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2 Einfaches Design für forschendes Lernen

Im Dokument GERALD MOLL JULIA SCHÜTZ (HG.) (Seite 134-139)

Bachelorstudierende der OST-Ostschweizer Fachhochschule setzen die im Studium erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten im Rahmen dreier Beratungs-projekte (Unternehmensanalyse, Marktforschung und Managementkonzeption) an Herausforderungen des Marktes um. Die Themen resultieren aus konkreten Frage-stellungen von Unternehmen und Organisationen, die in entgeltlichen (CHF 7.500 bis CHF 25.000) Beratungsprojekten, welche zur Selbstfinanzierung der verantwort-lichen Stelle beitragen, durch Studierendenteams unter Coaching durch Dozent:in-nen bearbeitet werden. Der seitens Auftraggeber:inDozent:in-nen zu entrichtende Preis stellt die Ernsthaftigkeit der Themeneingaben sicher und verhindert die Erarbeitung von Pseudofragestellungen. Auf der anderen Seite entfaltet dieser auch eine motivierende

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Wirkung auf Studierende, die sich so der Wichtigkeit der Aufgabenstellung stärker bewusst werden. Die Projektteams bestehen aus vier bis sechs Studierenden, die einen Aufwand von 800 bis 1.000 Stunden je Projekt leisten. Jedes Projekt wird durch eine:n Dozenten:in im Umfang von 50 bis 120 Stunden begleitet sowie nach Bedarf durch weitere Expert:innen (Statistik, Sprache, Interkulturalität etc.) unterstützt. Die Auftraggeber:innen erhalten bei Projektabschluss einen ausführlichen Schlussbericht, eine Präsentation vor Ort im Unternehmen und einen Public-Relations-Bericht (Bechter et al., 2019). Sollten Projekte nicht die erwarteten Ergebnisse erzielen und scheitern, wird deren Preis rückerstattet.

Aus Perspektive eines Lerndesigns werden die Beratungsprojekte im Rahmen klassischer Projektarbeit durchgeführt. Dabei gibt eine Terminübersicht die wesent-lichen Phasen vor (Abb. 1). Die inhaltliche und engere organisatorische Ausgestaltung der Arbeit fällt in den Verantwortungsbereich der Studierenden.

Design für forschendes Lernen in Beratungsprojekten

Folgend sollen die eingangs skizzierten Beratungsprojekte differenziert nach den Ebenen Prozess, Didaktik sowie Inhalt und Forschungsmethodik näher vorgestellt wer-den. Dabei ist festzuhalten, dass didaktische und prozessuale Vorgehensweisen über alle Projekttypen gleich verlaufen, was Sicherheit vermittelt und durch Gewöhnungs-effekte Halt gibt und so im Zeitablauf der Abarbeitung der einzelnen Projekte organi-satorische Komplexität reduziert. Aus Aufgabensicht steigt diese jedoch an, da Studie-rende zunehmend weniger inhaltliche Hilfestellungen zur Verfügung haben und schlussendlich Ansprüche an die Zielsetzungen von der Analyse über die Forschung bis hin zu Konzeption höher werden.

Abbildung 1:

134 Einfachheit in der didaktischen Form und Erkenntnis im komplexen Inhalt

2.1 Prozessuales Design

Der Rahmen der Projektarbeit basiert auf allgemein geltenden Grundsätzen des Pro-jektmanagements und wurde als Basis etabliert und standardisiert sowie in mehrjäh-riger Erfahrungspraxis kontinuierlich entwickelt. Während sich nach Wilkesmann und Rascher (2002) Wissen nicht managen lässt, sondern es Strukturen für die Elabo-ration und Nutzung von Wissen bedarf, bilden studentische Beratungsprojekte den nötigen Rahmen, um fachliches Wissen an Beispielen zu erproben und weiter aufzu-bauen. Dabei sind Projekte auf Basis bestehender Regeln stehts ähnlich, während inhaltliche Anforderungen steigen. Auf das erste Projekt mit überwiegend standardi-sierter Datengewinnung und -analyse folgt ein herausfordernderes Vorhaben im Be-reich Marktforschung und schlussendlich eine tiefergehende Modell- und Konzept-entwicklung. Die geltenden Prozesse und Normen bilden einen Raum für die Ver-ortung von fachlichen Fragestellungen, Analyseprozessen und Ergebnissen der realen Aufträge und reduzieren so bei steigender inhaltlicher Komplexität jene der Zusam-menarbeit.

Diese Einfachheit der Form lässt sich am Beispiel eines Fischhandelsunterneh-mens nachzeichnen. Für dieses soll Liquidität nachhaltig gesichert und eine effektive Marktpositionierung gefestigt werden, weshalb eine Analyse des Unternehmens un-ter Ableitung strategischer Maßnahmen initiiert wird. Das Beratungsprojekt beginnt mit einem gemeinsamen Kickoff zur Sondierung des Auftrags im Detail. Nach erfolg-ter Auftragsklärung beginnt das studentische Projektteam mit der Gewinnung von Daten sowie einer grundlegenden Analyse, wobei in einem festgelegten Zeitraum be-reits erste Zwischenergebnisse mit der Kundschaft diskutiert werden. Dieses Feed-back einbeziehend, werden ergänzende Daten gewonnen, Untersuchungen erweitert und Handlungsempfehlungen entwickelt. Die weiteren Ergebnisse werden erneut mit der Kundschaft besprochen und final im Rahmen einer Schlusspräsentation bei der Kundschaft vorgestellt, diskutiert und als Schlussbericht übergeben. Damit sind alle Phasen im klassischen Sinne vorgezeichnet und eignen sich durch die Einfach-heit und Verständlichkeit des Modells sowohl für die Bearbeitung der Anforderungen als auch für die Erfolgskontrolle (Völl, 2020). Durch die abschließende Bewertung in Form eines Notenblatts durch Dozent:in und Auftraggeber:in wird das Projekt be-endet, wodurch die Studierenden neben dem für den Studienfortschritt notwendigen Erfolgsnachweis auch qualitatives Feedback, nutzbar für die folgenden Projekte, er-halten.

Als dahinterstehende Hilfsmittel sind etwa ein allgemeines Projekthandbuch, eine detaillierte Terminübersicht des Projektformats, Vorlagen für alle offiziellen Meetings, Zwischen- und Endergebnisse sowie eine digitale Kollaborationsplattform verfügbar.

Durch die inkrementelle Prozesslogik im Projekt und der Perspektive, diese Schritte rein formal auch im nächsten Projekt anwenden zu können, entsteht eine Belastbarkeit und Sicherheit im Tun, durch die sich alle Studierenden auf die fach-lichen Inhalte und kreativen Prozesse im Sinne eines forschenden Lernens konzen-trieren können. Im Durchlaufen der unterschiedlichen Projekttypen internalisieren die Studierenden prozessuale Schritte, um schließlich mit höchster thematischer

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Komplexität, bspw. der Analyse und Optimierung innerbetrieblicher Logistikprozesse für einen technischen Betrieb oder auch der Entwicklung eines ausgereiften Marke-tingkonzepts für einen Lebensmittelhersteller, bedarfsgerecht umgehen zu können.

2.2 Didaktisches Design

Ausgehend von dem im Studienfortschritt bereits erworbenen Know-how beginnen die Beratungsprojektformate mit der Vermittlung der für die Projektumsetzung er-gänzend notwendigen Grundlagen. Damit werden im Projektformat Marktforschung bspw. noch eingehender die unterschiedlichen Ansätze der Primärforschung sowie Statistik vermittelt; für die Unternehmensanalyse wiederum findet die Lehre zu einer relevanten forschungsmethodischen Vorgehensweise statt. Die Studierenden erhal-ten somit neben grundsätzlichen Studieninhalerhal-ten das spezifisch nötige Rüstzeug für eine fachliche und forschungsmethodische Umsetzung der realen Aufträge.

Während die Projektteams bereits seit 2017 kollaborative Online-Plattformen wie Sharepoint und später MS Teams für die Teamarbeit nutzen, ist der Bedarf nach dezen-traler virtueller Zusammenarbeit durch die Covid-19-Pandemie innerhalb kürzester Zeit zur Grundbedingung für eine Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit und damit des Projektfortschritts geworden. Als Merkmale virtueller Teams sind einerseits ein-geschränkte Möglichkeiten des physischen Zusammentreffens identifizierbar und an-dererseits stellen sich dadurch auch besondere Anforderungen an die Projektleitung (Orlikowski et al., 2004). Auch Akin und Rumpf (2013) sehen in ihrer Studie mit Fach-und Führungskräften den Erfolg von Projekten durch insgesamt sechs Faktoren be-dingt, darunter den Vertrauensaufbau und die Rolle der Teamleitung. Während die Projektteams eine:n Studierende:n als Projektleitung nominieren und darüber hinaus wöchentliche Rücksprachen mit ihren Dozent:innen abhalten, werden in der ersten Phase insbesondere die konkreten Projektziele formuliert und zielorientierte Arbeits-pakete in der studentischen Gruppe delegiert. Dieses Führen durch Management by Objectives und das Geben von Feedback gelten gleichwohl als wesentliche Kennzei-chen erfolgreicher virtueller Teams (Orlikowski et al., 2004).

Neben dem nötigen Aufbau von Vertrauen spielen Zeitkompetenz und Prozess-feedback eine Rolle, wenn es darum geht, virtuelle Arbeitsstrukturen in Teams zu fördern. Die eingebrachten Feedbackprozesse in den Beratungsprojekten finden zu verschiedenen Zeitpunkten, auf mehreren Ebenen und durch unterschiedliche Sen-der:innen statt. Dabei kann zwischen Leistungsfeedback, oftmals ausgehend von der Lehrkraft und insbesondere der Auftraggeber:innen, sowie Prozessfeedback (Mül-ler et al., 2017), ausgehend von der studentischen Projektleitung und der Lehrkraft, unterschieden werden. Das im Prozess vorbestimmte Minimum an Austausch mit Dozent:in und Auftraggeber:innen wird punktuell durch Spezialcoachs für Statistik, Sprache und Interkulturalität ergänzt. Alle beteiligten Dozent:innen und die Kund-schaft werden durch das Team jeweils zeitgerecht in die Inhalte einbezogen und haben damit Gelegenheit, ihr fachliches und prozessuales Feedback zu Auftragsdefi-nition, Forschungsdesign, Zwischenergebnissen und Schlussbericht zu geben.

Im Sinne organisatorischer Komplexitätsreduktion wird zu Projektbeginn ein studentisches Teammitglied für die gesamte Kommunikation mit der Kundschaft 136 Einfachheit in der didaktischen Form und Erkenntnis im komplexen Inhalt

nominiert, auf deren Seite wiederum eine einzige Person als offizielle Projektleitung steht. Diese beiden Personen verantworten als Schnittstelle zwischen Auftraggeber:in und Auftragnehmer:in den Informationsfluss für ein erfolgreiches Gelingen des Vor-habens. Im Laufe des Projektes nehmen die Projektbeteiligten, darunter je nach Be-darf auch die Dozent:in, an rund sechs offiziellen Meetings mit der Kundschaft zu Themen wie Auftragsklärung, Zwischen-/Endergebnisdiskussion, Schlusspräsenta-tion etc. teil. Die Kundschaft wird bereits vor dem Projektstart durch die Hochschule aktiv dazu ermutigt, den Studierenden in der Projektumsetzung regelmäßig Feed-back zu geben. Dieses zielt auf inhaltliche Projektfortschritte wie bspw. Ableitungen aus Ist-Analyse, Anwendbarkeit, Zielerreichung etc. sowie auf die Projektorganisation und Kommunikation. Nicht zuletzt die anteilige Notengebung schließt diesen Feed-backprozess zu Projektende offiziell ab.

Den Studierenden wird aus inhaltlicher Sicht ein größtmögliches Maß an Frei-heiten im Rahmen formeller Projektvorgaben gewährt. Letztere sollen sicherstellen, dass im Zuge forschender Lern- und Experimentierprozesse Studierende die erforder-lichen Hilfestellungen und Anleitungen bedarfs-, zeit-, situationsgerecht sowie un-kompliziert erhalten und so eigene Lösungsansätze zielorientiert reflektieren können.

2.3 Inhaltliches/Forschungsmethodisches Design

Nach Huber (2004) ist es nicht die Wissenschaft, die Studierende weitgehend passiv vermittelt bekommen, sondern jene, die sie selbst treiben und die stets mit Selbstrefle-xion verbunden ist, die forschendes Lernen ermöglicht. In einer These zum forschen-den Lernen statuiert er:

„Die Begründung dafür, selbst Fragen entwickeln und definieren lernen zu sollen, sind nicht nur alte idealistische, sondern auch moderne pragmatische Zielvorstellungen für das Studium: Sie knüpfen sowohl an die Formel ‚Bildung durch Wissenschaft‛ an wie auch an die neuere Forderung nach Schlüsselqualifikationen.“ (Huber, 2004, S. 32)

Während die Prozesse den Rahmen für die Beratungsprojekte bilden und die Didaktik Kontaktpunkte des individuellen und gemeinsamen Lernsettings darstellen, sind es Inhalte und Forschungsmethoden, die den Studierenden den größtmöglichen Frei-raum für Exploration, Analyse und Experimente bieten. Nachdem sich die Lernenden auf sicherem Terrain bewegen, was den groben Ablauf und die begleitenden Unter-stützungsmaßnahmen betrifft, sind sie unter Berücksichtigung der Ziele frei in der Wahl anzuwendender Forschungsmethoden und deren Einsatz im Projekt.

Die unterschiedlichen Projektformate bieten diverse Möglichkeiten des Vorge-hens und erfordern in der Folge ein hohes Maß an Selbstorganisation, die bspw.

durch selbst gewählte Kreativitäts-, Auswahl- und Strukturierungstechniken ausge-führt werden kann. Durch die Themen vom Markt sehen sich Studierende oftmals Inhalten gegenüber (z. B. Energiemarkt, Logistikprozesse, Sozialhilfestandards, etc.), in denen erst eine eigenständige Orientierung erfolgen muss. Häufig angewandte Vorgehensweisen sind Sekundärrecherchen und Situationsanalysen, um das The-menfeld in Bezug auf die Auftragsziele zu analysieren und überschaubar zu machen.

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In späteren Projekten sind Studierende darin geübt und bereits in der Lage, ein The-menfeld rasch zu überblicken und sich stärker auf die selbstständige Entwicklung von Modellen und Konzepten zu konzentrieren.

Somit kann der Schwierigkeitsgrad vom ersten bis zum letzten Beratungsprojekt fachlich, inhaltlich und forschungsmethodisch stetig steigen, während Didaktik und Prozesse eine belastbare und zunehmend besser erprobte Basis bilden. Ein hohes Maß an Selbstständigkeit der Studierenden wird durch ein hilfestellendes Umfeld im Sinne eines begleiteten Selbststudiums unterstützt. Durch die weitgehend selbstorga-nisierten Lernprozesse entwickeln Studierende eine forschende Haltung, die Selbst-reflexion voraussetzt und begünstigt (Wiemer, 2017). Die komplexitätsreduzierende Form der Projektumsetzung sowie zunehmende Kompetenzen der Studierenden sichern so die Bewältigung immer komplexerer Herausforderungen auf inhaltlicher Ebene.

Im Dokument GERALD MOLL JULIA SCHÜTZ (HG.) (Seite 134-139)