• Keine Ergebnisse gefunden

Design im hochschulischen Wissenstransfer

Im Dokument GERALD MOLL JULIA SCHÜTZ (HG.) (Seite 25-29)

Sind Designer:innen mehr und mehr Consultants? Dieser Frage geht die Inter-aktionsdesignerin Carmen Hartmann-Menzel von der Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd nach. Sie diskutiert die Rolle interaktiver Systeme in der Wis-sensvermittlung und stellt Formen der Vermittlung von wissenschaftlichen Erkennt-nissen anhand verschiedener Beispiele aus der Hochschullehre vor, bspw. Ergebnisse der Bachelorarbeit „Tangible Chemistry“ in Kooperation mit dem TUMlab des Deut-schen Museums in München. Sie beleuchtet darüber hinaus Szenarien als keit zur Darstellung und Bewertung komplexer Sachverhalte und zeigt die Möglich-keiten auf, dass Design die Anforderungen an den Prozess sowie dessen Beteiligte im Kontext wissenschaftlicher Wissensvermittlung gestaltet.

Im Beitrag von Andreas Teufel von der Hochschule Bremen, unter dem Titel

„Komplexität aushalten“, werden die verschiedenen gestalterischen Ebenen von Da-tenvisualisierungen aufgezeigt. Er benennt die Visualisierung von Daten als „visuali-siertes Denken“. Zugrundegelegt werden die Bedeutungen von Symbolen, Icons und Index nach Peirce, um mittels verschiedener, auch historischer Beispiele wie einer Karte des Russlandfeldzugs 1812–1813, die Aspekte der Aufbereitung von Daten durch das Design zu illustrieren. Geschwindigkeit, Informationsdichte, Prägnanz und Inter-aktion helfen dabei, Komplexität zugänglich zu gestalten. Datenvisualisierungen schaffen eine eigenständige Form des Verstehens, indem sie helfen, mentale Modelle abstrakter Zusammenhänge zu entwickeln.

Welche Auswirkungen gendergeprägte Designentscheidungen haben können, zeigen Tanja Godlewsky und Claudia Herling auf. Beide sind sowohl Mitglieder im International Gender Design Network als auch in der Lehre an verschiedenen Hoch-schulen tätig. In Ihrem Beitrag weisen sie auf alltägliche, aber nicht immer offensicht-liche Designentscheidungen hin, welche Geschlechterrollen sich auf visueller Ebene manifestieren können. Formen, Farben und Schriften sind nicht genuin weiblich oder männlich; sie werden jedoch als kulturell bedingte Gendercodes gelernt, wahrgenom-men und finden insbesondere in geschlechtsspezifischen Entwürfen Anwendung.

Entscheidet Design über Leben und Tod? Den dritten Abschnitt des Bandes zum Design im hochschulischen Wissenstransfer beschließt die Diplom-Designerin Bitten Stetter von der Zürcher Hochschule der Künste. Sie analysiert Wege der Erkenntnis für Forscher:innen und Proband:innnen als Gestalter:innen von Daten mit den Mit-teln des Designs. Die vorgestellten Mappingmethoden, die je nach Disziplin unter-schiedliche kartografische Strategien anwenden, bieten vielfältige Möglichkeiten, um der Komplexität gerecht zu werden und Wissen zu destillieren. Zentral dabei sind zwei Begriffe: „Ästhetik“ und „Komplexität“, wobei der letzte im Zentrum dieses Ban-des steht und uns Menschen auf unterschiedlichste Weise herausfordert.

Zur Illustration: Eine Art Metaphern der Komplexitätsreduktion im Wissenstransfer Die Verwendung einer bebilderten Sprache findet sich in Lehr-/Lernprozessen häufig.

In der antiken Rhetorik wurden Metaphern ausschließlich als sprachliche Stilfigur definiert. Nach Lakoff und Johnson begrenzt sich die Verwendung von Metaphern 24 Wissenstransfer – Komplexitätsreduktion – Design. Ein Systematisierungsversuch

nicht nur auf das Sprachliche, sondern ist mit dem menschlichen Denken, Erleben und Handeln maßgeblich verbunden. „Das Wesen der Metapher besteht darin, dass wir durch sie eine Sache oder einen Vorgang in Begriffen einer anderen Sache bzw.

eines anderen Vorgangs verstehen und erfahren können“ (Lakoff & Johnson, 2000, S. 9). Zur sprachlichen Erfassung nicht gegenständlicher Phänomene (vgl. Guski, 2007), wozu zweifelsohne auch Lern-, Bildungs-, und Reflexionsprozesse als wichtige Zielperspektive von Wissenschaftskommunikation gehören, liegt die Verwendung von Metaphern also nahe und die Alma Mater, die nährende Mutter, die die Studieren-den mit Bildung und Wissen um- und versorgt, ist inzwischen weniger Metapher als feststehender Begriff im akademischen Sprachgebrauch. Die sprachliche Ubiquität der Metaphern begleitet auch die wissenschaftliche Kommunikation, beispielsweise wenn es in der Pandemie-Situation darum geht, „auf Sicht zu fahren“ oder im hoch-schuldidaktischen Handeln „den roten Faden in der Seminargestaltung nicht zu ver-lieren“. Alexandra Guski weist auf die Gefahren von Metaphern hin. Sie schreibt, dass diese gleichzeitig „verdeutlichen und verunklaren“ (ebd., S. 26). Sie vereinfachen Komplexes und tragen aufgrund dieser Vereinfachung dazu bei, dass Zusammen-hänge wiederum verwischen. Problematisch ist auch, dass Metaphern häufig wörtlich genommen werden oder Sachverhalte verfremden.

Genau an dieser Stelle setzt die Illustration des Buches an. Auch in Illustrationen finden sich Metaphern, keine sprachlichen, sondern bildliche. Dazu gehört zweifels-ohne der „springende Punkt“. Der springende Punkt auf dem Buchcover nimmt den roten Faden bei Aristoteles (Historia animalium, 4. Jh.) auf, seiner Beobachtung des biologischen Phänomens des springenden Punktes bei der Entstehung neuen Lebens in einem Hühnerei. Es bezeichnet die Beobachtung, dass das zukünftige Herz bereits frühzeitig als pulsierender Punkt zu erkennen ist. Hierin findet sich der Ursprung dieser Metapher, also etwas Wichtiges wird auf den Punkt gebracht oder für Kommu-nikationskontexte: Der entscheidende Aspekt einer Fragestellung wird formuliert. Für uns hat diese gewählte Metapher des springenden Punktes eine mehrfache Bedeu-tung – sie umschreibt die Entstehung von etwas Neuem und tangiert die relevanten Fragestellungen des Bandes. Der springende Punkt als rotes Fadenknäuel ist die sprachlich-visuelle Illustration, durch die alle Beiträge miteinander verbunden sind.

Die eigens für diesen Band durch Gerald Moll erstellten Illustrationen vereinen Bild und Sprache. Dargestellt sind kommunikative Szenen, wie sie in hochschu-lischen Formaten häufiger vorzufinden sind. Die Figuren sind mit sprachlichen For-mulierungen versehen. Beispielweise ist „etwas naheliegend“, „ein Gedanke wird entwickelt“ und etwas anderes muss wiederum „mit Abstand betrachtet werden“. In-teressant ist, dass die gewählten Formulierungen, wie sie in wissenschaftlichen Kon-texten anzutreffen sind, unmittelbare Bezüge für ein Handeln aufweisen. Gleicher-maßen verhält es sich mit der Funktion der Illustration an sich. Sie bezeichnet etwas und ließe sich daher als eine Bezeichnung darstellen. Sie benennt dadurch sowohl eine sprachliche als auch eine bildhafte Instanz. Bezugspunkte der Illustrationen sind diese sprachlichen Bezeichnungen, Worte, die eine wissenschaftliche Tätigkeit um-schreiben oder eben bezeichnen. Diese Bezeichnungen tragen ihre physische

Reprä-Gerald Moll & Julia Schütz 25

sentanz bereits in sich, eine körperliche Tätigkeit, die, in Anlehnung an die Phänome-nologie, als Voraussetzung für den Erkenntnisprozess evident ist. Der Leib, so bezeich-net sich die phänomenologische Vorstellung des „Leibes“ als „Knotenpunkt lebendiger Bedeutungen“ (Merleau-Ponty 1966, S. 181), durch sein „Zur-Welt-sein“ (ebd., S. 107) aus, hat den Status eines eigenständigen Mediums. Ein leibliches beziehungsweise körperliches Verständnis zur Welt ist also für die Phänomenologie vorrangig, nicht der rein geistige Zugang zur Welt. So werden in den Illustrationen Forschungsgegen-stände „aus der Ferne betrachtet“ oder „in Betracht gezogen“, Wissen wird durch Design „in Formation gebracht“. Diese sprachlichen Bilder werden – so unsere Auf-fassung – von der Wissenschaftsgemeinschaft in der Kommunikation disziplinüber-greifend genutzt und möglicherweise viel zu selten reflektiert. Dabei zeigen sie so eindrücklich, dass Sprache soziales Handeln ist.

Literaturverzeichnis

Ball, R. (2020). Wissenschaftskommunikation im Wandel. Wiesbaden: Springer Fachme-dien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-31541-2_5, korrigierte Publikation 2020.

Berger, P. L. & Luckmann, T. (2009). Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit:

Eine Theorie der Wissenssoziologie. Fischer.

BMBF – Bundesministerium für Bildung und Forschung (2019): Grundsatzpapier des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Wissenschaftskommunikation.

BMBF – Bundesministerium für Bildung und Forschung (2021). Grundlagenforschung:

Basis für die Wissensgesellschaft. https://www.bmbf.de/de/grundlagenforschung-basis-fuer-die-wissensgesellschaft-874.html [letzter Zugriff: 9.2.2021]

Christ, J., Koscheck, S., Martin, A. & Widany, S. (2019). Wissenstransfer – wie kommt die Wissenschaft in die Praxis? http://www.die-bonn.de/id/37002 [letzter Zugriff:

5.5.2021]

Cross, C. (1999). Design Research: A Disciplined Conversation. https://www.jstor.org/

stable/1511837?seq=1#metadata_info_tab_contents [letzter Zugriff: 5.5.2021]

Deutsche Gesellschaft für Soziologie (2020) (Hrsg.). Soziologie. Heft 4/2020, Jahrgang 49.

Frankfurt a. M., New York: Campus

Deutsche Gesellschaft für Soziologie (2021) (Hrsg.). Soziologie. Heft 1/2021, Jahrgang 50.

Frankfurt a. M., New York: Campus

Flusser, V. (1997). Vom Stand der Dinge: Eine kleine Philosophie des Designs. Steidl.

Guski, A. (2007). Metaphern der Pädagogik. Metaphorische Konzepte von Schule, schu-lischem Lernen und Lehren in pädagogischen Texten von Comenius bis zur Gegen-wart. Bern: Peter Lang.

Jonas, M. (2000). Brücken zum Elfenbeinturm. Mechanismen des Wissens- und Technolo-gietransfers an Hochschulen. Berlin: Sigma rainer bohn verlag.

Kergel D., Hepp R. (2016). Forschendes Lernen zwischen Postmoderne und Globalisie-rung. In D. Kergel & B. Heidkamp (Hg.), Forschendes Lernen 2.0. Wiesbaden: Sprin-ger VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-11621-7_2

26 Wissenstransfer – Komplexitätsreduktion – Design. Ein Systematisierungsversuch

KMK (2001). Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland. Sachstands- und Problembericht zur „Wahrnehmung wissenschaftlicher Weiterbildung an den Hochschulen“ (Beschluss der Kultusminis-terkonferenz vom 21.09.2001 – Online).

Könneker C. (2020). Wissenschaftskommunikation und Social Media: Neue Akteure, Pola-risierung und Vertrauen. In J. Schnurr & A. Mäder (Hg.), Wissenschaft und Gesell-schaft: Ein vertrauensvoller Dialog. Berlin, Heidelberg: Springer. https://doi.org/

10.1007/978-3-662-59466-7_3

Kreitz, R. (2012). Wissen. In K.-P. Horn, H. Kemnitz, W. Marotzki & U. Sandfuchs (Hg.), Klinkhardt Lexikon Erziehungswissenschaft KLE, Band 3 (S. 419–420). Bad Heil-brunn: Julius Klinkhardt.

Krippendorff, K. (2013). Die semantische Wende: Eine neue Grundlage für Design. Basel:

Birkhäuser Verlag.

Lakoff, G. & Johnson, M. (2000). Leben in Metaphern, Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern. Heidelberg: Auer.

Luhmann, N. (2014). Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, 5. Aufl. Stuttgart: UTB.

Mareis, C. (2011). Design als Wissenskultur. Interferenzen zwischen Design- und Wissens-diskursen seit 1960. Transcript.

Merleau-Ponty, M. (1966). Phänomenologie der Wahrnehmung. Berlin: Walter de Gruyter.

Nolda, S. (1996). „Vulgarisation scientifique“ und „scientific literacy“. Vermittlung wissen-schaftlichen Wissens als soziales Phänomen und als andragogische Aufgabe. In S. Nolda (Hg.), Erwachsenenbildung in der Wissensgesellschaft (S. 100–119). Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.

Oestreicher, E. (2014). Wissenstransfer in Professionen. Grundlagen, Bedingungen und Optionen. Opladen: Budrich Uni Press Ltd.

Oliver, M. L. (2009). The transfer process: Implications for evaluation (S. 61–73). San Fran-cisco: New Directions for Evaluation.

Oxford Dictionaries (2021): Design. Definition of design in English by Oxford Dictionaries.

In Oxford Dictionaries. https://en.oxforddictionaries.com/definition/design [letzter Zugriff: 04.05.21]

Pickering, A. (1984). Constructing Quarks: A Sociological History of Particle Physics.

Chicago: The University of Chicago Press.

Polanyi, M. (1966). Implizites Wissen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp

Push-Memorandum (1999). Dialog Wissenschaft und Gesellschaft. https://www.stifterver band.org/ueber-uns/geschichte-des-stifterverbandes/push-memorandum [letzter Zugriff: 27.04.2021]

Rapp, C. (2013). Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung. Band 16: Zoologische Schriften I. Historia animalium. Berlin: Akademie Verlag (ab 2019: de Gruyter).

Reichertz, J. (2013). Grundzüge des Kommunikativen Konstruktivismus. In R. Keller, H. Knoblauch & J. Reichertz (Hg.), Kommunikativer Konstruktivismus. Theoretische und empirische Arbeiten zu einem neuen wissenssoziologischen Ansatz (S. 49–68).

Wiesbaden: VS Verlag.

Gerald Moll & Julia Schütz 27

Rittel, H. W. J.; Webber, M. M. (1973). Dilemmas in a General Theory of Planning. In Policy Sciences. (4), 155–169.

Schweer, M. (Hg.). (1997). Vertrauen und soziales Handeln: Facetten eines alltäglichen Phänomens. Neuwied: Luchterhand.

Stanik, T. & Wahl, J. (2020). Wissenschaftliche Grundbildung in Zeiten von Corona. Ver-stehen oder glauben? weiter bilden. Die Zeitschrift für Erwachsenenbildung. 4/2020, 54–58.

Stehr, N. (1994). Arbeit, Eigentum und Wissen. Zur Theorie von Wissensgesellschaften.

Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Stehr, N. (2001). Moderne Wissensgesellschaften. Politik und Zeitgeschichte, B36/2001, 7–14.

Stehr, N. (2013). Wissen und der Mythos von Nichtwissen. Politik und Zeitgeschichte. bpb, 56.

Tiefel, S. (2016). Vertrauen. In M. Dick, W. Marotzki & H. Mieg (Hg.), Handbuch Profes-sionsentwicklung (S. 150–155). Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.

Wagenblass, S. (2015). Vertrauen. In H.-U. Otto & H. Thiersch (Hg.), Handbuch Soziale Arbeit (S. 1825–1835). München, Basel: Ernst Reinhardt.

Warnecke, C. (2017): Wissenstransfer aus Hochschulen Methodik und Ergebnisse einer bundesweiten Professorenbefragung. Die Hochschule 1/2017, 135–147.

Wissenschaftsbarometer 2019. https://www.wissenschaft-im-dialog.de/projekte/wissen schaftsbarometer/wissenschaftsbarometer-2019/ [letzter Zugriff: 5.5.2021]

Im Dokument GERALD MOLL JULIA SCHÜTZ (HG.) (Seite 25-29)