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Datengrundlagen für die Berichterstattung und Forschungsbedarf

Der Bericht der Bundesregierung stützt sich auf eine Viel-zahl bewährter Datenquellen. Gleichzeitig ist es Aufgabe des Berichts, die Datenlage in Hinblick auf ihre Eignung für die Armuts- und Reichtumsberichterstattung kritisch zu überprüfen und ggf. Hinweise auf Datenlücken und für deren Behebung zu geben. Die Nutzung vorhandener Da-tenquellen hat jedoch Vorrang vor einer Ausweitung des Erhebungsprogramms.

Auf der Makroebene werden die Gesamteinkommens-und Vermögenswerte in folgenden Statistiken abgebildet:

– Der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) lassen sich Daten über die Sachvermögensbildung entnehmen.

– Aus den Finanzierungsrechnungen und Kreditstatisti-ken der Deutschen Bundesbank geht der finanzielle Aspekt hervor (Geldvermögensbildung und eingegan-gene Verpflichtungen).

– Als weitere wichtige Datenquelle wird die Einkom-mensteuerstatistik betrachtet.19 Angesichts vielfälti-ger Abschreibungsmöglichkeiten ist aber das zu ver-steuernde Einkommen im Hinblick auf das tatsächlich erzielte Einkommen gerade im oberen Bereich nur eingeschränkt aussagekräftig.

– Über Immobilienvermögen geben weiterhin die bäude- und Wohnungszählung 1987 sowie die Ge-bäude- und Wohnungsstichprobe 1993 Auskunft.

Im unteren Bereich der Wohlstandsverteilung stehen fol-gende Statistiken zur Verfügung:

– Die Arbeitslosenstatistik gibt regional differenziert Auskunft über Alter, Geschlecht, schulische und be-rufliche Ausbildung von Arbeitslosen sowie die Dauer der Arbeitslosigkeit.

– Die Sozialhilfestatistik und die Asylbewerberlei-stungsstatistik enthalten neben den soziodemographi-schen Merkmalen auch Angaben über den Erwerbs-status und die Bezugsdauer.

– Die Kinder- und Jugendhilfestatistik erfasst grundle-gende soziodemographische Merkmale der Personen,

die in Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe ein-bezogen sind. Sie gibt aber nur wenig Auskunft über die lebensweltlichen Hintergründe dieser Leistungs-bezieher.

– Die Wohnungsstichprobe enthält Daten zur Wohn-raumversorgung und zur Bau- und Wohnungsqualität, erlaubt aber keine Verknüpfung mit differenzierten Lebenslageaspekten.

– Die Wohngeldstatistik enthält wesentlich weniger Merkmale als die Sozialhilfestatistik und kann einen groben Eindruck von der Wohnsituation einkom-mensschwacher Haushalte vermitteln. Als Leistungs-statistik ist sie an die Beantragung einer Leistung ge-knüpft.

– Die Krankenkassen- und Pflegekassenstatistik ver-knüpft die Inanspruchnahme gesundheitlicher und pflegerischer Leistungen mit wenigen soziodemogra-phischen Merkmalen, ist aber nicht für mehrdimen-sionale Analysen nutzbar.

– Die (Aus-) Bildungsstatistik enthält neben der Vertei-lung der Abschlüsse nach Geschlecht, Alter und Nati-onalität keine weiteren für Lebenslageanalysen nutz-baren Merkmale.

Eine Reihe von Statistiken gibt zwar über einzelne Aspekte oder Bevölkerungsgruppen Auskunft, aber die Lebenssituation ausgewählter Gruppen kann nicht im Zu-sammenhang analysiert werden. Zum Teil kann diese Schwierigkeit durch die Nutzung von Datensätzen aus Haushaltsbefragungen gelöst werden.

– Die größte Haushalts-Stichprobe ist der vom Statisti-schen Bundesamt jährlich durchgeführte Mikrozensus (MZ), der 1 % der Bevölkerung umfasst (rund 800 000 Personen in rund 370 000 Haushalten). Der Mikrozen-sus stellt umfangreiche Angaben zur Bevölkerungs-struktur, zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Bevölkerung und der Familien und Haushalte sowie zur Erwerbssituation, Ausbildung und Wohnverhält-nissen bereit. Er liefert jedoch keine differenzierten Einkommensdaten, Vermögensdaten werden nicht er-hoben.

– Hinsichtlich der Einkommenserfassung stellt die je-weils im Abstand von fünf Jahren durchgeführte Ein-kommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Sta-tistischen Bundesamts mit 70 000 Haushalten die verlässlichste Datenquelle dar. Problematisch ist aber der Ausschluss der Haushalte mit Nettoeinkommen über 35 000 DM/Monat und die fehlende Repräsenta-tivität bezüglich der ausländischen Bevölkerung. Ein-kommen werden zwar differenziert, weitere Lebensla-genaspekte (wie Angaben zum Gesundheitszustand, zur Behinderung oder zur subjektiven Zufriedenheit) aber kaum erhoben. Mehrdimensionale Analysen der Lebenslage sind daher kaum möglich.

– Das Sozio-ökonomische Panel (SOEP) des DIW um-fasst 1998 die deutsche und die ausländische Wohn-bevölkerung in etwa 7 700 Haushalten. Der Vorteil des

19 Für den Armuts- und Reichtumsbericht wurden die Daten von 1995 im Rahmen eines Forschungsgutachtens von Joachim Merz zum Einkommensreichtum erstmals für Einkommensanalysen nutzbar gemacht.

SOEP liegt in umfangreichen Informationen zu Lebenslagenaspekten. Als Panelbefragung ermög-licht es eine Analyse im Zeitverlauf. Allerdings ist durch den beschränkten Stichprobenumfang eine dif-ferenziertere Analyse von Teilgruppen (z. B. der Be-zieher niedriger Einkommen) Beschränkungen un-terworfen.

– Das Niedrigeinkommens-Panel (NIEP) des BMA er-fasst rund 2 000 Haushalte im unteren Einkommens-bereich. Es ermöglicht die Verknüpfung monetärer Armutsanalysen mit dem mehrdimensionalen Lebens-lagenkonzept. Die Betroffenheit von einzelnen Depri-vationen und kumulierter Deprivation (insbesondere der Zusammenhang mit Einkommens- und Vermö-gensarmut) können im Zeitverlauf untersucht werden.

Einschränkungen ergeben sich wie beim SOEP aus dem relativ kleinen Umfang.

– Mikrodaten der Sozialhilfestatistik in Form einer 25-Prozent-Zufallsstichprobe eröffnen weiter ge-hende Auswertungsmöglichkeiten im Bereich der So-zialhilfe.

Das Ausmaß der Verschuldung wird in aller Regel mit dem Ausmaß der Konsumentenkreditaufnahme angege-ben. Empirische Untersuchungen zur Überschuldung in der Bundesrepublik liegen nur wenige vor. Sie basieren zumeist auf einer Untersuchung der Schuldensituation von Klienten von Schuldnerberatungsstellen und bezif-fern somit einen Bereich bekannter, aber nicht der ver-deckten Überschuldung. Auch zur Problematik von Ob-dachlosigkeit und Wohnungsnotfällen gibt es keine gesicherten Datengrundlagen. Eine einmalige Erhebung der Bundesregierung 1993/1994 über Wohnungslose und Wohnungsnotfälle beruht auf Stichproben, deren Hoch-rechnung angesichts der wenig untersuchten Problematik schwierig ist.20

Diese Übersicht zeigt, dass es eine Vielzahl von Informa-tionen gibt, die zur Analyse von Armut und Reichtum ge-nutzt werden können. Diese Daten wurden aber nicht mit dem Ziel einer kontinuierlichen Armuts- und Reichtums-berichterstattung erhoben. Deshalb sind die aus unter-schiedlichen amtlichen und nicht amtlichen Statistiken gewonnenen Daten bisher gar nicht oder nur einge-schränkt miteinander in Bezug zu setzen. Offensichtlich werden aber auch Datenlücken. So werden etwa im unte-ren Einkommenssegment Personen ohne festen Wohnsitz nicht erreicht. Im oberen Einkommenssegment ist die Auskunftsbereitschaft eingeschränkt, sodass sich insbe-sondere Lücken bei den Fragen nach Einkommen und Vermögen ergeben. Ferner ist wenig darüber bekannt, ob und ggf. wie viele Leistungsberechtigte ihre Ansprüche auf Sozialhilfe nicht geltend machen (Dunkelzifferpro-blematik). Ebenfalls fehlt bislang eine Erhebung, die Aus-kunft über die Überwindung der Sozialhilfebedürftigkeit

gibt. Vielfach sind die Datengrundlagen auch zu wenig geschlechtsspezifisch ausgelegt. Weiter wird der Bereich der Arbeit, insbesondere der unbezahlten Arbeit, der mit den Begriffen „Humankapital“ bzw. „Humanvermögen“

bezeichnet wird, nur unvollständig erfasst. Vor allem das

„Humanvermögen“, das „die Vermittlung von Befähigun-gen zur Bewältigung des Alltagslebens umfasst“, bleibt noch weitgehend unberücksichtigt.21 Frauen mit Kin-dern, insbesondere allein erziehende Frauen, erbringen diese Leistungen in den Familien und können wegen der damit einhergehenden zeitlichen und räumlichen Bindung kein oder ein nur unzureichendes Erwerbseinkommen er-zielen. Damit verringern sich auch ihre Ansprüche auf Lohn-ersatzleistungen und Alterseinkommen.

Im Rahmen der Armuts- und Reichtumsberichterstattung hat die Bundesregierung eine Reihe – überwiegend län-gerfristiger – Forschungsvorhaben auf den Weg gebracht, die sich der Situation von Menschen im Niedrigeinkom-mensbereich bzw. im Sozialhilfebezug oder solchen Per-sonen widmen, die sozialhilfeberechtigt wären, aber diese Hilfe nicht in Anspruch nehmen. Für eine zielgerichtete Prävention und eine an dem Prinzip der Hilfe zur Selbst-hilfe orientierten SozialSelbst-hilfepolitik sind genaue und zeit-nahe Erkenntnisse zu Lebenssituationen und Ursachen der Problemkonstellationen wesentlich. (Siehe hierzu aus-führlich: Datengrundlagen und Forschungsperspektiven der Armuts- und Reichtumsberichterstattung im Material-band).

Exkurs: Armuts- und Reichtumsberichterstat-tung im internationalen Kontext

Die Probleme von Armut und Existenzgefährdung sowie der Polarisierung zwischen Armut und Reichtum treten im internationalen Vergleich deutlich stärker in Erschei-nung als im nationalen Rahmen eines Wohlfahrtsstaates wie der Bundesrepublik Deutschland. Insbesondere in den Entwicklungsländern der so genannten „Dritten Welt“, aber auch in den Staaten der ehemaligen Sowjet-union stehen Probleme der absoluten Armut, der Kinder-sterblichkeit und des Analphabetismus sowie unzurei-chender sozialer und gesundheitlicher Sicherung im Vordergrund. Diese Problemlagen sind weder von ihrem Ausmaß noch von ihrer Struktur und ihren Ursachen her mit der Armuts- und Ungleichheitsproblematik in ent-wickelten Industriestaaten vergleichbar. Im Rahmen die-ses Exkurdie-ses, der die nationale durch die internationale Perspektive erweitert und einen Blick auf die internatio-nale Armuts- und Reichtumsberichterstattung wirft, wer-den daher nur die entwickelten Industriestaaten, insbe-sondere die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in die Betrachtung einbezogen.

Innerhalb der Europäischen Union wurde die Thematik von Armut und Unterversorgung vor allem im Rahmen der drei Armutsprogramme in den 80er- und Anfang der

20 Siehe Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städte-bau sowie Bundesministerium für Familie und Senioren (Hrsg.):

Wohnungsnotfälle. Sicherung der Wohnungsversorgung für

wirt-schaftlich oder sozial benachteiligte Haushalte, 1994. 21 Siehe hierzu 5. Familienbericht der Bundesregierung 1994, S. 28.

90er-Jahre bearbeitet. In diesem Rahmen wurde auch das eingangs zitierte Verständnis von relativer Armut im Sinne eines Ausschlusses von der als Standard akzeptier-ten Lebensweise eines Staates entwickelt. Dieser konzep-tionelle Impuls hat die Armutsforschung auf der Ebene der nationalen Staaten (wie auch die vorliegende Armuts-und Reichtumsberichterstattung der BArmuts-undesregierung) nachhaltig beeinflusst. Auf der Grundlage der vom Statis-tischen Amt der EU (Eurostat) zusammengestellten Daten konnten relative Armutsquoten für die einzelnen Mit-gliedstaaten berechnet und miteinander verglichen wer-den.22 Umgekehrt haben aber auch die nationalen Ent-wicklungen die Armutsforschung und Armutspolitik anderer Staaten beeinflusst.

Eine Fortsetzung und Verstärkung dieses Erfahrungsaus-tausches wurde auf den Tagungen des Europäischen

Ra-tes im Jahr 2000 (in Lissabon und Nizza) beschlossen. In diesem Zusammenhang wird auch die Weiterentwicklung monetärer und nicht-monetärer Indikatoren von Armut und anderen Erscheinungsformen sozialer Ausgrenzung angestrebt.

Um einen Überblick über den Stand der Armuts- und Reichtumsberichterstattung in den anderen Mitglied-staaten der Europäischen Union zu gewinnen, hat die Bundesregierung entsprechende Auskünfte über die deutschen Botschaften in den jeweiligen Ländern einge-holt. Diese Recherche kommt zu dem Ergebnis, dass eine regierungsamtliche Armuts- und Reichtumsbericht-erstattung in Deutschland vergleichsweise weit fortge-schritten ist. In mehreren europäischen Staaten gibt es Armutsstudien, in einigen Ländern auch Regierungsbe-richte über die monetäre Einkommensverteilung, aber nur in wenigen anderen Ländern findet sich ein so umfassender Ansatz wie in Deutschland, der neben Ein-kommen auch Vermögen, neben Armuts- auch Reich-tumsphänomene und neben monetären auch nicht-mo-netäre Aspekte einbezieht (ausführlich zum Stand der Berichterstattung in den einzelnen Ländern siehe „Ex-kurs“ im Materialband).

22 Siehe z. B. Atkinson, A. B.: Poverty in Europe, 1998 sowie Hanesch, W.: Einkommensarmut und Armutspolitik im europäischen Ver-gleich, in: Hanesch, W., Krause, P., Bäcker, G. u. a.: Armut und Un-gleichheit in Deutschland. Der neue Armutsbericht der Hans-Böck-ler-Stiftung, des Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, 2000, S. 454 ff.

I. Einkommen, Vermögen und