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2 Bildungsmonitoring und Wissenstransfer

Im Dokument GERALD MOLL JULIA SCHÜTZ (HG.) (Seite 93-98)

Bildungsmonitoring und auch konkreter die Bildungsberichterstattung als Verfahren der systematischen Informationsgewinnung und -aufbereitung über das Bildungs-wesen, mit denen Gestaltungsentscheidungen zielgerichtet vorgenommen werden sollen und sich an die Öffentlichkeit und politisch-administrative Entscheidungs-träger richten, bestehen bereits seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten (Rürup et al., 2010). Sie sollen eine datengestützte, evaluative Gesamtschau über das

Bil-Abbildung 1:

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dungswesen ermöglichen und beanspruchen, eine Übersichtlichkeit und Klarheit über den Verlauf und die Ergebnisse von Bildungsprozessen herzustellen (ebd.). Bil-dungsmonitoring richtet sich demnach an eine Vielzahl von unterschiedlichen Adres-sat:innen, die durch einen solchen institutionalisierten Beobachtungs- und Analyse-prozess auf der Basis empirisch gesicherter Daten Steuerungswissen generieren bzw.

erweitern und Steuerungshandeln begründbar und zielgerichtet gestalten sollen (Döbert, 2009). Dabei fehlt bislang eine differenzierte systematische Auseinanderset-zung darüber, inwieweit die jeweils produzierten Daten tatsächlich als Steuerungswis-sen bzw. auf welcher Ordnungsebene (Bund, Länder, Kommunen) verwendbar sind.

Je nach Aggregationsniveau bieten die Daten möglicherweise Hinweise für politische Zielsetzungen, bspw. für den KiTa-Platzausbau, aber keine detaillierten Informatio-nen über konkrete Bedarfszahlen auf der kommunalen Ebene, die für Verwaltungs-maßnahmen erforderlich sind. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, Bildungs-monitoring auch immer in Verbindung mit Wissenstransfer zu sehen: Wissenstrans-fer wird nach Froese et al. (2014, S. 4)

„als interaktiver, wechselseitiger und rückgekoppelter Prozess zwischen Wissenschaft und Praxis definiert. Er verläuft in Feedbackschleifen und kann deshalb als Prozess des Aus-tauschs zwischen Wissenschaft und Praxis verstanden werden, der auch die Vermittlung von Forschungsergebnissen an verschiedene wissenschaftsexterne Akteure einschließt“.

Da Bildungsmonitoring eine zielgruppenadäquate Darstellung von Forschungsergeb-nissen für unterschiedliche Adressat:innen miteinschließt, ist Bildungsmonitoring per se als eine Form des Wissenstransfers anzusehen. So heißt es auch in der Gesamt-strategie der Kultusministerkonferenz (KMK) zum Bildungsmonitoring, dass „For-schungswissen in Kooperation mit wissenschaftlichen Einrichtungen adressatenge-recht für die Schulen, die Bildungsadministration und die Bildungspolitik aufzuberei-ten und zu verbreiaufzuberei-ten“ ist (KMK, 2015, S. 15), woraufhin sich die Landesinstitute und Qualitätseinrichtungen der Länder in einem Positionspapier auf ein gemeinsames Transferverständnis und die Ausgestaltung der Transferaufgabe verständigt haben (Bieber et al., 2018). Auch wird die Relevanz der Transferierbarkeit von Forschungs-wissen in Bildungseinrichtungen, Bildungspolitik und Bildungsadministration hinein zunehmend gestärkt (Bremm et al., 2018) und die Zusammenarbeit beteiligter Trans-ferakteur:innen macht Kooperationsfähigkeit zu einem wichtigen Erfolgskriterium des Transfers (Matthies & Rehbein, 2016).

Da Bildungsmonitoring als eine Form des Wissenstransfers angesehen werden kann, sollen zunächst mögliche Ziele und Aufgaben von Bildungsmonitoring heraus-gearbeitet und Bezüge zum Wissenstransfer verdeutlicht werden.

2.1 Ziele und Aufgaben von Bildungsmonitoring

Nach Döbert (2009) haben Bildungsmonitoring und Bildungsberichterstattung zum Ziel,

„nicht bloß Daten über institutionalisierte Bildungsangebote und deren Nutzung zur Ver-fügung [zu] stellen, sondern umfassender nach den Chancen von Menschen, sich kultu-relle Traditionen und Wissensinhalte anzueignen, ihre Persönlichkeit zu entwickeln und

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so eigenverantwortlich ihr Leben in Partnerschaft und Familie zu gestalten, beruflichen Ansprüchen gerecht zu werden sowie aktiv am sozialen und politischen Leben teilzuneh-men“, [zu] fragen. (S. 16)

Dabei sind, wenn man Bildungsmonitoring in seiner Definition als datengestützte Grundlage für Diskussionen und Entscheidungen im Bildungswesen sowie die Ge-samtstrategie der KMK und Hochschulgesetze ernst nimmt, zwei Aufgaben zentral:

1. Zum einen die Generierung bzw. Erweiterung von „Steuerungswissen“ und be-gründbarer und zielgerichteter Gestaltung von „Steuerungshandeln“ auf Grund-lage empirisch gesicherter Daten. Dabei stehen die folgenden drei Funktionen im Vordergrund:

a) die Funktion der Beobachtung, Analyse und Darstellung wesentlicher As-pekte eines Bildungswesens,

b) die Funktion der Systemkontrolle, vor allem mit Blick auf Leistungsmaß-stäbe (Benchmarks), sowie

c) die Funktion der „Systemdiagnostik“, indem Entwicklungen und Problem-lagen identifiziert werden (Döbert, 2009).

2. Zum anderen der Transfer des Wissens (Bieber et al., 2018; KMK, 2015) sowie im weiteren Sinne die damit zusammenhängende Erforschung der Wissensverwen-dung (Rürup et al., 2010).

So ist Bildungsmonitoring mit den Herausforderungen konfrontiert, auf der einen Seite neues, wissenschaftlich, d. h. methodisch abgesichertes und geprüftes Wissen im Sinne der Freiheit von Wissenschaft und Forschung zu generieren, und auf der anderen Seite, im Austausch mit den wissenschaftsexternen Akteur:innen zu reflek-tieren, welche Informationen für die Steuerung im Bildungswesen genutzt werden können.

Die wissenschaftliche Diskussion zu Bildungsmonitoring als Instrument und seinen Spezifika der Akteurskonstellationen ist bislang noch wenig ausdifferenziert.

Zudem werden Besonderheiten des Monitorings verschiedener Bildungsbereiche we-nig behandelt, bspw. worin Differenzen zwischen dem Monitoring von formalen und dem von informellen Bildungsbereichen bestehen. Für den frühkindlichen Bildungs-bereich liegt eine Zusammenstellung von Qualitätsmonitorings vor, die international ein breites Spektrum mit Blick auf Verfahren, Gegenstandsbereiche und Akteurskon-stellationen sichtbar machen (OECD, 2016). Für die Fragestellung des Wissenstrans-fers sowie die zu prüfende Annahme, dass Bildungsmonitoring als „Verfahren“ durch Komplexitätsreduktion gekennzeichnet ist, bieten Bormann, Hartong und Höhne (2018) den Reflexionsimpuls, dass „daten- bzw. indikatorengesteuerte Bildungsbe-richterstattung ein spezifisches Bildungsverständnis konstruiert“ (S. 8). Damit wird der mögliche komplexitätsreduzierende Zugang von Bildungsmonitoringverfahren mit Blick auf die Beobachterperspektiven (die beteiligten Akteur:innen), die Wissens-formen (primär „quantifizierte und quantifizierbare Daten“) und darüber hinaus auch den spezifischen Verwendungszweck von Monitorings, „Anhaltspunkte für ‚richtige‘

Interventionen“ zu erhalten, problematisiert (Bormann et al., 2018, S. 8). Wissens-94 Wissenstransfer im Bildungsmonitoring: das Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme

transfer und in Verbindung damit Komplexitätsreduktion von Bildungsmonitorings müssen deshalb mit Blick auf den Gegenstandsbereich, die verwendeten Forschungs-methoden, Formate der Erkenntnisdarstellung sowie die beteiligten Akteur:innen und ihre Rollen in ihrer prinzipiellen Kontingenz betrachtet werden. So bedeutet bspw. die Entscheidung für den Einsatz der jeweils verwendeten Forschungsmetho-den auch Forschungsmetho-den Verzicht auf andere und die durch sie different erfolgende Realitätskon-struktion.

Bevor nun anhand eines bestehenden Monitorings der Frage nachgegangen wird, welche Auswirkungen seine komplexe „Herstellungsstruktur“ inklusive Berichterstat-tung auf den Wissenstransfer und angenommene Komplexitätsreduktion hat, folgt eine knappe Behandlung vom „Wissenstransfer“ und „Komplexitätsreduktion“.

2.2 Wissenstransfer und Komplexitätsreduktion

Wissenstransfer umfasst den Austausch zwischen Wissenschaft und außerwissen-schaftlichen Akteur:innen. Dazu zählt die Vermittlung wissenschaftlicher Ergebnisse an Akteur:innen aus anderen Gesellschaftssystemen ebenso wie Feedbackschleifen und interaktive Austauschprozesse zwischen Wissenschaft und Praxis (Froese & Me-vissen, 2016). Allerdings ist Wissenstransfer aufgrund zunehmender Ausdifferenzie-rung wissenschaftlicher Disziplinen und Praktiken immer in Abhängigkeit von der Disziplin und dem institutionellen Kontext, in dem er stattfindet, zu sehen (ebd.).

Zwar gibt es im Gegensatz zu den Natur- und Technikwissenschaften in den Sozial-wissenschaften geringere Kenntnisse über das Verständnis, die Formate, Zielgruppen und Kriterien von Wissenstransfer (ebd.), jedoch bieten Froese et al. (2014) Hand-lungsempfehlungen für Forschungsprojekte, Forschende, Forschungsinstitute und das Wissenschaftssystem in den Sozialwissenschaften an. So wird empfohlen, Wis-senstransfer durch eine gezielte Projektstruktur, verbesserte Kooperation mit Praxis-akteur:innen, ein verändertes Selbstverständnis von Forschenden, die Stärkung der Motivation für und der Befähigung zu Wissenstransfer, durch Strategien in Organisa-tionen, sowie eine adäquate Bewertung von Transferleistungen in den Sozialwissen-schaften etc. zu fördern.

Weiter weisen Froese und Mevissen (2016) im Rahmen des Wissenstransfers auf Spannungsfelder zwischen Erwartungen an Forschungsexzellenz und gesellschaft-lich relevanter Forschung auf verschiedenen Ebenen wie bspw. Ressourcenkonflikte, Karriererisiken und unklare Standards hin. Als zentrale Herausforderung von Wis-senschaft im Allgemeinen und von Wissenstransfer im Besonderen soll hier die Kom-plexitätsreduktion genannt werden bzw. die Herausforderung, eine Balance zwischen erforderlicher Abstraktionshöhe und angemessenem Konkretisierungsgrad zu finden.

Denn um an der Komplexität der Realität nicht zu scheitern, findet durch die Wissen-schaft immer eine Reduktion der Wirklichkeit statt. Eine zentrale Herausforderung von Wissenschaft besteht darin, die Komplexität der Wirklichkeit auf der einen Seite so weit zu reduzieren, dass sie bearbeitbar ist, und auf der anderen Seite nicht so sehr zu abstrahieren, dass die Bearbeitung an der Realität vorbeigeht (Schöneck & Voß, 2013). Das impliziert auch, dass je nach Forschungsansatz und beteiligten For-scher:innen, die Wirklichkeit unterschiedlich wahrgenommen bzw. konstruiert wird.

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An dieser Stelle treten wir aber nochmals einen Schritt zurück und fragen: Was ist eigentlich Komplexität? Zunächst einmal spricht Luhmann (1994) von (organisier-ter) Komplexität, wenn bei einer zusammenhängenden Menge von Elementen auf-grund immanenter Beschränkungen der Verknüpfungskapazität der Elemente nicht mehr jedes Element jederzeit mit jedem anderen verknüpft sein kann. Aufgrund die-ser selektiven Beziehungen zwischen den Elementen, also der Reduktion von Bezie-hungen entsteht Komplexität, wobei die Reduktion der BezieBezie-hungen eines Systems nach innen und nach außen erfolgen kann. So wird von „Systemkomplexität“ gespro-chen, wenn ein System spezifische Strukturen entwickelt, um die eigene Vielschich-tigkeit zu minimieren und damit handlungsfähig zu sein. Von „Umweltkomplexität“

ist die Rede, wenn die Umwelt eines Systems wesentlich komplexer ist als es selbst und ein Zwang zur Selektion der Umweltinformationen, die im System verarbeitet werden, besteht (Dernbach et al., 2019b; Luhmann, 1994; Schoeneberg, 2014).

So bestehen verschiedene Möglichkeiten der Reduktion von Komplexität, um die Informationssammlung und -verarbeitung aus der Umwelt möglichst effizient zu or-ganisieren (Dernbach et al., 2019b): auf der einen Seite durch ein Ausblenden von Systemteilen sowie auf der anderen Seite durch eine Fokussierung auf interessie-rende Eigenschaften. So soll der eigentliche Sachverhalt nicht verändert oder ver-fälscht, dafür aber bearbeitbar gemacht werden. Dabei stellen Kommunikation und Sprache wichtige Hilfsmittel dar (Dernbach et al., 2019a; Luhmann, 1994). Jedes Sys-tem, auch die Wissenschaft bzw. hier das Bildungsmonitoring, muss also Komplexität reduzieren, um, wie zu Beginn dieses Kapitels erwähnt, an der Komplexität der Reali-tät nicht zu scheitern, bzw. um seinen unter 3.1 dargestellten Aufgaben der Generie-rung bzw. ErweiteGenerie-rung von SteueGenerie-rungswissen und begründbarer und zielgerichteter Gestaltung von Steuerungshandeln auf Grundlage empirisch gesicherter Daten sowie dem Transfer des Wissens nachzukommen. Das System Bildungsmonitoring wird so zur komplexitätsreduzierenden Instanz, die gleichzeitig aber auch Komplexität auf-baut, „denn die Komplexität kommt nicht von sich aus in die (soziale) Welt; und auch ihre Reduktion erfordert eine eigene Komplexität eines komplexitätsreduzierenden Systems“ (Scholl & Loosen, 2019). In diesem Zusammenhang ist die komplexitäts-reduzierende Instanz damit konfrontiert, professionelle Reduktion zu betreiben, zu selektieren und zu fokussieren, wodurch zwangsläufig auch ein Komplexitätsverlust entsteht, da nicht alles vom Bildungsmonitoring aufgegriffen werden kann. Deshalb muss der Selektionsprozess möglichst transparent und nachvollziehbar gestaltet wer-den (Dernbach et al., 2019b).

Betrachtet man diese Überlegungen zur Komplexitätsreduktion nun vor dem herausgearbeiteten Verständnis eines wechselseitigen Wissenstransfers nach Froese et al. (2014), stellt man fest, dass die bisherige Darstellung eher unidirektional von den beteiligten komplexitätsreduzierenden Instanzen ausgeht. Denn die bestimmen, was interessierende Eigenschaften sind bzw., was ausgeblendet wird. Daher ist es insbe-sondere auch im Rahmen der Komplexitätsreduktion relevant, die Perspektiven wis-senschaftsinterner sowie -externer Akteur:innen zu berücksichtigen. Wird dies nicht 96 Wissenstransfer im Bildungsmonitoring: das Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme

beachtet, kann auch kein Wissenstransfer im Sinne eines interaktiven, wechselseiti-gen und rückgekoppelten Prozesses zwischen Wissenschaft und Praxis erfolwechselseiti-gen.

Versteht man Bildungsmonitoring als Form des Wissenstransfers als komplexes System, so muss sich zwangsläufig mit Prozessen der Komplexitätsreduktion und des Komplexitätsaufbaus auseinandergesetzt werden. Dabei könnte der Terminus der Komplexitätstransformation hilfreich sein zu betonen, dass eine neue, andere Kom-plexität von den beteiligten Akteur:innen am Monitoring auch gemeinsam hergestellt werden kann. Diese „gemeinsame“ Komplexität könnte das Verstehen und damit auch die Nutzung des Wissens von allen Akteur:innen erhöhen, da sie einen gemein-samen Blick auf den Gegenstandsbereich entwickelt haben. Wie im Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme mit Entscheidungen der Komplexitätsreduktion/des Komplexitätsaufbaus bzw. Komplexitätstransformation im Rahmen des Wissenstrans-fers umgegangen wird, soll nach einer kurzen Vorstellung des Ländermonitorings im nachfolgenden Kapitel beschrieben werden.

3 Beispiel: Ländermonitoring Frühkindliche

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