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A. GESCHLECHTERDIFFERENZ

8.1. H INTERGRUND DES G ESCHLECHTERVERGLEICHS

Geschlechterdifferenz in Familien. In Familien sind die Geschlechterrollen stets auch mit der Wahrnehmung unterschiedlicher Familienrollen verknüpft: Frauen der Elterngeneration haben die Mutterrolle, Männer dagegen die Vaterrolle zu erfüllen. Daher kann der hier vorge-nommene Geschlechtervergleich nicht vor dem Hintergrund allgemein-psychologischer Ge-schlechterunterschiede analysiert werden, vielmehr sind es vor allem die sozialen Rollen, die Männer und Frauen in der Institution Familie voneinander unterscheiden.

Sorge, Pflege und Geschlecht. Der Bereich von Sorge und Pflege – Care und Caregiving – wird traditionell der mütterlichen Rolle zugeschrieben. Soziologische Erhebungen zur Famili-enarbeit kommen im Großen und Ganzen zu dem Ergebnis, das die Beteiligung von Männern an der Hausarbeit eher die Ausnahme ist, wobei angemerkt wird, dass typisch männliche Aufgaben im Haus – wie Reparaturarbeiten o.ä. – häufig aus diesen Untersuchungen ausge-spart blieben (Matzner, 1998). Selbst in Partnerschaften mit oder ohne Kinder, in denen Frau-en voll erwerbstätig sind, übernehmFrau-en diese dFrau-en Großteil an Hausarbeit, Väter beteiligFrau-en sich jedoch in zunehmendem Maße an der Kindererziehung – dies gilt allerdings vorwiegend für denjenigen Tätigkeitsbereich, der mit einem Lustgewinn verbunden ist, wie z.B. Spielen (Holz, 2000). Das Rollenbild der Frau hat in vergangenen Jahrzehnten zwar eine enorme Wandlung erfahren, während das der Männer vergleichsweise unverändert blieb (Sorensen, 1990), offensichtlich blieb aber ein Ungleichgewicht bzgl. der Familiearbeit zwischen Frauen- und Männer- bzw. Mütter- und Väterrollen bestehen.

Dennoch gab es in den letzten Jahrzehnten auch bei Männern Veränderungen, so dass heute vom neuen Vater die Rede ist (siehe Matzner, 2004). Auf der anderen Seite wird aber auch vor einer vaterlosen Gesellschaft gewarnt (z.B. bei Blankenhorn, 1995) und eine räumliche und emotionale Distanzierung von Vätern und Kindern konstatiert (Furstenberg, 1988). In den USA stieg der Anteil von Kindern, die bei alleinerziehenden Müttern leben seit den 1950er Jahren von 6% auf 24% an (Furstenberg, 1988). Auch wenn Väter in der Familie leben, sind sie erst die drittwichtigste Vertrauensperson für Jugendlichen, nach der Mutter und Freunden, und schlechter als die Mutter über die Freizeitaktivitäten ihrer jugendlichen Kinder informiert (Matzner, 1998). Im öffentlichen Diskurs erscheint das Bild der familialen Rolle von Män-nern dementsprechend janusköpfig (Mintz, 1998) und aus wissenschaftlicher Sicht wird ge-fragt, ob bei Vätern der Trend zum engagement oder der Trend zum disengagement bedeut-samer ist (Furstenberg, 1988). Angesichts dieser Entwicklungen überrascht es kaum, dass in einer soziologischen Studie der größte Teil der befragten Männer bzgl. ihrer Rolle in der Fa-milie verunsichert war (Zulehner & Volz, 1999).

Die Betreuung kranker Familienmitglieder ist in etwa einem Drittel aller Fälle ausschließliche Aufgabe der Frauen, in zwei Drittel der Fälle teilen sich Paare diese Aufgabe (Gliedner-Simon & Jansen, 1995). Bzgl. der Pflege für psychisch Kranke meint Baronet (1999), dass diese vor allem von Frauen geleistet wird. In Untersuchungen zu Belastung und Aufgaben von Personen, die familiale Pflege leisten, werden überwiegend Frauen befragt (Mathew, Mattocks, & Slatt, 1990). Dennoch wird verschiedentlich diskutiert, ob nicht die überwiegen-de Beschränkung überwiegen-der Forschung auf Frauen selbst Teil überwiegen-des Geschlechterrollenstereotyps von Frauen als Pflegepersonen ist und den Blick auf den Gegenstand entsprechend verzerrt (Miller

& Cafasso, 1992). Möglicherweise unterscheidet sich nicht die Menge, sondern die Form der geleisteten Pflege zwischen Männern und Frauen. Die Forschung zur Bewältigung von Pfle-geaufgaben durch Männer steht allerdings noch am Anfang, wenngleich darauf hingewiesen wird, dass der Anteil von Männern, die informelle pflegerische Arbeit leisten, vermutlich ansteigen wird und dies angesichts steigender Frauenerwerbstätigkeit und sinkender Kinder-zahlen bei steigender Anzahl pflegebedürftiger älterer Menschen auch dringend von Nöten sei (Mathews, Mattocks, & Slatt, 1990; Mays & Lund, 1999).

Tessler & Gamache (2000) fanden in einer Befragung von Angehörigen psychisch Kranker, dass Männer und Frauen sich auch dahingehend unterscheiden, welche Betreuungstätigkeiten sie als besonders belastend empfinden: Für Männer sind eher sorgende pflegerische Tätigkei-ten – Care und Caregiving – und für Frauen eher kontrollierende TätigkeiTätigkei-ten eine Belastung.

Die Autoren vermuten, dass Männer Sorge und Pflege deshalb als belastender erleben, weil diese Tätigkeiten nicht den männlichen stereotypen Rollenanforderungen entsprechen und somit die Geschlechtsidentität in Konflikt mit den Rollenanforderungen gerät.

Generationenambivalenz und Geschlechter- bzw. Familienrollen. In einer Untersuchung von Generationenbeziehungen unter Erwachsenen in gewöhnlichen Familien (Lettke & Lü-scher, 2003; Lüscher & Lettke, 2004) fanden sich keine signifikanten Unterschiede in der Manifestation von Generationenambivalenz zwischen Müttern und Vätern. Eine andere Studie fand bei Töchtern und speziell in der Beziehung von Töchtern zur Mutter erhöhte Werte zur Generationenambivalenz, untersuchte aber nicht die Ambivalenzerfahrungen auf Seiten der Mütter (Wilson, Shuey, & Elder, 2003). Angesichts der unklaren Datenlage stellt sich in je-dem Fall die Frage, ob sich zwischen den Beziehungen von Müttern zu Kindern und von Vä-tern zu Kindern Unterschiede bzgl. der Generationenambivalenz manifestieren, die dünne Datenlage zu Geschlechtsunterschieden in der Pflege und bzgl. der Manifestation von Genera-tionenambivalenz erlaubt allerdings keine eindeutigen Hypothesen.

In Generationenbeziehungen psychisch erkrankter Erwachsener sind auf der Basis von Über-legungen zu Geschlechtsunterschieden in Sorge und Pflege mehrere Effekte auf die Manifes-tation von Generationenambivalenz vorstellbar:

(a) Es erscheint möglich, dass Frauen, wenn sie denn tatsächlich stärker in die Pflege einge-bunden sind, dementsprechend stärker denjenigen ambivalenzgenerierenden Struktur-bedingungen ausgesetzt sind, die sich aus einem Pflegeverhältnis zwischen Eltern und er-wachsenen psychisch erkrankten Kinder ergeben (vgl. Kapitel 6): Frauen könnten Differenzen zwischen sich und den Kindern, die Diskrepanzen zwischen Ist- und Soll-Zustand der Bezie-hung sowie die Oszillation zwischen räumlicher Nähe und Distanz und daraus resultierende Beziehungsdiskontinuitäten deutlicher wahrnehmen und daher stärker zum Erleben von Am-bivalenzen disponiert sein.

(b) Möglicherweise unterscheidet sich nicht die Menge, sondern die Form der geleisteten Pflege zwischen Männern und Frauen und dies hat differenzielle Auswirkungen auf das Erle-ben von Generationenambivalenz bei beiden Geschlechtern.

(c) Vorstellbar ist weiter, dass gerade der Umstand, dass Väter nicht in die Pflege involviert sind und eher eine am Rande der Familie angesiedelte Beobachterposition einnehmen, dazu führt, dass Väter aufgrund der daraus folgenden größeren Distanz die Diskrepanz zwischen

Wunsch und Wirklichkeit in der Generationenbeziehung deutlicher wahrnehmen. Da sie sich aber gleichzeitig hinsichtlich der Lösung oder Verbesserung der Situation hilfloser fühlen, könnten sie stärkere Ambivalenzen gegenüber dem psychisch erkrankten Kind erleben als Mütter.

Wenn sich zwischen Frauen und Männern keine Unterschiede im quantitativen Ausmaß des Ambivalenzerlebens gegenüber dem erkrankten Kind finden, so ist einerseits denkbar, dass Männer und Frauen sich bzgl. der Involvierung in Sorge und Pflege weniger stark unterschei-den, als gemeinhin angenommen wird. Finden sich keine quantitativen, aber qualitative Un-terschiede im Ambivalenzerleben, so könnte dies Hinweise darauf liefern, dass Mütter durch andere Bedingungen zum Erleben von Ambivalenzen gegenüber dem erkrankten Kind ange-regt werden als Väter, sich diese unterschiedlichen Effekte quantitativ jedoch gegenseitig aufheben.

Wenn Väter und Mütter gegenüber dem Kind unterschiedliche Positionen, v.a. in Bezug auf Pflege und Sorge einnehmen, so ist weiter wahrscheinlich, dass sich auch das Ambivalenz-erleben der erkrankten Kinder in der Beziehung zur Mutter von demjenigen in der Beziehung zum Vater quantitativ bzw. qualitativ unterscheidet. Auch hier liegen kaum Ergebnisse vor, die eindeutige Hypothesen rechtfertigen würden. Allerdings hat, wie eine Befragung unter Experten aus Beratungseinrichtungen zeigen konnte (Aymanns & Fillipp, 2000), die Bezie-hung zur Mutter für Personen mit beratungsbedürftigen Problemen höheres Gewicht. Über-tragen auf die Beziehung von psychisch kranken Erwachsenen zu ihren Eltern könnte dies bedeuten, dass jene spezifischen Faktoren, welche in diesen Eltern-Kind-Beziehungen beson-ders zu Ambivalenzerfahrungen disponieren – Differenz trotz hoher Verwiesenheit, Diskre-panzen zwischen Wunsch und Wirklichkeit, Beziehungsdiskontinuitäten – in besonders star-kem Ausmaß in der Beziehung zwischen Kindern und Müttern zum Tragen kommen.

Umgang mit Generationenambivalenzen und Geschlecht. Über Geschlechterdifferenzen im Umgang mit Ambivalenz ist bisher nichts bekannt. Aufgrund der angestellten Überlegun-gen zu Pflege und Sorge stellt sich allerdings die Frage, ob Väter möglicherweise häufiger als Mütter Umgangsstile pflegen, die mit persönlicher Distanz einhergehen. Dementsprechend könnten auch Kinder gegenüber dem Vater häufiger angeben, im Umgang mit Ambivalenzen den Modus der Kaptivation oder der Atomisierung zu wählen.

Beziehungseinschätzung und Geschlecht. Über Unterschiede zwischen Müttern und Vätern in der Qualität der Beziehung zum Kind ist in der Literatur wenig bekannt, da die Väterfor-schung ein relativ neues Gebiet der Sozialwissenschaft ist (vgl. zur Übersicht Fthenakis, 1988; Walter, 2002). Aus der Säuglingsforschung ist bekannt, dass Väter und Mütter sich – entgegen den üblichen Geschlechterrollenstereotypen – nicht in ihrer grundsätzlichen Eig-nung unterscheiden, sensibel auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen (Parke & Sawin, 1976). In welchem Maße sich Väter aber tatsächlich für das Kind engagieren, hängt wohl vor allem von sozialen Bedingungen ab, welche die familiale Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen beeinflussen: Je jünger die Männer, je höher ihre soziale Schicht und je geringer die Anzahl der Kinder, desto stärker waren Väter in der Kinderpflege engagiert, so zeigte eine Studie von Schmidt-Denter (1984). Matzner (1998) berichtet verschiedene Forschungsergeb-nissen, die darauf hinweisen, dass die Beziehung zwischen Vätern und Kindern weniger eng ist als die zwischen Müttern und Kindern.

Aufgrund der dünnen und gemischten Datenlage sind keine Hypothesen zum Geschlechter-vergleich möglich. In der in Abschnitt 8.3 folgenden Ergebnisdarstellung wird dennoch der Frage nachgegangen, wie sich die Beziehung zwischen Müttern und Kindern von der Bezie-hung zwischen Vätern und Kindern sowohl aus der Perspektive der Eltern als auch aus der Perspektive der Kinder unterscheidet. Mögliche Unterschiede zwischen den geschlechtsge-bundenen Familienrollen regen dazu an, über die differenzielle Wirkung der Logik sozialer Beziehungen auf das Erleben von Ambivalenz nachzudenken und sind damit von hypothe-sengenerierendem Wert.

8.2 Fragen zum Geschlechtervergleich