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Eduard Werner Happel: Die Übersetzung von Pierre Daniel Huets Traité de l’origine de romains (1670) in Der Insulanische Mandorell (1682) l’origine de romains (1670) in Der Insulanische Mandorell (1682)

II THEORETISCHE GRUNDLAGEN

4. Gattungsfragen 1 Der galante Roman 1 Der galante Roman

4.3 Zeitgenössische Funktionszuschreibungen

4.3.1 Eduard Werner Happel: Die Übersetzung von Pierre Daniel Huets Traité de l’origine de romains (1670) in Der Insulanische Mandorell (1682) l’origine de romains (1670) in Der Insulanische Mandorell (1682)

Die erste deutschsprachige Romantheorie erschien nicht als selbstständige Publikation oder als poetologischer Traktat, sondern war selbst eingebettet in einen Roman, also in einen fiktionalen

441 Meid: Von der Frühen Neuzeit bis zur Aufklärung, S. 42.

101 Rahmen442. Es handelt sich um den bereits zitierten Text Eduard Werner Happels, den Insulanischen Mandorell, der im vollständigen Titel bereits den poetologischen Exkurs ankündigt und in der Vorrede auf die Übernahme von Pierre Daniel Huets Traité de l’origine des romains verweist443. Happel begründet dies bereits in der Vorrede mit der wachsenden Romanproduktion seiner Zeit und einer fehlenden Reflexion in deutscher Sprache und beschreibt damit den Ausgangspunkt für die Betrachtung der Gattung im ausgehenden 17. Jahrhundert444. Seine Bedeutung besteht nach Wilhelm Voßkamp grundlegend darin, sowohl „retrospektiv“ als auch

„prospektiv“ von Belang zu sein, „insofern neben dem Versuch einer begrifflichen Präzisierung der Romanästhetik zugleich eine Apologie und Geschichte dieser Literaturform gegeben wird, die ihrerseits die Legitimation und poetologische Klassifizierung des Romans ermöglicht.“445

Der Traktat446 wird als Figurenrede des Protagonisten Mandorell wiedergeben447 und lässt sich in drei Abschnitte einteilen: Im ersten Teil formuliert er die bereits zitierte Definition des Romans als Liebegeschichte, die belustigen und belehren soll, bevor er im zweiten Teil auf die auch außereuropäischen Ursprünge, also die Geschichte des Romans mit zahlreichen Beispielen

442 Dass die Reflexion über die Prosagattung anfangs nicht nur in poetologischen Texten, sondern etwa auch in Vorreden oder anderen Paratexten stattfand, wird in der Forschung vermehrt festgestellt, vgl. z.B. bei Schlimmer: Der Roman als Erziehungsanstalt für Leser, S. 211; Niefanger: Romane als Verhaltenslehren, S.

342f. Eberhard Lämmert geht davon aus, dass die „Theoriebildung zum geringsten Teil über normative Poetiken“ stattgefunden habe: Eberhard Lämmert u.a. (Hrsg.): Romantheorie 1620 – 1880. Dokumentation ihrer Geschichte in Deutschland. Frankfurt am Main 1988, S. XXI.

443 Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen dem französischen Original und der Happelschen Übertragung ins Deutsche siehe Zeller: Der Roman enthält poetologische Würden, S. 145 166.

444 Happel: Insulanischer Mandorell. Vorrede [unpag., S. 14]: „Weil sonsten die so genannten Romanen nunmehro auch in Teutschland sich gewaltig mehren/ und aber bis dato meines wissens noch niemand in unserer Mutter=Sprache von dem Uhrsprung und unterschied der Satyrischen/ Fabelhafften/ Historischen und Romanischen Schrifften geschrieben/ als habe mir insonderheit angelegen seyn lassen/ des Frantzösischen H. Huets Brieff/ darin Er die Materie vom Uhrsprunge der Romanen gar artig abgehandelt/

in verschiedenen Capitteln des dritten Buches einzuführen/ welches dem Leser hoffentlich nicht unangenehm seyn wird.

445 Wilhelm Voßkamp: Romantheorie in Deutschland. Stuttgart 1973, S. 72. Ähnlich später bei Potthast: Die verdrängte Krise, S. 66.

446 Seeber verweist unter Bezugnahme auf Zellers Beitrag auf die fehlende poetologische Terminologie der deutschen Übersetzung, vgl. Seeber: Diesseits der Epochenschwelle, S. 15.

447 Happel: Insulanischer Mandorell, S. 572. Zwar ist der Exkurs in die Romanhandlung integriert, doch wird der Leser in der Vorrede bereits auf die entsprechende Stelle in dem 772 Seiten starken Roman verwiesen, so dass er die gattungstheoretischen Überlegungen stets schnell ausfindig machen kann. Es handelt sich dabei um die Kapitel drei bis acht zu Beginn des dritten und letzten Buches. Mandorells Vortrag wird nicht durch andere Figuren oder den Erzähler unterbrochen. Die Ausführungen und Argumente werden somit stringent und ohne Einwände oder Gegenrede durch Mandorell entfaltet. Innerhalb der Handlung befindet sich Mandorell auf einer Schiffsreise, Anlass dieses Erzähleinschubs ist die Bitte eines Mitreisenden, des Prinzen Covvatiar, ihn über die „Schreib arth“ der Romane zu unterrichten. Mandorell wird an dieser Stelle des Textes als eine gelehrte Figur charakterisiert, die dem Prinzen zuvor bereits mehrere Sprachen beigebracht hat, so dass dieser überhaupt erst verschiedene europäische Bücher zu lesen fähig geworden sei (S. 572). Somit wird auch der Diskurs als ein gelehrter lesbar. Bemerkenswert an diesem erzählerischen Kontext ist die Tatsache, dass es sich erzähltheoretisch um eine Pause handelt, die im Text als vergnügter, aber auch nützlicher Zeitvertreib gekennzeichnet wird. Die innerhalb des Vortrags explizierte Forderung nach dem Horaz‘schen prodesse et delectare spiegelt sich somit in der Diegese und demonstriert die zu erörternde Funktionsweise des Romans innerhalb des Romans. Der Leser erfährt den Nutzen gewissermaßen gedoppelt auf zwei Ebenen: einmal unmittelbar, indem er selbst liest, und gleichzeitig mittelbar durch die Rezeptionssituation innerhalb der Erzählung.

102 eingeht. Im letzten Teil geht es erneut um den Nutzen der Romane, indem Mandorell das Wesen des Menschen als Begründung anführt und Romane als „Lehrmeister“ in Sachen Affekte und Liebe charakterisiert. In der Makrostruktur dieses Exkurses ist eine Rahmung durch die Betonung des Nutzens festzustellen, der durch diese pointierte Platzierung einen übergeordneten Stellenwert erhält und damit implizit dem Rechtfertigungszwang Rechnung trägt. Zwar gibt es innerhalb des Einschubs keine weitere Figurenrede, doch werden die Gegenargumente durch einen rechtfertigenden Ton, der bisweilen zu erkennen ist, implizit mitgenannt.

Die Wirkungsabsicht, die er als „lust“ bezeichnet, begründet er, indem er sich auf das Wesen des Menschen bezieht. Grundsätzlich geht er davon aus, dass der Mensch von Natur aus Feind des Unterrichts sei448, „also muß man ihn locken/ und betriegen durch die vergnugung/ die Strengigkeit der unterweisung versüssen durch die angenehme Vorbildung“449. Das Wissen könne demnach nicht in reiner Form präsentiert werden, sondern müsse bestimmte Anforderungen an die Vermittlung erfüllen, durch die beim Rezipienten Vergnügen durch ein „versüssen“

hervorgerufen werde. Eben dieses Argument greift Mandorell gegen Ende seiner Ausführungen nochmals auf, indem er den Menschen grundsätzlich als wissbegierig begreift: Doch „[w]eil uns aber die Arbeit von Natur verdrießlich ist/ so begiebt sich die Seele nicht zu diesen dornhafftigen Erkaentnüssen/ es sey dann/ daß sie deren Früchte siehet/ oder in Hoffnung einer wenig bekanten Vergnügung/ oder endlich aus Nothwendigkeit.“450 Diesen mit Dornen behafteten und deswegen ungeliebten Einsichten jedoch setzt er die „Erkaentnüssen oder Wissenschafften“

entgegen, die in der Romanlektüre „ohne Mühe erlanget“ werden könnten und fügt hinzu, dass

„die Einbildung bey nahe allein würcket/ und zwar an den dingen/ so denen gleich/ die gemeiniglich unseren Sinnen unterworffen sind.451 Lehrsätze dürften folglich keinen Aufwand bedeuten, keine „Arbeit“ machen, wie es hier heißt. Erkenntnisse müssten mit Mühelosigkeit vermittelt werden, wobei die reine Vorstellung der dargestellten Dinge bereits einen Lehreffekt haben solle. Es dürften „keine langen Consequentias“ gemacht werden, die Vergnügung dürfe nicht „ermüdet“ werden. Aus dieser Argumentation wird die Leistungsfähigkeit des Romans begründet, der dem Wesen des Menschen durch seine Möglichkeit zur Belustigung grundsätzlich gerecht zu werden vermag. Daraus ergibt sich in der Konsequenz eine bevorzugte Stellung der Textsorte Roman gegenüber anderen Textformen, die den Menschen über etwas belehren sollen.

Der Traktat leistet eine Herleitung und Beschreibung der bereits erwähnten Instrumentalisierung des delectare zur Sicherstellung des prodesse. Diese Ansicht untermauert Mandorell sodann mit einer Charakterisierung der Romane als „fromme Lehrmeister“, die sich zur Wissensvermittlung

448 Vgl. Happel: Insulanischer Mandorell, S. 574.

449 Happel: Insulanischer Mandorell, S. 574f.

450 Happel: Insulanischer Mandorell, S. 620.

451 Happel: Insulanischer Mandorell, S. 620.

103 besser eigneten als herkömmliche (Schul-)Lektüre, da sie auf „eine weit lehrsamere und durchdringende weis alß die/ so in den Schulen lehren“452.

Grundsätzlich geht Mandorell in Happels Übersetzung von einer affizierenden Wirkung der Romane aus, die er in einem zweiteiligen Prozess verwirklicht sieht: „Sie verunruhigen unsere Affecten nicht anders/ alß umb dieselbe wieder zu befriedigen/ sie erwecken bey uns keine Furcht noch Mitleyden/ die sie nicht bald derjenigen/ von welcher wir Bekümmert sind/ oder welcher wir Beklagen/ wieder ausserhalb aller Gefahr jagen solten.“453 Die Affekte werden durch die Lektüre ausgelöst, durch selbige aber auch wieder gedämpft. Der Rezipient eines Romans durchlebt die Affekte also bei der Lektüre, ohne dass die ihr nachgesagte bleibende schädigende Wirkung anhielte. Damit im Zusammenhang zu sehen ist der grundlegende Vorwurf an die Gattung, eine „Anziehung und Ansteckung dieser gefährlichen Seuche“454, der Liebe, zu ermöglichen.

Auch diesen Vorwurf kehrt Mandorell ins Gegenteil, indem er betont,

daß es nicht allein gefährlich/ sondern vielmehr einiger maßen nothwendig ist/ daß die jungen Leute diesen Affect kennen/ und umb die Ohren zu verschließen vor denen/ die da sündhafftig ist/ und daß sie mögen wissen/ wie sie sich aus ihren listigen Fall stricken erretten/ und derselben entgehen möchte/ hergegen aber/ daß sie den Verstand haben/ in der Liebe/ die einen tugentsamen und heiligen Zweck führet/ sich gebührlich zu verhalten/ welches so wahr ist/ daß die Unterfindung uns zu erkennen gibet daß die/ welche die Liebe am allerwenigsten kennen/ die empfindlichsten darinnen sind/ und daß die Unwissenden von ihr am ersten betrogen werden.455

Die Argumentation zielt eindeutig darauf ab, aus der Schwäche eine Stärke zu machen: Der Roman schildert den Affekt Liebe dergestalt, dass den „jungen Leuten“ gute und schlechte Facetten vorgestellt werden. Zur Verdeutlichung der Dringlichkeit der romanhaften Darstellungsweise schildert Mandorell die möglichen Konsequenzen der ausbleibenden Lektüre: Wer sich mit dem Affekt der Liebe noch nicht auskenne, zu den „Unwissenden“ gehöre, könne am leichtesten

„betrogen“ werden. Romanlektüre dient dazu, die Leserschaft eben mit den potenziellen Gefahren und Wirkungen der Liebe vertraut zu machen, um sie für die eigentliche Lebenswirklichkeit vorzubereiten456. An dieser Stelle wird das Postulat der Wahrscheinlichkeit erkennbar, das sich im aristotelischen Diskurs verorten lässt, wenngleich in Happels Text kein direkter Bezug zu Aristoteles hergestellt wird457. Vielmehr lässt Happel seinen Mandorell zur Entkräftung des

452 Happel: Insulanischer Mandorell, S. 628.

453 Happel: Insulanischer Mandorell, S. 621.

454 Happel: Insulanischer Mandorell, S. 627.

455 Happel: Insulanischer Mandorell, S. 627f.

456Eine Verbindung von „Wahrheitsbegriff“ und „Liebessujet“ leitet auch Barthel aus diesem Argument ab, vgl. Barthel: Gattung und Geschlecht, S. 202f.

457 Gründe hierfür nennt Zeller: Der Roman enthält poetologische Würden, S. 147. Happel verzichte in seiner Übersetzung von Huets Original auf die dortige Nennung zweier italienischer Autoren (Giambattista Giraldi Cinzio und Giovan Battista Pigna, vgl. ebd. S. 146, und habe „so den Bezug zur Diskussion um den Roman zur Aristoteles-Rezeption des 16. Jahrhunderts gekappt.“ Dies sei zu begründen durch die bis dahin noch

104 Lügenvorwurfs auf Augustinus verweisen, der davon spreche „daß diese Falschheiten/ welche etwas bedeuten/ und einen verborgenen Sinn bedecken/ keine Lügen/ sondern vielmehr Abbildungen der Wahrheit seyn“458. Diese beiden Stellen in ihrem Zusammenhang betrachtet ergeben die These von der Nützlichkeit der Romane in Bezug auf die Lehrhaftigkeit der Liebesdarstellung für die Rezipienten, denen die Fähigkeit zugesprochen wird, sich auf Grundlage der Lektüre „gebuehrlich zu verhalten“ und die negativen Seiten der Liebe auf Grundlage der erworbenen Kenntnis vermeiden zu können.

Die Verteidigung des Romans bei Huet/Happel bietet bereits einige Anknüpfungspunkte für die Annahme, Romane könnten als Sittenlehren fungieren, nicht zuletzt, weil Happel an einer Stelle recht beiläufig selbst von einer solchen spricht459. Im Vordergrund stehen die menschlichen Affekte, genauer die Liebe, und ihre lebensnahe Darstellung, die grundsätzlich den Leser zu affizieren und ihn über seine eigene Lebenswirklichkeit zu belehren vermag. Als „Sittenlehre“

wird der Roman deswegen freilich nicht explizit bezeichnet, jedoch etwas allgemeiner gehalten als „frommer Lehrmeister“, durch den Situationen dargestellt werden, die die Leser auf ihr reales Leben vorbereiten, so dass die Rechtfertigung darauf abzielt, eine Daseinsberechtigung für die Lebenswirklichkeit des Rezipienten zu ermöglichen. Damit ist das menschliche Wesen für die Begründung der Produktion und Rezeption von Romanen bei Happel wie auch bei Huet460 zentral.

Denn zum einen werden andere Mittel des Unterrichts als weniger effizient charakterisiert, zum anderen ist der Mensch mit seinen Affekten, insbesondere der Liebe, Gegenstand des Romans. Der Zweck, die Wirkungsabsicht und der Gegenstand des Romans bedingen einander gegenseitig.

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