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I. Einkommen, Vermögen und Überschuldung

I.1 Die Verteilung von Einkommen auf Personen und Haushalte

I.1.2 Die Einkommensverteilung

In diesem Abschnitt werden die drei Ebenen des Einkom-mensverteilungsprozesses beleuchtet. Hierzu wird zunächst die Verteilung der Markteinkommen (Primär-einkommen) auf deren Bezieher betrachtet. Im folgenden Schritt wird die private Umverteilung zwischen Bezie-hern und Nicht-BezieBezie-hern berücksichtigt, indem die indi-viduellen Markteinkommen zu einem Haushaltsmarktein-kommen zusammengefasst werden und anschließend jedem Haushaltsmitglied – nach Zuordnung eines Äqui-valenzgewichts – ein Anteil daran zugerechnet wird (Markt-äquivalenzeinkommen). Dabei werden grundsätzlich zwei Äquivalenzskalen alternativ herangezogen, die Alte und die Neue OECD-Skala (siehe hierzu Info-Box „Äquiva-lenzskalen“). Auf der letzten Ebene wird die Verteilung des Nettoeinkommens (Sekundäreinkommen) analysiert. Dazu werden Abgaben und Transfers auf das Haushaltsmarktein-kommen angerechnet und das sich daraus ergebende haltsnettoeinkommen wie oben auf die jeweiligen Haus-haltsmitglieder verteilt (Nettoäquivalenzeinkommen).

Aussagen über Einkommensverteilungen und deren Gleichmäßigkeit bzw. Ungleichheit stützen sich auf Ver-Teil A: Die soziale Lage in Deutschland bis 1998

23 Während für die Darstellung der gesamten Einkommensverteilung und ihrer Kombination mit Vermögen nur auf die Einkommens- und Verbrauchsstichproben (EVS) zurückgegriffen werden kann, sind die Ergebnisse dieser Erhebungen weniger für eine detaillierte Ana-lyse des unteren und oberen Einkommensbereichs geeignet: Um diese gar nicht bzw. unzureichend erfassten Ränder der Einkom-mensverteilung dennoch analysieren zu können, wurden zwei wei-tere Datenquellen herangezogen: das Niedrigeinkommenspanel der Bundesregierung und die Einkommensteuerstatistik. Darüber hinaus gibt eine Betrachtung der Einkommensmobilität Aufschluss über in-dividuelle Einkommensveränderungen im Zeitablauf. Die hierzu benötigten Datengrundlagen lieferte das Sozio-ökonomische Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

24 Der Bericht zur Einkommenssituation stützt sich auf das Gutachten

„Einkommensverteilung im Querschnitt und im Zeitverlauf 1973 bis 1998“ von Prof. Dr. Richard Hauser und Dr. Irene Becker. Als Da-tenquelle wird die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe heran-gezogen. Die Auswertungen beziehen sich nur auf Haushalte mit deutscher Bezugsperson.

teilungsmaße, die der Verdichtung der Informationsfülle dienen (siehe dazu Info-Box „Verteilungsmaße“).

Die Verteilung der Bruttoeinkommen aus unselbstständi-ger Tätigkeit auf Arbeitnehmer (siehe Anhangtabellen I.3 und I.4) war über den gesamten Untersuchungszeitraum erwartungsgemäß wesentlich gleichmäßiger als die Ver-teilung der Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit und aus Vermögen auf die entsprechenden Einkommensbezie-her. Die Ungleichheit der Arbeitnehmereinkünfte hat sich in Westdeutschland zwischen 1973 und 1998 allerdings etwas erhöht, wobei sich hier nicht nur die Entwicklung von Lohn- und Gehaltsstrukturen, sondern auch die Zu-nahme von unterjähriger Beschäftigung (als Folge der Ar-beitslosigkeit) insbesondere auf den unteren Bereich aus-wirkten. Demgegenüber war die Entwicklung bei den Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit uneinheitlich;

die Ungleichheit der Verteilung der Vermögenseinkom-men ging zurück. Diese Ergebnisse sollten allerdings sehr vorsichtig interpretiert werden, da das Design der EVS auf generelle Erfassungsschwierigkeiten bei Selbstständigen-und Vermögenseinkommen hinweist Selbstständigen-und zusätzlich durch methodische Veränderungen zwischen den Erhebungen 1993 und 1998 die Vergleichbarkeit der einzelnen

Stich-proben eingeschränkt ist (siehe dazu Materialband Kap. I.1.2).

Vergleiche zwischen West- und Ostdeutschland für 1993 und 1998 ergaben eine leichte Annäherung sowohl der Durchschnittseinkommen als auch des Ausmaßes der Un-gleichheit. Die Unterschiede waren 1998 aber nach wie vor beträchtlich. Die Vermögenseinkommen waren in den neuen Ländern sogar noch ungleichmäßiger verteilt als im früheren Bundesgebiet, wobei hier wie bereits erwähnt mit Verzerrungen durch Erfassungsprobleme vor allem bei der EVS ’98 gerechnet werden muss.

Die Betrachtung aller Haushalte – einschließlich der ohne Markteinkommen – ergab für Westdeutschland eine deut-liche Zunahme der Ungleichheit zwischen 1973 und 1998 (siehe Anhangtabelle I.9). Von der steigenden Ungleich-heit war insbesondere der untere Rand der Verteilung be-troffen, wie der kontinuierliche Anstieg des im unteren Einkommensbereich sensitiven Atkinson-Maßes zeigt.

Die Begründung für diese Entwicklung lag im Anstieg der Arbeitslosigkeit und der demographisch bedingt steigen-den Zahl der Haushalte mit keinem oder nur geringfügi-gen Markteinkommen. Der langfristige Trend wurde Äquivalenzskalen

Äquivalenzskalen ermöglichen es, das Haushaltsein-kommen im Zusammenhang mit der Haushaltsgröße zu analysieren.

Größere Haushalte haben gegenüber kleineren relative Einsparmöglichkeiten, weil beispielweise bestimmte Ausstattungsgegenstände im Haushalt von allen Mit-gliedern genutzt werden können und nicht für jedes Mitglied separat angeschafft werden müssen. Um den gleichen Lebensstandard wie ein Alleinstehender zu er-reichen, reicht für ein Paar bereits ein etwas geringeres als das doppelte Einkommen aus. In diesem Bericht werden zur Berechnung der Äquivalenzeinkommen die Alte und die Neue OECD-Skala herangezogen. Die Alte OECD-Skala entspricht in etwa der Bedarfsmes-sung im Rahmen der Regelsatzverordnung des Bundes-sozialhilfegesetzes unter Berücksichtigung empirisch abgeleiteter Wohnkosten, die Neue OECD-Skala lehnt sich an Ergebnisse von Analysen des Ausgabeverhal-tens privater Haushalte und subjektiven Einschätzun-gen der Haushaltsgrößenersparnis an. Sie messen den einzelnen Haushaltsmitgliedern folgende Gewichte bei:

Um das Äquivalenzeinkommen zu erhalten, werden die o. g. Gewichte addiert und das Einkommen durch diese Summe geteilt.

Die Wahl der Äquivalenzskala hat großen Einfluss auf die relative Einkommensposition der Haushalte. Da die Neue OECD-Skala wegen der geringen Gewichte für weitere Haushaltsmitglieder eine höhere Kostenerspar-nis größerer Haushalte gegenüber der Alten OECD-Skala impliziert, erhöht sich der Durchschnittswert der Äquivalenzeinkommen. Außerdem muss z. B. eine Fa-milie mit zwei Kindern unter 15 Jahren „nur“ das 2,1fa-che Einkommen eines Singles haben, um dessen Le-bensstandard zu erreichen, während dieser Faktor nach der Alten OECD-Skala mit 2,7 um fast 29 % höher liegt.

Ein Ehepaar benötigt hingegen nach der Neuen OECD-Skala das 1,5fache Singleeinkommen, nach der Alten das 1,7fache (gut 13 % mehr).

Aus diesem Unterschied der Gewichtung wird klar, dass die relative Einkommensposition in der Einkom-mensverteilung für größere Haushalte nach der Neuen OECD-Skala günstiger ist als unter der Alten.

Alte

infolge der Vereinigung, die den konjunkturellen Ab-schwung herauszögerte, unterbrochen, setzt sich danach aber wieder fort.

Die Ungleichheit fiel in Ostdeutschland noch höher aus als in Westdeutschland (siehe Anhangtabelle I.10) und stieg im Vergleich von 1993 mit 1998 deutlich an. Der verzeichnete Anstieg war eine Folge der höheren Arbeits-losigkeit in Ostdeutschland und des daraus resultierenden höheren Anteils von Haushalten mit keinem oder nur ge-ringfügigem Markteinkommen.

Durch Transfereinkommen einerseits und Steuern und Sozialversicherungsbeiträge andererseits wurde die

Un-gleichheit der personellen Einkommensverteilung (Se-kundäreinkommen) wesentlich reduziert (siehe Anhang-tabellen I.11 und I.12). So lag im früheren Bundesgebiet der Gini-Koeffizient für die Nettoäquivalenzeinkommen um fast zwei Fünftel unter dem für die Marktäquivalen-zeinkommen. Alle Ungleichheitsindikatoren zeigten für die Sekundärverteilung einen mäßigen, aber kontinuierli-chen Anstieg im Zeitverlauf, wobei dies insbesondere auf eine Verschlechterung der Einkommenssituation im unte-ren Einkommensbereich zurückzufühunte-ren war. Für die 90er-Jahre ergab sich eine Annäherung zwischen alten und neuen Ländern. 1993 belief sich das durchschnittliche Nettoäquivalenzeinkommen in Ostdeutschland erst auf 1. Gini-Koeffizient

Der Gini-Koeffizient basiert auf der Lorenzkurve. Die Bevölkerung wird nach der Höhe des Einkommens in ansteigender Ordnung sortiert, sodass man in der hier exemplarisch dargestellten Graphik ablesen kann, wel-chen prozentualen Anteil am Gesamteinkommen (ver-tikale Achse) das Einkommen der untersten x % der Be-völkerung (horizontale Achse) ausmacht. Würde die ganze Bevölkerung über dasselbe Einkommen verfü-gen, also die untersten 20 % über 20 % des Gesamtein-kommens usw., entspräche die Lorenzkurve der 45°-Li-nie. Verfügt im Gegensatz dazu eine einzige Person über das gesamte Einkommen, während alle anderen kein Einkommen haben, liefe die Kurve entlang der Achsen. Realistische Einkommensverteilungen und so-mit Lorenzkurven liegen, wie im Graphen dargestellt, zwischen diesen Extremen.

Der Gini-Koeffizient beinhaltet die Informationen der Lorenzkurve in einer Maßzahl. Sie entspricht dem Ver-hältnis der Fläche zwischen der 45°- (Gleichvertei-lungs)-Linie und der jeweiligen Lorenzkurve zum ge-samten Dreieck. Der sich ergebende Wert liegt deshalb zwischen 0 (Gleichverteilung) und 1 (Konzentration des Einkommens auf eine Person). Die größte Sensiti-vität weist der Gini-Koeffizient bei Veränderungen im mittleren Einkommensbereich auf.

2. Atkinson-Maß

Während der Gini-Koeffizient normative Entscheidun-gen implizit enthält, können diese beim Atkinson-Maß durch die Wahl des Parameters Euro, der die Ungleich-heitsaversion angibt, variiert werden. Je höher der Wert von Euro, desto mehr Gewicht erhält die relative Ver-teilungsposition der unteren Schicht.

Wie der Gini-Koeffizient liegt das Atkinson-Maß zwi-schen 0 und 1, wobei der Wert einerseits durch die Ver-teilung, andererseits aber auch durch die Wahl des Pa-rameters beeinflusst wird. So kann das Maß den Wert 0 annehmen, entweder weil das Einkommen gleichver-teilt ist oder weil die Verteilungsfrage keine Rolle spielt (Euro=0). Im entgegengesetzten Extremfall führt die Wahl eines sehr hohen Wertes für Eurodazu, dass das Maß den Maximalwert 1 für eine empirische Vertei-lung, die noch weit entfernt von vollständiger Konzen-tration ist, erreicht und Veränderungen in der Verteilung nicht mehr nachgewiesen werden können.

Verteilungsmaße

In der Verteilungstheorie ist eine Vielzahl von Verteilungsmaßen mit recht unterschiedlichen Eigenschaften ent-wickelt worden. Jedes Messkonzept beinhaltet normative Setzungen, die sich in unterschiedlichen Sensitivitäten der Indikatoren auf Verteilungsänderungen in bestimmten Einkommensbereichen äußern, sodass zur Abdeckung einer Bandbreite subjektiver Wertvorstellungen mehrere Verteilungsmaße berechnet und ausgewiesen werden.

ungefähr zwei Drittel des westdeutschen Niveaus, 1998 auf drei Viertel bei gleichzeitig ebenfalls zunehmender Ungleichheit. Dennoch war die Sekundärverteilung in den neuen Ländern noch wesentlich gleichmäßiger als im früheren Bundesgebiet. Die Wirkungsweise des Abgaben-und Transfersystems kann anhand einer Übergangsmatrix (siehe Tabelle I.1) näher analysiert werden.25

Erwartungsgemäß stieg der überwiegende Teil, nämlich mehr als 70 % der Gruppe mit einem Marktäquivalenz-einkommen unterhalb der 50 %-Grenze durch die Wir-kungen des Transfersystems in höhere Einkommensklas-sen auf. In den höheren EinkommensklasEinkommensklas-sen nahmen die Aufstiege rapide ab. Bei der Gegenüberstellung verschie-dener Untersuchungsjahre ergab sich allerdings, dass der

25 Hier werden zunächst alle Personen nach der Höhe des Marktäqui-valenzeinkommens in relative Primäreinkommensklassen eingeteilt, deren Besetzung die relative Häufigkeitsverteilung ergibt (Vtl 1).

Anschließend werden die zugehörigen Nettoäquivalenzeinkommen in Klassen eingeteilt, die wie die Markteinkommen abgegrenzt wer-den. Die sich daraus ergebende Sekundärverteilung innerhalb

ein-Ta b e l l e I.1 Von der Verteilung der Marktäquivalenzeinkommen zur Verteilung der Nettoäquivalenzeinkommen:

Auf- und Abstiege zwischen relativen Einkommensklassen in West- und Ostdeutschland – Alte OECD-Skala, jeweiliges arithmetisches Mittel –

Anm.: Bei einer Fallzahl in der Stichprobe von weniger als 30 wurden keine Ergebnisse ausgewiesen (*), bei einer Fallzahl von 30 bis unter 100 wur-den die Ergebnisse in Klammern ausgewiesen.

Quelle: Hauser, R. und Becker, I.: Einkommensverteilung im Querschnitt und im Zeitverlauf 1973 bis 1998

zelner Klassen des Marktäquivalenzeinkommens beleuchtet, wie sich die staatliche Umverteilung auf die relative Einkommensposi-tion der Einzelnen auswirkt. Aus den verschiedenen Auf- (+) und Ab-stiegen (–) sowie unveränderten Positionen (k) ergibt sich die ge-samte Sekundärverteilung (Vtl 2).

Anteil der Aufsteiger aus der untersten Primäreinkom-mensklasse zurückgegangen ist, dass also der ausglei-chende Effekt des staatlichen Umverteilungssystems zu-gunsten des unteren Rands der Verteilung schwächer geworden ist. Dies zeigt sich daran, dass der Anteil der Aufsteiger aus der untersten Einkommensgruppe im Zeit-verlauf sank. Im früheren Bundesgebiet nahm ihr Anteil von 79,0 % (1973) auf 70,4 % (1998) ab, in den neuen Ländern von 92,0 % (1993) auf 88,3 % (1998). Hier wird auch deutlich, dass die Primäreinkommensverteilung im unteren Bereich in den neuen Ländern durch staatliche Eingriffe wesentlich stärker korrigiert wurde als im frühe-ren Bundesgebiet.