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7. UNTERSCHIEDE ZWISCHEN GENERATIONENBEZIEHUNGEN

7.2 H YPOTHESEN UND F RAGESTELLUNGEN

Wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt wurde, ergeben sich in der Beziehung von Sub-stanzabhängigen und ihren Eltern verstärkte Dispositionen für die Erfahrung von Generatio-nenambivalenzen und eine verschlechterte Beziehungsqualität. Weiter von Interesse sind Un-terschiede im Umgang mit Ambivalenzen und in den Situationen, die Ambivalenzerfahrungen auslösen. Im Folgenden werden hierzu verschiedene Hypothesen und Fragen differenziert.

Hypothesen werden wie schon zuvor nur dann aufgestellt, wenn auf der Grundlage der oben dargestellten theoretischen Überlegungen gerichtete Unterschiede erwartet und diese infe-renzstatistisch überprüft werden können. Dagegen werden explorative Fragen formuliert, wenn lediglich ungerichtete Unterschiede vermutet werden und bzw. oder diese Unterschiede nur deskriptiv dargestellt werden können, ohne dass eine inferenzstatistische Überprüfung dieser Unterschiede möglich ist.

Hypothese 1

Manifestation von Generationenambivalenz60

Die Anforderungen an substanzabhängige Erwachsene und ihre Eltern führen im Vergleich mit Generationenbeziehungen schizophren Erkrankter zu verstärkten Manifestationen von

Generationenambivalenz.

Die Situation substanzabhängiger Patienten und ihrer Eltern birgt ein erhöhtes Potential für generationale Differenzen vor dem Hintergrund von verstärkter Kriminalität und Gewalt in-nerhalb und außerhalb der Familie. Möglicherweise bestehen für die Substanzabhängigkeit mehr noch als bzgl. der Schizophrenie widersprüchliche implizite Krankheitsmodelle, die daher zusätzlich Ambivalenzen bzgl. der Verantwortlichkeit für das abweichende Verhalten provozieren. Die Frage von Unterstützung im Sinne von Kümmern und Sorgen erscheint un-ter Einbezug des Konzepts von der Co-Abhängigkeit prekärer als in Familien schizophren Erkrankter. Dies sollte zu einer verstärkten Manifestation von Ambivalenzen in der

60 Die Manifestation von Ambivalenz wird mit folgenden Variablen operationalisiert (s auch Tabelle 4): (a) Häufigkeit von Ambivalenz, (b) Intensität von Ambivalenz auf der Dimension von Nähe und Distanz, (c) Zwiespältigkeiten auf der Dimension Konvergenz-Divergenz, (d) Zwiespältigkeiten auf der Dimension Re-produktion-Innovation, (e) Zwiespältigkeiten bzgl. Autonomie, d.h. Selbstständigkeit (f) Relative Häufigkeit von Ambivalenz im subjektiven sozialen Vergleich, (g) Belastung durch Ambivalenz.

hung zwischen Suchtkranken und ihren Eltern im Vergleich mit Schizophreniekranken und ihren Eltern führen.

I. Elternperspektive

ƒ Eltern von suchtkranken Erwachsenen erleben in der Beziehung zu diesen stärkere Mani-festationen von Ambivalenz als Eltern in der Beziehung zu schizophren Erkrankten II. Kinderperspektive

ƒ Substanzabhängige erleben in der Beziehung zu ihren Eltern stärkere Manifestationen von Ambivalenz als schizophren Erkrankte.

Frage 1

Qualität ambivalenzauslösender Situationen

Gibt es aus Elternsicht zwischen den Generationenbeziehungen Substanzabhängiger und El-tern-Kind-Beziehungen schizophren Erkrankter Unterschiede bzgl. ambivalenzauslösender

Situationen?

Wenn sich zwischen Generationenbeziehungen Substanzabhängiger und Generationenbezieh-ungen schizophren Erkrankter zusätzlich zu den qualitativen Unterschieden im Ambivalenzer-leben auch in der Qualität der ambivalenzgenerierenden Situationen Unterschiede abzeichnen, so stellt dies einen Hinweis dar, dass sich die Erhöhung von Ambivalenzerleben ergibt, weil in beiden Gruppen jeweils spezifische Anforderungen die Beziehung zwischen Eltern und Kindern strukturieren.

Frage 2

Stile im Umgang mit Ambivalenz61

Haben die spezifischen Anforderungen an die Bewältigung der Erkrankung in Generationen-beziehungen Substanzabhängiger vs. schizophren Erkrankter spezifische Effekte auf die Wahl

der dyadischen Stile im Umgang mit Ambivalenz?

Wenn, wie in Hypothese 1 postuliert, quantitative Unterschiede im Erleben von Ambivalenz zwischen Dyaden mit einem substanzabhängigen Kind und Dyaden mit einem schizophrenie-kranken Kind festgestellt werden können, so ist weiter von Interesse, ob diese auch mit Unter-schieden in der Wahl der Stile im Umgang mit Ambivalenzen einhergehen.

61 Die Stile Umgang mit Ambivalenz (s. auch Tabelle 4, S. 84) werden operationalisiert als (a) Emanzipation, (b) Atomisierung, (c) Kaptivation und (c) Solidarität.

Hypothese 2 Beziehungseinschätzung62

Die spezifischen Anforderungen an substanzabhängige Erwachsene und ihre Eltern führen im Vergleich mit Eltern-Kind-Beziehungen schizophren Erkrankter dazu, dass diese Generatio-nenbeziehungen als weniger erfreulich eingeschätzt werden und weniger mit den Wunschvor-stellungen der Beziehungspartner übereinstimmen. Außerdem sollte die gegenseitige Verbun-denheit in Eltern-Kind-Beziehungen substanzabhängiger gegenüber schizophren Erkrankten

reduziert sein.

Die Bedingungen, die in Familien Substanzabhängiger die Eltern-Kind-Beziehung struktur-ieren sind aversiver Natur: Es wird vermutlich mehr Gewalt erlebt, Pflege und Sorge für den Patienten können negative Konsequenzen haben, insofern sie als Co-Abhängigkeit Eltern in ihrem Handlungsspielraum beschneidet und die Suchterkrankung aufrechterhält. Für das Suchtverhalten wird stärker noch als bei den Erkrankungen aus dem schizophrenen Formen-kreis die Schuld und Verantwortung beim Patienten gesucht. Vor dem Hintergrund der Un-auflösbarkeit der Eltern-Kind-Beziehungen und der erhöhten Anforderungen an elterliche Unterstützung des erkrankten Kindes disponiert dies zu verstärkter Manifestation von Ambi-valenzerleben (s. Hypothese 1). Zusätzlich sollte die weitere Einschätzung der Beziehung von diesen Faktoren in negativer Richtung beeinflusst werden, so dass die Eltern-Kind-Beziehung von Substanzabhängigen und ihren Eltern als weniger zufriedenstellend gewertet wird als von schizophren Erkrankten und ihren Eltern.

I. Elternperspektive

ƒ Die Beziehung von Eltern zu substanzabhängigen erwachsenen Kindern entspricht aus Elternsicht seltener ihren Wunschvorstellungen und ist weniger erfreulich als die Bezie-hung von Eltern zu schizophren erkrankten Kindern.

ƒ Eltern fühlen sich mit substanzabhängigen Kindern weniger verbunden als Eltern mit schizophren erkrankten Kindern.

II. Kinderperspektive

ƒ Substanzabhängige erleben die Beziehung zu ihren Eltern im Vergleich mit schizophren Erkrankten als weniger wunschgemäß und erfreulich.

62 Die Einschätzung der Beziehung wird über folgende Variablen operationalisiert (s. Tabelle 4, S. 84): (a) Ge-fühl der Verbundenheit in der Beziehung, (b) Wunschgemäßheit, d.h. Übereinstimmung der Beziehung mit Wunschvorstellung, (c) Erfreulichkeit der Beziehung.

ƒ Substanzabhängige fühlen sich mit ihren Eltern weniger verbunden als schizophren er-krankte Kinder.

Frage 3

Wahrgenommenes emotionales Familienklima

Unterscheidet sich auch das emotionale Familienklima sowohl aus Eltern- als auch aus Kin-dersicht zwischen Familien substanzabhängiger und Familien schizophren Erkrankter?

Bei der Befragung der Mitglieder von psychiatrieerfahrenen Familien wurde neben dem Fra-gebogen von Lüscher et al. auch ein Instrument zur direkten Erfragung von emotionalem En-gagement und wahrgenommener Kritik (Kronmüller, Krummheuer, Topp, Zipfel, Herzog, &

Hartmann, 2001) angewendet. Dieses wurde sowohl zur Befragung der erkrankten Kinder als auch ihrer Eltern eingesetzt. So konnte erhoben werden, inwieweit sich Kinder, Mütter und Väter jeweils als Ziel von Kritik durch andere Familienmitglieder wahrnehmen und als emo-tional engagiert innerhalb der Familie betrachten.

Da mit diesem Instrument meines Wissens nach in dieser Untersuchung zum ersten Mal auch die Sicht der Eltern erfasst und zwei psychiatrische Diagnosegruppen miteinander verglichen wurden, ist sein Einsatz in dieser Befragung als rein explorativ zu betrachten.