stadtbehörde eine Untersuchung gegen sie an. Auf der Folter wurden ihnen die gewünschten Geständnisse erpreßt. Trotz der gerechtfertigten und mutvoll vertretenen Warnung des Bürgermeisters Nyenstädt und des Stadtsekretärs David Hilchen wurde das

Gerichts-1586 verfahren überstürzt und Tastius (27. Juni) und Welling (1. Juli) auf dem Markt enthauptet. Der König verfügte gegen Giese eine Acht­

erklärung, auch ließ er polnische Truppen bei Riga zusammenziehen und der Stadt gegenüber am linken Dünaufer ein Blockhaus anlegen.

Giese floh nach Schweden. — Inzwischen starb (2./12. Dezember 1586) König Stefan Bathory und Sigismund III. Wasa (1587—1632) wurde zum König von Polen gewählt. Als dieser durch zwei königliche Sekretäre die Huldigung der Stadt entgegennehmen lassen wollte, er­

klärte die Bürgerschaft auf Anstiften des aus Schweden zurückgekehrten Giese, sie sei dazu bereit, falls der König die Privilegien der Stadt bestätige und auch die Jakobikirche wieder den Evangelischen einräume.

Es kam wieder zu Unruhen in der Stadt, die erst beigelegt wurden, als Giese und sein Mtgenosse, der Älteste Hans Brinken, durch eine polnische Kommission zum Tode verurteilt und das Urteil an ihnen

1589 vollzogen war (2. August). Am 26. August wurde der sog. Severinische Vertrag (nach dem Tagesdatum genannt) abgeschlossen: Der Rat erhielt seine wesentlichen Gerechtsame zugesichert, doch wurde der Gemeinde bei Besetzung der Stadtämter ein Mitberatungsrecht eingeräumt. Die

Stadtkasse sollte hinfort von zwei Ältesten der Gilden und zwei Bürgern mitverwaltet werden. — Noch im selben Jahre kam es zu einer aber­

maligen Abänderung der erst seit 1582 bestehenden Landesordnung.

Im Dokument Wolter (1515). (Seite 184-193)