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Ein Definitionsversuch von Familie

3 FAMILIEN IM WANDEL

3.1 Ein Definitionsversuch von Familie

Aufgrund der Tatsache, dass die Familie einem permanenten Wandel unterliegt und schon immer unterlag, ist eine einheitliche Definition von Familie nicht ganz einfach.

Eingebettet in ökonomische, sozioökonomische, politische, soziale, demographische und kulturelle Strukturen hat Familie zu jeder Zeit im Laufe der Menschheitsgeschichte eine etwas andere Definition, vor allem weil sich die Strukturen vielfach gewandelt ha-ben. Da sich der Terminus der Familie aber, historisch betrachtet, gehalten hat und sich lediglich die Bedingungen und Strukturen geändert haben, kann man davon sprechen, dass Familie eng verbunden ist mit Wandel auf der einen Seite und Kontinuität auf der anderen (vgl. Fuhs 2007, S. 23; 30f.). Dabei kommt hinzu, dass man bei einem Definiti-onsversuch nicht vergessen darf, dass es unterschiedliche Formen und Arten von Fami-lie gibt. Dies erschwert die FormuFami-lierung einer einheitlichen Definition aufs Neue.

Ebenso vielfältig wie die verschiedenen familialen Lebensformen, präsentieren sich demnach auch die Definitionen, die im Rahmen des Rechtssystems, der Wissenschaft, dem Sozialsystem oder auch von der Gesellschaft formuliert werden (vgl. ebd., S. 25).

Als Ausgangspunkt/Basis für die unterschiedlichen Definitionen dienen verschiedene Aspekte wie das Zusammenleben in einem Haushalt, der Beziehungsaspekt, die Zu-sammensetzung der Mitglieder oder auch differenzierte Lebensformen (wie beispiels-weise Heterosexualität/Homosexualität).

So wird beispielsweise in der wissenschaftlichen Forschung die Familie vielfach mit der Haushaltsgemeinschaft gleichgesetzt, da diese sich deutlich abgrenzen lässt und die gesamte Verwandtschaftsfamilie in ihrer Vollständigkeit meist nicht erfassbar bzw.

nicht klar abgrenzbar ist. Dies liegt darin begründet, dass die Entscheidung darüber, wer hierbei noch dazu gezählt wird und wer nicht mehr, individuell unterschieden wird (vgl.

Mitterauer 1997, S. 16).

Ein Beispiel für eine derartige Definition nach dem Zusammenleben in einem Haushalt liefert Statistik Austria. Hier wird die Familie, nach dem Kernfamilien-Konzept der Vereinten Nationen definiert. Familien bilden

„Ehepaare oder Lebensgemeinschaften mit oder ohne Kinder bzw. Elternteile mit Ki n-dern. Kinder sind dabei alle mit ihren beiden Eltern oder einem Elternteil im selben Haushalt lebenden leiblichen, Stief- und Adoptivkinder, die ohne eigene Partnerinnen bzw. Partner und ohne eigene Kinder im Haushalt leben“ (Statistik Austria 2015g, o.S.) Die Soziologie geht wiederum von einer Definition aus, innerhalb derer der Bezie-hungsaspekt aufgegriffen wird. Bei Familie handelt es sich dementsprechend um ein System oder eine Kleingruppe, die untereinander mehrere Teilbeziehungen pflegt (z.B.

Eltern-Beziehung, Eltern-Kind-Beziehung etc.) (vgl. Schulz/Hummer 2005, S. 346).

Auch Burkart (2008) verweist auf den Beziehungsaspekt als auschlaggebende Basis für eine Familiendefinition. Die Schwierigkeit einer einheitlichen allgemein-gültigen Defi-nitionsfindung von Familie besteht dabei vor allem aufgrund des Einflussfaktors Kultur.

Denn diese ist ausschlaggebend für die Vielfalt und die Variabilität innerhalb der Fami-lien- und Verwandtschaftsstrukturen. Innerhalb der Institution der Familie, so Burkart, verbinden sich biologische und soziale Reproduktion der Gesellschaft, was sie zur wichtigsten Institution macht. Sie charakterisiert sich als umfassendes Strukturierungs-prinzip, welches in jeder Gesellschaft zu finden ist. Eine einheitliche Definition sei je-doch problematisch. Als zentralen Aspekt für alle Definitionen, die es über Familie gibt, beschreibt er die Elter(n)-Kind-Beziehung (vgl. Burkart 2008, S. 109). Für ihn stellt die Beziehung zwischen einem Kind und einem Elternteil die „Mindestbedingung [dar], um von Familie sprechen zu können“ (Burkart 2008, S. 140).

Diese einfache aber präzise Definition, wonach „Familie mit dem Kind [entsteht]“

nimmt auch Gerlach (2010, S. 42) vor. Auch im Duden (2015) lässt sich eine ähnliche Definition finden, wo Familie über die Zusammensetzung der Mitglieder, sprich über die Generationen definiert wird. Sie wird einerseits bezeichnet als eine „aus einem E l-ternpaar oder einem Elternteil und mindestens einem Kind bestehende [Le-bens]gemeinschaft“ oder andererseits als „Gruppe aller miteinander verwandten Perso-nen“ (Duden 2015, o.S.). Dabei wird nicht zwischen leiblichen oder adoptierten Kin-dern unterschieden (vgl. Gerlach 2010, S. 43). Hier wird also unter dem Begriff Familie von einem sozialen Konstrukt von Eltern oder einem einzelnen Elternteil und einem bzw. mehreren Kind/ern ausgegangen.

Ebenso bezieht sich Peuckert auf die Generationen und ihre Beziehung zueinander und beschreibt Familie als

eine Lebensform, die mindestens ein Kind und ein Elternteil umfasst und einen dauer-haften und im Inneren durch Solidarität und persönliche Verbundenheit charakterisier-ten Zusammenhang aufweist. Viele andere Merkmale dessen, was gemeinhin als Fami-lie gilt (z.B. gemeinsames Wohnen, gemeinsame Produktion), sind hingegen soziokultu-rell variabel“ (Peuckert 2007, S. 36).

Die vielfältigen Lebens-, Liebens- und Beziehungsformen, die heute nebeneinander existieren, führen zu undeutlichen Grenzen (und Definitionen), sodass sowohl in Politik und Wissenschaft, als auch im Alltag die Klarheit darüber, wer oder was zur Familie gehört, verloren geht (vgl. Beck-Gernsheim 2000, S. 10). Vor allem innerhalb der Ge-sellschaft existiert derzeit keine exakte Definition über Familie, da jeder/jede für sich festlegt, wer zur Familie gehört und sich somit eine eigene Definition gebildet hat (vgl.

Beck-Gernsheim 2000, S. 48).

Frühere, vor allem traditionell katholische, Definitionen waren meist um die Ehe zentriert, was bedeutet, dass nur Eheleute in einem Haushalt mit oder ohne Kind(er) als Familie galten und andere Lebensformen kaum bis gar nicht sozial anerkannt und legi-timiert waren (vgl. Lange/Kränzl-Nagl 2009, S. 97). So stellen beispielsweise Classens und Menne die Familie als heterosexuelle Lebensform dar und sprechen nur von Fami-lie, wenn

wenigstens zwei gegengeschlechtliche psychosozial erwachsene Menschen eine weite-re Generation produzieweite-ren und mindestens so erziehen, daß (sic!) diese nächste Genera-tion psychosozial erwachsen werden kann“ (Classens/Menne 1973, S. 314 zit.n. Mo l-lenhauer 2006, S.605).

Diese Definition von Familie ist jedoch bei weitem nicht mehr passend, da sie neue fa-miliale Lebensformen wie Adoptionsfamilien und gleichgeschlechtliche Paare aus-schließt. Heute steht man den familialen Lebensformen offener gegenüber. Einerseits rückt mit Blick auf aktuelle Definitionsversuche die Eltern-Kind-Beziehung in den Vordergrund und Familie wird als Verantwortungsgemeinschaft zwischen Erwachsenen und Kindern angesehen, andererseits gelten heute auch sogenannte Solidarbeziehungen als familiale Lebensform (vgl. Lange/Kränzl-Nagl 2009, S. 97). „Familie ist demgemäß auch dann vorhanden, wenn keine Kinder da sind, alleiniges Kriterium sind die von den involvierten Akteuren als familial interpretierten Bindungen und Beziehungen“ (Lan-ge/Kränzl-Nagl 2009, S. 97).

Dabei ist auch hervorzuheben, dass Familie sich als eine Lebensform definiert,

„in der Beziehungen durch Solidarität, persönliche Verbundenheit und Fürsorge in Form von Erziehung, Betreuung oder Pflege gekennzeichnet sind. Dieses breiter ge-wordene Familienverständnis schließt Paarbeziehungen, Lebenspartnerschaften, Ehen, Patchworkfamilien, die Herkunftsfamilie sowie die nachfolgende Generation und eine Mannigfaltigkeit weiterer gelebter Familienmodelle mit ein“ (Mantl 2013, o.S.).

Um keine familiale Lebensform, die heute existiert aus der Definition auszuschließen definiert der Fünfte Familienbericht Deutschlands, Familie als Menschen, welche „u n-abhängig von räumlicher und zeitlicher Zusammengehörigkeit als Folge von Generatio-nen, die biologisch, sozial und/oder rechtlich miteinander verbunden sind“ (Bundesm i-nisterium für Familie und Senioren 1994, S.23f. zit.n. Schneewind 2008, S. 121).

All diese bestehenden unterschiedlichen und sich doch teilweise gleichenden Definitio-nen machen deutlich, dass Familie einem permaDefinitio-nenten Wandel unterliegt, wie vielseitig Familie heute ist und wie schwierig die Festlegung auf eine allgemein-gültige Definiti-on sich darstellt. Jede DefinitiDefiniti-on führt für sich wichtige Aspekte vDefiniti-on Familie an, man-che weisen dabei auch Lücken auf. So sperren sich frühere Definitionen von Familie

gegen neue Lebensformen oder die Definition von Familie als Haushaltsgemeinschaft vergisst auf die heute individuelle Bedeutung nicht im Haushalt lebender Personen, wie beispielsweise den Großeltern oder bereits erwachsenen Geschwistern. Denn

mit dem Blick auf die [heutige] multilokale Mehrgenerationenfamilie ist deutlich ge-worden, dass Eltern- und Großelterngeneration zwar in der Regel keinen gemeinsamen Haushalt führen, dass aber die ökonomischen, sozialen, kulturellen und emotionalen Transfer- und Unterstützungsleistungen zwischen den Generationen eine wichtige Be-deutung für die moderne Familie hat (Fuhs 2007, S. 25).

Abschließend könnte man also sagen:

„‘Familie‘ ist kein natürlicher Gegenstand und keine biologisch determinierte Verge-meinschaftungsform, sondern ein kulturspezifisches, diskursiv geprägtes und kommuni-kativ von individuellen und kollektiven Akteuren (z. B. Parteien, weltanschauliche Gruppierungen, Konfessionen, aber auch Wissenschaften) immer wieder neu herzustel-lendes Sinnkonstrukt, mit vielen Schattierungen und Nuancierungen“ (Lange/Kränzl -Nagl 2009, S. 95).

Dieser Definition möchten wir uns im Rahmen dieser Arbeit anschließen. Im Sinne des Doing Family7 (vgl. Kränzl-Nagl/Lange 2009, S. 154) stehen Beziehungsqualität, Zu-gehörigkeit und gemeinsame Interaktion im Vordergrund und nicht bestimmte Ver-wandtschaftsverhältnisse oder Lebensformen (z.B. dass heterosexuelle Paare als Familie gelten und homosexuelle nicht). Familie definiert sich für uns demnach nicht alleinig über eine Elter(n)-Kind-Beziehung, denn auch Paare ohne Kinder oder Kinder, die kei-ne Eltern mehr haben könkei-nen eikei-ne Familie darstellen. Die Menschen entscheiden eigen-ständig darüber, wer zu ihrer Familie gehört. Dabei ist es nicht von Relevanz ob Paare verheiratet sind oder nicht, Kinder leiblich geboren wurden, adoptiert sind oder gar kei-ne Kinder vorhanden sind, es sich um heterosexuelle oder homosexuelle Paare handelt, ob Freunde mehr zur Familie gezählt werden als Verwandte etc. Keine Lebensform und Lebensart des Zusammenlebens wird dabei ausgeschlossen. Es geht um eine gemeinsa-me Lebensführung und Inszenierung von Familie unabhängig von all den genannten Aspekten.

7 Siehe dazu Doing Family in Kapitel 3.3.6 Veränderungen in den Raum- und Zeitverhältnissen

Innerhalb unserer Arbeit handelt es sich, wenn wir von Familien sprechen genauer um eine Gruppe von mindestens einem Erwachsenem und einem Kind, die miteinander verwandt sind – wobei nicht zwischen leiblichen und adoptierten Kindern unterschieden wird. Das heißt, dass die Beziehung nicht biologisch durch Blutsverwandtschaft ge-kennzeichnet sein muss. Zentral ist, dass die Erwachsenen sich selbst als Eltern(-teil) definieren, die Personen in Beziehung und Interaktion zueinander stehen, ein gemein-sames Leben führen und sich als Familie inszenieren.

Das nachfolgende Kapitel versucht nun die Geschichte sowie den historisch-gesellschaftlichen Wandel von Familie zu skizzieren.