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Aufgenommen während einer Reise in den Orient in den Jahren 1840 und 1841 (F.W. Hackländer)

Torsten Hahn (Hagen)

Im Zentrum der folgenden Ausführungen steht Friedrich Wilhelm Hackländers Rei-se in den Orient – ein ReiRei-sebericht, der zuerst 1842 unter dem Titel Daguerreotypen.

Aufgenommen während einer Reise in den Orient 1840 und 1841 bei Krabbe in Stutt-gart erschienen ist. Offi zieller Finanzierungsgrund der Reise ist die Suche nach ara-bischen Pferden für das Gestüt des König Wilhelm I.; der Schriftsteller und spätere Herausgeber von Über Land und Meer reist als Begleiter des Oberstallmeisters Wil-helm Baron von Taubenheim. Aber den späteren Erfolgsschriftsteller führt noch et-was anderes in den Orient, über das unmittelbar seine Autobiographie und sein Ro-manwerk und mit weiterem Fokus ein Programm des Literatursystems, das in beide eingewandert ist, Aufschluss geben. Mit Blick auf Letzteres wird Hackländers Reise-beschreibung als literarische Anschlusskommunikation lesbar, die im Zeichen des Programms der Verschmelzung westlicher und östlicher, d. i. ›orientalischer‹ literari-scher Formen steht – ein Programm, für das insbesondere Goethes West-östlicher Di-van literaturgeschichtlich einschlägig geworden ist. Allein die Evolution literarischer Kommunikation im Sinne etwa stilgeschichtlicher oder epochenprogrammatischer Entwicklungen und Diff erenzen zu beobachten, würde hier zu kurz greifen, denn die verkehrstechnische und mediale Umwelt dieser systemspezifi schen Anschlusskom-munikation ist eine grundlegend andere als die der 10er bzw. 20er Jahre des 19. Jahr-hunderts. Den Eff ekten, die die sprunghafte Evolution der Kommunikations- und Speichermedien in der literarischen Kommunikation zeitigt, werde ich im Folgen-den in Hackländers Reisebeschreibung nachgehen.

Erfi ndungen wie der elektrische Telegraf, das Dampfschiff und die Eisenbahn sorgen ab 1840 für eine Beschleunigung, die als Kommunikationsrevolution des 19. Jahrhunderts auf den Begriff gebracht wurde, wobei der Begriff »Communica-tion« – im Sinne des 19. Jahrhunderts – sowohl die Mittel und Wege der Bewe-gung von Informationen als auch der BeweBewe-gung von Menschen und Gütern be-zeichnet.1 Der beispiellosen Beschleunigung der Transmission tritt eine neue,

1 Die Übernahme der Schreibweise bietet sich zur Unterscheidung des weiteren Begriff s, der neutral ge-genüber dem ist, was bewegt wird, von dem Kommunikationsbegriff des elektrischen Zeitalters an.

Marshall McLuhan hat eben diese semantische Verengung zum Punkt erklärt, von dem aus sich das elektrische Zeitalter beobachten lasse: Demnach sei die uns heute geläufi ge Einschränkung der

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ebenso revolutionäre Art der Speicherung zur Seite. Um 1840 werden spektakuläre Bilder populär: Es beginnt das Zeitalter eines neuen optischen Mediums, der Foto-grafi e. Die nach ihm benannten Daguerreotypen, die Luis Jacques Mandé Da-guerre ab 1837 anfertigt, unterscheiden sich von der späteren Fotografi e zwar noch dadurch, dass sie sich nicht reproduzieren lassen, aber es sind Bilder, die durch Be-lichtung einer lichtempfi ndlichen Platte entstehen – scheinbar ohne dass sich ein Künstler und damit ästhetischer Formwille zwischen Objekt und Abbild schöbe.

Diese zugespitzte Aussage verkürzt sicherlich die in der Folge der Popularisierung der Innovation anhebende und nicht zuletzt für den Realismus einschlägige Dis-kussion um die Frage, ob die Fotografi e in die Klasse der ästhetischen Objekte ge-höre – aber gerade die Auff assung, dass sich im Jodsilber der Platten das Reale jen-seits des Subjekts einzuschreiben begönne, ist die Voraussetzung für eine epistemische Konfi guration, die als Epoche der Objektivität2 einschlägig geworden ist. Mit der Geschichte der Fotografi e beginnt die Geschichte des Zeitalters der Objektivität, worauf zurückzukommen ist.

Hackländers Reisebeschreibung ist gerade deswegen interessant, weil sie an der Schnittstelle tiefgreifender kommunikationstechnischer sowie epistemischer Um-stellungen angesiedelt ist. Sie führt ein Programm aus einer Epoche der Medien- und Verkehrstechnik fort, die 1840 endet; ihre Möglichkeitsbedingung und ihren Darstellungsimperativ bezieht sie aber aus der Epoche der technischen Medien und der beschleunigten Kommunikation. Das Eckdatum der Epoche des elektrischen Zeitalters – 1840 erhält Morse das Patent auf seinen Telegrafen, der sich in der Fol-ge Fol-geFol-gen alle Konkurrenz durchsetzen wird3 – ist zugleich das Datum des

Reise-weite des Begriff s ein semantischer Eff ekt des Einschnitts, den die Einführung des elektrischen Telegra-fen um 1840 (und zuvor die Versuche mit dem optischen TelegraTelegra-fen) produziert habe. Erst danach konnte die semantische Festlegung des Kommunikationsbegriff s auf Information einsetzen und erst mit dem Telegrafen konnte die Ausgrenzung der Infrastruktur des Transports und Verkehrs einsetzen:

»It was not until the advent of the telegraph that messages could travel faster than a messenger. Before this, roads and the written word were closely interrelated. It is only since the telegraph that informati-on has detached itself from such solid commodities as stinformati-one and papyrus [...]. Th e term ›communica-tion‹ has had an extensive use in connection with roads and bridges, sea routes, rivers, and canals, even before it became transformed into ›information movement‹ in the electric age. Perhaps there is no more suitable way of defi ning the character of the electric age than by fi rst studying the rise of the idea of transportation as communication, and then the transition of the idea from transport to information by means of electricity.« Marshall McLuhan, Understanding Media. Th e extensions of man, London 2001, S. 97.

2 Vgl. zur Geschichte des wissenschaftlichen Paradigmas ›Objektivität‹ Lorraine Daston, Peter Gali-son, Objektivität, Frankfurt a. M. 2007.

3 1840 ist das üblicherweise zur Markierung der Epoche der Beschleunigung verwendete Datum; von diesem Zeitpunkt an sind weitere Innovationen wahrscheinlich bzw. zu erwarten. Vgl. z. B. den Bei-trag von Jorma Ahvenainen zur Kommunikationsrevolution des 19. Jahrhunderts: »Th e telegraph, like railways and steamships, is one of the means of communication which were invented or constructed in the period of 1850 to 1913. Th e feature common to all of them was that they defi nitely increased the speed of communication but nowhere more so than in the transmission of information after the

Objektive und ›ideale‹ Bilder 177 beginns, und diese Spannung zweier Epochen fi ndet ihren Niederschlag in der Rei-sebeschreibung.

Einen ersten und zentralen Unterschied markieren die Verkehrsmittel der Wahl.

Die literarische Hybridisierung westlicher und orientalischer Formen war zu Zei-ten der Romantik von einer Negation des Raums im Imaginären abhängig. Der Transfer in den Orient war gedankenschnell, unter Umständen zeigte einzig ein Adverb an, dass es ihn überhaupt gab. Die Reise ohne Zeitverlust wurde zur Bedin-gung der gelingenden Verschmelzung. In diesem Sinne heißt es in Goethes Ankün-digung des West-östlichen Divans im Morgenblatt für gebildete Stände von 1816:

Der Dichter betrachtet sich als einen Reisenden. Schon ist er im Orient angelangt. Er freut sich an Sitten, Gebräuchen, an Gegenständen, religiösen Gesinnungen und Meinungen, ja, er lehnt den Verdacht nicht ab, daß er selbst ein Muselmann sei. In solchen allgemeinen Verhältnissen ist sein eignes Poetisches verwebt [...].4

Wenn nicht, wie bei Goethe, das Medium der Reise, die die Voraussetzung der west-östlichen Textur ist, komplett ignoriert wird, ist die Luft der Verkehrsweg der Wahl. Imaginäre Flüge in den Orient sind zu dieser Zeit keine Seltenheit. Einen solchen Flug zwecks Realisierung des west-östlichen Programms unternimmt etwa August Graf von Platen. Seiner Gedichtsammlung Ghaselen von 1821 stellt er fol-gendes voran: »Du, der nie gewagt zu fl iegen / Nach dem Orient, wie wir, / Laß dies Büchlein, laß es liegen, / Denn Geheimnis ist es dir.«5

Im Imaginären ist die fl uggleiche Reise also bereits fest etabliert und poetisch wirksam. Die Frage ist: Was passiert, wenn das im Imaginären erfolgreiche Pro-gramm im Gepäck eines Orientreisenden in die realen Kommunikationsbahnen des anbrechenden Weltverkehrs gerät – eines Orientreisenden zudem, der sich ganz dem neuen Imperativ der Objektivität verpfl ichtet fühlt? Dieser unwahrscheinli-chen und eben deswegen interessanten Konstellation werde ich im Folgenden nachgehen.

Meine Auseinandersetzung mit der Reise des heute weitgehend vergessenen Er-folgsschriftstellers gliedert sich in drei Teile: Ich werde erstens die Form skizzieren, die das Programm der Verschmelzung westlicher und orientalischer Formen – das selbst Teil der Ablösungsbewegung von der Klassik und ihren Vorgaben ist – in

introduction of the telegraph in about 1840.« Jorma Ahvenainen, »Th e Role of Telegraphs in the 19th Century Revolution of Communications«, in: Michael North (Hg.), Kommunikationsrevolutionen.

Die neuen Medien des 16. und 19. Jahrhunderts, Köln u. a. 22001, S. 73–80, hier S. 73.

4 Johann Wolfgang von Goethe, Werke, Hamburger Ausgabe, Bd. 2: Gedichte und Epen II, hg. von Erich Trunz, München 1991, S. 268.

5 August von Platen, Werke, Bd. 1, hg. von Jürgen Link, München 1982, S. 242. Vgl. zu diesen Flügen den Beitrag von Andrea Polaschegg, »Der Flug in die Fremde – der Flug in die Dichtung. Zu einer po-etischen und hermeneutischen Denkbewegung um 1800«, in: Hartmut Böhme (Hg.), Topographien der Literatur. Deutsche Literatur im transnationalen Kontext, Stuttgart 2005, S. 648–672.

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nachromantischer Zeit annimmt, mich zweitens Hackländers Beobachtungen von Verkehr und Informationsbewegung zuwenden und drittens auf den unmöglichen Wunsch, objektiv zu sein, eingehen.

I.

Die reale Reise in die Region, die geographisch dem imaginären Konstrukt ›Orient‹

entspricht, hat eine lange Vorgeschichte. Diese reicht bis weit in die Jugendjahre des Schriftstellers zurück; davon berichten Hackländers Autobiographie Der Ro-man meines Lebens von 1878 sowie der autobiographisch gefärbte RoRo-man Handel und Wandel, der zunächst 1843/44 im Morgenblatt für gebildete Leser und dann 1850 als Buch erscheint. Die autobiographische Erzählung und die poetische Ma-trix, die Goethe im Morgenblatt, das zu dieser Zeit noch gebildete Stände und nicht, wie nach 1837, standesneutral gebildete Leser adressierte, entfaltet hat, verbindet sich mit den besonderen Lebensumständen Hackländers. Dies sorgt für eine Refor-mulierung bzw. Verschiebung, lässt den Impuls zur Verwebung der Formen von Ost und West aber intakt.

Die besonderen Umstände seiner individuellen Biographie lässt Hackländer um 1850 in den Roman Handel und Wandel einfl ießen. Der Text präsentiert zunächst einmal die Beschreibung einer Kaufmannslehre im kleinstädtischen Umfeld. Für die literarische Darstellung wird diese zunächst unspektakuläre Lehrzeit attraktiv, da sie von einer Diff erenz geprägt ist, die den Erzähler einerseits zum Opfer eines Gelächters von epischen Ausmaßen macht und andererseits als typischen bürgerli-chen Romanhelden ausweist:

[I]ch erzählte dem Doktor zu seinem großen Ergötzen, daß ich immer beim Anblick von Kaff ee und Zucker an die fernen Meere gedacht, und von wunderbaren Ländern geträumt, mit denen ich durch den Spezereihandel in, wenn auch indirekte Verbin-dung trete. Diese poetische Idee mit der Prosa des Reißmehlschen Hauses [also seines Lehrhauses, T.H.] zusammengehalten, schien ihm gar komisch, und er brach [...] in ein homerisches Lachen aus.6

Dies ist nichts anderes als, in Hegels Worten, »[e]ine der gewöhnlichsten und für den Roman passendsten Kollisionen«, nämlich »der Konfl ikt zwischen der Poesie des Herzens und der entgegenstehenden Prosa der Verhältnisse«.7 Diese Poesie des Herzens wird von den Produkten des Welthandels stimuliert, die beständig in Reichweite bleiben und so dafür sorgen, dass sich der Held von Gelächter nicht

6 Friedrich Wilhelm Hackländer, Handel und Wandel, hg. von Taro Breuer, Jena 2003, S. 53.

7 G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik III, in: ders., Werke, Bd. 15, hg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt a. M. 1970, S. 393.

Objektive und ›ideale‹ Bilder 179 entmutigen lassen wird, auch wenn selbst das mit »Hinaus in die Welt« betitelte 24. Kapitel des Romans ihn nicht weiter als bis nach Wuppertal führen wird. In Wuppertal arbeitet er aber in einem Kontor, das mehr zu bieten hat als nur Kaff ee und Zucker. Die Etiketten der im Warenlager gespeicherten Erzeugnisse mischen sich mit der Phantasie des verhinderten Agenten des Weltverkehrs; zum Realen der Genussmittel tritt mit den Etiketten ein zwar kleinformatiges, aber dennoch wirk-sames Medium des Imaginären, also der »optischen Illusionen«8:

Neben den Stoff en selbst machten mir auch die Etiquetten, die an denselben hingen, angenehmen Zeitvertreib. Hier war ein Schiff zu sehen mit vollen Segeln, welches gera-de in gera-der kleinen Bucht eines fernen Welttheils anlegte. […] [S]chlanke Palmen und Brodbäume nickten über den Ufer-Rand. Gott wer das einmal in Wirklichkeit ansehen könnte! [...] Hatte ich dort das wirkliche Meer gesehen, so erblickte ich auf Zeugen, die aus Kameelhaaren gemacht waren, lange Caravanen-Züge, die durch ein unendliches Sandmeer zogen. […] [W]ie oft war ich dem Kameel durch alle Straßen gefolgt, auf welchem der kleine rothe Aff e saß und hatte sehnlich gewünscht, es möge mir nur ein-mal vergönnt sein, das Land zu sehen, in welchem diese Th iere wild umherspringen.9 Hackländer belauscht »Dinge, die von fremden Nationen in weit entfernten Län-dern erzählten«10 und nutzt »die Etiketten, die daran hiengen, zur Erklärung sowie zur Steigerung [seiner] Phantasie«.11 Die zunächst noch durch Waren und Bilder stimulierte Einbildungskraft wird aber bald autonom. Im Kontext einer günstigen Gelegenheit, die das Subjekt isoliert und von den äußeren Anlässen seiner orienta-lischen Phantasien trennt, zeigt sich, dass Hackländers Einbildungskraft nichts braucht als eine Projektionsfl äche. So gelingt der Sprung in den märchenhaften Orient bald, dies berichtet Hackländer in seiner Autobiographie Der Roman meines Lebens von 1878, ohne dass die Dinge ihre Geschichten noch beisteuern müssten.

Während einer Erkrankung, mit der ein Fieber einhergeht, wird der jugendliche Kaufmannsgehilfe zum fi ktiven Erzähler im Kontext eines für die Erzählungen aus Tausendundeine Nacht typischen Rahmens: Das west-östliche Formprogramm nimmt Gestalt an und wird konkret. Die Wirkung der europäisierten Märchen-sammlung und ihres Bildes vom märchenhaften Orient auf die europäische Litera-tur sind wohl kaum zu überschätzen. Daher lässt sich sagen, dass Hackländers

8 Friedrich Kittler, Grammophon. Film. Typewriter, Berlin 1986, S. 28. Vgl. auch ebd.: »Klar fallen die methodischen Distinktionen einer modernen Psychoanalyse zusammen mit technischen Distinktio-nen der Medien.« Diese Zuordnung der Medien übertrage ich im Folgenden auf die Medien, von de-nen Hackländers Texte erzählen.

9 Hackländer, Handel und Wandel, S. 210 f. Die Passage fi ndet sich fast wortgleich auch in Hackländers Autobiographie. Vgl. Friedrich Wilhelm Hackländer, Der Roman meines Lebens, 2 Bde., Stuttgart 1878; hier Bd. 1, S. 67.

10 Hackländer, Der Roman meines Lebens, Bd. 1, S. 66.

11 Ebd., S. 67.

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knüpfen des eigenen Poetischen mit orientalischen Formen, obwohl er nicht auf persische Lyrik des 14. Jahrhunderts zurückgreift, wie dies in Goethes west-östli-cher Dichtung der Fall ist, einen Formationsraum dichteriswest-östli-cher Phantasie eröff net, der, was das Verweben mit allgemeinen Verhältnissen betriff t, kongruent zu dem des Divan ist. Auch der junge Hackländer versucht sich auf dieser Grundlage im Ver-fl echten westlicher und östlicher Geschichten; er sei, so das Ich der Autobiogra-phie, in seiner Phantasie zu einem Erzähler geworden, der die Märchensammlung um eine Geschichte bereichert. Die Prosa der Verhältnisse eines kargen Krankenzim-mers wird so umgeformt, dass eine perfekte Kulisse für das Amalgamieren von Ge-schichten entsteht. Die Kargheit des Zimmers wird zur Projektionsfl äche, auf der die eigene und die fremde Erzählung verschmolzen werden können. Mit Blick auf die »grauen Kalkwände des weiten und öden Gemaches« sei die entscheidende

»Idee« gekommen: »Warum soll ich mir das, und sei es auch nur zu meiner Unter-haltung, nicht anders vorstellen und in meiner Phantasie so umformen können, daß ein Gemach daraus entstünde, wie solche, von denen ich schon in Märchen-büchern gelesen.«12 Diese Idee wird sofort ausgeführt – und zwar mit Erfolg. Wei-ter heißt es in Der Roman meines Lebens:

Die Wände farbenprächtig, die Decke vergoldet, statt des kleinen Fensters ein solches mit hohen Bogen und vor demselben Palmen und andere fremdartige Bäume im Win-de rauschend. – Und diese Verwandlung vollzog sich rasch, leicht und vollständig, ja, ich vermochte es, das Gemach mit Bewohnern zu bevölkern, mit einem alten Musel-manne, der einen langen schneeweißen Bart hatte und über allerlei Schuldige und Un-schuldige zu Gericht saß, die beste Art, zuletzt auch mich selbstredend einzuführen, denn nachdem alles mögliche Volk, Kameeltreiber und Wasserträger, Melonenverkäu-fer und entlaufene Sklaven abgeurtheilt waren, winkte mir der ehrwürdige Muselmann vorzutreten und mich zu entschuldigen, daß ich in den Garten des Emir So und So ein-gestiegen sei und Pfi rsiche genascht habe. – »Kannst du das leugnen?« – »Nein, erhabe-ner Richter, aber die Noth trieb mich dazu, denn es hungerte mich.« – »Wie kommst du überhaupt in dieser fremdländischen Kleidung zu uns? Erzähle mir deine Geschich-te.« Und dann begann ich von meiner Kindheit zu sprechen, von dem, was ich Alles schon erlebt und erlitten, wie ich den Muth gefaßt, fremde Länder aufzusuchen, mich einer Karawane angeschlossen, die von Räubern überfallen worden war, vor denen ich mich durch die Flucht gerettet, weiter und immer weiter gelaufen sei, bis [i]ch endlich hungrig und durstig Pfi rsiche im Garten des stolzen Emirs geraubt.13

Hier wird die Erzählung von der Kindheit, die als Kaufmannsroman Handel und Wandel auf dem Buchmarkt einschlägig werden und nicht zuletzt Gustav Freytag in-spirieren wird – und so wohl stilbildend für diese Spielart realistischen und damit

12 Ebd., S. 72.

13 Ebd., S. 72 f.

Objektive und ›ideale‹ Bilder 181 nes typisch westlichen Erzählens genannt werden darf –, im orientalischen Rahmen artikuliert. Das Ich wird zum Helden einer weiteren Erzählung in der selbst heteroge-nen Märchensammlung. Dieser Bericht wird durch die imaginären Reisen, deren Me-dium die Etiketten waren, angereichert. Im Rahmen der Fiktion lässt sich in die Mär-chenwelt des »Morgenland[es]«14 aus Tausendundeine Nacht bruchlos eine weitere Erzählung einweben, die selbst eine Mischung aus dem Kindheitsbericht des Kauf-mannsromans und den imaginären Reisen, deren Medium die Etiketten waren, ist.

Es soll aber eben nicht bei halluzinierten Reisen bleiben: Dafür sorgen ein Ober-stallmeister und die Möglichkeiten der Epoche des Weltverkehrs. Hackländer bricht 1840 in den Orient (und zwar tatsächlich in den Projektionsraum) auf. Ei-gentliches Ziel der Reise ist der Ankauf von arabischen Pferden zwecks Veredelung des heimischen Gestüts – eine biologische Variante der west-östlichen Formkreu-zung. Das erste literarische Produkt des Unternehmens ist der Reisebericht Daguer-reotypen. Aufgenommen während einer Reise in den Orient in den Jahren 1840 und 1841 von 1842. 1846 erscheint die zweite verbesserte Aufl age des Textes unter dem ebenso knappen wie, was neue Medientechnik betriff t, referenzlosen Titel Reise in den Orient. Auf die Diff erenz der beiden Fassungen – die direkt mit dem Titel und dem bereits angesprochenen Anspruch auf Objektivität verknüpft ist, werde ich im Anschluss an die folgenden Ausführungen zur Beschleunigung und der Crux aller Kommunikation eingehen.

II.

In seiner Autobiographie erzählt Hackländer auch die Vorgeschichte seiner realen Reise in den Orient – und wir begegnen in der entsprechenden Passage sowohl der Sehnsucht nach der notorischen östlichen Wiege der Poesie als auch der für die Epoche vor 1840 einschlägigen Reisemetapher, deren Leistung darin besteht, den Raum zu negieren. Schon bei der Ankündigung, dass Taubenheim sich entschlos-sen habe, ihn mitzunehmen, sei, so erzählt Hackländer, der gerade auch zufällig an-wesende Schriftsteller August Lewald ins Träumen geraten: »Lewald war gerade zu-gegen und sagte lächelnd: ›Das wäre Etwas für mich, Aufsehen machend im deutschen Buchhandel – ›ein Flug in den Orient‹ von August Lewald.«15 Auch

In seiner Autobiographie erzählt Hackländer auch die Vorgeschichte seiner realen Reise in den Orient – und wir begegnen in der entsprechenden Passage sowohl der Sehnsucht nach der notorischen östlichen Wiege der Poesie als auch der für die Epoche vor 1840 einschlägigen Reisemetapher, deren Leistung darin besteht, den Raum zu negieren. Schon bei der Ankündigung, dass Taubenheim sich entschlos-sen habe, ihn mitzunehmen, sei, so erzählt Hackländer, der gerade auch zufällig an-wesende Schriftsteller August Lewald ins Träumen geraten: »Lewald war gerade zu-gegen und sagte lächelnd: ›Das wäre Etwas für mich, Aufsehen machend im deutschen Buchhandel – ›ein Flug in den Orient‹ von August Lewald.«15 Auch