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III VORBEMERKUNGEN ZUR ANALYSE

3. Die Protagonistin als zentrales Strukturelement

3.2 Die Autonomie der weiblichen Hauptfigur

Den vier Protagonistinnen ist im Hinblick auf ihre Konzeption zusätzlich gemein, dass sie allesamt durch männliche Bezugspersonen erzogen wurden. Während bei Adalie und Bellamira eine Mutter noch nicht einmal erwähnt wird, schreibt die Gräfin, dass sie ihre Eltern schon in den

„zartesten Jahren“ verloren habe. Ihren Vater beschreibt sie mit einem einzigen Satz, der sich zudem auf Informationen bezieht, die nicht auf eigenen Erfahrungen, sondern auf Berichten anderer beruhen719. Ihr Vetter ist es, der als männlicher Verwandter ihre Erziehung übernimmt.

Der Sternheim-Roman ist der einzige überhaupt, in dem ein Fokus auf die Elterngeneration gelegt wird, wobei auch in Sophies Fall die Mutter früh stirbt720, ihren Vater verliert sie im Alter von 19 Jahren721. Entscheidend ist, dass die zu untersuchenden weiblichen Hauptfiguren als Bezugspersonen vor allem Väter oder männliche Verwandte haben. Eine Mutter, die als aktives, weibliches Vorbild dienen könnte, fehlt den jungen Protagonistinnen oder wird der väterlichen respektive männlichen Beziehung nachgeordnet. Dies ist bemerkenswert in Bezug auf die Autonomie, die durch diesen Aspekt in die Anlage der Figuren eingeschrieben wird. Mit Blick auf die Sittenlehre fällt insbesondere bei näherer Betrachtung der Vätergeneration auf, dass einige bei Thomasius formulierte Grundsätze durch ihre Ansichten oder ihr Verhalten erkennbar werden.

Diese beziehen sich in den ausgewählten Texten entweder auf die Partnerwahl oder aber auf die Beschreibung der Voraussetzungen für die Glückseligkeit.

Besonders Adalies Verhältnis zu ihrem Vater kann für den Nachweis der Vermittlung der Annahmen aus der Sittenlehre fruchtbar gemacht werden, der vorliegend in einem engen Zusammenhang mit der durch die Erziehung forcierten Selbstständigkeit der weiblichen Figur steht. Ihre Beziehung wird vom Text positiv konnotiert, grundsätzlich lässt Brion seiner Tochter die freie Entscheidung über ihre Lebensgestaltung. So wird zu Beginn geschildert, dass mehrere Kavaliere um die Gunst Adalies bei Brion werben, Adalie jedoch „nicht den geringsten Trieb in ihren Hertzen zu einer Vermählung“722 fühlte. Sie bittet ihren Vater, sie nicht zu einer Verbindung zu zwingen; Brion reagiert verständnisvoll:

Wiewohl nun Brion diese Entschuldigung im Anfange nicht wolte vor zulänglich halten/ so urtheilte er doch als ein gütiger und verständiger Vater/ daß gezwungene Heyrathen selten so viel Glückseligkeit zum Brautschatz haben/ als wo die Liebe beyderseits die Hertzen zu einen süssen Ja nöthiget/ und wolte dannenhero einer

719Gellert: Schwedische Gräfin, S. 9: „Meine Eltern sind mir in den zartesten Jahren gestorben, und ich habe von meinem Vater, einem Livländischen von Adel nichts weiter erzählen hören, als daß er ein rechtschaffener Mann gewesen ist und wenig Mittel besessen hat.“

720 Vgl. La Roche: Sternheim, S. 47: „Seine Gemahlin hatte ihm eine Tochter gegeben, welche sehr artig heranwuchs und von ihrem neunten Jahr an (da Sternheim das Unglück hatte, ihre Mutter in einem Wochenbette zugleich mit dem neugebornen Sohn zu verlieren) der Trost ihres Vaters und seine einzige Freude auf Erden war […].“

721 Vgl. La Roche: Sternheim, S. 49.

722 Hunold: Adalie, S. 4f.

177 Persohn nicht so strenge Gesetze vorschreiben/ die er wegen ihrer wunderwürdigen Eigenschafften zugleich lieben und ehren muste […].723

Inhaltlich reformuliert Brion hier einen elementaren Grundsatz der Sittenlehre, indem er auf die freiwillige Übereinstimmung der Gemüter hinweist, die allein zur Glückseligkeit führe. Dass diese Einstellung als nachahmungswert gelten kann, wird durch die Erzählinstanz deutlich, indem sie Brion als „gütige[n] und verständige[n] Vater“ bezeichnet; die Gesetze hingegen, auf die er verzichtet, werden als „strenge“ und nicht etwa als angemessen oder akzeptabel bezeichnet. Dabei gibt die Erzählinstanz Brions Argument zumindest in indirekter Rede wieder, so dass die Formulierung „daß gezwungene Heyrathen selten so viel Glückseligkeit zum Brautschatz haben/

als wo die Liebe beyderseits die Hertzen zu einen süssen Ja nöthiget“ fast wie eine Regel anmutet, die es zu beachten gilt. Der Lehrsatz, ein bestimmtes moralphilosophisches Wissen, wird hier also, wie in den Poetiken gefordert, an einem konkreten Beispiel präsentiert. Brion als liebender Vater kann dabei als eine Figur gelesen werden, die Berührungspunkte mit der Lebenswirklichkeit des Rezipienten hat.

Ferner zu berücksichtigen ist, dass dieser Grundsatz bereits zu Beginn des Romans formuliert und somit als Motivation für das Handeln der Protagonistin etabliert wird. Dass die Übereinstimmung der Gemüter als Prinzip bei der Partnerwahl vermittelt werden soll, legt zudem die Beobachtung nahe, dass die durch Brion formulierte Ansicht nur kurze Zeit später im Text nochmals thematisiert wird, als der Kavalier Renard bei Brion um Adalies Hand anhält. Brion willigt zunächst ein, jedoch unter Vorbehalt, er wolle zuerst seine Tochter dazu befragen724. Tatsächlich ist Adalies eigene Entscheidung ausschlaggebend, um die von Brion erwünschte Verlobung nicht eingehen zu müssen:

Allein was kann nicht ein einziger Thränen einer liebreichen Tochter? Adalie bathe ihn so wehmüthig um die Aenderung seines Entschlusses/ da er auch vor dißmahl davon abstunde und nur darauf bedacht war/ wie er Renarden mit einer guten Manier zu gleichen Gedancken bringen mochte.725

Brion kann den Wunsch seiner Tochter nicht abschlagen. Das Mittel zur Überzeugung ist hier eine einzige Träne – Entscheidungsgrundlage für den Vater ist also die Rührung und das Mitgefühl für seine Tochter, die ihn „wehmüthig“ bittet. An dieser frühen Stelle im Roman wird die Autonomie Adalies wiederholt zum Ausdruck gebracht; zusätzlich sind die Träne und die Wehmut Mittel,

723 Hunold: Adalie, S. 5. Während die Beziehung zwischen Adalie und Brion hier als liebe- und rücksichtsvoll beschrieben, Brion als „gütiger und verständiger Vater“ bezeichnet wird, endet dieser Satz mit dem Hinweis darauf, dass er seine jüngere Tochter Barsine „ins Closter versperret/ damit Adalien der Reichthum allein zufallen möchte.“ Die Aufmerksamkeit und der liebevolle Umgang zwischen Vater und Tochter lässt sich also zunächst nur zwischen Adalie und Brion feststellen. Dass Adalie alle Güter zukommen sollen, unterstreicht ihre hervorgehobene Stellung innerhalb des Romans. Diese Ungleichbehandlung unter den Schwestern könnte als ‚Investition‘ Brions in die Tochter mit dem größeren Potenzial gelesen werden.

724Vgl. Hunold: Adalie, S. 41: „Doch hatte er [Brion] sich dieses vorbehalten/ daß er auch Adaliens Willen hierüber vernehmen möchte […].“

725 Hunold: Adalie, S. 49.

178 diese Autonomie nicht gegen den eigenen Vater durchsetzen zu müssen, und stellen (wie auch später als Phänomene der Empfindsamkeit) die Kennzeichen der Vater-Tochter-Beziehung dar.

Gefühle bestimmen das Verhalten sowohl des Vaters als auch der Tochter und nicht etwa soziale oder gesellschaftliche Erwägungen. Grundsätzlich wird eine Erziehung zur Eigenständigkeit erkennbar, die vom Text nicht nur beschrieben, sondern auch als positiv gewertet wird726. Während Adalie als Ausnahmegestalt unabhängig von Rosantes und somit als eigenständige Person eingeführt wird, wird die Selbstständigkeit der Protagonistin in Bohses Roman auf den ersten Blick weniger offensichtlich präsentiert. Bellamira wird in Bezug auf ihren Geliebten Alexander eingeführt, als dessen „schöne Braut“ (s.o.); die erste handlungsrelevante Entscheidung im Text wird zudem von Alexander getroffen, der sie nach einem Erdbeben in Neapolis „mit sich in Sicherheit“727 nimmt. Der Schluss liegt nahe, Bellamira sei von Alexander gerettet worden, ihre Verstandestätigkeit und ihr Geschick im Hinblick auf zu bewältigende Situationen, in denen sie ohne einen männlichen Begleiter Entscheidungen treffen muss, werden im Romaneingang noch nicht benannt. Obgleich beide galanten Texte medias in res beginnen und die Liebesbeziehung als den Ausgangspunkt der Handlung etablieren, ist in diesem Aspekt ein Unterschied zu erkennen.

Adalie wird als eigenständige Person mit Regierungsqualitäten beschrieben, während Bellamira nicht als einzelne Figur in den Blick genommen wird, sondern in ihrer Funktion als weiblicher Part eines Liebesverhältnisses. Die Autonomie der weiblichen Hauptfigur ist in Hunolds Romanbeginn deutlicher artikuliert als in Bohses – dies ändert sich jedoch bereits kurz nach der Exposition in der Bellamira. Nach der Trennung von ihrem geliebten Alexander, die sogleich erfolgt, wird Bellamira sich gegenüber dem wollüstigen König Carl durch kluges und geschicktes Verhalten selbst zu helfen wissen. Sobald Bellamira auf sich allein gestellt ist, handelt sie eigenverantwortlich und ohne männlichen Beistand728. Die Trennung von ihrem Geliebten fordert dieses Verhalten demnach heraus, wie sogleich im Verlauf der ersten Bewährungssituation sichtbar wird, als Bellamira sich bewusst gegen ihren Vater stellt. Denn Don Pedro, Bellamiras Vater, erwartet anders als Brion durchaus von seiner Tochter, dass sie sich von seinen heiratspolitischen Erwägungen leiten lässt. Während Adalie und ihr Vater in einem Gespräch über ihre Wünsche und Pläne beraten, trifft Bellamira in ihrer Not ohne Konsultation ihres Vaters eine Entscheidung. Bedeutsam ist, dass der Text einen inneren Zwiespalt diesbezüglich schildert, nachdem für Bellamira klar ist, dass alle von ihr vorgebrachten Argumente gegenüber dem sie

726 Eine weitere Stelle, in der Brion auf eine autoritäre, patriarchalische Position verzichtet, ist diejenige, in der Adalie ihn bittet, mit der Herzogin Mommerancy an die deutschen Höfe reisen zu dürfen: „[…] und weil es Adalien [sic] eintziger Wunsch war/ gab Brion seinen Willen endlich nicht sonder Schmertzen drein/

daß er auf diese Art beyde geliebteste Töchter verliehren solte.“ Hunold: Adalie, S. 102.

727 Bohse: Bellamira, S. 2.

728 Ähnliches stellt Barthel in ihrer vergleichenden Untersuchung von Bohses Constantine und Rosts Atalanta als „Reisende Hauptfiguren“ fest, vgl. Barthel: Gattung und Geschlecht, S. 302ff. So habe Bohse seiner „galanten Frauenfigur eine bemerkenswerte Selbstständigkeit“ verliehen, als diese nach einem Schiffbruch die Reise nicht abbricht. Zudem konstatiert sie: „Der Schutz eines männlichen Begleiters spielt in der Figurenkonzeption keine Rolle.“ Ebd, S. 303.

179 begehrenden König Carl diesen nicht von der Verbindung abbringen können. Denn nachdem der Erzähler im narrativen Modus729 die Zwangslage Bellamiras gewissermaßen sachlich dargelegt hat, fragt sich Bellamira, ob sie ihren Vater zu Rate ziehen oder ohne sein Wissen heimlich fliehen soll730. Für die Wiedergabe ihrer Überlegungen wechselt der Text in den dramatischen Modus, der Rezipient erhält einen unmittelbaren Einblick in die Gedankengänge der Protagonistin:

Solte er aber ja meine Beständigkeit gegen Alexandern sich gefallen lassen/ und mein Ausweichen befördern helffen/ dürffte ihn solches hernach bey dem König in grosse Ungnade setzen/ welche ich doch lieber alleine in meiner Unschuld ertragen will/ als daß ich mein gantzes Hauß durch zugestossenes Schicksall zugleich mit beschwere.731

Es findet eine Abwägung statt, die Argumente für und wider den Einbezug ihres Vaters in ihre Entscheidung werden wörtlich wiedergegeben und somit für den Rezipienten nachvollziehbar gemacht. Zum einen möchte sie ihren Vater nicht zum Mitwisser über ihr Widersetzen machen und ihm somit die Ungnade des Königs ersparen, zum anderen jedoch fürchtet sie, er könne sich

„aus Ehrfurcht blenden lassen/ sein dem Hertzog [Alexander, S. Z.] gegebenes Wort wieder zurück zu nehmen“732 und sie dazu auffordern, Carl anstelle von Alexander zu heiraten. Ihr fehlt also das Zutrauen in ihren Vater, ihre eigene Entscheidung zu unterstützen, so dass sie ohne sein Wissen flieht. Genau diese Konstellation beobachtet Barthel in einem weiteren Roman Bohses, in seiner Ariadne, und konstatiert, es sei „bedeutsam“, dass „die Wahl des Partners auf der persönlichen Entscheidung der Protagonistin fußt. Mit der Flucht widersetzt sich Ariadne offensiv der ständisch-dynastischen Heiratspolitik, verstößt gegen höfische Verhaltenskonventionen und verweigert sich der Autorität des Königs und ihres Vaters.“733

Der weitere Erzählverlauf bestätigt diese Einschätzung Bellamiras: Don Pedro wird zu Carl gerufen, der sich dessen Hilfe für das Werben um Bellamira erhofft. In dieser Situation zeigt sich Don Pedro als unterwürfig:

Don Pedro, dem die Ehrfurcht bereits allzusehr in seinen Gedancken liebkosete/

nahme dieses Erbiethen mit Freuden auf; er bekennete/ daß er so hoher Königlicher Gnade allzuunwürdig/ doch grosse Fürsten wären als Sonnen auf dieser Welt […] und weil ihm ihre Majestät den gnädigsten Befehl ertheilet/ seiner Tochter dieses hohe Glück zu hinterbringen/ wolte er damit nicht seumen […].734

Die den Text bestimmende Nullfokalisierung ermöglicht es hier, auch Don Pedros Perspektive aufzuzeigen. Eindeutig wird er als majestätshörig charakterisiert, er ist bereit dazu, seine Tochter

729Vgl. Bohse: Bellamira, S. 41: „Diese Warnung hinterließ der erzürnte König der bestürtzten Bellamira, die nach seinem Abschiede vor allzu hefftiger Gemüths=Verwirrung gar nicht bey sich selbst mehr ware/

und vor allzu grosser Menge der Gedancken sich nicht recht besinnen kunte/ was sie eigentlich dachte. Sie blieb bey einer guten Stunde in so unordentlichem Zustande/ biß sie sich endlich wieder erholete […].“

730 Vgl. Bohse: Bellamira, S. 41f.

731 Bohse: Bellamira, S. 42.

732 Bohse: Bellamira, S. 42.

733 Barthel: Gattung und Geschlecht, S. 353.

734 Bohse: Bellamira, S. 50.

180 einem König zu versprechen, obwohl er bereits in die Verlobung mit Alexander eingewilligt hatte.

Nachdem er Bellamira nicht mehr antrifft, sondern nur einen Brief von ihr vorfindet, heißt es:

„Schmertzte ihn die genommene Flucht seines Kindes/ so dachte er mit ziemlicher Furcht daran/

wie viel Ungnade solches Unterfangen ihm und seinen gantzen Hause auf den Hals ziehen würde.“735 Er empfindet Bellamiras Entscheidung als „thörichte Unbesonnenheit“736, Güte und Verständnis werden ihm, anders als Brion, vom Text nicht zugeschrieben, für ihn zählt nicht die Übereinstimmung zweier Gemüter, sondern die politische Dimension einer Verbindung.

Bellamira muss allein für ihre Liebe einstehen und sich gegen ihren Vater durchsetzen. Ihre Autonomie wird dabei durch das innerfamiliäre Hindernis für ihre freie Liebeswahl besonders in Szene gesetzt – auch das Wort ihres Vaters stellt eine der im Titel angekündigten „Liebes=Proben“

dar. Dabei wird Bellamira als kluge und verständige Person rezipierbar, die auch die Reaktionen ihrer Mitmenschen zu antizipieren weiß. Um jeden Preis schützt sie die für den Roman zentrale Korrespondenzrelation mit dem tugendhaften Alexander, die letztlich „wohl=belohnt“ sein wird.

Dabei werden die einzelnen Figurenperspektiven, die Vorgänge in ihrem Inneren, durchaus erzählt, so dass von einer externen Fokalisierung keine Rede sein kann.

Mit Blick auf die Konzeption trägt das Verhältnis zum Vater in beiden galanten Romanen zur Autonomie der weiblichen Hauptfigur bei. Insgesamt scheint diese Anlage der Figuren als eigenständig handelnde Personen durchaus den zeitgenössischen Romankonventionen zu entsprechen, wird etwa auch Barthels Ergebnis für die weiblichen Figuren des von ihr untersuchten Korpus‘ auf den Punkt bringt:

Zudem streiten sie für eine freie Liebeswahl und sind nicht bereit, sich ständischen Heiratskonventionen zu beugen. Um die persönliche Liebeswahl zu verteidigen, verweigern sie bewusst den Gehorsam gegenüber dem Vater oder den Eltern. Damit ignorieren sie patriarchale Familien- und Autoritätsstrukturen sowie ständische Heiratskonventionen.737

Damit – und dies ist eine wichtige Voraussetzung für die nachzuweisende Vermittlungsfunktion – seien die Protagonistinnen trotz damit verbundener Provokationen „durchgängig als positive Identifikationsfiguren gestaltet“738. Gerade also die Autonomie hinsichtlich der eigenständigen Wahl eines Liebespartners und die Unabhängigkeit vom elterlichen Urteil wird durch die positiv gezeichneten weiblichen Hauptfiguren betont. Der Entschluss für einen bestimmten Liebespartner wird in den Romanen zudem durchweg als erstrebenswert geschildert, wie nicht zuletzt das Ende in Glückseligkeit bestätigt.

Während der väterliche Einfluss in den beiden galanten Texten vor allem hinsichtlich der zu etablierenden Liebesbeziehung von Bedeutung ist, werden in der Schilderung der Erziehung

735 Bohse: Bellamira, S. 54.

736 Bohse: Bellamira, S. 54.

737 Barthel: Gattung und Geschlecht, S. 9.

738 Barthel: Gattung und Geschlecht, S. 9.

181 respektive dem Verhältnis zu den Eltern in den empfindsamen Texten andere Schwerpunkte gesetzt. Aber auch in Gellerts und La Roches Texten lassen sich durch eine Betrachtung der Vaterfiguren Parallelen zur Sittenlehre plausibel machen.

In Gellerts Roman wird weder der leibliche Vater, noch der für die Erziehung verantwortliche Vetter739 durch die autodiegetische Erzählerin als Vorbild charakterisiert. Während sie den Einfluss des Vetters hinsichtlich seiner Erziehungsmaxime reflektiert, ist es vor allem ihr Schwiegervater, dessen Lebensweise und Verhalten sie schildert. Der Bezug zu dieser Figur verdeutlicht die Affinität der Protagonistin zu den Vorstellungen über die vernünftigen Liebe, die sich konkret durch Gemütsruhe auszeichnet. Der als beispielgebend beschriebene Schwiegervater besitzt diejenigen Eigenschaften, die nötig sind, um im Zustand der Gemütsruhe leben zu können:

„Ich kann sagen, daß ich diesen Greis in drei Jahren fast keine Stunde unruhig gesehen habe; denn so viele Jahre waren in meiner Ehe verstrichen, als er starb. Gott, wie lehrreich war das Ende dieses Mannes!“740 Mit diesem Ausruf verdeutlicht die Erzählerin, dass die folgende Beschreibung als nachahmungswürdig anzusehen ist. Die Erzählerin zitiert ihren Schwiegervater kurz vor seinem Tod: „Ich werde sie [die Rechenschaft gegenüber dem Schöpfer, S.Z.] nicht besser

739 Ein nicht zu vernachlässigender, hier aber nur ansatzweise zu diskutierender Aspekt in der Beschreibung der Erziehung durch die Gräfin selbst ist die deutlich formulierte Absage an den weiblichen Einfluss durch die Frau des Vetters, Gellert: Schwedische Gräfin, S. 9: „[I]ch würde gewiß noch etliche Jahre eher vernünftig geworden sein, wenn seine Frau einige Jahre eher gestorben wäre. Sie hat mich zwar in Wirtschaftssachen gar nicht unwissend gelassen; allein sie setzte mir zu gleicher Zeit eine Liebe zu einer solchen Galanterie in den Kopf, bei der man sehr glücklich eine stolze Närrin werden kann. […] Aber zu meinem Glücke starb meine Frau Base, ehe ich noch das zehnte Jahr erreicht hatte, und gab meinem Vetter durch ihren Tod die Freiheit, mich desto sorgfältiger zu erziehen und die übeln Eindrücke wieder auszulöschen, welche ihr Umgang und ihr Beispiel in mir gemacht hatten.“ Der weibliche Einfluss wird hier eindeutig negativ konnotiert, er habe sie daran gehindert, noch früher vernünftig zu werden, es ist von

„Galanterien“ die Rede, von „übeln Eindrücken“. Die Gräfin zeigt sich sogar erleichtert über den Verlust der weiblichen Bezugsperson, die ihrer Ansicht nach der Ausbildung ihrer Vernunft geschadet habe. Dabei hatte ihr Vetter für sie vorgesehen, sie den halben Tag „als ein Mann“ und die andere Hälfte „wie eine Frau“ zu erziehen. Sein Konzept ist demnach ein ganzheitliches, das sich nicht auf eine Geschlechtszuschreibung beschränkt, sondern alle menschlichen Eigenschaften umfassen soll. Es folgt die Wertschätzung des Männlichen, ebd. S. 10: „Er lieh mir seinen Verstand, mein Herz recht in Ordnung zu bringen, und lenkte meine Begierde zu gefallen nach und nach von solchen Dingen, die das Auge einnehmen, auf diejenigen, welche die Hoheit der Seele ausmachen.“ Sie habe es ihm „zu verdanken gehabt, daß ich die Tugend nie als eine beschwerliche Bürde, sondern als die angenehmste Gefährtin betrachtet habe.“ Verstand als leitende Instanz und Tugend sind die zentralen Eigenschaften, die die Gräfin durch das Vorbild ihres Vetters für sich beanspruchen kann. Obgleich die Anlage dazu in ihr selbst bereits vorhanden sei, bedarf es ihrer Ansicht nach der Anleitung eines männlichen [!] Vorbildes, das gewissermaßen für die korrekte Ausbildung Sorge trägt. Mit dieser Gegenüberstellung und der klaren Bevorzugung des Männlichen artikuliert die Gräfin bereits vor Beginn des eigentlichen Romanverlaufs den Wunsch, aus dem dezidiert Weiblichen auszubrechen und eben nicht die damit verbundene Rolle einzunehmen. Rau: Speculum amoris, S. 504, spricht in dieser Hinsicht von der „Metaphorik der vermännlichten Frau“. Die „conditione sine qua non von der Etablierung einer weiblichen, als Erzählerin legitimierten Zentralfigur der romanhaften Welt“

beschreibt Rau ebd. folgendermaßen: „[Z]ur Repräsentation und Demonstration einer Empfindsamkeit, die der Teleologie der Vernunft eingeschrieben ist, taugt nur die im Sinne der tugendallegorischen Metaphorik

beschreibt Rau ebd. folgendermaßen: „[Z]ur Repräsentation und Demonstration einer Empfindsamkeit, die der Teleologie der Vernunft eingeschrieben ist, taugt nur die im Sinne der tugendallegorischen Metaphorik

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