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5. ALLGEMEINE FRAGESTELLUNG UND METHODISCHE

5.4 D ATENANALYSE

Zur Auswertung der Daten wurde das Statistikprogram SPSS (Statistical Package for the So-cial Sciences, Version 11.0) herangezogen. Die hier zur Analyse anstehenden Daten wiesen folgende Merkmale auf:

ƒ Mit der familialen Hierarchieebene, auf die sich die Daten beziehen, variiert auch die Größe des betrachteten N: Zu 26 Familien lagen nicht allein 26 Aussagen vor, sondern 69, da pro Familie 2-3 Personen befragt wurden. Der Datensatz bestand also aus auf Famili-enebene aus N=26 psychiatrieerfahrenen und N= 25 gewöhnlichen Familien, auf Perso-nenebene aus N=69 Personen aus Familien psychisch Kranker und N=63 Personen aus Durchschnittsfamilien sowie auf der Beziehungsebene aus N=239 dyadsichen Aussagen, die auf einen spezifischen Beziehungspartner bezogenen sind. Gemäß des Vorgehens, Gruppen miteinander zu vergleichen, wurden aus diesen Stichproben Untergruppen gezo-gen. Dementsprechend variierte das betrachtete N je nach Fragestellung. Da jedoch genau genommen nicht die Anzahl dyadischer Aussagen, sondern das persongebundene N pro untersuchter Gruppe ausschlaggebend ist, waren parameterfreie Verfahren die Methode der Wahl, da nicht von einer Normalverteilung der Daten auszugehen ist.

ƒ Die Familie war der Bezugspunkt der Daten, und statistische Unabhängigkeit bestand lediglich zwischen den befragten Familien. Die Daten verschiedener Mitglieder einer milie dagegen und die Aussagen eines Befragten zu verschiedenen Mitgliedern seiner Fa-milie waren statistisch abhängig, denn die Personen und Aussagen ließen sich mittels ei-ner übergeordneten Zuordnungsregel eindeutig gruppieren. Es war davon auszugehen, dass Daten allein aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Familie oder zu ein und derselben Person miteinander korrelieren. Sollten Aussagen von Personen aus verschiedenen Fami-lien – zum Beispiel die Aussagen von Vätern substanzabhängiger und die Aussagen von Vätern schizophren Erkrankter – verglichen werden, so lag statistische Unabhängigkeit vor. Wurden jedoch Mütter und Kinder miteinander verglichen, die aus den selben Fami-lien stammen, lag statistische Abhängigkeit vor, ebenso wenn die Aussagen von Müttern

zu ihrem gesunden denen zu ihrem erkrankten Kind gegenübergestellt wurden. Je nach Fragestellung mussten daher Tests für abhängige bzw. Tests für unabhängige Stichproben gewählt werden.

ƒ Die meisten erhobenen Items wiesen ein ordinales Skalenniveau auf. Dies galt auch für die Variable zur indirekten Ambivalenz, die nur vordergründig intervallskaliert schien, je-doch aus Summenscores ordinalskalierter Variablen konstruiert wurde. Allein die Frage zum Umgang mit Ambivalenzen in der dyadischen Beziehung war nominalskaliert. Die qualitative Frage nach ambivalenzgenerierenden Situationen hatte naturgemäß kein Ska-lenniveau und war daher inferenzstatistischer Analyse nicht zugänglich.

Quantitative Datenanalyse. Aufgrund der oben dargestellten Merkmale der erhobenen Daten ist es notwendig, für die Analyse der Gruppenunterschiede parameterfreie Verfahren zu wäh-len. Zusätzlich müssen für den Vergleich zwischen Gruppen aus abhängigen Stichproben geeignete Testverfahren verwendet werden. Dementsprechend wurde für die Tests der Unter-schiede zwischen psychiatrieerfahrenen und gewöhnlichen Familien der Mann-Whitney-U-Test herangezogen, da hier statistische Unabhängigkeit galt. Bzgl. der abhängigen Gruppen-vergleiche – Geschwistervergleich, Generationenvergleich, Geschlechtervergleich – innerhalb der Gruppe der psychiatrieerfahrenen Familien kam der Wilcoxon-Test zum Einsatz.

Um diesen Test für abhängige Stichproben durchführen zu können, musste ein Datensatz mit einer horizontalen Struktur erstellt werden. Hier bildete die Familie die kleinste Untersu-chungseinheit, auf der vertikalen Achse war also ein N von 26 Familien verzeichnet. Auf der horizontalen Achse wurden jeder Familie für jede dyadische Variable Untervariablen zur Aussage des Kindes über die Mutter, des Kindes über den Vater, der Mutter über das erkrank-te Kind sowie des Vaerkrank-ters über das erkrankerkrank-te Kind zugeordnet. Dazu kamen Unerkrank-tervariablen zu Aussagen der Mutter und des Vaters über die gesunden Kinder, wobei über diese Aussagen gemittelt wurde, wenn über mehr als ein Geschwisterkind Auskünfte vorlagen. Nicht-dyadische Variablen wurden in Untervariablen zu Aussagen des Kindes, der Mutter und des Vaters unterteilt.

Die nominalskalierte Variable zu den dyadisch erfragten Stilen im Umgang mit Ambivalenz konnte aufgrund der vorliegenden Dateneigenschaften nicht inferenzstatistisch ausgewertet werden. Aufgrund der Abhängigkeit der Stichprobe schied der Chi-Quadrat-Test zur Analyse aus, dieser verlangt außerdem ein größeres N. Auch Fishers exakter Test, geeignet für

re Stichproben, ließ sich aufgrund der Abhängigkeit der Daten nicht anwenden. Der Test von McNemar ist zwar für kleine, verbundene Stichproben geeignet, ermöglicht jedoch nur die Analyse binär codierter Variablen. Dementsprechend wird lediglich die deskriptive Statistik dieser Variable zur Diskussion gestellt. Bei allen inferenzstatistischen Auswertungen wurde das a priori Alpha-Niveau auf α = .05 festgelegt.39

Qualitative Datenanalyse. Die qualitative Frage zu ambivalenzgenerierenden Situationen erforderte ein eigenes Vorgehen. Hier bot sich das Verfahren der Qualitativen Inhaltsanalyse bzw. als deren Unterform die Häufigkeitsanalyse an (Mayring, 2003). Die qualitative Inhalts-analyse zielt darauf ab, systematisch und theoriegeleitet fixierte Kommunikation zu analysie-ren, um Rückschlüsse auf inhaltliche Aspekte der Kommunikation zu ziehen. Die Häufig-keitsanalyse hat zusätzlich zum Ziel, die Häufigkeit des Auftretens thematische Kategorien im Datenmaterial zu bestimmen. Dabei werden zunächst in einem schrittweisen Vorgehen von mehreren Personen in Auseinandersetzung mit dem Material Auswertungskategorien gebildet.

Typisch für die qualitative Inhaltsanalyse ist ein zirkuläres Vorgehen: In einem dialektischen Prozess zwischen Theorie- und Materialorientierung entstehen Auswertungskategorien, die dann wieder auf das Material angewendet werden.

Zunächst wurde das Datenmaterial, d.h. alle notierten Antworten auf die Frage nach Situatio-nen, in denen die Befragten besonders häufig gegenüber ihren Beziehungspartnern hin- und hergerissen sind, nach Aussagen von Vätern, Müttern und Kindern geordnet. Dann arbeiteten drei unabhängige Auswerter das Material durch und ordneten es entsprechend inhaltlichen Gemeinsamkeiten und Differenzen. In der hier dargestellten Analyse leiteten folgende theore-tischen Grundannahmen die Kategorisierung: Gesucht waren spezifische Repräsentationen, welche die Befragten von Situationen haben, in denen gegensätzliche Möglichkeiten des Handelns evident werden. Dabei können diese Repräsentationen der Ebene des Denkens oder Fühlens zugeordnet werden oder sich auf konkrete Handlungsanforderungen bzw. handlungs-relevante Situationen in der Beziehung beziehen. Es ist außerdem möglich, dass die Befragten bereits über die Art dieser Gegensätzlichkeiten reflektiert haben und explizit die Pole eines Spannungsfeldes benennen.

39 Die jeweiligen a posteriori berechneten p-Werte werden im Ergebnisteil an den entsprechenden Stellen prä-sentiert.

Das Selektionskriterium wurde daher wie folgt festgelegt: Es muss sich entweder (a) um Themen, deren Inhalt Gefühle oder Gedanken über die Beziehung, Beziehungsbeschreib-ungen oder Beschreibung von Formen der Beziehungsgestaltung betreffen oder (b) um die explizite Benennung von Spannungsfeldern mit Bezug auf die Beziehungsgestaltung handeln.

Andere Äußerungen wurden als nicht codierbar eingestuft. Die Bestimmung des Abstrakt-ionsniveaus der Kategorien lautete wie folgt: Das Ziel ist die Bildung gerade so vieler Kate-gorien, dass eine Häufigkeitsauszählung Sinn macht – sie sollten also nicht zu spezifisch sein – ohne dass die Kategorien inhaltsleer werden, weil sie zu grob sind. Die Kategorien be-schrieben Themen oder Spannungsfelder, wobei für die Kategorisierung gleichgültig ist, mit welcher Intensität diese angesprochen werden.40

In Form wiederholter konsensueller Validierung (vgl. Schmidt, 2000) über mehrere Sitzungen hinweg wurden Auswertungskategorien entwickelt, die im weitesten Sinne Situationen abbil-den, welche für die Befragten ambivalenzgenerierenden Charakter haben: In Tabelle 5 und Tabelle 6 sind die herausgearbeiteten Kategorien beschrieben und mit Ankerbeispielen aus den Antworten von Befragten veranschaulicht.

40 D.h., ob es sich zum Beispiel um intensiven Hass oder nur um Ärger handelt, spielt keine Rolle für die Kate-gorisierung: Thema ist in beiden Fällen die negative Emotion in der dyadischen Beziehung.

Tabelle 5

Ambivalenzgenerierende Themen in den Antworten der Befragten

Oberkategorie Unterkategorie und Ankerbeispiel

Psychische Erkrankung: Unterschiede, die auf der psychischen kung des Kindes beruhen; Aussagen, die sich eindeutig auf die Erkran-kung des Kindes beziehen, z.B.: „Krankheit“, „Symptome“ etc.

Fremdheit: Unverständnis oder ein Gefühl der Fremdartigkeit, z.B.: „Es ist ihr Leben [...], aber wir begreifen es nicht.“

Meinungsverschiedenheiten: nicht näher spezifizierte Meinungsver-schiedenheiten, z.B.: „Wenn er eine andere Meinung hat als ich, dann fühle ich mich schon hin- und hergerissen.“

Unterschiede zwi-schen den Genera-tionen

Lebensführung:Unterschiede, die das alltägliche Leben, die Lebensfüh-rung betreffen, z.B.: „Studienabbruch“

Gegenseitiger Einfluss: Thema der Beeinflussung des Beziehungspart-ners, z.B.: „Wenn mein Vater Druck ausübt. Wenn er über mich bestimmen will.“

Helfen: Es geht um tätige Pflege bzw. um die Situation des Gepflegt-werdens, z.B.: „...da ist irgendwie die Pflege gut, aber da herauskom-men ist schwierig, das ist irgendwie hin- und hergerissen zwischen gut und schlecht.“

Gestaltung der Ge-

nerationen-beziehung

Rückzug, Distanzierung: Themen des Rückzugs, der Distanzierung, der Abgrenzung in der Beziehung zum generationalen Gegenüber, z.B.: „Der psychisch Kranke ist abweisend, lässt Nähe nicht zu, das hat mir gefehlt.“

Schuld und Vorwürfe: Schuld (entweder die eigene, oder die dem ge-nerationalen Gegenüber zugesprochene) oder man sieht sich selbst Vorwürfen ausgesetzt oder macht dem anderen Vorwürfe, z.B.: „Bei Schuldzuweisungen ihrerseits, Vorwurfshaltungen.“

Angst und Sorgen: z.B.: „Aber in seinen Augen sehe ich, dass er sich Sorgen macht.“

Wut, Ärger, Aggression: z.B.: „Ich könnte sie an die Wand klatschen.“

Hoffnungslosigkeit, Unsicherheit bzgl. Zukunft: Äußerungen, die den Verlust einer vorherseh- und beeinflussbaren Zukunftsperspektive zum Inhalt haben, z.B.: „Ich weiß nicht, wie das weitergehen soll.“

Mangelnde Verlässlichkeit, fehlendes Vertrauen: Unsicherheit auf die Verlässlichkeit der Beziehung, Vertrauen und Enttäuschung als wichti-ge Stichworte, z.B.: „...dass er uns im Stich wichti-gelassen hat.“

Emotionen

in der Generationen-beziehung

Loyalitätskonflikte: Äußerungen, die Konflikte mit einer über die dyadi-sche Beziehung hinausgehenden dritten Bezugsperson oder Partei darstellen, z.B.: „Ich fühle mich zwischen Mutter und Vater hin- und hergerissen, dass mir die Mutter oder der Vater lieber ist.“

Anmerkung: Bei den Kategorien handelt es sich um das Ergebnis einer qualitativen Inhaltsanalyse.

Die Ankerbeispiele sind wörtliche Zitate von im Interview schriftlich fixierten Äußerungen der Befrag-ten.

Tabelle 6

Spannungsfelder in den Antworten der Befragten

Kategorie Bedeutung und Ankerbeispiel Spannungsfeld 1:

Ebene des Handelns

Autonomie vs. Kontrolle: Spannung zwischen tätiger Einflussnah-me durch den Beziehungspartner bzw. ein Einlassen auf diesen Einfluss und Heraushalten bzw. ein Herstellen von Autonomie in der Beziehung. z.B.: Hin- und Hergerissensein zwischen machen lassen und sich einmischen.

Spannungsfeld 2:

Ebene des Fühlens

Nähe vs. Distanz: Gleichzeitige Gefühle der Nähe (emotionale Wärme, Liebe) und Gefühle der Distanz (emotionale Kälte, Wut, Hass, Ablehnung) z.B.: „Ich liebe sie und könnte sie an die Wand klatschen.“

Spannungsfeld 3:

Ebene des Denkens

Akzeptanz vs. Ablehnung: Spannung zwischen den Polen Ableh-nung und Akzeptanz, wobei Einstellungen im Vordergrund stehen z.B.: „Ich frage mich immer: wo muss man Verständnis haben, was ist weniger zu entschuldigen?“

Anmerkung: Bei den Kategorien handelt es sich um das Ergebnis einer qualitativen Inhaltsanalyse.

Die Ankerbeispiele sind wörtliche Zitate von im Interview schriftlich fixierten Äußerungen der Befrag-ten. Paraphrasen stehen nicht in Anführungszeichen.

Nach der konsensuellen Definition von Ober- und Unterkategorien wurden Ausschnitte aus dem Material probecodiert. Dazu wurden zunächst die Antworten jedes Befragten zu jeder seiner intergenerationalen dyadischen Beziehungen in Analyseeinheiten zerlegt.41 Jede Ana-lyseeinheit konnte in nur eine der thematischen Kategorien fallen, jedoch zusätzlich einer Spannungsfeld-Kategorie zugeordnet werden. Anschließend wurden die Kategorien ein letz-tes Mal überarbeitet. Danach wurde das gesamte Material unter Verwendung des Kodierleit-fadens von zwei Personen unabhängig voneinander codiert. Es wurde ein Datensatz erstellt, der auf der vertikalen Achse die jeder dyadischen Aussage zugeordneten Analyseeinheiten enthielt. In einem weiteren Schritt wurden die Zuordnungen beider Rater miteinander vergli-chen und die Interraterreliabilität Kappa ermittelt. Die Häufigkeiten der Nennungen der Kate-gorien wurden mittels Kreuztabellen berechnet. Die Gruppen wurden hinsichtlich der Häufig-keiten der Nennungen der Kategorien auf rein deskriptiver Ebene gegenübergestellt.

41 Die Zerlegung in Analyseeinheiten war dabei allein von inhaltlichen Gesichtspunkten geleitet. Bei einer Ana-lyseeinheit konnte es sich um ein Wort, einen Satz oder mehrere Sätze handeln, ausschlaggebend war, dass eine Einheit sich inhaltlich von anderen Abschnitten der Antwort abgrenzen ließ.

6. GENERATIONENBEZIEHUNGEN PSYCHISCH KRANKER UND