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Ältere Geschichtsquellen

Im Dokument Wolter (1515). (Seite 80-84)

1V. Ter Estenaufstand von 1313; Verkauf Estlands an den Orden

14. Ältere Geschichtsquellen

Neben den Aufzeichnungen geschichtlichen Inhalts bilden die Grundlage jeder ernsteren und unbefangenen Geschichtsforschung die Urkunden. Aus langen Zeiträumen haben sich Chroniken nicht erhalten, für viele Perioden hat es überhaupt nie welche gegeben. Aber auch zur Kontrolle zeit­

genössischer Darstellungen sind urkundliche Belege erwünscht, ja vielfach notwendig. Ihre Nichtberücksichtigung hat immer und überall zu will­

kürlichen Gebilden und Gestaltungen geführt. Schon zu Ende des 17. Jahr­

hunderts (Kaspar v. Ceumerns l'dsatriäium I^vovieum) und im 18. Jahrhundert (Patkuls Deduktionen) sind livländische Urkunden, aber meist in Sammelwerken zerstreut, veröffentlicht worden. Die erste reich­

haltigere, einen größeren Zeitraum umfassende Sammlung livländischer Urkunden verdanken wir dem Kanonikus M. Dogiel, der aus dem polnischen Reichsarchiv schöpfen konnte (Band 5 seines Ooäex äixlo-ma.tieu8, Wilna 1759). Der Grundmasse nach aus dem alten Ordens­

archiv in Königsberg (wohin auch das aus dem Haupthause Marienburg gelangt ist) stammen die Abschriften nebst kurzer Inhaltsangabe (den Regesten) auf Livland bezüglicher Urkunden (von ca. 1200—1600 reichend), die auf Kosten der Ritterschaften um 1810 angefertigt waren, und deren Verzeichnis von C. E. Napiersky im „Inäex" in den Jahren 1833—35 herausgegeben wurde. Vor einem vollständigen Abdruck, der durch solche kurzgefaßte Auszüge nach keiner Richtung hin ersetzt werden kann, scheute man damals noch zurück. Fr. Geo. von Bunge

unternahm das Wagnis, alles was sich an öffentlichen und Privat­

urkunden durch die Unbill der Zeiten noch bis auf unsere Tage gerettet hatte, zu sammeln, und gefördert von hochherzigen Gönnern, zu ver­

öffentlichen. 1853 lag der erste Band des Liv-, Est- und Kurländischen Urkundenbuchs fertig vor; der Begründer hat bis 1873 noch fünf Bände erscheinen lassen. Das Werk ist dank der Unterstützung der baltischen Ritterschaften und Städte fortgeführt worden von H. Hildebrand (Band 7 bis 9) und PH. Schwartz (Bd. 10 und 11), es reicht zurzeit bis zum Jahre 1459; inzwischen konnte auch eine zweite Abteilung desselben (beginnend 1494) von L. Arbusow in Angriff genommen werden (bis jetzt zwei Bände, bis zum Jahre 1505). Die Akten der Land- und Städtetage werden gesondert herausgegeben (von O. Stavenhagen; die erste Lieferung erschien 1907). Dazu kommen die Urkunden der Hanse, die Hanserezesse (bis 1530), herausgegeben von K. Koppmann, G. v. der Ropp, D. Schäfer (bis jetzt 22 Bde.), und das Hansische Urkundenbuch, bearbeitet von K. Höhlbaum, K. Kunze und W. Stein (bis zum Jahre 1500 sind 11 Bde. vorgesehen) u. a.; für die Er­

forschung der Geschichte Ält-Livlands ganz unentbehrlich.

Als die Kolonie noch im Werden war, fand sie bereits ihren Geschichtsschreiber. Es ist Heinrich, ein deutscher Priester, mit Un­

recht früher als Lette bezeichnet, während er nur Lettenpriester war;

so scharf beobachtet nur ein Landfremder. Ein Schützling und Zögling des großen Bischofs Albert war er 1208 schon im Lande und als Missionar tätig. Die Kenntnis der lettischen wie der estnischen Sprache hat er sich erworben. Häufig treffen wir ihn im Gefolge der Macht­

haber, so daß er über denkwürdige Ereignisse als Augenzeuge berichten kann. Andere Nachrichten verdankte er seinen Verbindungen, auch stand ihm das bischöfliche Archiv zur Benutzung offen. Er beginnt mit den Geschicken Meinhards und Bertholds und führt die Ereignisse bis ins Jahr 1227, in dem seine Chronik schließt — also nicht bis zum Tode Alberts (17. Januar 1229). Auf Anregung des Legaten Wilhelm (s. S. 31) hatte er sich an die Arbeit gemacht. Im Dienst und Interesse der Geistlichkeit, deren Glied er war, schreibend, kann man ihn doch keiner Parteilichkeit zeihen. Schlicht ^) erzählt er die Vorgänge

2) Er schrieb selbstverständlich Latein; die Übersetzung von Ed. Pabst, Reval 1837, behält durch die erläuternden Anmerkungen bleibenden Wert.

unter Zugrundelegung eines festen chronologischen Gefüges (nach den Regierungsjahren Bischof Alberts, deren Anfang ins Frühjahr fällt).

Er hat nach Kurt von Schlözers treffendem Ausdruck das Heldenzeitalter der livländischen Geschichte behandelt. Zu einer Fortsetzung seiner Chronik ist er nicht gelangt, obgleich er noch 1259 am Leben, und da­

mals Leutepriester in Papendorf war. Er muß damals schon hoch­

betagt gewesen sein.

Aus ganz anderen Kreisen stammt der Versasser der älteren liv­

ländischen Reimchronik. Zwar den Namen und die Lebensstellung des Verfassers kennen wir nicht; ein Geistlicher ist er schwerlich ge­

wesen.^) Dem Deutschen Orden stand er nahe, vielleicht war er ein Ritterbruder oder ein „Ordensdiener". Seine Chronik, die in 12 017 Versen bis ins Jahr 1290 hineingeht, auch die Uranfänge mit be­

handelt, doch hier schon viel Verwirrung anrichtet, hat er bald nach dem genannten Zeitpunkt abgeschlossen. Seine Mundart ist die sog.

mitteldeutsche; seine dichterische Begabung keine gering anzuschlagende.

Er versteht die Geschichtserzählung mit hübschen Zügen zu beleben, das Leben und Weben der Natur in seine Schilderung hineinzuziehen, bringt Volkstümliches und sprichwörtlich Gewordenes in seiner Darstellung an. Dies mahnt an die ziemlich gleichzeitige „Spielmannsdichtung".

Kriegerischem Mut und kriegerischer Tüchtigkeit wird er auch beim Feinde gerecht. Seit 1280 ist er Augenzeuge der Mehrzahl der von ihm erzählten Begebenheiten; für die früheren Partien muß er neben mündlichen auch schriftliche Quellen, die nicht auf uns gekommen sind, benutzt haben.

Nur in Bruchstücken sind uns Annalen erhalten, so zu Düna­

münde und Riga entstandene; von Totenregistern (Nekrologien) bloß in später Übersetzung auf Ronneburg im Gebrauch gewesene, flch aber auf den Orden beziehende.

Im 14. Jahrhundert hat dann die Reimchronik gewissermaßen einen Fortsetzer gefunden, in dem aller Wahrscheinlichkeit nach

nieder-1) „Dietleb von Alnpeke" wird er genannt in einem späten Zusatz der jetzt im Besitz der Livländischen Ritterschaft befindlichen Handschrift (einer anderen, in Heidelberg, fehlt natürlich dieser Zusatz). Dieser Name kann als beseitigt angesehen werden, da der Eintrag erst im 17. Jahrhundert, als die Handschrift im Besitz eines Alembeck (!) in Lemberg war, gemacht worden ist. Er ist eine simple Fälschung.

deutsch dichtenden Ordenskaplan Bartholomäus Hoenecke (sprich Höneke oder Hüneke) aus Osnabrück. Leider ist das Original noch nicht auf­

gefunden, vielleicht für immer verschollen; nur aus Ableitungen und in Prosa aufgelösten Auszügen ist uns diese Chronik bekannt (s. weiter unten Renner), die von 1315—1348 geht.

Eine lateinisch abgefaßte Chronik hat ebenfalls einen Ordenskaplan, Hermann von Wartberge, zum Verfasser; sie geht bis 1378. Von den nicht im Lande entstandenen Werken verdient, da sie auch Livland mit berücksichtigt, die Reimchronik des preußischen Wappenherolds Wigand von Marburg erwähnt zu werden. Von dieser den Zeit­

raum von 1298—1398 umfassenden Kriegsgeschichte sind nur geringe Bruchstücke aufgefunden; eine im 15. Jahrhundert angefertigte lateinische Übersetzung bietet einen schwachen Ersatz. Anderes, minder Wichtiges, kann an dieser Stelle übergangen werden.

Einiges über die Anfänge der dramatischen Kunst hierzulande hat uns der Chronist Heinrich überliefert. Auch sie stand noch im Dienst der Kirche. In den Fasten 1206 fanden in Riga Schau­

stellungen statt, die ihre Stoffe den Propheten entnahmen, den Zu­

hörern wurden die Vorgänge durch einen Dolmetscher erklärt. Als der Kampf Gideons mit den Philistern zur Darstellung kam, fing das Landvolk an zu fliehen, da es (im Scheinkampf) erschlagen zu werden fürchtete.

Von einer „Literatur" der Eingeborenen kann in damaligen Zeiten und noch auf lange hinaus nicht die Rede sein. Herder machte auf die Volkslieder der Letten aufmerksam. Diese, aus dem Volksmunde gesammelt, mögen hin und wieder einen recht frühen Ursprung haben und sind von Generation auf Generation mündlich überliefert worden.

Eine reiche Sammlung hat u. a. Baron veranstaltet. Der Lyrik der Esten hat Hurt (f 1907) seine Tätigkeit gewidmet. Von größtem Interesse ist das Nationalepos des Estenstammes, der Kalewipoeg (spr.

Kalewipoig — Sohn des Kalew), das sehr alte Bestandteile enthält, auch bei den Finnen sein Seitenstück findet, uns jedoch trotz eifriger Bemühungen neuerer Forscher (Dr. Kreutzwald in Werro) nur in einer durch spätere Einschaltungen, Ergänzungen, ja ganz neue Zudichtungen entstellten Form vorliegt. Eine deutsche Übersetzung gibt es von Bertram (Pseudonym für Schultz); eine neuere von F. Löwe.

Im Dokument Wolter (1515). (Seite 80-84)