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Lisa-Marie Berger Das Konzept der Lebensbewältigung von Lothar Böhnisch ist ein interdisziplinärer An-satz, welcher ausgehend von der Individualisierungstheorie und mit Grundzügen der Coping-Theorie Aspekte verschiedener wissenschaftlicher Theorien beinhaltet. Lothar Böhnisch verweist auch selbst auf die Interdisziplinarität seines Modells, welches unter-schiedliche Ansätze und Theorien aufeinander bezieht und kombiniert, wie zum Bei-spiel Theorien über das Selbst, die Anomietheorie, das Alltagsparadigma, Konzepte zu Milieu und sozialer Zugehörigkeit und Unterstützung, Sozialisationstheorien etc. (vgl.

Böhnisch 2001, S. 32). Nachfolgend sollen zentrale Aspekte des Lebensbewältigungs-konzepts, die für die vorliegende Arbeit relevant sind, geschildert und ein Bezug zur Thematik der Vereinbarkeit von Kind und Studium hergestellt werden.

Grundsätzlich beschäftigt sich das Konzept der Lebensbewältigung mit Personen, die in ein Ungleichgewicht geraten sind, in ihrer Handlungsfähigkeit sowie in ihrem Selbst-wert erschüttert wurden und Unterstützung brauchen, um ebendiese soziale Handlungs-fähigkeit wieder zu erlangen. Für Menschen in Problemlagen ist das (Wieder)Erlangen von Handlungsfähigkeit von großer Bedeutung, denn

„während in der gesellschaftlichen Perspektive der Bewältigung also das sozialstrukt u-relle Problem der Freisetzung im Sinne der sozialen Entbettung und des sozialen Aus-gesetztseins hervorgehoben ist, tritt aus der Sicht und dem Erleben der Subjekte die Frage nach der Handlungsfähigkeit in solchen ambivalenten Konstellationen in den Vordergrund“ (Böhnisch 2012, S. 223).

Probleme, die infolge eines Verlusts der Handlungsfähigkeit und sozialer Desintegrati-on auftreten machen sich in Form vDesintegrati-on biografischen IntegratiDesintegrati-onsproblemen und kriti-schen Lebensereignissen bemerkbar. Das Konzept der Lebensbewältigung „meint in diesem Zusammenhang [also] das Streben nach subjektiver Handlungsfähigkeit in Le-benssituationen, in denen das psychosoziale Gleichgewicht – Selbstwert und soziale Anerkennung –gefährdet ist“ (Böhnisch 2001, S. 31).

Die Bereitschaft zur sozialen Integration ist deshalb ein zentraler gesellschaftlicher As-pekt. Denn trotz fortlaufender Individualisierung3 ist es den Menschen ein Anliegen sich sozial zu integrieren. Hierfür suchen sie sich in der heutigen Gesellschaft neue An-knüpfungspunkte (vgl. Böhnisch 2001, S. 29f.). Dabei geht es darum, Brüche in unter-schiedlichen Lebensbereichen, welche die eigene Identität sowie die individuelle Bio-grafie bedrohen oder den immer weiter voranschreitenden sozial riskanten Prozess der Individualisierung, zu bewältigen, sozial integriert und handlungsfähig zu bleiben (vgl.

Böhnisch 2012, S. 221). Dieser Aspekt der sozialen Integration sowie des Erhalts oder Wiedererlangens der Handlungsfähigkeit ist auch für die Gruppe der Studierenden mit Kind/ern von Bedeutung. Vor allem der Erhalt der Handlungsfähigkeit in herausfor-dernden Situationen ist zentral, um eine Vereinbarkeit von Kind und Studium zu ermög-lichen.

Handlungsfähigkeit meint außerdem die eigenen personalen und sozialen Ressourcen zu kennen sowie die Kontrolle über diese zu bewahren. Kommt es aufgrund zu hoher An-forderungen an die personalen und sozialen Ressourcen zu einem Verlust dieser Kon-trolle, kann dies zu sozial abweichenden oder selbstdestruktiven Handlungsformen füh-ren, die entgegen der gesellschaftlichen Norm stehen. Diese erfüllen lediglich den Zweck, den Selbstwert zu stabilisieren, erneut handlungsfähig zu werden sowie An-schluss zu finden (vgl. Böhnisch 2001, S. 32; Böhnisch 2012, S. 223f.).

Der Autor beschreibt jene Handlungsformen, die in Situationen auftreten, welche die eigenen personalen und sozialen Ressourcen überschreiten und somit für die

3 Hier nimmt Böhnisch Bezug auf die Individualisierungsthese von Ulrich Beck, welche er gleichsam zur Basis für das Konzept der Lebensbewältigung machte.

gung eines Problems nicht ausreichen, angelehnt an die Coping-Theorie, als von emoti-onaler oder triebdynamischer Natur (vgl. Böhnisch 2012, S. 223f.).

„Die Coping-Theorie geht von dem Befund aus, dass die Bewältigung von Stresszu-ständen bei Problembelastungen und kritischen Lebensereignissen so strukturiert ist, dass der Mensch aus somatisch aktivierten Antrieben heraus nach der Wiedererlangung eines Gleichgewichtszustandes um jeden Preis strebt. An diese Logik wird im sozialpä-dagogischen Bewältigungskonzept hier: Streben nach psychosozialer Handlungsfä-higkeit angeknüpft“ (Böhnisch 2001, S. 31f.).

Diese emotionale und psychische Komponente ist nicht zu unterschätzen. Aufgrund eines Verlusts der Handlungsfähigkeit und fehlendem sozialen Rückhalt kann es zu Er-fahrungen des Selbstwertverlusts und sozialer Orientierungslosigkeit, psychischen Be-lastungen und auch Depressionen kommen. Das Wiederherstellen der Handlungsfähig-keit sowie sozialer Integration ist dementsprechend von großer Bedeutung (vgl. Böh-nisch 2001, S. 32; BöhBöh-nisch 2012, S. 223f.). Auch bei Studierenden mit Kind/ern spie-len derartige Erfahrungen eine Rolle. Mit Blick auf empirisch erhobenes Datenmaterial zur Gruppe der Studierenden mit Kind/ern (Studierenden Sozialerhebung 2011; Sellner 2003) und die darin beschriebenen Herausforderungen und Schwierigkeiten in Bezug auf unterschiedlichste Anforderungen aus familiären, universitären und bei zusätzlicher Berufstätigkeit auch noch arbeitstechnischen Bereichen, mit welchen besagte Gruppe konfrontiert ist, kann man davon ausgehen, dass von den Studierenden mit Kind/ern Erfahrungen, wie Selbstwertverlust, Orientierungslosigkeit oder soziale Isolation, ge-macht werden. Hinzu kommt der Druck eigene Erwartungen sowie Erwartungen der persönlichen Umgebung und der Gesellschaft, bei gleichzeitig immer rascher steigenden Bildungs- und Erziehungsansprüchen, erfüllen zu müssen. Vor allem die Individualisie-rung von Problemlagen und die Annahme, alles auf sich gestellt schaffen zu müssen, kann dabei psychischen Druck erzeugen.4 Umso wichtiger erscheint es, dass man nicht nur selbst über die zur Verfügung stehenden Ressourcen Bescheid weiß, um einem Ver-lust der Handlungsfähigkeit entgegenzuwirken, sondern dass auch die Bevölkerung und der Staat gesellschaftliche Problemlagen, Betroffenheiten und Befindlichkeiten in der

4 Siehe dazu Kapitel 2.1 Individualisierungsthese und Kapitel 6 Ergebnisse

Bevölkerung erkennt sowie darauf bezogenes Bewältigungshandeln versteht. Denn auf-grund der Diskrepanz zwischen vielfältigen Lebenslaufoptionen, Chancen und Mög-lichkeiten auf der einen und den damit verbunden Risiken und der Gefahr an den gesell-schaftlichen Anforderungen zu scheitern auf der anderen Seite, braucht es geeignete Rahmenbedingungen, um die Bewältigungschancen der Betroffenen zu erhöhen bzw. zu erhalten und zugleich die Risiken zu mindern (vgl. Böhnisch 2001, S. 31; S. 41). In Be-zug auf die Thematik der vorliegenden Arbeit bedeutet das beispielsweise, dass Rah-menbedingungen geschaffen werden, die den Studierenden das Vereinen der Lebensbe-reiche von Kind, Studium und Beruf ermöglichen und vereinfachen.

Zu erwähnen ist ergänzend, dass die eigenen Ressourcen und das Bewältigungshandeln durch Erfahrungen aus dem bisherigen Leben beeinflusst werden und somit einen bio-graphischen Aspekt haben (vgl. ebd., S. 34). Denn

„Lebensbewältigung geschieht vor dem Hintergrund einer sozialen Lebenslage, in der die sozialen und kulturellen Bewältigungsmöglichkeiten enthalten, in die aber genauso kulturell verfestigte Bewältigungsstereotype eingegangen sind. Wie Lebensbewältigung abläuft und gelingt, ist weiter abhängig von den früher gemachten Erfahrungen bei der Bewältigung von Lebensproblemen [...]. Es gibt also so etwas wie einen biographischen Prozeß (sic!) des Erlernens von Bewältigungsformen“ (Böhnisch/Schefold, 1985, S. 88).

Bewältigungshandeln lässt sich demnach, je nach Individuum und Lebenslage, auch in unterschiedlichsten Formen finden sowie schicht-(milieu-), geschlechts-, regional- oder generationsspezifisch unterscheiden (vgl. Böhnisch/Schefold 1985, S. 83; Böhnisch 2001, S. 40). So beschreibt Böhnisch (vgl. 2001, S. 216ff.) beispielsweise die männliche Bewältigungsstrategie der Externalisierung, welche Mittel des männlichen Dominanz-verhaltens ist. Das weibliche Pendant dazu ist die Bewältigungsstrategie der Innenorien-tierung und Stummheit. Die jeweiligen Strategien entsprechen dabei ganz den von der Gesellschaft als Norm vorgegebenen, geschlechtstypischen Verhaltensmustern für Männer und Frauen. Männer und Frauen greifen demnach auf unterschiedliche Fähig-keiten im Umgang mit der eigenen Hilflosigkeit zurück (vgl. Böhnisch 2001, S. 216-222).

Grund dafür ist die Tatsache, dass Geschlechtsstereotype und Zuschreibungen, die sich an einem geschlechtshierarchischen System orientieren, besonders in Problemlagen und herausfordernden Situationen nur schwer abgebaut werden können - auch wenn Rollen-zuschreibungen und Stereotype heute vielfach weniger Beachtung finden als früher.

Denn diese wurden im Laufe der Sozialisation in einem kulturellen Prozess übernom-men und in die jeweiligen Selbstbilder von Männern und Frauen integriert. Deshalb treten sie in den jeweiligen Bewältigungsstrategien von Männern und Frauen immer noch so markant hervor (vgl. Böhnisch 2001, S. 220). Das ist für die vorliegende Arbeit relevant, da dies auch auf Studierende mit Kind/ern zutrifft. So lässt sich ab der Geburt eines Kindes – wodurch es zur neuen Herausforderung der Vereinbarkeit unterschiedli-cher Lebensbereiche kommt – beobachten, dass Männer versuchen dies durch Fokussie-rung auf ihre Ernährerrolle und finanzielle AbsicheFokussie-rung zu gewährleisten, während Frauen sich auf die familiäre Versorgungsarbeit konzentrieren.5

Ein letzter wichtiger Aspekt, den es zu erwähnen gilt, sind die Lebenslagen und struktu-rellen Bedingungen, welche Bewältigungshandeln beeinflussen. Soziale Lebenslagen werden von den Autoren als „ein Set von Möglichkeiten und Mustern der Bewältigung von Lebensproblemen, die aus sozialen Problemen (Arbeit, Wohnen, soziale Beziehun-gen, Zukunft etc.) entstehen“, beschrieben (Böhnisch/Schefold 1985, S. 89). Diese Le-benslagen sind abhängig von strukturellen Bedingungen, die von Staat, Politik, Büro-kratie, Arbeitsmarkt und Bildungssystem vorgegeben werden. Vor allem gesellschafts-politische und sozialstaatliche Entwicklungen spielen dabei eine Rolle. Denn der Staat gibt beispielsweise immer wieder Aufgaben und Bereiche ab, für die er einmal zustän-dig war. Das heißt, dass z.B. gewisse Leistungen, die der Staat früher getragen hat, heu-te nicht mehr (vom Staat) finanziert werden (z.B. 24Std-Pflege; Kinderbetreuung etc.).

Die Bevölkerung muss selbst dafür aufkommen. Dies wiederum beeinflusst auch die Lebenslagen und in weiterer Folge die Bewältigungsmuster (vgl. ebd., S. 90).

„Lebenslagen spiegeln damit auch die jeweilige Sozialpolitik in ihren Auswirkungen auf die Bewältigung von Lebensproblemen wieder (sic!). Damit sind nicht nur die sozi-alpolitischen Leistungen gemeint, welche die Einkommens- und Versorgungsniveaus

5 Siehe dazu Kapitel 3.3.4 Veränderung von Familienrollen

[beeinflussen], sondern vor allem die sozialpolitischen Dimensionen von Anspruch und Zumutbarkeit, in denen kulturelle Stereotype über Jugend, Frau, Familie, Region etc.

enthalten sind“ (Böhnisch/Schefold 1985, S. 90).

Auch Studierende befinden sich demnach in unterschiedlichen Lebenslagen und werden je nach Lebensbereich (Familie, Studium, Beruf) von strukturellen Bedingungen beein-flusst. Die Autoren definieren Lebenslagen als Bewältigungsmöglichkeiten von Le-bensproblemen, die sich wiederum aus sozialen Problemen in Bereichen wie Ar-beit/Studium, Wohnen, Beziehungen, Kindererziehung/Betreuung, Zukunft etc. erge-ben. Für uns liegt hier die Frage nahe: müssen Lebenslagen zwingend negativ bzw. stets mit Problemen verbunden sein? Laut Duden (2015) ist eine Lebenslage eine bestimmte Situation im Leben (bzw. kann mehrere Situationen umfassen) und diese kann positiv wie negativ sein. Das heißt für uns: ob eine Lebenslage positiv oder negativ ist, hängt davon ab, aus welcher/welchen Situation/en sie entstanden ist/sich ergibt und wie die jeweilige Person ebendiese Situation wahrnimmt und für sich einschätzt und interpre-tiert. Lebenslagen sind unserer Ansicht nach, und hier orientieren wir uns an Iris Beck und Heinrich Greving, abhängig von äußeren und inneren sowie von gesellschaftlichen und politischen Bedingungen (Strukturen) und stehen in engem Zusammenhang mit den individuellen (Handlungs-)Möglichkeiten (Ressourcen). Sie sind jedoch nicht zwingend negativ (vgl. Beck/Greving 2012, S. 9).

Was leistet das Konzept der Lebensbewältigung nun für die Vereinbarkeit der Lebens-bereiche von Familie und Studium? Grundthese des Lebensbewältigungsansatzes ist es, Menschen in schwierigen Lebenssituation zu unterstützen, in denen Selbstwert, soziale Anerkennung und Integration sowie die eigene soziale Handlungsfähigkeit gefährdet sind. Es geht darum ebendiese Handlungsfähigkeit zu erhalten oder wieder herzustellen, um soziale Integration zu gewährleisten.

Grundsätzlich ist das Konzept der Lebensbewältigung sehr problemzentriert. Nicht nur der Begriff der Lebensbewältigung selbst ist dabei sehr negativ behaftet sondern auch die Definition der Lebenslagen seitens der Autoren. Dem stehen wir kritisch gegenüber, denn für uns stellt sich in diesem Kontext die Frage, ob nicht, gerade aus der Intention heraus ein Problem/eine Herausforderung zu bewältigen/zu meistern, oder soziale Handlungsfähigkeit wieder zu erlangen, eher der Aspekt des

Schaf-fens/Erschaffens/Lösens/Erledigens/Verarbeitens in den Vordergrund gerückt werden sollte, um eine positive Konnotierung hervorzurufen. Vielleicht wird vieles, was von außen als Problem wahrgenommen wird, von den jeweiligen Personen/Studierenden gar nicht als Problem, welches bewältigt werden muss, gesehen, sondern viel mehr als Auf-gabe, die zum Leben/zum Alltag (dazu)gehört und die sich aus ihrer individuellen Situa-tion ergibt.

Abschließend lässt sich an dieser Stelle nun sagen, dass das Konzept der Lebensbewäl-tigung für uns im Zusammenhang mit der Thematik der Vereinbarkeit von Kind und Studium sehr wohl relevant ist. Denn innerhalb jedes Lebens können herausfordernde Ereignisse anstehen, die dann, um es mit Böhnischs´ Worten zu sagen, bewältigt werden müssen. Gerade der Aspekt der sozialen Handlungsfähigkeit spielt unserer Ansicht nach bei Studierenden eine große Rolle. Auch vor dem Hintergrund, dass dieses Konzept auf der Individualisierungstheorie von Ulrich Beck aufbaut, sehen wir dieses als Ergänzung, um ein Studium mit Kind/ern zu ermöglichen. Es umfasst den Bereich der Herausforde-rungen und soll einen Ausweg aus Schwierigkeiten und Problemlagen darstellen, wenn es im Rahmen der individuellen Lebensführung zu Herausforderungen kommt. Genauer geht es darum, die strukturellen und persönlichen Ressourcen zu kennen und handlungs-fähig zu bleiben, um die Bewältigung von Herausforderungen, entstehende Ausgren-zung, fehlenden sozialen Rückhalt und Isolation bewerkstelligen und die unterschiedli-chen Lebensbereiche miteinander vereinbaren zu können.

Auch in Thiersch’s Überlegungen lässt sich ein Spektrum an Aspekten finden, die sich dafür eignen das Vereinbarkeitsthema interpretativ aufzuarbeiten, da sie es zulassen Parallelen zum Thema herzustellen. Seine Überlegungen lassen sich außerdem in Ver-bindung bringen mit den zuvor beschriebenen Konzepten der Individualisierungstheorie und der Lebensbewältigung. Denn die Etablierung dieses Konzeptes wird wie bei Beck und Böhnisch als eine Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen (Individualisie-rung, Pluralisierung von Lebenslagen etc.) im Rahmen der Moderne gesehen (vgl.

Grunwald/Thiersch 2004, S. 13,16; Thiersch/Grunwald/Köngeter 2012, S.179). Nach-stehend sollen deshalb Aspekte des Konzepts der Lebensweltorientierung, die für die vorliegende Arbeit relevant sind, erörtert werden.

2.3 Lebensweltorientierung

Jasmin Gragger Das Konzept der Lebensweltorientierung wird als eine elementare Theorie Sozialer Ar-beit oder auch Orientierungshilfe für professionelles pädagogisches Handeln in der So-zialen Arbeit gesehen (vgl. Grunwald/Thiersch 2004, S. 22f.; Thiersch 1997, S. 52). Es wurde in den 1960er Jahren im Laufe des gesellschaftlichen Wandels von Hans Thiersch entwickelt (vgl. Grunwald/Thiersch 2004, S. 13; Thiersch 1997, S. 52). Ihm zufolge bedeutet Lebensweltorientierung auch Alltagsorientierung (vgl. Thiersch 1997, S. 5f.).

Die Theorie der Lebensweltorientierung ist Thiersch‘s persönlicher Versuch zwischen den neuen Normen der Gesellschaft und der Lebenswelt der Menschen zu vermitteln (vgl. Thiersch 1997, S. 5f.) sowie dem neu entstandenen Bedarf der Menschen an Hilfen

„zur Bewältigung von Normalität“ (Grunwald/Thiersch 2004, S. 16) gerecht zu werden.

Hierbei ist es ein zentrales Anliegen, Menschen durch die Gestaltung neuer sozialer, regionaler sowie alltäglicher Strukturen und das Setzen von Maßnahmen, die den ge-genwärtigen Bedürfnissen der Menschen entsprechen, zu entlasten. Diese Umgestaltun-gen oder Maßnahmen zielen darauf ab, besser mit bevorstehenden Chancen und Prob-lemen der Lebenswelt umgehen zu können (vgl. Grunwald/Thiersch 2004, S. 32ff.) und können gerade aus diesem Grunde Vereinbarkeitsbemühungen in der Moderne unter-stützen.

Zentrale Handlungsmaxime in der Lebensweltorientierung können einen Beitrag leisten, diesem Bestreben gerecht zu werden. Denn „sie markieren zentrale Orientierungen für notwendige weitergehende Entwicklungen, vor allem auch jenseits von Modellprojekten für die Regelpraxis“ und sind an den „Ressourcen, Problemen und Hilfechancen in der heutigen Lebenswelt orientiert“ (Grunwald/Thiersch 2004, S. 27). Die Strukturmaxime Prävention, Regionalisierung und Alltagsnähe sowie die Maxime Flexibilisierung von Hilfen halten in erster Linie dazu an, lebensweltliche Erfahrungen bei Umgestaltungen und Umstrukturierungen von Lebenswelten miteinzubeziehen. Maxime wie Integration und Partizipation zielen hingegen besonders auf soziale Gerechtigkeit in der Lebens-welt ab (vgl. Grunwald/Thiersch 2004, S. 26). Vor diesem Hintergrund tragen sie dazu

bei die Lebenswelt von Menschen zu verbessern oder einen gelingenden Alltag zu er-möglichen (vgl. Grunwald/Thiersch 2004, S. 28; S. 188). Für die Thematik der Verein-barkeit von Kind und Studium erscheint es uns wichtig intensiver auf die Maxime Prä-vention, Alltagsnähe, Flexibilisierung von Hilfen, Integration und Partizipation einzu-gehen.

Im Sinne der Prävention sollen Strukturen geschaffen und vorhandene Strukturen stabi-lisiert werden, die gerechte und sichere Lebensverhältnisse ermöglichen sowie Schwie-rigkeiten oder Krisen vorbeugen (vgl. Grunwald/Thiersch 2004, S. 26). Ein Umfeld bzw. Strukturen zu schaffen, die den Vereinbarkeitsbemühungen entgegen kommen, in dem sowohl auf Individuen als auch auf unterschiedliche Lebenswelten bzw. vielseitige lebensweltliche Bedürfnisse eingegangen wird, stellt für uns ein wesentliches Funda-ment für eine erfolgreiche Vereinbarkeitssituation dar. Wird dem Aspekt der Familie auch in Hochschulen Raum gegeben, wirkt sich dies auf Studierende mit Kind/ern unse-rer Meinung nach erleichternd bzw. präventiv aus.

Außerdem ist es ein Ziel der Prävention einschränkende Strukturen so zu verändern, dass sie sich positiv auf die Lebenslage der Menschen auswirken (vgl. Grun-wald/Thiersch 2004, S. 30f.).

Die Maxime der Alltagsnähe hingegen zielt darauf ab, niederschwellige und erreichbare Angebote für AdressatInnen in ihre unmittelbare Lebenswelt zu integrieren. Der Zugang zu den Angeboten sollte in diesem Kontext mit möglichst wenigen Hürden verbunden sein. Angebote, welche auf die Bedürfnisse der Menschen zugeschnitten sind und um-fassende Informationen kommen dem entgegen (vgl. ebd., S. 26ff.). Im Falle von Stu-dierenden mit Kind/ern ist es in diesem Kontext beispielsweise erstrebenswert, genü-gend Informationen bereitzustellen wie auch flexible Kinderbetreuungsangebote direkt am Studienort anzubieten. So wären Kinder, während ihre Eltern sich auf der Universi-tät befinden, ausreichend gut betreut (vgl. Wejwar/Laimer/Unger 2012, S. 24).

Eine weitere Strukturmaxime, die Flexibilisierung von Hilfen, insistiert darauf passge-naue Angebote anzubieten. Dies meint, die Planung und Etablierung von Hilfen wird auf die individuelle Situation (Probleme, Lebenslage) und speziellen Bedürfnisse der Personen abgestimmt. Ebenso wird ein Zusammenspiel von verschiedenen Hilfen

ange-strebt und versucht starre Zuständigkeiten aufzuheben (vgl. Grunwald/Thiersch 2004, S.

26ff.). Diese Kooperation verschiedener Hilfen (z.B. von Betreuungsangeboten) ist be-sonders wichtig für einen gelingenden Alltag (vgl. Grunwald/Thiersch 2004, S. 29). Im Rahmen der Lebensweltorientierung werden zudem flexible Hilfen ausgebaut und in das Lebensfeld der Menschen integriert. Auch Institutionen versuchen heute vermehrt ihre Angebote und flexiblen Hilfen an die individuelle Situation der Menschen sowie ihre Lebenswelt anzupassen und sich dadurch als „Orte zum Leben“ (Grunwald/Thiersch 2004, S. 28) zu etablieren. Diesbezüglich scheint sich ein neues Selbstverständnis zu entwickeln (vgl. Grunwald/Thiersch 2004, S. 28f.). Die Umgestaltung und Kooperation unterschiedlicher Maßnahmen im gesamten Lebensumfeld, hin zu beweglicheren For-men von Unterstützung und Organisation, kommt Familien, so auch Studierenden mit Kind/ern in ihrer Lebenswelt, bei der Organisation und Koordination mehrerer Lebens-bereiche entgegen (vgl. Grunwald/ Thiersch 2004, S. 28f.; Hinte/Treeß 2007, S. 31-34).

Die Maxime der Integration fordert wiederum soziale Gleichheit und die gleichmäßige Teilhabe aller Menschen an den Ressourcen der Gesellschaft (wie Arbeit, Wohnen, Bil-dung, Kultur uvm.). Gleichzeitig steht Integration dafür, die Verschiedenheit der Men-schen, sei es durch Geschlecht, Nationalität oder anderes, anzuerkennen und niemanden auszugrenzen (vgl. Grunwald/Thiersch 2004, S. 26ff.). Dies entspricht sogleich Thiersch‘s Absicht soziale Gerechtigkeit in der Lebenswelt der Menschen zu realisieren (vgl. ebd., S.16). Auch im universitären Umfeld geht es darum, niemanden durch unzu-reichende organisatorische, strukturelle als auch sozialpolitische Rahmenbedingungen (Lehrveranstaltungsvoraussetzungen, Leistungsvoraussetzungen) sowie mangelnde Ak-zeptanz auszugrenzen.

Daher sollen durch partizipative Prozesse, die charakterisiert sind durch Mitbestimmung und Beteiligung der Menschen, gleichberechtigte Verhältnisse geschaffen werden. Die Maxime der Partizipation plädiert auf einen Zusammenschluss zum Kollektiv zur Ver-wirklichung gemeinsamer Projekte und Freiwilligkeit bei der Mitgestaltung gesell-schaftlicher Prozesse (vgl. Grunwald/Thiersch 2004, S. 26ff.) Partizipationsprozesse sollen dazu dienen, hinderliche Strukturen in den Lebenswelten aufzubrechen. So kön-nen beispielsweise Studierende, im Sinne der Partizipation und des Empowernment-Grundsatzes, ihren Alltag eigenmächtig in die Hand nehmen, um ihn möglicherweise

für sich selbst zum Vorteil zu verändern oder auch zu erleichtern. Solch eine Initiative steht ganz im Sinne von Thiersch’s Grundsatz „Hilfe zur Selbsthilfe“ (Gru n-wald/Thiersch 2004, S. 34). Studierende unterstützen sich gegenseitig (z.B. bei der Kin-derbetreuung), um ihre Situation zu verbessern.

Aspekte, die neben den Handlungsmaximen, ebenfalls im Mittelpunkt von Thiersch’s Überlegungen stehen, sind die Lebenswelt und lebensweltliche Bemühungen von Men-schen. Die Lebenswelt beschreibt Thiersch als einen Ort der alltäglichen Handlungen (vgl. Thiersch 1997, S. 5f.). Ihm zufolge setzt diese sich aus verschiedenen Lebensräu-men und Lebensfeldern zusamLebensräu-men. Jedes einzelne Lebensfeld (wie z.B. Familie, Bil-dung, Öffentlichkeit etc.) erfüllt dabei eine gewisse Funktion (vgl. Grunwald/Thiersch

Aspekte, die neben den Handlungsmaximen, ebenfalls im Mittelpunkt von Thiersch’s Überlegungen stehen, sind die Lebenswelt und lebensweltliche Bemühungen von Men-schen. Die Lebenswelt beschreibt Thiersch als einen Ort der alltäglichen Handlungen (vgl. Thiersch 1997, S. 5f.). Ihm zufolge setzt diese sich aus verschiedenen Lebensräu-men und Lebensfeldern zusamLebensräu-men. Jedes einzelne Lebensfeld (wie z.B. Familie, Bil-dung, Öffentlichkeit etc.) erfüllt dabei eine gewisse Funktion (vgl. Grunwald/Thiersch