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III VORBEMERKUNGEN ZUR ANALYSE

1. Das Paradigma der Annäherung: Die vernünftige Liebe im Roman 1 Der dreiteilige Prozess der Annäherung 1 Der dreiteilige Prozess der Annäherung

1.2 Die Annäherung im galanten Romanen

Jede Liebesbeziehung nimmt ihren Anfang in einem ersten Moment, in dem sich die Liebenden begegnen. In Bezug auf diesen Augenblick formuliert Thomasius ein Grundprinzip, das auch in den Romanen erkennbar ist und auf Figurenebene bereits zu Beginn der Liebesbeziehungen die Korrespondenz- von den Kontrastrelationen abgrenzt. Denn der gesamte Prozess der Annäherung, vor allem aber der konkrete erste Moment, fußt bei Thomasius auf der Unterscheidung zwischen vernünftiger und unvernünftiger Liebe, die er mittels einer Metaphorik rund um das Element Feuer veranschaulicht:

Eine unvernünfftige Liebe entzündet sich gleich durch den ersten Anblick einer schönheit oder durch unkeusche Reitzungen/ aber tugendhaffte Seelen gehen öffters/ ehe sie einander kennen lernen/ gantz indifferent mit einander um/ und nichts destoweniger wird hernach/ wenn sie beyderseits ihre Verdienste einander zeigen/ ihre Liebe so starck und so brünstig/ daß sie nicht ohne einander leben können.773

Thomasius beschreibt damit einen Vorgang, der hier mit dem Begriff „Behutsamkeit“

zusammengefasst soll, denn: Zunächst gehen die beiden tugendhaften Seelen „indifferent“

miteinander um, sie geben ihre Zuneigung nicht sofort preis. Die „tugendhaffte[n] Seelen“ müssen sich gegenseitig zunächst durch „Verdienste“ zeigen, dass sie aneinander interessiert sind, um somit Gewissheit über die Gefühle und Absichten des anderen zu erlangen. Erst dann kann die Liebe zunehmen und so stark werden, dass das Paar unzertrennlich wird. Als Gegensatz wird das sofortige Entzünden beim ersten Anblick einer Person beschrieben; während „tugendhaffte Seelen“ es langsam angehen lassen, sind mit der verwendeten Feuermetaphorik Merkmale wie Kontrollverlust, eine schnelle Entwicklung und Ausbreitung sowie starke Hitze assoziierbar. Auf die Liebesbeziehung übertragen bedeutet dies, dass erhitzte Liebhaber ungestüm und vorschnell handeln, vernünftige Liebhaber hingegen mit der geforderten Behutsamkeit vorgehen. Eben

773 Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre, S. 267 [6/20].

192 dieser formulierte Gegensatz lässt sich in den Romanen in den Kontaktanbahnungen jeweils als Grundlage der Beziehungen nachvollziehen.

Alle vier Protagonistinnen gründen ihre Liebesbeziehung auf gegenseitige „Verdienste“; aus ihrem jeweiligen Verhalten und dem Einblick in ihre Gedanken lässt sich die bei Thomasius beschriebene Behutsamkeit ableiten. Die Korrespondenzrelationen werden dabei zwischen Bellamira und Alexander (Bohse), Adalie und Rosantes774 (Hunold), der Gräfin und dem Grafen/

Amalie und Steeley (Gellert) sowie Sophie von Sternheim und Lord Seymour (La Roche) über einen jeweils mit den anderen Romanen vergleichbaren Prozess der Annäherung etabliert. Der bei Thomasius begründete Gegensatz zur unvernünftigen Liebe, die sich sofort „entzündet“, ist in den Texten durch die Kontrastfiguren Beltrani/ König Carl (Bellamira) und Renard (Adalie), den Prinzen von S. (Gräfin) und Derby/ Fürst (Sophie) gegeben.

In Bezug auf die beiden galanten Konkurrenten ist in den Texten Bohses und Hunolds zunächst festzustellen, dass die Augenblicke der Kontaktanbahnung ebenfalls mit Ausdrücken aus dem Wortfeld ‚Feuer‘ geschildert werden. Es ist wörtlich von „Entzündung“ die Rede: Nachdem Bellamira Belrani bereits ihre Ablehnung zu verstehen gegeben hat, schreibt dieser der Protagonistin einen Brief und äußert sich in einem Eigenkommentar mit einer Fehleinschätzung:

„Ihr habt mich ja der Entzündung werthgeschätzet/ warum verbiethet ihr mir nun meine Flammen vor euch sehen zu lassen […]“775, wohingegen Alexander lediglich von einer

„ungewöhnliche[n] Gemüths=Unruhe“776 spricht. Ebenso wenig wie Beltrani will die Figur Renard in Hunolds Roman das Nachsehen haben; nachdem Adalie seine Gunstbezeugung zurückweist,

„fande es doch bey einem so entzündeten Liebhaber wenig Gehör“777. Neben dem Hinweis auf die Uneinsichtigkeit des Bewerbers ist auch hier ein deutlicher Unterschied zur Beschreibung der Gemütsverfassung von Rosantes zu erkennen. Dieser gerät beim Anblick der „unvergleichliche[n]

Adalie […] in eine unvermuthete Verwirrung“778. Während Renard und Beltrani ihre Zuneigung zu forsch zum Ausdruck bringen und von den Damen jeweils zurückgewiesen werden, wird der erste Eindruck der tugendhaften Bewerber auf die Protagonistin positiv beschrieben779. Bellamira

774 Der Prinz, den Adalie zu Beginn des Romans kennenlernt und den sie am Ende heiraten wird, heißt wie bereits erwaähnt, „Rosantes“, kommt aber als Kaufmannssohn verkleidet nach Paris und nennt sich dort

„Bosardo“. Während die Erzählinstanz den richtigen Namen der Figur verwendet, ist in Repliken Adalies bis kurz vor Schluss dementsprechend von „Bosardo“ die Rede.

775 Bohse: Bellamira, S. 114. An diesem Eigenkommentar Beltranis wird deutlich, dass er die galante Zurückweisung Bellamiras nicht versteht oder akzeptiert, da er annimmt, sie habe ihn seiner „Entzündung“

wegen geschätzt, so dass er sich vergeblich weiterhin um ihre Gunst bewirbt. Dies ist innerhalb der Episode der Liebesanbahnung nicht zuletzt der Struktur geschuldet, die auf einem Kontrast zwischen dem angemessen handelnden Alexander und dem Beispiel ex negativo in der Figur Beltrani aufbaut.

776 Bohse: Bellamira, S. 109.

777 Hunold: Adalie, S. 34.

778 Hunold: Adalie, S. 12.

779 Auch Steigerwald stellt in seiner Untersuchung der Verliebtne und Galanten Welt fest, dass die Zurückhaltung im Verhalten der sich annähernden Liebenden wesentlicher Bestandteil der Darstellung ist, Steigerwald: Galanterie, S. 425: „Der Zwang der Zurückhaltung, den sich Heraldo selbst auferlegt, ist daher die logische Konsequenz aus Selimenes Verhalten, das Achtung fordert und zugleich bietet.“ Weiter führt er

193 berichtet, dass ihr „des Hertzogs Persohn wegen seiner geschickten Statur/ und galanten Conduite/ auch prächtiger Aufführung in Kleidern und Lieberey über die massen wohl anstund“780. Ähnliches wird über Adalies Eindruck erzählt: „[U]nd der erste Anblick dieses ganz andern Bosardens erregte in ihr eine heimliche Bewegung/ davon sie den Nahmen selbst nicht wuste/ weil sie so noch niemahls empfunden […].“781 Es handelt sich also im Falle des tugendhaften Verehrers nicht um eine plötzliche Entzündung, gleichwohl besteht die gegenseitige Zuneigung von der ersten Begegnung an, wie durch die kleine „Unruhe“ oder die „Bewegung“

markiert. In dieser Wortwahl zeigt sich abermals eine Parallele zur Sittenlehre, die Qualitäten von Gefühlen grundsätzlich mit eben diesen Begriffen bezeichnet: Die Abweichung von der Gemütsruhe als Idealzustand wird als innerliche „Bewegung“ gedacht, so dass eine mehr oder weniger gravierende „Unruhe“ entsteht. Sowohl der männliche als auch der weibliche Part registrieren in den Texten diese Zuneigung für den jeweils anderen, zeigen sich in ihrem Vorgehen jedoch behutsamer, als die entzündeten Liebhaber, denen in dieser Arbeit ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Den Texten ist zudem gemein, dass der erste Anblick des zukünftigen Ehemanns kontrastiert wird durch einen Moment der Kontaktaufnahme mit dem Widersacher – die Verwendung einer Kontrastrelation hinsichtlich des Moments des Kennenlernens verstärkt den Eindruck der Liebe auf den ersten Blick und die Tatsache, dass genau diese beiden Menschen füreinander bestimmt sind. Es wird eine Einzigartigkeit (wenn auch noch nicht Individualität) des Partners suggeriert, die – wie der Rezipient durch den Vergleich hier bereits annehmen kann – auf einer Gleichheit der Gemüter beruhen muss: Beide sind bereits vom anderen affiziert, allerdings kommt dies nicht durch Maßlosigkeit zum Ausdruck.

Die sorgfältige Gefälligkeit oder auch gefällige Sorgfältigkeit782 ist nun laut Thomasius das „erste unfehlbare und nothwendige Kenn=Zeichen einer angehenden Liebe“783. Diese Phase dient dazu, sich nicht nur der Zuneigung des anderen zu vergewissern, sondern auch selbst über bestimmte Gesten das eigene Interesse sichtbar zu machen, ohne dass Dritte davon erfahren. Konkret bedeutet dies, dass „ein tugendlibendes [sic] Gemüth auff des andern sein geringtes Thun und Lassen achtung giebt“784, um ihn besser kennenzulernen und „demselben hiermit seine Hochachtung und den Unterscheid/ den es dadurch zwischen demselbigen und andern Leuten mache zu erkennen geben.“785 Es geht um eine gesteigerte Aufmerksamkeit für die andere Person, die dieser offenkundig gemacht werden soll. Dabei soll der „Unterschied“ deutlich werden, der

zu dieser Causa aus, ebd. S. 426: „Selimenes Bitte an Heraldo, sie nicht zu küssen, sowie Heraldos Zurückhaltung ihr gegenüber markiert folglich deutlicher ihre Gewogenheit, die auf gegenseitiger Achtung und nicht auf dem Austausch von Gunst und Gegengunst beruht, als der mögliche Kuß.“

780 Bohse: Bellamira, S. 110.

781 Hunold: Adalie, S. 12.

782 Thomasius benutzt diese Begrifflichkeiten synonym, vgl. Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre, S. 272f.

[6/31 und 6/32].

783 Thomasius: Einleitung, S. 273 [6/32].

784 Thomasius: Einleitung, S. 272 [6/31].

785 Thomasius: Einleitung, S. 272f. [6/31].

194 durch diese erste Zuneigung in der Beziehung entsteht, denn die beschriebene Achtung wird jeweils nur für eine bestimmte Person erbracht.

So ist in Bohses Roman in der Schilderung Bellamiras über die ersten Begegnungen mit Alexander nachzuvollziehen, dass die Prämissen der sorgfältigen Gefälligkeit durchaus erkennbar werden.

Sie berichtet selbst, er habe „auff alle mein Thun genaue Achtung ohne mein Wissen gegeben“786. Die Kenntnis über die Beachtung ihrer Person allerdings erwirbt sie schnell, wie sie weiter beschreibt: „Von selbiger Zeit an redete er mehr mit mir/als er vormahls gewohnet/ und brauchete grössere Ehrerbietung gegen mich/ als meine Jugend und sein hoher Stand von ihm fordern kunten.“787 Die zunehmende Häufigkeit der Gespräche geht einher mit einer besonderen Art des Umgangs, die Alexander ihr gegenüber an den Tag legt: „Er mischete nichts von seiner Liebe unter die Gespräche/ so er mit mir führete/ doch ware allezeit etwas verpflichtetes dabey“788. Diese Verpflichtungen und die überobligatorische Ehrerbietung sind als Kennzeichen der sorgfältigen Gefälligkeit zu deuten, die Bellamira als solche erkennt, wie sie mit dem Hinweis auf ihre Jugend und den Stand deutlich macht. Der erste Schritt, die gegenseitige Aufmerksamkeit, ist gemacht.

In Hunolds Roman steht am Anfang der Liebesgeschichte ebenfalls das Gespräch; die erste Konversation zwischen den beiden Verliebten ist der Liebe selbst gewidmet und wird in direkter Figurenrede wiedergegeben. Dieses Gespräch beginnt mit einem Kompliment von Rosantes789 und hat nicht nur Liebe zum Thema, sondern ließe sich auch als ein Beispiel für galantes Komplimentieren interpretieren. Dies legt der Wechsel von der Erzählerstimme zu den Figurenstimmen nahe, so dass ein ‚Nachsprechen‘ der Repliken durch den Rezipienten grundsätzlich möglich scheint790. An Textstellen wie dieser zeigt sich das Potenzial der Romane, eine galante Conduite zu vermitteln, wie es speziell Neumeister in seiner Romantheorie von der Gattung fordert und somit zugleich die „Modell- und Modellierungsfunktion“791, die Dirk Rose den Romanen grundsätzlich als Gattungskonstituente zugedenkt. Diese Spur kann hier allerdings nicht weiterverfolgt werden, sondern muss sich in einem Postulat und dem Verweis auf die Forschung erschöpfen, um das eigentliche Anliegen weiterzuverfolgen. Denn die sorgfältige Gefälligkeit in den Blick nehmend ist jedoch vor allem der Hinweis des Erzählers auf die Reaktion,

786 Bohse: Bellamira, S. 116.

787 Bohse: Bellamira, S. 116.

788 Bohse: Bellamira, S. 116.

789Hunold: Adalie, S. 17: „[…] und weil er Adaliens Zimmer im Vorbeygehen offen fande/ machte er ihr ein Compliment darinnen. Dass gerade Romane mit der Darstellung von „besonders lebensnahen Exempeln“

der Vermittlungsfunktion in Bezug auf galantes Verhalten Rechnung tragen, macht besonders Niefanger deutlich. Siehe hierzu Niefanger: Romane als Verhaltenslehren, S. 353.

790 Hunold: Adalie, S. 18: „Mein Mädgen aber/ gab sie hierauf/ hat die gute Meynung von eurer Nation/ daß sie sonderlich die Liebes=galanterien hoch hielten. Ich muß es bekennen/ daß sie nicht uneben geredet/

sagte er/ und ist nur Schade/ daß die gute Adalie nicht gleichfals so gütige Gedancken hat.“

791Zur „Modell- und Modellierungsfunktion“ siehe Rose: Galanterie als Text, S. 373; und grundlegend seine Dissertation: Conduite und Text.

195 die durch eine Unterbrechung der beiden durch den Hofmeister herausgefordert wird, von besonderer Relevanz: „Sie hatten beyde einen heimlichen Unwillen über die Zeit/ daß dieselbe itzo geschwinde/ sonsten aber so langsam vorbey striche; doch war ihr Trost/ daß ihnen die Gelegenheit zu weiterer Unterredung nicht so gäntzlich benommen.“792 Adalie und Rosantes finden Gefallen an ihrem Gespräch über die Liebe, durch die angedeutete Kurzweil gewinnt es an besonderer Qualität, eine Wiederholung wird beiderseits ersehnt. Etwas verspielter als bei Bohse allerdings wird die gegenseitige Aufmerksamkeit und ein Verstehengeben der Zuneigung dem anderen gegenüber dargestellt: Rosantes schleicht sich am nächsten Abend in die Nähe von Adalies Zimmer, um ihr heimlich beim Lautenspiel zu lauschen793. Adalie weiß durch ihre Magd Doris jedoch von ihrem Zuhörer, sie überlegt genau, was sie ihm an diesem Abend vorzusingen gedenkt. Rosantes wiederum durchschaut aufgrund des Arientextes die Botschaft, die er denn auch richtigerweise auf sich selbst bezieht:

Rosantes hatte mit gröster Aufmercksamkeit zugehöret/ und weil er den Inhalt aus ihren obigen Discoursen auff sich ziehen konnte/ muthmassete er/ es müsse Adalie ohnfehlbar Nachricht haben/ daß er um die gewöhnliche Zeit an ihrer Ergetzung mit Theil nehme. Es gefiele ihm also ungemein wohl/ daß ein so unvergleichliches Frauen=Zimmer von seiner blossen Person so viel Hochachtung machte/ ehe sie von seiner höhern Geburth Wissenschafft hätte/ welches Glücke sich doch kein Cavallier bißhero rühmen können.794

Rosantes und Adalie beobachten gegenseitig das Verhalten des anderen – ohne es offen und direkt auszusprechen, ermöglicht ihnen das Wissen um den Kenntnisstand des anderen die Möglichkeit, ihm jeweils selbst ein erstes Kennzeichen des Interesses zu übermitteln. Für Rosantes wird zudem deutlich, dass seine Person bei Adalie bereits einen besonderen Status erlangt hat, dass sie, wie auch bei Thomasius im Zusammenhang mit der zu zeigenden Aufmerksamkeit gefordert, einen Unterschied zwischen ihm und anderen Bewerbern macht.

Die sorgfältige Gefälligkeit impliziert darüber hinaus, dass „man dadurch in einer öffentlichen Gesellschafft die Liebe einer Person durch selbige suche/ und dennoch niemand als diese Person selbst diese Liebe gewahr werde“795. In beiden Romanen funktioniert dieses intendiert heimliche Bekenntnis über Gesten und äußere Markierungen an der Kleidung. Ein Blumenbouquet, das Bellamira an ihrer Brust trägt, veranlasst Alexander und sie zunächst zu einem Austausch von Komplimenten und Bescheidenheitsbekundungen796, bevor Bellamira es schließlich abnimmt und

792 Hunold: Adalie, S. 19.

793 Vgl. Hunold: Adalie, S. 19.

794 Hunold: Adalie, S. 21.

795 Thomasius: Einleitung, S. 275 [6/35].

796Bohse: Bellamira, S. 117: „[…] Alexander schertzete und fing an: Diese Blumen/ schönstes Fräulein/

seynd an einen glückseligen Orth von euch erhoben worden; doch sie gleichen bey weiten nicht denjenigen Lilien und Rosen/ so in eurem schönsten Gesichte blühen: ich wurd beschämet durch dieses unerwartete Lob/ und antwortete; Eu. Durchlauchtigkeit haben Lust mit mir wegen meiner schlechten Gestalt zu kurtzweilen; doch weil ich an eigener Schönheit arm/ habe ich diese Blumen an mir gestecket/ um den Mangel derjenigen/ so in meinem Gesicht nicht gefunden werden/ an meiner Brust zu ersetzen.“

196 ihrem Verehrer schenkt. Alexander küsst das Sträußchen „mit der Versicherung, daß er vor dieses liebste Geschenck wolte erkenntlich seyn.“797 Das Küssen des Sträußchens kann als Ersatzhandlung verstanden werden, da die beiden Figuren in ihrer Beziehung noch nicht an dem Punkt angekommen sind, an dem Körperlichkeiten ausgetauscht werden können. Mit diesem Kuss aber gibt Alexander seine Zuneigung zu verstehen. Am nächsten Tag schickt er Bellamira ein neues Sträußchen, das „von der raresten Silber Arbeit gemachet“798 ist mit einem Brief, in dem er indirekt um ein Kennzeichen der Zuneigung bittet: „Ist selbiges so glücklich/ an dem Orte getragen zu werden/ wo das vorige gestecket/ so gewinnet es die ihm fehlende Kostbarkeit durch eure hohe Güte; Ich aber werde mir mit der Hoffnung schmeicheln/ daß ich durch solche ihm geschenckte Wohlthat von euch nicht unwürdig geachtet werde“799. Die Adressatin des Geschenks und des Briefes soll hier durch seine Worte Gefallen finden, sie wird erhöht, während Alexander sich bescheiden zeigt – die Situation ist durch das Kompliment und die angemessene Zurückhaltung zugleich als Demonstration galanten Verhaltens markiert. Mithin wird ein Zusammenhang zwischen Galanterie und Sittenlehre ersichtlich – das galante Verhalten ist eingebunden in den Prozess der Liebesannäherung, der als Mittel auf dem Weg zur Glückseligkeit dient. Die Maximen des Interaktionsmodells sind demnach verwoben mit dem übergeordneten, ethischen Ziel der Realisierung einer vernünftigen Liebe, womit ein erster Beleg für die bei Vollhardt und Steigerwald jeweils grundsätzlich angenommene naturrechtliche Grundierung der Galanterie gegeben ist.

Nach einem kurzen mündlichen Dank zeigt sich Bellamira erkenntlich und trägt das Bouquet tatsächlich anlässlich der Geburtstagsfeier der Königin, mithin in einer öffentlichen Gesellschaft.

Auf ihr Schmuckstück angesprochen, verrät die junge Dame jedoch nicht, wer ihr das Geschenk gemacht hat, sondern gibt vor, sie habe es von ihrem Vater erhalten800. Gegenüber Alexander zeigt sich jedoch die gewünschte Wirkung: „Der Hertzog/ da er mit mir zu reden kam/ danckete mit ungemein erzeigten Vergnügen/ daß ich ihn so werth achten und es anstecken wollen“801– unter den Anwesenden wissen nur die beiden Protagonisten um die Bedeutung des Sträußchens und machen aus ihrer Beziehung zunächst eine Privatangelegenheit. Sie schließen die Öffentlichkeit bewusst aus ihrer Kontaktanbahnung aus.

Diese Geste nimmt Alexander außerdem zum Anlass, Bellamira seine Liebe zu gestehen und seine Befürchtungen zu artikulieren, er könne in Beltrani einen Konkurrenten haben. Bellamira versichert ihm hierauf den auch bei Thomasius formulierten „Unterschied“ gegenüber anderen Bewerbern: „Gleichwohl kan ich es nicht gantz unempfindlich ausgeben/ weil es zwischen dero

797 Bohse: Bellamira, S. 118.

798 Bohse: Bellamira, S. 118.

799 Bohse: Bellamira, S. 118f.

800 Vgl. Bohse: Bellamira, S. 120.

801 Bohse: Bellamira, S. 120.

197 Persohn und dem Marggrafen [Beltrani, S.Z.] bereits einen grossen Unterschied machet.“802 Die Funktion der sorgfältigen Gefälligkeit, seine eigene Liebe durch bestimmte Kennzeichen zum Ausdruck zu bringen und in der Frage nach der Gegenseitigkeit Klarheit zu gewinnen, kann am Beispiel Alexanders und Bellamiras an dieser Stelle eindrücklich nachvollzogen werden.

Im Fall von Adalie und Rosantes ist es ein rotes „Garnitur=Band“ an der Kleidung, an dem sich die Frage nach der zur Schau getragenen Zuneigung entfaltet. Am Morgen nach dem Vortrag der Arie beschließt Rosantes, „sich diesen Tag recht propre zu kleiden/ und weil er öffters an Adalien eine rothe garnitur-Band gesehen/ so vermeynte er sich bey ihr beliebt zu machen/ wenn er eine gleiche trüge“803. Die Geste, die Rosantes hier wählt, ist ein in Frankreich gängiges Anzeichen einer Verbindung zwischen zwei Liebenden, was ihm allerdings nicht bewusst ist804. Dieses Unwissen ist es aber gerade, mit dem der Text spielt, denn mit dem roten Band artikuliert Rosantes seine Absicht, Adalie ein Zeichen geben zu wollen: „Hieraus könnet ihr aber schließen/ daß wo ich ja kein mündliches Bekäntnis gewaget/ dennoch ein merckwürdiger Zufall meine innerlichen Regungen verrathen/ weil mir von dieser Galanterie vorher nichts bekannt gewesen […].“805 Der Kavalier wählt also instinktiv die richtige Methode, um seine Hochachtung und seine Zuneigung zu erkennen zu geben806. Dass er sich zufällig genau in die passende Tradition einschreibt, ließe sich ebenfalls durch eine Anmerkung Thomasius‘ erklären, die dieser in Bezug auf die Frage nach den Regeln der Liebes-„Kunst“ macht: „[S]ie lasse sich durch keine Regeln lernen/ wenn man nicht wahrhafftig liebe. Liebest du aber wahrhafftig/ so brauchest du keine Regeln/ sondern die Liebe selbst wird schon selbst dein bester Lehrmeister seyn.“807 Der Verliebte wird demnach schon wissen, wie er seine Gefühle zum Ausdruck bringen kann – wie auf fiktionaler Ebene an Rosantes‘

Handeln nachzuvollziehen.

Die Folge dieses Gesprächs über das rote Band als Zeichen der gegenseitigen Zugehörigkeit ist auch in diesem galanten Roman ein Liebesgeständnis von Rosantes, so beteuert er Adalie gegenüber: Die „bezaubernde Anmuth sowohl als euer eigener Befehl in der gestrigen Aria [seyen]

Schuld daran […]/ daß ich euch meine Seuffzer entdecke/ welche ich sonsten zu meiner Unruhe

802 Bohse: Bellamira, S. 120. Während im Hinblick auf die Bellamira die Gedanken und Gefühle der Protagonistin in einer längeren Binnenerzählung durch diese selbst geschildert werden, kommt Barthel im Hinblick auf einen anderen Roman Bohses, die Ariadne, zu einem anderen Ergebnis, Barthel: Gattung und Geschlecht, S. 352: „Die Liebeswahl der Protagonistin und der Paarbildungsprozess werden in Bohses

802 Bohse: Bellamira, S. 120. Während im Hinblick auf die Bellamira die Gedanken und Gefühle der Protagonistin in einer längeren Binnenerzählung durch diese selbst geschildert werden, kommt Barthel im Hinblick auf einen anderen Roman Bohses, die Ariadne, zu einem anderen Ergebnis, Barthel: Gattung und Geschlecht, S. 352: „Die Liebeswahl der Protagonistin und der Paarbildungsprozess werden in Bohses

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