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Galante Distanz versus empfindsame Einfühlung? – Forschungspositionen Galante und empfindsame Romane verfolgen jeweils unterschiedliche Aussage- und Galante und empfindsame Romane verfolgen jeweils unterschiedliche Aussage- und

III VORBEMERKUNGEN ZUR ANALYSE

2. Die Erzählsituation: Vermittlungsstrategien in den Romanexten

2.1 Galante Distanz versus empfindsame Einfühlung? – Forschungspositionen Galante und empfindsame Romane verfolgen jeweils unterschiedliche Aussage- und Galante und empfindsame Romane verfolgen jeweils unterschiedliche Aussage- und

Erzählabsichten, so kann zunächst festgehalten werden. Während der galante Roman vor allem ein Verhaltens- und Interaktionsmodell für seine Leser zur Darstellung bringt, geht es dem empfindsamen Roman um die Artikulation von Gefühlen und um ihre Reflexion. In dieser Verschiedenheit kommen zentrale Merkmale zum Ausdruck, die eine Zuordnung zur jeweiligen literarischen Strömung überhaupt erst möglich machen. Damit verbunden ist immer auch die Berücksichtigung der genretypischen Erzählhaltungen. Dass die Gegenüberstellung von hetero- und homodiegetischen Erzählinstanzen sowie die Untersuchung des Anteils an Figurenrede und Perspektivierung nicht zwangsläufig nur im Hinblick auf das spezifisch Galante respektive Empfindsame aussagekräftig ist, sondern auch in Bezug auf etwaiges moralphilosophisches Gedankengut, sollen die folgenden Ausführungen und die sich anschließenden Analysen zeigen.

Es sind vor allem die Unterschiede, die durch einen Blick in die Forschung immer wieder deutlich werden. So werden als zentrale Genremerkmale des empfindsamen Romans zumeist Schlüsselbegriffe wie „Einfühlung“ und „Authentizität“ genannt, charakteristisch sei mithin der Einblick ins Innere der Figuren, so dass grundsätzlich von einer großen Unmittelbarkeit und Subjektivität gesprochen wird. Hergeleitet wird diese Ansicht nicht selten durch die Abgrenzung zu älteren Romanformen591, wie etwa dem „heroisch-galanten Roman des Barock“, der „lediglich ein typisierend gezeichnetes, entindividualisiertes Figureninventar“592 kenne.

Während die Figurenperspektive in den galanten Romanen demnach als unterrepräsentiert angesehen wird, wird für die Empfindsamkeit dezidiert auf die Unmittelbarkeit des Erzählten

591 Friedrich Sengle etwa geht soweit, von einer „Roman-Revolution“ zu sprechen, Friedrich Sengle:

Aufklärung und Rokoko in der deutschen Literatur. Heidelberg 2005, S. 145. Er stellt unter anderem auf eine größere Einheitlichkeit und Subjektivierung als Resultat der Entwicklung des Romans ab, ebd. S. 146:

„Im heroisch-galanten Roman wurden die Einzelheiten in einer eisernen Konstruktion zusammengezwungen. Jetzt geht es um den inneren Zusammenhang.“ Bei Grimminger: Roman, S. 642f., heißt es: „Psychologisierung der Figuren zum ‚Charakter‘ und Verinnerlichung der Erzählweise zu Einfühlung und Illusion beginnen den Roman ab der Jahrhunderthälfte langsam zu prägen, sie verändern aber nicht die Thematik, sondern nur die Erzählformen und die Stoffe des überlieferten Abenteuers.“

592 Sikander Singh: Das Glück ist eine Allegorie. Christian Fürchtegott Gellert und die europäische Aufklärung. München 2012, S. 121. Unter Bezugnahme auf die Opposition zwischen Adel und Bürgertum schreibt Singh weiterhin zu diesem Aspekt: „Die Darstellung der Prüfung und endlichen Bewährung eines den höfischen Idealen der Tugend und stoischen Beharrlichkeit verpflichteten Helden, wie sie im älteren heroischen und heroisch-galanten Roman verwirklicht wurde, wich den Ansprüchen eines neuen, bereits dem wachsenden Einfluß der bürgerlichen Schichten geprägten Zeit sowie deren Wunsch, die eigenen Ideale als wirkliche Begebenheiten im Spiegel der Dichtung wiederzufinden.“ Ebd., S. 122.

137 abgestellt, wie etwa im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft als germanistisches Grundwissen nachzulesen ist. So seien die Romane der Empfindsamkeit auf „sympathetische Identifikation mit den Figuren angelegt“593. Mit dem Stichpunkt „Identifikation“ ist ein wesentlicher Aspekt angesprochen, um den es dieser Arbeit bestellt ist, es geht um eine bestimmte Wirkung – sogar Wirkungsabsicht – die dem empfindsamen Roman inhärent ist. In diesem Zusammenhang hält etwa Louis-Gonthier Fink fest: „Als grundlegendes Moment der Wirkungsästhetik erschien die Illusion des Lesers. Darum galt es, die Distanz zwischen den Figuren und dem Publikum […] zu reduzieren, damit es sich in ihnen wiedererkennen und mit ihnen zu identifizieren vermöge“594. Etwaige Aussageabsichten der Romane sollten also durch die Herstellung der Nähe zwischen Erzähltem und Leser gewährleistet werden – dies gilt nicht nur für das spezifisch Empfindsame, sondern darüber hinaus im Hinblick auf einen bestimmten Umgang mit den Affekten, wie hier zu zeigen sein wird595. Fink spricht weiter von einer

„subjektiven Erzählweise“, die in drei unterschiedlichen Varianten des Erzählens zum Ausdruck gekommen sei: in der „Ich-Erzählung“, in der „Briefsammlung“ und dem „Tagebuch“596:

„Dominierte anfangs der Ich-Roman, so fand der Briefroman bald eine größere Verbreitung und wurde im 18. Jahrhundert zur beliebtesten Gattung empfindsamer AutorInnen, nachdem er durch zahlreiche historische und fiktive Briefsammlungen des späten 17. Jahrhunderts […] vorbereitet worden war.“597 Diese Kategorisierung ist zumindest für die vorliegenden empfindsamen Romane einschlägig: Gellerts Roman arbeitet mit einer Ich-Erzählerin, La Roches Text hingegen ist ein Briefroman (der auch Tagebucheinträge enthält). Zentraler Gemeinplatz dieser Formen ist die Tatsache, dass ihnen ein Fokus auf die Figurenrede, mithin auch auf die Figurenperspektive, zugrunde liegt.

Wie wesentlich die Perspektiven der Figuren für die empfindsame Erzählung grundsätzlich sind, macht bereits die Beobachtung deutlich, dass Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim hauptsächlich aus drei unterschiedlichen Standpunkten erzählt wird598. Authentizität und Unmittelbarkeit können dabei aus der Verwendung der Briefe in der Erzählung abgeleitet werden,

593 Viering: Art. Empfindsamkeit, S. 440.

594 Louis-Gonthier Fink: Lektüre der Romanhelden im empfindsamen europäischen Roman (1731 1774).

In: Wolfang Adam/ Markus Fauser (Hrsg.): Geselligkeit und Bibliothek. Lesekultur im 18. Jahrhundert.

Göttingen 2005, S. 65. Fink geht in seinen Erläuterungen sowohl vom französischen empfindsamen Roman als später auch vom englischen Briefroman aus.

595 Dass die Identifikation vor allem durch Rührung gewährleistet wird, stellt etwa auch Judith Frömmer:

Vaterfiktionen. Empfindsamkeit und Patriarchat in der Literatur der Aufklärung. München 2008, S. 50, heraus: „Empfindsame Lektüre impliziert eine Form des Rollenspiels. In der Rührung und ihrem humoralen Komplement der empfindsamen Träne, wo sich physischer und geistiger Affekt treffen, wird die Tugend dem Rezipienten buchstäblich einverleibt.“ Ebd. heißt es zudem über die Identifikation des Lesers: „Erst die einfühlende Lektüre stellt die Analogie romanesker Illusion und fiktionsinterner Wirklichkeit her; die Identifikation des Lesers ergibt sich aus einer Interpretation der vom Text produzierten Affekte im Leser.“

596 Vgl. Fink: Lektüre der Romanhelden, S. 71.

597 Fink: Lektüre der Romanhelden, S. 72.

598 Gerade der empfindsame Roman habe zur „Ausbildung innovativer personaler Erzählverfahren […]

(polyperspektivischer Briefroman)“ beigetragen. Vgl. Heinz: Art. Empfindsamkeit, S. 188.

138 durch die „jede auktorial erzeugte Distanz zwischen Leser und Held/in bzw. Briefeschreiber/in wegfällt“599. Gerade die Briefform mache es möglich, „seelische Zustände und Vorgänge (scheinbar) unmittelbar zu vergegenwärtigen“ und sei „eben dadurch im 18. Jahrhundert als Medium der Selbsterkundung und Selbstaussprache und des Ausdrucks subjektiver Authentizität besonders beliebt“600 geworden. Es wird stets auf die Eigenschaft des Briefromans verwiesen, dem Leser unterschiedliche Sichtweisen zu präsentieren, denn die „Handlung entwickelt sich jetzt aus den synchronen brieflichen Berichten mehrerer Beteiligter, so daß der Autor oder auch nur ein Erzähler völlig hinter dem sich quasi selbst präsentierenden Geschehen verschwindet.“601 Dahingegen stellen Untersuchungen zum galanten Roman immer wieder eine auktoriale Erzählinstanz fest, die nicht selten mit einer Distanzierung zum Erzählten in Verbindung gebracht wird602. So verweist etwa Barthel, die ihre Ergebnisse ebenfalls durch Einzeltextanalysen galanter Romane gewinnt, darauf, dass das Geschehen „in der Regel extern fokalisiert [sei]; zu Innenperspektiven der Figuren gibt der Erzähler kaum Auskunft, explizite Erzählerkommentare sind in den untersuchten Texten vor 1700 selten“603. Sie hält fest: „Formen einer subjektivistische [sic] Darstellungsweise (wie innerer Monolog, Bewusstseinsstrom, aber auch die auktoriale Explikation von Empfindungen und Emotionen) zählen nicht zum Ausdrucksrepertoire des galanten Romans.“604 Tatsächlich ist die Schilderung der Innenperspektive der Figuren weniger ausgeprägt als etwa im darauf ausgelegten empfindsamen Roman, die Erzählinstanzen haben tatsächlich meist eine „Vogelperspektive“. Zudem ist ebenfalls nicht zu bestreiten, dass die Funktion der Erzählinstanz dabei im Zeichen der Vermittlung des Galanterie-Modells gesehen werden muss605. Dies schließt allerdings nicht aus, dass Gefühle und Gedanken der einzelnen Figuren für den Leser nachvollziehbar gemacht oder überhaupt erst erzählt werden. Vielmehr

599 Jeßing: Kleine Geschichte des deutschen Romans, S. 55. Im Hinblick auf die Briefstruktur wird zudem auf die Richardson-Tradition verwiesen, wie etwa bei Volker Meid: Von der Frühen Neuzeit bis zur Aufklärung, S. 109: „Zwar gab es durchaus Vorläufer, aber erst die aus der Arbeit an den Briefstellern erwachsenen Romane Richardsons machten Schule.“

600 Meid: Geschichte des deutschsprachigen Romans, S. 109.

601 Allerdissen: Der empfindsame Roman, S. 189.

602 Vgl. etwa Barthel: Gattung und Geschlecht, S. 23. Florian Gelzer stellt für die Gattung des galanten Romans eine „distanzierte[] auktoriale[] Diegese“ fest und weist darauf hin, dass es wohl keinen einzigen galanten Roman gebe, der „in Ich-Perspektive oder konsequente[r] interne[r] Fokalisierung auf eine Romanfigur“ geschrieben sei. Vgl. Florian Gelzer: Thesen zum galanten Roman, S. 388.

603 Barthel: Gattung und Geschlecht, S. 24. Siehe hierzu, ebenfalls unter einem genderorientierten Blick, bereits Gallas und Heuser, die eine „Veränderung der Rolle der Frau in der Literatur“, die im höfisch -historischen und galanten Roman vor allem „wichtiges Movens“ der Handlung gewesen sei, feststellen, Gallas/ Heuser: Untersuchungen zum Roman von Frauen um 1800, S. 4: „Ihre Gefühle und Ideen wurden von außen, aus der Sicht des männlichen Helden oder des auktorialen Erzählers beschrieben. Dagegen kam es jetzt [ab Richardson, S.Z.] auf die subjektiven Empfindungen der Heldinnen an, auf ihr Seelenleben, auf ihr ‚Herz‘.“

604 Barthel: Gattung und Geschlecht, S. 23.

605 Siehe grundsätzlich zur Vermittlung des Galanteriekonzepts durch galante Romane das Kapitel zum galanten Roman in dieser Arbeit. Ein konkretes Beispiel etwa liefert auch Steigerwald in einer Analyse zu Hunolds Roman Verliebte und Galante Welt, Steigerwald: Galanterie, S. 398: „Die deiktische Darstellung wird folglich an die Diegese der Erzählstimme rückgebunden, die autoritativ die Galanterie vorstellt und die soziale Praxis der galanten Figuren nicht nur hervorbringt, sondern auch in der Darstellung vorführt.“

139 wird zu zeigen sein, dass die vorliegenden galanten Romane mit einer Nullfokalisierung arbeiten, die gerade an Stellen der Gefühlsdarstellung eine Konzentration auf bestimmte Figurenperspektiven zulassen kann und dass somit eine Fokussierung auf die Darstellung der Affekte stattfindet. Mehr noch, es wird sich zeigen, dass auch ein Wechsel hinsichtlich der Stimme zu konstatieren ist, indem die Erzählinstanz das Wort oftmals an die Figuren abgibt, wenn es um die Formulierung respektive die Reflexion von Gefühlen geht oder um die Diskrepanz zwischen eigentlicher Intention und ausgeführter Handlung. Diese beiden Phänomene sind nicht selten in Kombination zu beobachten: Der Perspektivwechsel – oder zumindest die Berücksichtigung einer bestimmten Figurenperspektive – und der Wechsel von Erzählerrede zu Figurenrede haben Auswirkungen auf die Distanz. Der Fokus des Lesers wird an solchen Stellen auf die Situation der betreffenden Figuren gelenkt, in der es gerade auf die Gemütsverfassung und den Umgang mit den eigenen Affekten ankommt, um die geschilderte Situation zu bewältigen. Die Funktion, moralphilosophisches Gedankengut zu vermitteln, wird mithin in den galanten Texten sowohl durch einen (bewertenden) narrativen als auch einem der Veranschaulichung dienenden dramatischen Modus gewährleistet.

Im Folgenden werden die konkreten Erzählsituationen zunächst mit Blick auf etwaige Rezeptionslenkungen in den Blick genommen. Diese grundlegende Beschreibung und der daraus resultierende Überblick sollen als Grundlage für die im Anschluss folgende durch das Bewährungsschema gegliederte Analyse (genauer die Paradigmen Annäherung, Bedrängung/Bewährung/ Vereinigung) der Darstellung von Affekten und Verhaltensweisen in den Romanen dienen.

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