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Die Koadjutorfehde. Einleitung der Katastrophe

Im Dokument Wolter (1515). (Seite 156-161)

1V. Ter Estenaufstand von 1313; Verkauf Estlands an den Orden

26. Die Koadjutorfehde. Einleitung der Katastrophe

Inzwischen (1551) war der Beifrieden mit Nowgorod und Pskow, d. h.

mit dem Großfürsten von Moskau, der den Zarentitel angenommen,

1553 abgelaufen. Erst im Jahre 1553 ging eine Gesandtschast des Ordens­

meisters nach Moskau, um einen neuen Beifrieden zum Abschluß zu bringen. Dieser schien scheitern zu sollen, da Forderungen Verlautbart wurden, auf die man nicht gerechnet hatte. Vom Stifte Dorpat näm­

lich ward seit den Verträgen mit Pskow aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (weiter zurück läßt sich das heute nicht verfolgen) eine Abgabe gefordert, deren Berechtigung aber nie zugestanden, deren Zah­

lung bisher nie erfolgt war. Diese verhängnisvolle Formel, übrigens in den Instrumenten sehr lakonisch zum Ausdruck gebracht, bezog sich wahrscheinlich auf einige Dörfer und Liegenschaften in pskowschem Ge­

biet, aus dem der Unterhalt der zwei zu Dorpat befindlichen russischen Kirchen zu bestreiten war. Die Gesandtschast des Jahres 1531 hatte langwierige Verhandlungen darüber in Moskau geführt. Es war russischerseits damals zugegeben worden, daß die Abgabe zu Recht nicht mehr bestehe; die Entfernung der Bestimmung aus den Friedens­

urkunden, obgleich auch dazu während einer Phase der Verhandlungen Aussicht eröffnet war, gelang schließlich nicht: es sei eine alte Be­

stimmung, bedeutungslos, weshalb solle man sie weglassen. Jetzt wurde dieser sog. Glaubenszins zum Angelpunkt des Vertrages gemacht. Statt neue Instruktionen einzuholen, schloffen die livländischen Gesandten

1554 einen fünfzehnjährigen Beifrieden ab (zu Nowgorod am 24. Juni 1554) unter der Bedingung eines jährlichen Zinses von einer Mark von jedem Einwohner des Stifts Dorpat, die Geistlichkeit ausgenommen, und einer binnen drei Jahren zu entrichtenden Nachzahlung für die verflossenen fünfzig Jahre. Diese Bestimmung wurde, da sie nur Dorpat betraf, bloß in den Beifrieden zwischen diesem und Pskow ge­

setzt. In den Urkunden aber, die zwischen ganz Livland und Now-gorod-Pskow abschlossen, wurde dem ganzen Lande die Garantie für die Zahlung auferlegt. Auch die Forderung des ungehinderten Durch­

zugs russischer Gesandtschaften durch Livland ins Ausland, sowie fremder Künstler und Handwerker, die sich in die Dienste des Zaren begaben, war eine Neuerung dieses Beifriedens, in dem endlich ein

Bündnis Livlands mit Polen oder Litauen als Kriegsfall gekenn­

zeichnet ward.

Der Ordensmeister Heinrich von Galen protestierte gegen An­

nahme dieses Traktats. Er warf den Gesandten mit Recht vor, daß sie ihre Kompetenz überschritten hätten. Ein Krieg drohte zunächst zwar nicht; trotzdem hatte die durch nichts zu entschuldigende Unbe­

sonnenheit der Gesandten Livland für die Zukunft die Arme gebunden.

Der bischöfliche Kanzler von Dorpat, Jürgen Holzschuher (aus Nürn­

berg) aber riet, den Tribut zwar zu versiegeln, dann jedoch die Un­

gehörigkeit desselben sich durch das kaiserliche Reichskammergericht be­

stätigen zu lassen. Der Bischof von Dorpat suchte sein Heil in fort­

gesetzten Verhandlungen.

Vom Markgrafen Wilhelm, dessen unheilvoller Einfluß auf die Geschicke Livlands sich seit seinem Auftreten erkennen läßt, ging jetzt die Ausführung eines Planes aus, der die Vernichtung des Ordens, den Umsturz der Herrschaftsverhältnisse in Livland herbeiführen sollte.

Auf einem Landtage zu Wolmar, 1546, hatte er selbst dem Beschlusse zugestimmt, der die Berufung eines Koadjutors für ihn und namentlich eines solchen aus fürstlichem Hause von der Bewilligung der übrigen Landesherren und Stände abhängig machte. Er rechnete auf den Bei­

stand seines Bruders, des Herzogs von Preußen, der ihm Truppen­

sendungen zugesagt hatte, er war auch mit dem König von Polen, seinem Vetter, Sigismund II. in Verbindung getreten. Ebenso hatte er unter den Ordensgebietigern sich einen Anhang zu verschaffen ge­

wußt, namentlich den Landmarschall Jaspar von Münster seinen Plänen geneigt gemacht. Im November 1555 langte der erst siebzehnjährige 1555

Herzog Christoph von Mecklenburg in Livland an, den Wilhelm sich zum Koadjutor ausersehen hatte, und den das rigische Kapitel auch anerkannte. Die Intrigen im Orden hatten unterdessen nicht geruht.

Jaspar Münster, dem Aussichten aus das Koadjutoramt (und damit später auf die Meisterwürde) eröffnet waren, wurde beiseite ge­

schoben, der Komtur zu Fellin, Wilhelm von Fürstenberg, wurde vom alten Galen zu seinem Koadjutor angenommen. Durch ausgefangene Briefe hatte der Meister über die hochverräterischen Absichten des Erz­

bischofs, die Umiriebe im eigenen Orden Gewißheit erlangt und ließ Söldner in Deutschland werben. Im Mai 1556 lag der Verrat 1556

Münsters klar zutage. Seine Unterbeamten verweigerten ihm Auf­

nahme in die ihm untergebenen Schlösser. Er floh zum Erzbischof nach Ronneburg und begab sich dann nach Polen. Auf einem Land­

tage wurden die Pläne des Markgrafen enthüllt; sein Anhang schmolz zusammen. Riga sagte sich von ihm los und ließ seine Söldner zu denen des Ordens stoßen. Kaum ein Feldzug war es zu nennen, wie jetzt ein Schloß des Erzbischofs nach dem anderen von den Söldnern zur Übergabe gezwungen und mit Ordensbeamten besetzt wurde. Ende Juni fielen aus Kokenhnsen der Erzbischof nebst dem Koadjutor in die Hände ihrer Gegner. Der Erzbischof wurde als Gefangener nach Adfel abgeführt; den Koadjutor ließ man frei, aber bewachte jeden von ihnen. Preußische Hilfe war ausgeblieben; eine Gesandtschaft kam von dort ins Land. An der litauischen Grenze zog ein starkes polnisches Heer auf. Der Koadjutor Fürstenberg rückte mit seinen Scharen an die Grenze ab. Doch kam es nicht zum Kampfe. Der alte Galen war während dieser Zeit tatenlos in Wenden geblieben. Der Erzbischof galt als beseitigt; Galen veränderte sogar seine Titulatur: seit dem Sommer 1556 nannte er sich „von Gottes Gnaden", und diesen Titel haben seine Nachfolger beibehalten. Der Winter wurde mit Verhand­

le? lungen ausgefüllt. Ende Mai 1557 starb der Meister Galen und die Würde ging auf Fürstenberg über. Das polnische Heer an der Grenze war inzwischen verstärkt worden. Fürstenberg sammelte seine Streit­

kräfte; da aber kein Angriff erfolgte, ließ er sich auf Unterhandlungen ein. Beiderseitige Gesandte berieten zu Poswol über einen Frieden;

kaiserliche und preußische Gesandtschaften beteiligten sich dabei, während eine mecklenburgische sich abseits hielt, weil man den Schein vermeiden wollte, als ob Mecklenburg gegen ein anderes deutsches Land mit den nichtdeutschen Mächten Polen und Preußen vorgehe. Am 5. September kam der Friede zustande, zwischen dem Ordensmeister und dem Erz­

bischof, dann zwischen dem Ordensmeister und dem König. Markgraf Wilhelm wurde in seine Würde wieder eingesetzt, sein Koadjutor Christoph anerkannt. Wenige Tage darauf begab sich Fürstenberg ins polnische Lager und schloß hier zu Poswol am 14. September mit dem König von Polen ein Schutz- und Trutzbündnis gegen Rußland.

Unter Berücksichtigung des letzten Beifriedens sollte' dieses Bündnis übrigens erst nach 12 Jahren in Kraft treten. Wurde Livland aber

jetzt sofort von Rußland mit Krieg überzogen, so hatte es keine Aus­

sicht auf Hilfe Polens: denn dessen Vertragsverhältnis (richtiger das Litauens) mit Rußland lief erst nach 5 Jahren ab. Wenige Tage darauf erfolgte die Aussöhnung des Meisters mit dem Erzbischof. So endete die Koadjutorfehde.

Dieses Bündnis mit Polen, wenn auch erst für die Zukunft ge­

schlossen, durch das Livland sich die Freiheit zum Handeln selbst be­

schränkte und seine Interessen mit denen einer eigene Ziele verfolgenden Macht aufs engste verknüpfte, war von den verhängnisvollsten Folgen, die jetzt rasch, Schlag auf Schlag, über das Land hereinbrachen. Ein Krieg mit der erstarkten russischen Macht hatte in der letzten Zeit allen Anzeichen nach gedroht. Schon der Meister Galen hatte wegen Bundes­

genossenschaft mit dem König Gustav Wasa von Schweden angeknüpft.

Aber die Schweden hatten ohne Livland, das seine Kräfte in der Koad­

jutorfehde verzettelte, den Kampf zu bestehen und schlossen im Jahre 1557 einen unvorteilhaften Frieden. Der Zar Iwan Wassiljewitsch (Grosny), der Livland als sein väterliches Erbe bezeichnete, der die Bedingungen des Beifriedens von 1554 wohl nur deshalb so scharf formuliert hatte in der Voraussetzung, daß Livland auf sie nicht ein­

gehen werde, hatte die feste Absicht, das Ostseegebiet seinem Reiche ein­

zuverleiben, zur Seeküste vorzudringen. Jetzt schien sich der geeignete Augenblick einzustellen und ohne Zögern beschloß der Zar, ehe Schweden, Polen oder Dänen ihre gleichen Absichten ins Werk setzen konnten, den

Angriff aus den morschen Ordensstaat.

Handel und Wandel hatten im Lande in den letzten sünszig Jahren einen großen Aufschwung genommen. Es könnte scheinen, als hätte in jener Zeit nur Gewalt und fortwährender Parteikampf geherrscht.

Diese Vorgänge im öffentlichen Leben Livlands heischten eben eine Darlegung und besondere Hervorhebung. Friedliche Arbeit ist daneben in ihrem ruhigen Gange nur wenig gestört betrieben worden. Ob Reich­

tum, und damit zusammenhängendes Wohlleben, ja Üppigkeit im Lebens­

zuschnitt in diesem letzten halben Jahrhundert so sehr überhand ge­

nommen haben, ist die Frage. Schon aus früheren Zeiten könnte darüber berichtet werden. Daß die Moral gesunken, eine innere Fäul­

nis die Bewohnerschaft aller Stände ergriffen, ist eine früher oft bis zum Überdruß behauptete und wiederholte Meinung, die ihre Beweise

der Chronik des biederen Russow allzu gläubig und kritiklos entnommen hat. Nach ihm. dem Bußprediger in schwerer Zeit, wäre eine hoch­

gradige Entartung allerseits eingerissen. Beispiele lassen sich anführen, aber sie bilden Ausnahmen. An der Schwäche seines Staatswesens ist Alt-Livland zugrunde gegangen. Es hatte keine den Anforderungen entsprechende Verfassungsform bilden können; die überlebten hierarchischen Herrschaften, die ihm den Untergang bereitet haben, zu einer Einheit zusammenzufassen war nicht gelungen. Im Augenblicke der Gefahr hat so mancher Mann, so manche Stadt, sich bewährt. Aber eine oberste, zusammenfassende, leitende Gewalt stellte sich nicht ein. Wäre die Katastrophe, die nun hereinbrach, eine Folge der Verderbtheit der Stände, der Bevölkerung, dann wäre vollkommener Niedergang das Ergebnis gewesen. Eine livländische Geschichte hätte dann, auch als Provinzialgeschichte, damals ein Ende gehabt.

Von wohl überlegten Rüstungen, wie sie ein Plettenberg lange Jahre hindurch trotz allem Widerspruch und Dagegenausbäumen der Stände betrieben hat, ist nichts zu merken. Die zahlreichen durchs Ge­

biet zerstreuten Burgen boten wenig Schutz, waren eher ein Hindernis.

Seit ihrer Entstehung hatte sich die ganze Art des Kriegswesens um­

gestaltet. Die Aufgebote der Lehnsträger, der Städte, der Bauer­

schaften, der numerisch geschwächte Orden zählt kaum mit, hätten sich auch unter energischer Oberleitung in keinen Kampf einlassen können.

Es mußten Söldner geworben worden. Aber der Unterhalt der Lands­

knechtsscharen verschlang Geldsummen, die auf die Dauer, trotz Opfer von allen Seiten, beim Mangel einer geregelten, einheitlichen Finanz­

verwaltung bald erschöpft sein mußten. Einigkeit zwischen den ver­

schiedenen Mächten des Landes war auch bei der drohenden Gefahr nicht herzustellen. Bundesgenossen waren nicht zu erlangen. Das Reich hat nichts getan; seine diplomatische Vermittlung hat mehr ge­

schadet als genützt. Und so ist dem Reich seine älteste überseeische Kolonie verloren gegangen.

Kurz vor Ablaus der dreijährigen Frist (S. 148) stellte sich in Moskau eine Dorpater Gesandtschaft ein; da sie aber ohne Geld kam, nur weiter verhandeln wollte, wurde sie mit dem Vorwurfe, daß das Stift Dorpat den Traktat nicht gehalten habe und wohl auch nicht zu

1557 halten gedenke, heimgeschickt. Eine zweite Gesandtschaft, Ende 1557,

mit dem Stiftsvogt Elert Kruse an der Spitze, verhandelte lange in Moskau unverrichteter Sache. Ihre Heimkehr wurde verzögert. Sie traf erst zu Hause ein, nachdem nicht nur die Kriegserklärung des Zaren bereits erfolgt war, sondern auch schon ein Einbruch eines starken Heeres ins Stift stattgefunden hatte. Die Stadt Dorpat, wohin sich 1558 viele Tausende vom platten Lande geflüchtet hatten, so daß die Stadt überfüllt war, ein großer Teil überhaupt keine Aufnahme hatte finden können und in den Festungsgräben und in der Umgebung der Stadt kampierte, ward von seindlichen Streifscharen umschwärmt. Aber nicht bloß Dorpater Gebiet, auch ein beträchtlicher Teil von Harrien und Wierland, dem rigischen Erzstift (das sehr exponierte Bestandteile be­

saß) und den südöstlichen Gebieten des Ordens im eigentlichen Livland (Rositten, Ludsen) wurde mit Plünderung und Einäscherung der Höfe und Dörfer heimgesucht. Die Bewohner jedes Alters, beiderlei Ge­

schlechts wurden zu Tausenden hingemordet, viele von ihnen in ewige Gefangenschaft fortgeschleppt. Nirgends waren die Scharen auf größere Truppenabteilungen gestoßen. Fürstenberg sammelte zwischen Fellin und Oberpalen alles aus der Nachbarschaft Verfügbare, trat aber nicht in Aktion. Dieser Einfall war mehr eine Rekognoszierung in größerem Maßstabe gewesen; die russischen Truppenführer hatten Befehl gehabt, umzukehren, sobald sie auf Widerstand stießen. Ein solcher war nicht erfolgt; es hatte sich erwiesen, daß das Land ungerüstet sei. Nach­

dem beträchtliche Teile des östlichen Livlands zur Wüste gemacht waren, traten die Scharen ihren Rückzug an. Es klingt wie Hohn, daß bis zum 24. April eine Waffenruhe nachgesucht und bewilligt worden ist.

Im Dokument Wolter (1515). (Seite 156-161)