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I. Einkommen, Vermögen und Überschuldung

I.2 Vermögensverteilung

I.2.3 Besondere Aspekte des Reichtums an Vermögen

Bei der Befassung mit großen Vermögen stellen sich grundsätzliche Fragen, die über die Wiedergabe der oh-nehin wenigen verfügbaren statistischen Daten hinausge-hen. Um zu solchen Fragen im vorliegenden Armuts- und Reichtumsbericht Grundlagen bereitzustellen, die nach dem aktuellen Stand der Forschung als Ergebnis der his-torischen Armuts- und Reichtumsdebatte angesehen wer-den können, wurde im Auftrag der Bundesregierung von Prof. Dr. Ernst-Ulrich Huster zusammen mit Prof. Dr.

Dieter Eißel ein Gutachten36erstellt. Die Ausführungen in den Abschnitten I.2.3.1 und I.2.3.2 stützen sich auf dieses Gutachten.

I.2.3.1 Theoretische Fundierung von Reichtumsgrenzen

Ein komplexer Vermögens- und Reichtumsbegriff muss den Zusammenhang von Einkommens- und Vermögens-reichtum bedenken, denn Reichtum kann sowohl aus der Perspektive von Einkommen als auch aus der Perspektive

35 Mierheim, H. und Wicke, L.: Die personelle Vermögensverteilung in der Bundesrepublik Deutschland, 1978 und Krelle, W.; Schunk, J.

und Siebke, J.: Überbetriebliche Ertragsbeteiligung der Arbeitneh-mer, 1968.

36 Huster, E.-U.; Eißel, D. und Boeckh, J.: Reichtumsgrenzen für em-pirische Analysen der Vermögensverteilung, Instrumente für den staatlichen Umgang mit großen Vermögen. Ökonomische, soziolo-gische und ethische Beurteilung großer Vermögen.

von Vermögen betrachtet werden. Einkommen stellt eine Fließgröße, Vermögen dagegen eine Bestandsgröße dar.

Kategorisierungen können nicht ohne den Bezug zwi-schen beiden Größen vorgenommen werden. Einkommen kann nämlich zu Vermögen, Vermögen kann zu Einkom-men führen. Vermögensreichtum muss deshalb u. a. da-nach bemessen werden, inwieweit er ein Äquivalent zu er-bringen in der Lage ist, das dem Einkommensreichtum entspricht. Insgesamt sind also hohe Einkommen und hohe Vermögen zusammen zu sehen und in ihrer Wech-selwirkung in Beziehung zu setzen, um Reichtum erfas-sen zu können.

Einkommensreichtum ist im Verhältnis zu der durch-schnittlichen Finanzausstattung der Haushalte zu bestim-men. Je niedriger das verfügbare Haushaltseinkommen, umso stärker ist der Verbrauch auf die Befriedigung des unumgänglichen Grundbedarfs wie Wohnen, Essen, Energie etc. konzentriert. Ein wachsendes und hohes Ein-kommen kann in dem Maße, wie es den durchschnittli-chen und angestrebten Konsumbedarf übersteigt, der Er-sparnisbildung in unterschiedlichen Formen und für unterschiedliche Zwecke dienen. Wenn man Vermögen aus Vererbung und Wertsteigerungen des vorhandenen Vermögens außer Acht lässt, kann nur auf diese Weise Vermögen gebildet werden. Um ein monatliches Einkom-men aus Vermögen zu erwirtschaften, das dem Doppelten des durchschnittlichen Haushaltseinkommens entspricht, müsste man je nach Kapitalverzinsung 1,2 bis 2,4 Mio. DM anlegen. Zu berücksichtigen ist, dass Vermögen unter-schiedliche Renditen hat und dass Vermögen auch Risiken anhaften, die nicht versicherbar oder vorhersehbar sind.

Mit einer gewissen Plausibilität kann eine Reichtums-grenze beim Vermögen zwischen 1,2 und 1,5 Mio. DM pro Haushalt angesetzt werden (der untere Wert entspricht dem Dreifachen des durchschnittlichen Vermögens einschließlich Betriebs- und Gebrauchsvermögen).

I.2.3.2 Große Vermögen in ökonomischer, soziologischer und ethischer Sicht Die großen ethischen Wertesysteme unseres Kulturkrei-ses stehen sowohl für Freiheit, Bindung und Akkumula-tion als auch für Gemeinwohl. Sie lassen Eigentum und auch Eigentum am Reichtum durchaus einen eigenen staltungsspielraum, setzen aber einen Rahmen für das Ge-meinwesen, dem sich dann auch Eigentum bzw. Reichtum zu subsumieren haben. Daraus folgt die Forderung nach Partizipation auch derjenigen am Reichtum, die von dem unmittelbaren Zugriff auf diesen Reichtum ausgeschlos-sen sind.

Reichtum erlaubt, ein Einkommen zu erzielen, das der in-dividuellen Sicherung (Vorsorge) gegen Risiken sowie der Erhöhung des Konsums und der Freiheit, unabhängig von staatlicher Garantie, dient. Arme verfügen nicht über diese Möglichkeiten der Erweiterung der individuellen Handlungsmöglichkeiten.

Die Beschäftigung mit Reichtum dient zunächst dessen Schutz, fragt sie doch nach dem legitimen Besitz und un-terscheidet ihn wertend vom illegitim und illegal

erwor-benen. Reichtumsforschung geht von der Legitimität so-zialer Distanz aus, sie fragt nach deren Bedeutung in der Gesellschaft. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Reichtum wichtige Funktionen in unserer Gesellschaft im ökonomischen, sozialen und kulturellen Bereich hat. Es bedarf daher eines ausgewogenen gesellschaftlichen Dis-kurses darüber, wozu Reichtum dient bzw. was die im Grundgesetz verankerte Sozialbindung von Eigentum konkret heißen soll.

Da das Grundgesetz vom Eigentum und nicht vom Reich-tum redet, müssen beide Begriffe nach Gemeinsamkeiten und Trennendem hinterfragt werden. Bezogen auf den Reichtum, der keinesfalls per se inkriminiert bzw. diskre-ditiert ist, vielmehr in seinen positiven wie negativen Auswirkungen wertend differenziert wahrgenommen wird, ist deshalb nach dessen legitimen und illegitimen Gebrauch zu fragen.

I.2.3.3 Millionäre

In Deutschland gibt es heute rund 1,5 Mio. Vermögens-millionäre, d. h. Privathaushalte mit einem Nettoprivat-vermögen ab einer Million DM. Dies folgt aus der Aus-wertung der EVS 1998 mit den dort erfassten Beträgen der wichtigsten Formen des Privatvermögens unter Berücksichtigung der nicht in diese Erhebung einbezoge-nen Haushalte und der Vermögensentwicklung seit dem Erhebungszeitpunkt. Gebrauchsvermögen (langlebige Gebrauchsgüter) und Betriebsvermögen sind nicht einbe-zogen.

Methodisch vergleichbare Angaben über die Zahl der Mil-lionäre in der Vergangenheit liegen nicht vor. Anhalts-punkte über die Entwicklung gibt es jedoch. Die 1968 von Krelle, Schunck und Siebke37 genannte Schätzung von 14 000 Millionären zu Anfang 1960 sowie die 1978 von Mierheim und Wicke38genannte Schätzung von 217 000 Millionären zu Ende 1973 bilden trotz unterschiedlicher Vermögensabgrenzung mit der heutigen Anzahl von ca.

1½ Mio. Millionären eine Entwicklungslinie, die von der relativen Zunahme der Zahl vermögensteuerpflichtiger Haushalte mit einem steuerlichen Gesamtvermögen ab ei-ner Million DM in etwa bestätigt wird. Dabei ist in allen Jahren die Zahl der Vermögensmillionäre im Sinne der Vermögensteuer (siehe Anhangtabelle I.65) im Niveau viel niedriger und in der Zunahme weniger stark als die Zahl der tatsächlichen Vermögensmillionäre, vor allem weil beim steuerlichen Gesamtvermögen privater und be-trieblicher Grundbesitz erheblich unter dem Marktwert mit starren Einheitswerten angesetzt wird, Schulden da-gegen voll abgezogen sind.

Der Anstieg der Zahl der Millionäre darf – wie überhaupt eine Zunahme der Anzahl oder des Anteils der Haushalte mit Vermögen oberhalb einer jeden bestimmten absoluten Wertgrenze – nicht als Zeichen einer zunehmenden Un-gleichheit der Vermögensverteilung interpretiert werden.

Die Entwicklung der Zahl der Millionäre ist Ausdruck des

37 Krelle, W.; Schunk, J. und Siebke, J.: a. a. O.

38 Mierheim, H.; und Wicke, L.: a. a. O.

allgemeinen Wachstums der Vermögen, das durch Wirt-schaftswachstum, Einkommensanstieg, Vermögensbildung sowie Wertentwicklung von Immobilien und Aktien be-wirkt wird. So wachsen laufend Haushalte mit ihrem Ver-mögen über die feste Betragsgrenze hinaus. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Summe von einer Million DM heute eine geringere reale Vermögensausstattung darstellt als früher, weil inzwischen Einkommen und Preise gestie-gen sind. Insgesamt bedeutet dies auch, dass sich die allge-meine Vorstellung von einem Millionär weniger mit einem Vermögens- als vielmehr mit einem Einkommensmillionär verbinden lässt, es sei denn, man setzt nicht bei einer Ver-mögensmillion, sondern bei höheren Werten an.

I.2.3.4 Erbschaften

Erbschaften werden in Deutschland sowohl in der amtli-chen Statistik als auch im Rahmen empirischer Untersu-chungen nur unregelmäßig und meist ohne detailliertere Angaben erfasst. Aussagen über den Einfluss von Erb-schaften auf das Vermögen privater Haushalte und seine Verteilung sind daher nur eingeschränkt möglich.

In den Einkommens- und Verbrauchsstichproben des Sta-tistischen Bundesamtes wird beim Privatvermögen ledig-lich erfragt, ob die Immobilien selbst erstellt bzw. gekauft oder durch Schenkung bzw. Erbe erworben wurden. 1998 verfügten danach 45 % der deutschen Haushalte über Im-mobilien. Von diesen Haushalten gaben gut 22 % an, dass ihnen dieses Vermögen ganz oder teilweise geschenkt oder vererbt wurde. Dies bedeutet, dass nur rund 10 % aller Haushalte in Deutschland Immobilien geerbt haben.

Diese Quote lag bei sehr jungen und sehr alten Haushal-ten deutlich niedriger und stieg bei HaushalHaushal-ten mit Be-zugspersonen zwischen 45 und 62 Jahren auf bis zu 14 % an. Auch die Haushaltsgröße spielte hierbei eine Rolle. Je größer der Haushalt umso höher war auch der Erbenanteil (6 % bei Einpersonenhaushalten, aber 18 % bei Fünfper-sonenhaushalten).

Schlomann39hat den Einfluss von Erbschaften anhand der Daten der 5. Welle des Sozioökonomischen Panels im Jahre 1988 untersucht. Dort wurden die Haushalte neben ihrem Vermögen auch nach Höhe und Art von

Erbschaf-ten befragt, die sie seit 1960 erhalErbschaf-ten haben. Von 26 Mio.

Haushalten gaben seinerzeit 13,8 % an, im Schnitt rund 86 000 DM geerbt zu haben, wobei die Erbschaftssumme bei rund der Hälfte dieser Haushalte hauptsächlich aus Immobilienvermögen bestand. Überdurchschnittlich hoch war der Anteil der Erben bei Selbstständigen, Beamten und Angestellten sowie bei Haushalten mit Bezugspersonen im Alter von 45 bis 64 Jahren. In keiner der untersuchten sozioökonomischen Gruppen wurde allerdings ein Anteil von 25 % erreicht, sodass Schlomann von einer sehr star-ken Untererfassung ausgeht. Trotzdem stellte er fest, dass bei Bereinigung der Haushaltsnettovermögen um die je-weilige oder die durchschnittliche Erbschaftssumme sich zwar die Rangfolge der nach der Höhe der Vermögen ge-ordneten Haushalte stark ändert, die Verteilungssituation aber dadurch nur geringen Schwankungen unterworfen ist.

Für die Zukunft ist danach von verschiedenen, gegenläufi-gen Effekten auszugehen. Einerseits findet die Vererbung größerer Vermögen nur innerhalb eines Teilbereichs der Gesamtbevölkerung statt, was durch die demographische Entwicklung noch verstärkt wird und einen verteilungs-konzentrierenden Effekt hat. Andererseits wird, bedingt durch das deutsche Erbschaftsrecht, die Erbschaftssumme oft auf mehrere Personen aufgeteilt und durch teilweise Li-quidierung zu Konsumzwecken noch zusätzlich in der Wirkung auf die Vermögensverteilung gemindert, sodass sich nicht einschätzen lässt, inwieweit die Verteilungssi-tuation durch Erbschaften letztlich verändert wird.

Szydlik40kommt nach Auswertung des Alters-Survey, ei-ner 1996 erhobenen repräsentativen Umfrage bei 40- bis 85-Jährigen, zu anderen Ergebnissen. Danach haben fast 50 % der Befragten bereits eine Erbschaft erhalten, und bezieht man die Personen ein, die zukünftig Erbschaften erwarten, erhöht sich der Gesamtanteil der Erben sogar auf über 55 %. Rund 8 % dieser Erbschaften betrugen mindestens 500 000 DM, wogegen ein Sechstel nicht ein-mal 5 000 DM ausmachte. Personen aus höheren Bil-dungsschichten, die in der Regel schon selbst höhere soziale Positionen erreichen, erben öfter und höher als Personen mit niedrigerem Bildungsstand. Szydlik schließt daraus, dass Erbschaften die sozialen Gegensätze in der Gesellschaft vergrößern.

39 Schlomann, H.: Vermögensverteilung und private Altersvorsorge, 1992.

40 Szydlik, M.: Erben in der Bundesrepublik Deutschland, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, März 1999, S. 80–104.