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II THEORETISCHE GRUNDLAGEN

3. Christian Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre und Ausübung der Sittenlehre 1 Die Sittenlehre: Vermittlungsabsicht und Programm 1 Die Sittenlehre: Vermittlungsabsicht und Programm

3.2 Begriffe und Traditionsbezüge

Der Sittenlehre liegt die Vorstellung von einer Bewegung im Inneren des menschlichen Gemüts zugrunde, die gekennzeichnet ist von der ständigen Notwendigkeit, aus einem passiven Bewegtwerden in ein aktives Kontrollieren der Bewegung zu gelangen. Diese

„Gemüths=Bewegungen“ klassifiziert Thomasius in einem Viererschema, das er in seinen wesentlichen Zügen bereits in der Zuschrift an „Herrn Johann Georgen Fürsten zu Anhalt“

skizziert. Gleich zum Auftakt schreibt er dort,

daß nicht mehr als Vier Passiones Dominantes oder Haupt=Gemüthsneigungen sind/

aus derer Vermischungen die Veränderung aller derer andern Affecten, sie seyn nun gut oder böse entstehen/ auch alle Gemüther der Menschen und ihrer daher rührende Gedancken aus denenselben beurtheilet werden können.332

Aus dieser Behauptung lässt sich nicht nur die Grundaufteilung, sondern auch das Begriffsverständnis der Affekte als „Passiones“ respektive „Gemüthsneigungen“ erkennen, aus deren Mischung sich alle weiteren Gemütszustände des Menschen ableiten lassen. Dabei geht der Philosoph von einem starken Ungleichgewicht aus. Während auf der Seite der Tugend lediglich die vernünftige Liebe steht, sind Wollust, Ehrgeiz und Geldgeiz auf Seiten des Lasters, der unvernünftigen Liebe zu verorten, wie er sogleich ausführt: „Die eine davon ist diejenige/ so gerade zur höchsten Glückseligkeit führet/ nemlich die vernünfftige Liebe anderer Menschen. Die andern drey aber sind die Liebe zur Wollust/ die Liebe zur eitelen Ehre/ und die Liebe zum Gelde.“333 Auffällig ist dabei, dass alle vier Gemütsneigungen unter dem Terminus „Liebe“ gefasst und zur Differenzierung und Bewertung als gut oder schlecht mit „vernünfftig“ oder

332 Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre. Zuschrifft an Johann Georg zu Anhalt [unpag., S. 1f.].

333 Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre. Zuschrifft an Johann Georg zu Anhalt [S. 2].

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„unvernünfftig“ attribuiert werden. Dies ist auf das Grundverständnis der Affekte bei Thomasius zurückzuführen, der festhält: „Der Brunnquell des Guten ist die Liebe. Der Brunnquell alles Elends ist die Liebe.“334 Die Affekte werden demnach als Ausprägungen der Liebe gedacht, seien sie auch negativer Art. Mit der Zentralstellung der Liebe als Ausgangspunkt von Verhalten ergibt sich bereits eine grundsätzliche Parallele zu den hier zu untersuchenden Romanen, in denen ebenfalls das Verhalten glücklich und unglücklich Liebender im Mittelpunkt steht.

Eine genauere Bestimmung der Glückseligkeit, die, wie in der Zuschrift postuliert, durch die vernünftige Liebe erreicht werde, nimmt Thomasius in seinem zweiten Hauptstück mit dem programmatischen Titel „Von der grösten Glückseligkeit des Menschen“ vor. Wesentlich ist zunächst die Feststellung, dass die Begriffe Glückseligkeit, Gemütsruhe und vernünftige Liebe in Abhängigkeit zueinander definiert werden und somit durch eine ständige Rekurrenz aufeinander an Kontur gewinnen. Nachdem Thomasius sich vor allem um eine Bestimmung ex negativo bemüht hat, indem er diejenigen Güter aufzählt, die nicht notwendig für die Glückseligkeit sind335, bestimmt er den Begriff durch eine nähere Beschreibung. Die „wahre/einige und gröste Glückseligkeit“ bestehe „in ruhigen und mäßig sich verändernden Gedancken“336, sie sei „demnach nichts anders als eine ruhige Belustigung/ welche darinnen bestehet/ daß der Mensch weder Schmertzen noch Freude über etwas empfindet/ und in diesem Zustande sich mit anderen Menschen die dergleichen Gemüths=Ruhe besitzen/ zuvereinigen trachtet.“337 Im Zentrum dieser Begriffsbestimmung steht zum einen die „ruhige Belustigung“, die „Gemütsruhe“. Mit der Wendung „nichts anderes als“ wird eine Gleichsetzung impliziert, es handelt sich um eine Definition, die in ihrem Kern lautet: Die Glückseligkeit ist der Zustand der Gemütsruhe. Zum anderen ist mit dieser Ruhe das Anliegen verbunden, sich mit anderen Menschen „zuvereinigen“, die ebendiese Gemütsruhe ebenfalls in sich tragen. Diese ist über die vernünftige Liebe zu erreichen, wie die Zuschrift und der Titel des vierten Kapitels deutlich hervorheben: „Von der vernünfftigen Liebe anderer Menschen als dem einigen Mittel die Gemüths=Ruhe zu erhalten überhaupt“. Es findet eine Instrumentalisierung statt, die vernünftige Liebe ist ein Werkzeug, eben ein „Mittel“, das angewandt werden muss, um an das Ziel Gemütsruhe/Glückseligkeit zu gelangen.

334 Thomasius: Ausübung der Sittenlehre, S. 20 [2/32]. Mit der Liebe als grundlegendem Affekt scheint ein Bezug auf Augustinus und seine caritas ordinata plausibel, vgl. grundlegend zu diesem Einfluss: Schneiders:

Naturrecht und Liebesethik, S. 25 30. Siehe zur caritas ordinata in Thomasius‘ Ethik, wenn auch im Kontext der Librettoliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts, ferner Bernhard Jahn: Die Sinne und die Oper.

Sinnlichkeit und das Problem ihrer Versprachlichung im Musiktheater des nord- und mitteldeutschen Raumes (1680-1740). Tübingen 2005, S. 291.

335 So z.B. Reichtum und Ehre, vgl. Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre, S. 60 [2/9]. Hier ist Thomasius insbesondere in der Tradition der Epikureer zu verorten, werden etwa Dorothee Kimmichs Ausführungen berücksichtigt, Kimmich: Lob der ‚ruhigen Belustigung‘, S. 381. Diese hätten u.a. die „Abhängigkeit von falschen Werten wie Ehre, Geld und Ansehen“ kritisiert.

336 Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre, S. 85 [2/62].

337 Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre, S. 85f. [2/65].

79 Die Beschreibung der vernünftigen Liebe338 weist zudem den soeben angesprochenen Gedanken von einer Vereinigung auf und macht somit die eingangs erwähnte Einordnung der Schrift als

„Liebesethik“ plausibel: „Denn die vernünfftige Liebe ist nichts anders als eine Vereinigung gleicher Gemüther die das gröste Gut besitzen.“339 Das „gröste Gut“ wiederum besteht für den Philosophen in der Glückseligkeit, die in der Gemütsruhe zum Ausdruck kommt. Es wird deutlich, dass Thomasius seine Begriffe zirkulär, dafür aber auch kohärent bestimmt. Die vernünftige Liebe allerdings, und dies ist für die vorliegende Studie ein nicht unerheblicher Gesichtspunkt, unterteilt der Philosoph nochmals in zwei Formen: „So ist demnach anfänglich die vernünfftige Liebe anderer Menschen zweyerley: Die allgemeine und die absonderliche. Jene gehet auff alle Menschen/ diese auff etliche insonderheit.“340 Die „allgemeine“ vernünftige Liebe ist demzufolge Basis für den Umgang mit anderen Menschen überhaupt.341 Die „absonderliche“ Liebe hingegen ist gleichzusetzen mit der „Vereinigung zweyer tugendliebende[r] Seelen/ die durch Wechselsweise Gefälligkeit und auffmercksame Sorgfalt gesucht/ durch Wechselsweise Gutthaten erlanget/ und durch Gemeinmachung aller Dinge besessen und unterhalten wird.“342 Während die erste Form der allgemeinen vernünftigen Liebe den Umgang mit anderen Menschen insgesamt umfasst, entwirft Thomasius mit den hier benannten Begriffen Gefälligkeit/Sorgfältigkeit, den Gutthaten und der Gemeinmachung ein dreiteiliges Konzept, das detaillierte Vorstellungen für seine Leser darüber bereithält, wie sich die vernünftige Liebe zwischen zwei bestimmten Menschen in der Praxis tatsächlich aufbauen und umsetzen lässt. Es handelt sich um die Anbahnung einer Liebesbeziehung, die in der von ihm als Ziel- und Endpunkt geforderten Vereinigung mündet. Diese im sechsten Kapitel geschilderte Vorgehensweise zwischen zwei tugendliebenden Gemütern wird im Einzelnen Basis der Romananalyse im Paradigma der Annäherung sein (Teil IV, Kap. 1).

Passend zu dieser positiven Begriffsbestimmung nimmt Thomasius eine Abgrenzung vor, die den Kern seiner Grundidee hervorhebt: „Derowegen wo ein Mensche in seiner Liebe ein dergleichen unruhiges und hitziges Verlangen empfindet/ daß er sein selbst nicht mächtig ist/ und das er sich vor unglücklich hält/ wenn er sich mit der geliebten Person nicht vereinigen sol; so darff er sich

338 Während Thomasius seine Vorstellung der Affekte durch die Rezeption vor allem antiker Autoren herzuleiten und zu begründen weiß, kann er sich nach eigener Aussage im Hinblick auf die Ausführungen zur vernünftigen Liebe auf keine philosophischen Vorarbeiten beziehen. Siehe hierzu: Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre, S. 258 [6/1]: „Gleichwohl wirst du aus gegenwärtigen Capitel sehen/ daß wir bey den meisten so darinnen abgehandelt wird/ die Bahne selbst brechen müssen/ indem wir unter den Sitten=Lehrern niemand gefunden/ der uns darinnen vorgegangen wäre […].“

339 Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre, S. 88 [2/71].

340 Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre, S. 199 [5/2].

341 Vgl. Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre, S. 208 [5/20]. In dieser Hinsicht zählt Thomasius fünf Tugenden auf, „die Leutseligkeit/ Wahrhafftigkeit/ Bescheidenheit/ Verträglichkeit/ Gedult. Alle fünffe kommen mit einander überein/ weil sie sich in der allgemeinen menschlichen Natur gründen/ und man dieselbigen gegen jedermann erweisen muß/ gleich wie man dieselbigen von jedermann gewärtig ist.“

342 Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre, S. 259 [4/2].

80 nur gewiß versichern/ daß seine Liebe nicht vernünfftig sey“343. Die Forderung nach Kontrolle und Maß ist zentral, wer zu hitzig ist, kann nicht vernünftig lieben; die vernünftige Liebe ist demnach ein stilles, ruhiges, also langsames Verlangen. Der Mensch könne sich in dieser Hinsicht selbst überprüfen und feststellen, ob er die vernünftige Liebe ausübt oder der unvernünftigen Liebe erlegen ist: „Und dieses ist gewiß eine von denen Proben/ ob man in der Sitten=Lehre Meister oder noch ein Schüler sey/ nachdem man bey sich auch in ehrlichen Absehen eine hitzige oder gleichgültige Begierde empfindet.“344

Korrespondierend mit der Vorstellung von der vernünftigen Liebe als Gemütsruhe beschreibt Thomasius die drei Gemütsneigungen der unvernünfftigen Liebe. Sie „führen den Menschen unter dem Schein einer wahren Glückseligkeit von der Gemüths=Ruhe in eine stetswehrende Unruhe/

wiewohl immer eine weiter von der vernünftigen Liebe entfernet ist als die andere.“345 Hiermit ist ein wesentlicher Bestandteil des Grundverständnisses über die Affekte bei Thomasius benannt:

Sie hindern den Menschen an der Gemütsruhe und demnach auch an der Glückseligkeit. Im Verb

„führen“ klingt zudem eine wichtige Komponente des Begriffs und des Konzepts an, die nicht nur kohärent in Bezug auf die Annahmen der Einleitung ist, sondern die bereits in der Antike zur Grundvorstellung gehörte: Dieses Verb impliziert eine Bewegung und zugleich die Passivität des Menschen selbst, der wiederum innerlich bewegt wird.

Im Zusammenhang mit dieser Passivität ist auf begrifflicher Ebene zunächst festzustellen, dass Thomasius neben „Affekt“ auch die Termini „Gemüths=Leidenschaft“346, „Gemüthsneigung“ oder

„Passion“ verwendet, wie beispielsweise in der eingangs zitierten Zuschrift. Zu Beginn des zweiten Kapitels verweist er auf die Synonymie von „Gemüths=Neigung“ und „Affekt“, wobei er auf die lateinische Herkunft des Wortes Bezug nimmt347. Damit steht Thomasius nicht nur hinsichtlich des hier näher zu beschreibenden Konzepts, sondern auch der Begriffsverwendung und Begriffsvielfalt in einer Traditionslinie, die bis in die Antike zurückreicht. Denn:

„Begriffshistorisch gesehen sind sowohl ‚passio‘ als auch ‚affectus‘ lateinische Übersetzungen des griechischen [[…]; pathos, S.Z.]; sie stellen von der Antike bis ins 18. Jahrhundert die üblichsten Bezeichnungen dar und werden fast durchgängig als synonym verwendet“348. „Passion“, „Affekt“

343 Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre, S. 163 [4/15].

344 Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre, S. 165 [4/18].

345 Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre. Zuschrifft an Johann Georg zu Anhalt [unpag., S. 2].

346Vgl. Thomasius: Ausübung der Sittenlehre, S. 77 [3/11]: „Nichts destoweniger aber können wir den Affect wohl in einem gewissen Verstande eine Gemüths=Leidenschaft nennen […].“

347 Vgl. Thomasius: Ausübung der Sittenlehre, S. 38f. [2/1]: „Wannenhero damit derselbe desto besser erkannt werden möge [der Unterschied zwischen vernünftiger Liebe und Gemütsneigung, S.Z.]/

höchstnöthig seyn will/ daß wir von denen Gemüths=Neigungen/ oder wie sie die Lateiner nennen/

affecten/ überhaupt und insonderheit ausführlich handeln […].“

348 Catherine Newmark: Passion Affekt Gefühl. Philosophische Theorien der Emotionen zwischen Aristoteles und Kant. Hamburg 2008, S. 9. Auf diese Synonymie zwischen lateinischem und griechischem Begriff verweist auch Gert Ueding u.a.: Art. Affektenlehre. In: Ders. (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 1: A Bib. Tübingen 1992, Sp. 218: „Der lat, Begriff ‚affectus‘ bzw. ‚adfectus‘ ist übrigens eigentlich nur ein Synonym für griech. […] páthos“. Auch im Historischen Wörterbuch für Ästhetische Grundbegriffe ist dies in der lexikalischen Begriffsbestimmung nachzulesen, die zusätzlich noch weitere

81 und „Pathos“ sind demnach Bezeichnungen für den gleichen Sachverhalt. Das griechische „pathos“ wiederum „kommt von dem Verb paschein –‚erleiden‘ – und betont somit den passiven Charakter der entsprechenden Zustände, ähnlich wie in den Übersetzungen affectus, ‚Affektion‘,

‚Widerfarnis‘ oder ursprünglich auch ‚Leidenschaft‘.“349 Der Mensch erleidet seine Affekte, sie kommen gewissermaßen über ihn, er erliegt ihnen – in all diesen Wendungen wird die Passivität des Menschen deutlich, er ist nicht Subjekt einer Handlung, sondern Objekt. Dies lässt sich nicht zuletzt aus der lexikalischen Betrachtung der Wortherkunft ableiten: „Die Substantivierung von lat. afficere (hinzutun, einwirken, antun, anregen) zu affectus deutet auf die Voraussetzung, daß Affekte zunächst in erster Linie als etwas durch die Außenwelt Bewirktes galten“350, sie „sind so als etwas begriffen, was dem Menschen ‚angetan‘ wird, was er durch seine Außenwelt

‚erleidet‘.“351

Die aus der Etymologie abzuleitende Passivität des Menschen ist auch Kern der Herleitung und Definition der Affekte, die Thomasius am Ende seines dritten Hauptstücks in der Ausübung zur Sittenlehre festhält:

Die Gemüths=Neigungen sind Bewegungen des menschlichen Willens zu angenehmen oder widrigen Dingen/ die abwesend oder zukünfftig sind/ welche von denen starcken Eindrückungen äußerlicher Dinge in das Hertze des Menschen/ und der daraus erfolgten ausserordentlichen Bewegung des Geblüts entstehen.352

Thomasius beschreibt hier den Ausgangspunkt und die Richtung der Bewegung: Es sind Eindrücke von außen, die in das menschliche Herz gelangen und von dort eine „ausserordentliche Bewegung des Geblüts“ bewirken. In ein Schema überführt, werden zwei Schritte erkennbar: die Einwirkung von außen ins Herz und von dort aus die Bewegung des Geblüts, also eine körperlich wahrnehmbare innere Reaktion. Thomasius‘ Konzept, das er selbst in der Tradition der von ihm vorgestellten Philosophen verortet353, hat demnach eine passive und eine aktivierende

Synonyme in verschiedenen Sprachen auflistet, Hartmut Grimm: Art. Affekt. In: Karlheinz Barck u.a. (Hrsg.):

Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Bd. 1 (Absenz Darstellung).

Stuttgart, Weimar 2000, S. 16: „[G]riech. […]; lat. affectus, affectio, passio, perturbatio; engl. passion; frz.

passion; ital. affetto, passione; span. afecto, pasión, afectión […].“

349 Christoph Rapp: Bausteine für eine Theorie der Emotionen. In: Hilge Landweer/ Ursula Renz (Hrsg.):

Klassische Emotionstheorien. Von Platon bis Wittgenstein. Berlin 2008, S. 48.

350 Grimm: Art. Affekt, S. 18.

351 Grimm: Art. Affekt, S. 19.

352 Thomasius: Ausübung der Sittenlehre, S. 105 [3/71].

353 Vgl. Thomasius: Ausübung der Sittenlehre, S. 73 [3/3]: „Alle Philosophi haben sich die Affecten unter dem Concept einer Bewegung eingebildet/ und also wollen auch wir nichts neues machen/ sondern die Affecten als Bewegungen des Gemüths vorstellen.“ An dieser Stelle beschreibt er die Bewegung noch kleinschrittiger und gibt damit eine konkretere Vorstellung vom ‚Ablauf‘ der Gemütsbewegung, ebd. S. 74 [3/4]: „Wenn ich mich in etwas verliebe oder fürchte/ so beweget 1. eine äußerliche Sache die zun [sic] Sinnligkeiten gehörige Theile meines Leibes/ und durch dieselbigen 2. die Geistergen des Leibes so in denen Nerven oder dem Geblüte sich auffhalten/ deren jene so dan sich ausbreiten oder zusammen ziehen/ diese aber das Geblüte geschwinder oder langsamer bewegen. Auff diese Bewegung folget 3. eine unbeständige und zwischen dem Wege der Vernunfft und Thorheit gleichsam wanckende Bewegung des Willens/ nach welcher endlich 4. eine ruhigere oder unruhigere Bewegung des Willens erfolget.“

82 Komponente. Catherine Newmark beschreibt diesen seit der Antike tradierten Bewegungsablauf:

„[D]ie ‚Passion‘ oder ‚Leidenschaft‘ ist eine Bewegung der Seele durch die sinnlich wahrgenommene Lust und Unlust. […] Passionen werden also passiv und unwillkürlich erlitten, sind aber zugleich auch, sofern sie den Körper bewegen, handlungsauslösend“354. Die menschliche Reaktion auf den Sinneseindruck bewirkt nach diesem Verständnis ein Verhalten; genau diese Abfolge ist auch bei Thomasius nachzulesen:

Denn indem der Wille des Menschen von der innerlichen Leibes=Bewegung zur Neigung angetrieben wird, leidet er etwas; in dem er aber des Vermögens das er hat/

sich nicht bedienet/ oder dem Trieb des Leibes nachgiebet/ und das äußerliche Thun und Lassen nach demselben dirigiret/ thut er etwas.355

An dieser Stelle wird die Spannung zwischen Passivität und Aktivität, durch die das menschliche Gemüt charakterisiert wird, explizit gemacht: Letztlich geht es Thomasius darum, dass der Mensch sich aus seiner Unterlegenheit befreit durch ein aktives „Thun“. Die Konsequenz wäre eine Umkehrung des angesprochenen Subjekt-Objekt-Charakters. Letztlich kann dies als Quintessenz der von Thomasius vorgelegten Sittenlehre gesehen werden.

3.3 Die „Bewegung“ als Grundkonzept und die Vorstellung von der

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