• Keine Ergebnisse gefunden

Ethnographische Dichte im populären Gewand – zur Darstellung des Tanzes der Papuas im Globus

Ethnographie und Realismus in der deutschen Südseeliteratur

4. Ethnographische Dichte im populären Gewand – zur Darstellung des Tanzes der Papuas im Globus

Das letzte Beispiel ist der illustrierten länder- und völkerkundlichen Zeitschrift Globus entnommen, die von 1862–1910 erschien. Der Globus, der bereits sechs Monate nach seiner Gründung eine Aufl agenhöhe von 4.000 Exemplaren erreich-te, war die marktbestimmende Zeitschrift zur populärwissenschaftlichen Vermitt-lung geographischer und ethnographi scher Th emen in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Ab den 1880er Jahre geriet die Zeitschrift in koloniales Fahrwas-ser: 1885 wurde eine eigene Rubrik »Deutsche Schutzgebiete« gegründet und die Informationsvermittlung über andere Länder und Völker kolonial politi schen Ge-sichtspunkten untergeordnet. Ab 1890 verpfl ichtete Richard Andree, der vierte Herausgeber, die Zeit schrift wieder auf ihre anfängliche Zielsetzung, nämlich wis-senschaftliche Ergebnisse von Geographie, Ethnographie und Anthropologie für ein breites Publikum zu popularisie ren. Um 1900 ging die Aufl age des Globus zu-rück und das Blatt wurde 1910 mit der Zeitschrift Petermanns Geographische Nach-richten (1855–2004) verschmolzen. Ein Grund für die Abwendung und Abwande-rung des Publikums dürfte die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts spAbwande-runghaft zuneh mende Verbreitung anderer populärvermittelnder Medien wie Völkerkunde-museum und Völker schau gewesen sein.

Bei dem exemplarisch zu betrachtenden Artikel »Musik und Tanz der Papuas«46 handelt es sich um einen Originalbeitrag des Arztes Otto Schellong. Er hielt sich von Januar 1886 bis April 1888 in Kaiser-Wilhelms-Land, dem heutigen Nord-osten Papua Neuguineas, auf und forschte vor allem über die Verbreitung von Ma-laria.47 Sein Zeitschriftenbeitrag beschränkt sich auf ein Spezial thema der Ethno-graphie, wobei es für den damals noch nicht völlig ausdiff erenzierten Status der Diszi plinen Anthropologie, Ethnologie und Ethnographie nicht unüblich war, dass sich ein Mediziner eines solchen Th emas annahm. Schellong gibt zunächst eine

46 Otto Schellong, »Musik und Tanz der Papuas», in: Globus. Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde 51 (1889), S. 81–87. Dieser Artikel wird im Folgenden im Text als ›SC‹ mit Seitenzahl zitiert.

47 Vgl. Margit Davies, »Das Gesundheitswesen im Kaiser-Wilhelmsland und im Bismarckarchipel«, in: Hermann J. Hiery (Hg.), Die deutsche Südsee 1884–1914. Ein Handbuch, Paderborn u. a. 2001, S. 417–449, hier S. 420. Im April 1886 nahm er auch an einer Forschungsexpedition des Sepik-fl usses unter Kapitän Dallmann teil. Markus Schindlbeck, »Deutsche Expeditionen und Forschun-gen bis 1914«, in: Hiery (Hg.), Die deutsche Südsee, S. 132–155, hier S. 139 f.

Ethnographie und Realismus in der deutschen Südseeliteratur 107 gemeine Beschreibung der Tänze an verschiedenen Orten (Pommern, Neu-Mecklenburg, Lauenburg-Gruppe). Die Musik illustriert er mit 18 Notenbeispie-len papu a nischer Melodien. Er berichtet, dass er sich die Melodien wieder und wieder habe vorsingen lassen, bis er sie habe notieren können. Was die zugehörigen Texte und deren Überset zung betriff t, gibt er zu, dass noch viel Sprachforschung zu betreiben sei, auch um die Aussagen der Informanten überprüfen zu können. Im Unterschied zu den anderen beiden Beispielen gibt der Autor also Rechenschaft über seine Methode und die Quellen.

Die Musik der Papuas beurteilt Schellong im Allgemeinen als wenig melodiös, die Verbindung der Töne als inkonsequent und die Rhythmen als ermüdend. Davon hebt er Musik und Tanz der Papuas in Finschhafen, der heutigen Tami-Gegend auf Papua Neuguinea ab. Diese zeichneten sich durch »eine eigenartige Grazie und Ge-wandtheit« und einen »Sinn für Schönheit« aus (SC 86). Bevor der Autor die Tänze beschreibt, refl ektiert er auf die Schwierigkeit, »bei dem Leser auch nur annähernd das Bild hervorzurufen [...], welches der Wirklichkeit entspräche« (ebd., Hervorh.

G.D.). Zu einem realistischen Bild gehöre nach seiner Aussage »die eigen artige Sze-nerie eines Eingeborenendorfes im Mondschein und Fackelbeleuchtung, glitzernde Palmen, rauschender Urwald, schrillende Cicaden und anderes, was man mehr emp-fi ndet als wahrnimmt« (SC 86).

Schellongs eigentliche Beschreibung beginnt mit Schmuck und Ausstattung der Tänzer und Tänzerin nen, wobei er darauf hinweist, dass die Frauen nur zu Beginn mittanzten und später die Rolle des Chors und des Publikums übernähmen. Die Schilderung ist anschaulich und detailreich: weiße Kakadufedern und hahnenkam-martiger Kopfputz, Armringe aus Gräsern, Hüft schmuck aus Zweigen und Blät-tern bei den Männern, wippende Turnüren und Faserschürze bei den Frauen, Be-malungen im Gesicht und an den Unterschenkeln. Zur Illustration weist der Autor auf die Ausstellung eines solchen Federschmuckes im Berliner Museum für Völker-kunde hin, das drei Jahre vor Erscheinen des Artikels die Tore für das Publikum ge-öff net hatte. Im Anschluss daran widmet sich Schellong der Beschreibung von Choreographie und Bewegungsabfolgen, wozu er sogar eine eigene Notation ent-wirft und in einem Schaubild erläutert: In den beiden Zwischenräumen tummeln sich »je zwei Tänzer in kühnen Sprüngen« (SC 87), während sich die in drei Reihen aufgestellten Tänzer auf der Stelle oder nur unmerklich vor- und zurück bewegten.

Hinsichtlich eines zweiten Schaubildes erfährt die Leserschaft, dass die zwei zu zwei aufgestellten Reihen sich schräg gegenüberstehen. Die beiden Solotänzer würden sich außerhalb zweier vorgestellter Linien »tanzend und gestikulierend« bewegen, sich dann jeweils an die Spitze einer Reihe stellen und diese um eine andere herum-führen. Dabei verschieben sich die Linien im Wechsel, bilden zwischenzeitlich ei-nen Kreis usw. Die Bildbeschreibung dient der zusätzlichen Veranschaulichung des Ablaufs eines Tanzes. Sie liefert Detailfülle, ohne zu ermüden.

Hat Schellong anfangs die Bedeutsamkeit der Stimmung für die Tänze betont, welche meist zwölf Stunden von vor Sonnenuntergang bis vor Sonnenaufgang

an-108 Gabriele Dürbeck

dauerten, so unterfüttert er seine analytische Beschreibung auch mit einer Deu-tung des Ausdrucks, die durch bestimmte rhetorische Mittel an Überzeugungs-kraft gewinnen soll. Den Zweck dieser Tänze sieht der Autor im Liebeswerben.

Dieses werde am häufi gsten als Werben zweier Vögel dargestellt. Es heißt: »man sieht, wie der Hahn die Henne umkreist und glaubt dabei den Schlag des gespreiz-ten Flügels zu hören; wie der nebenbuhlerische Kämpe mit geschwollenem Kam-me auf dem Platz erscheint; wie sie sich necken, verfolgen, fl iehen, kämpfen«. Die Beschreibung gipfelt schließlich in folgenden Ausrufen: »Welch Gewandtheit in den Bewegungen! Wie meisterhaft verstehen es die Tänzer, das Haupt in den Na-cken zu werfen, den Körper bald rechts bald links zu wenden [...], sich dann wie-der ganz nahe zur Erde vorn zu beugen! Bei alledem, welch natürliche Grazie und reizvolle Ursprüng lichkeit!« (SC 87)

Im Unterschied zur distanzierten Sprache des übrigen Beitrages wird in diesen Sät-zen Unmittelbarkeit erzeugt. Das einleitende »man sieht« wird synästhetisch erweitert durch das »man glaubt zu hören«. Ein Asyndeton (»necken, verfolgen, fl iegen kämp-fen«) und elliptische Exklamativsätze sollen die außergewöhnliche Dynamik der ge-schilderten Tanzbewegungen unterstreichen. Das Vokabular in Wendungen wie »na-türliche Grazie« und »reizvolle Ursprünglichkeit« knüpft dabei an exotistische Topoi an. Es werden Darstellungskonventionen des Redens über die Südsee übernommen.48 Zugleich wird eine Nähe zum Imaginationsraum des Publikums aufgebaut, wenn es etwa heißt, dass die Tanzbewegungen »am meisten an unser modernes Ballett«

(SC 87) erinnern würden, oder dem Publikum derselbe Genuss bei einer Völker-schau49 mit papuanischen Tanz versprochen wird: »Sollte sich im Lauf der Zeit ein Hagenbeck fi nden, der einen Papuaner-Trupp nach Deutschland führte, so würden solche Tanz bilder überall Erstaunen und Entzücken erregen« (SC 86).50 Die Schilde-rung bedient sich erprobter populärwissenschaftlicher Strategien wie

48 Dies markiert schon ein Absatz am Anfang des Beitrages: »Die Abende werden mir unvergeßlich bleiben, wo bei vollem, bleichen Mon deslicht die dunkelbraunen Gestalten unserer neupommer-schen Arbeiter um ein nur matt glimmerndes Feuer gestreckt lagen und mit leiser Fistelstimme ihre langgezogenen schwermüthigen Weisen vor sich hin summten, die so sehr harmonirten mit der Träumerei und dem duftigen Hauche einer tropischen Nacht« (SC 81).

49 Zur Völkerschau exemplarisch genannt seien Hilke Th ode-Arora, Für Fünfzig Pfennig um die Welt.

Die Hagenbeckschen Völkerschauen, Frankfurt a. M., New York 1989; Anne Dreesbach, Gezähmte Wilde. Die Zurschaustellung ›exotischer‹ Menschen in Deutschland 1870–1940, Frankfurt a. M., New York 2005.

50 Die Kluft zwischen dem ethnographisch Fremden und dem Eigenen wird – um mit Cliff ord Ge-ertz zu reden – durch zwei Darstellungs topoi überbrückt: zum einen dadurch, dass der Autor glaubhaft macht, mit eigenen Augen gesehen zu haben, also wirklich vor Ort gewesen zu sein, so dass er die andere Lebensform durchdrungen haben könne; zum anderen versucht er die Leser-schaft davon zu überzeugen, dass sie an seiner Stel le dasselbe empfunden hätte, was er empfand.

Vgl. Cliff ord Geertz, Die künstlichen Wilden. Der Anthropologe als Schriftsteller, München, Wien 1990, S. 23 f.

Ethnographie und Realismus in der deutschen Südseeliteratur 109 keit, Verständlichkeit, Bezug zum Alltag des Publikums, Reduktion von Detailfülle, Illustration und Unterhaltung.51

Schellongs Beitrag kann den damaligen Stand ethnographischer Forschung do-kumentieren. Er klärt über seine Voraussetzungen und Methoden auf – Befragung von Einheimi schen, Vorsingen lassen, mehrmaliges Überprüfen der Notenbeispie-le, Aufzeichnung der Melodien und Choreographien –, gibt Rechenschaft über seine mangelnden Sprachkenntnisse, so dass die Bedeutung bestimmter kultureller Praktiken unerklärt bleiben müsse, nimmt Bezug auf andere wissenschaft liche Ar-tikel und grenzt seinen Untersuchungs gegenstand genau ein, indem er die Ausprä-gung indigener Praktiken nach Orten unterscheidet.

Dabei scheut er sich nicht vor deutlichen Wertungen, die das für die damalige Völkerkunde typische Selbstverständnis der überlegenen Position voraussetzt.52 Dies mag bereits der erste Satz seines Beitrages verdeutlichen: »Es dürfte wohl kaum ein Volk der Erde geben, das nicht – es möge im übrigen auf noch so niedri-ger Bildungsstufe stehen – doch schon die ersten Anfänge der Musik ausge bildet hätte.« (SC 81) Mit der Betonung der Ursprünglichkeit werden die Papuas in die Anfänge der als Fortschrittsgeschichte konzipierten Kulturanalyse verbannt, die nach dem damaligen sozialevolutionären Paradigma der Ethnologie auch zur ideo-logischen Rechtfertigung des deutschen Kolonialismus diente.53

Auf den ersten Blick ist bei Schellong das Exotistische an den Rand gedrängt und einer ana ly tischen Beschreibung gewichen. Der Wille zum Wissen führt zur Darstellungsform dekontextualisierter Noten. Das dadurch entstandene Sinndefi -zit füllt Schellong dann aber doch wieder in einer Sprache, die alle Bestandteile des Exotismus aufweist, jedoch nicht mehr mit Zivilisationskritik oder Eskapismus verbunden wird. Festzuhalten ist hier, dass erstens das Atmosphärische als wesent-licher Teil der Wirklichkeit aufgefasst wird, und dass zweitens bei der Vermittlung dieses Atmosphärischen auf Begriffl ichkeiten zurückgegriff en wird, die unpräzise und abgegriff en sind und daher ins Klischeehafte abgleiten.

51 Vgl. dazu Andreas W. Daum, Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert. Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche Öff entlichkeit, 1848–1914, München 1998, insbes.

S. 249–257.

52 Die »Überlegenheitsthese« in den Äußerungen über die außereuropäische Welt prägte die Aussa-gen deutscher und britischer Popularisatoren der Völkerkunde gleichermaßen. Angela Schwarz, Der Schlüssel zur modernen Welt. Wissenschaftspopularisierung in Großbritannien und Deutschland im Übergang zur Moderne (ca. 1870–1914), Stuttgart 1999, S. 347.

53 George Stocking Jr., »Die Geschichtlichkeit der Wilden und die Geschichte der Ethnologie«, in:

Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft 4 (1978), S. 520–535, hier S. 258 f.

110 Gabriele Dürbeck

5. Fazit

In der Analyse der drei unterschiedlichen Beispiele populärer und populärethno-graphischer Reisetexte ist in deren Darstellung ethnopopulärethno-graphischer Sachverhalte Fol-gendes deutlich geworden:

1. Da es sich in den untersuchten Beispielen jeweils um populär ausgerichtete Tex-te handelt, wird man an nehmen dürfen, dass sich diese in der DarsTex-tellung eth-nographischer Realien an den Erwar tungen der Zeit orientierten und sich in der Authentifi zierung des Fremden im Rahmen der Konventionen hielten, um als überzeugend zu erscheinen.

2. In allen drei Texten ist die ethnographische Beschreibung, die zu damaliger Zeit für realistisch gegolten haben mag, mit exotistischen Ele men ten verbunden. In Gerstäckers Tahiti wird statt einer eingehenden Beschreibung des tradi tionellen Tanzes dessen ›Wildheit‹ herausgestellt. So aktuell die Schilderung der histori-schen Situation gewesen sein mag, so wenig präzise ist die Darstellung ethnogra-phischer Sachver halte. Der aufgezeigte (Vulgär-)Rousseauis mus verdankt sich der Unschärfe im Detail (Begräbnis nach ›alter Sitte‹). Wenn sich die ›ethnographi-sche Erzählweise‹ des Überseeromans in der Zusam menstellung von wenigen Re-quisiten erschöpft, ohne ein Gefl echt von Bedeutungen herzu stellen, ist die für das Genre konstatierte »auf Genauigkeit und Aktualität zielende Erzählweise«54 in dem untersuchten Text nur äußerst bedingt zu fi nden. Man kann sogar soweit gehen, zu sagen, dass in dieses Sinnvakuum weltphiloso phische Programme wie das des Rous seauismus (und später des Darwinismus) rücken, worin Wider-sprüche und Ambiva lenzen der Moderne einge schmolzen sind.

3. Sempers Reisememoiren liefern einerseits detaillierte ethnographische Informa-tionen (z. B. über das Clansystem), die bei Zeitgenossen Anerkennung fanden.

Andererseits bedienen sie den nämlichen Rousseauismus, wenn sie von einer temporären Verschmelzung mit der Kultur der ›wil den nack ten Freunde im stil-len Ocean‹ erzähstil-len; denn über die subjektive Empfi ndung hinaus bringen sie keine Erklärung und Kontextbildung der Hintergründe und der Bedeutung der Tanzzeremonie. Zugleich ist Sempers zwitterhafter Text aufschlussreich, weil die Rezeptionsge schichte der Reiseerlebnisse einen Einblick in die veränderbaren Kri-terien für eine glaubhafte ethnographische Darstellung gibt. Das going native, von Semper und Kubary noch zur Gewinnung von authentischen Informatio-nen propagiert, war einem Ethnologen wie Augustin Krämer um 1900 höchst suspekt, nicht weil dieser an der Authentizität des Dargestellten gezweifelt hätte, sondern weil er den Verlust der Distanz zum Untersuchungsobjekt zum Kardi-nalfehler erhob. Aus postkolonialer Sicht erscheint die Authentifi zierungsstrate-gie eines angeblich gleichberechtigten Dialogs zwischen Palauern und Europä-ern mehr als fragwürdig, off enbart sie doch die bekannte Asym metrie, wenn die

54 Maler, »Exotische Realienschau«, S. 5.

Ethnographie und Realismus in der deutschen Südseeliteratur 111 Aussagen der Einheimischen durch den Missbrauch der Grammatik degradiert werden.

4. In dem Beispiel von Schellong schließlich können wir die Problematisierung der Realismus kategorie selbst vorfi nden. Einerseits liefert der Beitrag eine recht detail lierte, jedoch abstrakte und dekontextualisierte Analyse von Choreogra-phie, Ausstattung und Musik der Tänzer in Finschhafen, welche damali gen wissen schaftlichen Stan dards genügte. Andererseits wird die wissenschaftliche Beschreibung dann doch wieder eingekleidet in exotistische Klischees und die Betonung des Atmosphä ri schen, welche eine Darstellung der kontextuellen Wirklichkeit liefern sollen.

5. Abschließend lässt sich sagen, dass in der populären und populärethnographi-schen Südseeliteratur des Realismus der Versuch und der Anspruch einer detail-lierten Beschreibung‹ kultureller Praktiken zwar vorhanden ist – und im Urteil der Zeitgenossen sogar als realisiert gilt. Dabei unterliegt Realistik veränderli-chen Kriterien. Exotische und abenteuerliche Elemente galten für Gerstäckers und Sempers Zeitgenossen fast schon als notwendige Brise für die Darstellung kultureller Alterität, vor allem was die Inszenierung indigener Tänze betriff t. Aus heutiger Perspektive zeigt sich indessen, dass in solchen Inszenierungen weitge-hend exotische Topoi und Klischees reproduziert werden, die wenig Aufschluss über die ethnographischen Zusammenhänge geben können. Wenn man erwar-tet, dass die populäre Reiseliteratur des Realismus als Refl exionsmedium der zeitgenössischen Ethnographie und Anthropologie zu einer detaillierten Ver-mittlung kultureller Praktiken führt, wird diese Erwartung enttäuscht. Vielmehr erscheint es so, dass fi ktionale und populärwissenschaftliche Literatur einen gemeinsa men kul turellen Resonanzboden teilen, aus dem sie ihre Glaubwürdig-keit beziehen. Durch dauernde Wieder holung wird er Teil des Hintergrundwis-sens, das den Kontext bildet, in dem eine neue Erfah rung beurteilt und als ›rea-listisch‹ erklärt wird.

Es wäre interessant zu untersuchen, ob sich dieser Befund auch für die popu-läre Reiseliteratur über andere außereuropäische Länder bestätigen lässt.