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Zusammenfassung: Staatlicher Umgang mit der Fortpflanzung zwischen 1871 und 1933

Teil 2: Grundrecht auf Fortpflanzung?

2.1. Rechtsgeschichte: Behandlung der Fortpflanzung zwischen 1871 und 1933

2.1.5. Zusammenfassung: Staatlicher Umgang mit der Fortpflanzung zwischen 1871 und 1933

Beim Entwurf des familienrechtlichen Teils des Bürgerlichen Gesetzbuches in der Fassung von 1900 stand die rechtliche Ordnung der Familie im Zentrum zahlreicher widerstreitender Interessen, was sowohl die verschiedenen politischen Kräfte, als auch mächtige gesellschaftliche Gruppen, wie z.B. die christlichen Kirchen umfasste.420 Bei der Schaffung des BGB wurde eine „christliche Gesamtanschauung“ des deutschen Volkes vorausgesetzt, die bereits aufgrund der damals gegebenen Verhältnisse in hohem Maße obsolet geworden war.421 Das Bild, das das BGB von der bürgerlichen Familie als einheitliche Lebensform entwarf, entsprach der Lebenswirklichkeit der Mehrheit der deutschen Bevölkerung zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht.422 Dennoch übernahm das BGB das Leitbild der christlich-sittlichen Ehe und legte dieses als vorgegebene, übersittliche Ordnung fest.423 Gleichzeitig wurden Alternativen zur bürgerlichen Ehe (z.B.

die nichteheliche Lebensgemeinschaft) bewusst diskriminiert, um ein dem Leitbild des Gesetzgebers entsprechendes Verhalten der Bürgerinnen und Bürger zu erzwingen. Die Tätigkeit der Fortpflanzung in der Ehe wurde besonders geschützt, sowohl gegen staatliche Eingriffe, als auch gegen Eingriffe Dritter (z.B. durch Pönalisierung des Ehebruchs). Parallel hierzu wurden die äußeren Umstände der außerehelichen Fortpflanzung durch Verfolgung des Konkubinats und die rechtliche Diskriminierung nichtehelicher Mütter und Kinder vom Staat so abschreckend wie möglich gestaltet.

Bereits bei der Betrachtung des Nichtehelichenrechts wird die patriarchalische Ausrichtung des Rechtes im Untersuchungszeitraum deutlich, denn die Folgen unerwünschter außerehelicher Schwangerschaften trugen in erster Linie die Frauen. Der nichteheliche Vater wurde, im Gegensatz zur nichtehelichen Mutter, von der Rechtsordnung nicht faktisch diskriminiert.

Während die positive Fortpflanzungsentscheidung unverheirateter Personen verpönt war, genoss die positive Fortpflanzungsentscheidung verheirateter Personen staatlichen Schutz. Dieser Schutz der positiven ehelichen Fortpflanzungsentscheidung einer Person durch den Staat wirkte sogar innerhalb der Ehe, da er auch gegen den Willen des anderen Ehepartners durchgesetzt werden konnte. Dies war möglich, weil die Verweigerung sexueller ehelicher Pflichten als Scheidungsgrund anerkannt wurde und zudem die Vergewaltigung in der Ehe lediglich als Nötigung strafrechtlich verfolgt werden konnte. Bei Betrachtung der Wechselwirkungen des Ehe- und Strafrechts im

420 BLASIUS, Dirk: Ehescheidung in Deutschland 1794-1945, 1987, S. 127-128

421 BLASIUS, Dirk: Ehescheidung in Deutschland 1794-1945, 1987, S. 135

422 RICHTER, Ingo: „Das Recht der Kindheit in der Entwicklung“, in: LANGE, Andreas/LAUTERBACH, Wolfgang (Hg.): Kinder in Familie und Gesellschaft - zu Beginn des 21sten Jahrhunderts, 2000, S. 295

423 HARMS-ZIEGLER, Beate: Illegitimität und Ehe - Illegitimität als Reflex des Ehediskurses in Preußen im 18. und 19. Jahrhundert, 1991, S. 308

Untersuchungszeitraum wird die patriarchalische Ausrichtung dieses Rechts besonders deutlich, denn die dargestellten Regelungen führten vor allem zu einer Beschränkung der sexuellen Selbstbestimmung von verheirateten Frauen. Insbesondere konnten verheiratete Frauen es sich wegen ihrer durch das Recht vorgegebenen schlechteren wirtschaftlichen Stellung kaum leisten, wegen Verweigerung der ehelichen Pflichten als schuldig geschieden zu werden. Auch die Privilegierung der Vergewaltigung in der Ehe begünstigte faktisch allein den Ehemann.

Wie sowohl der staatliche Umgang mit Verhütungsmitteln als auch die Strafbarkeit der Abtreibung zeigen, ging der Staat davon aus, das Recht zu haben, von seinen Bürgerinnen und Bürgern die Zeugung und Austragung von Kindern verlangen zu dürfen.

Diese Haltung wurde mit dem Interesse des Staates an der Erhaltung des deutschen Volkes gerechtfertigt, Individualrechte der Partner einer Geschlechtsgemeinschaft spielten bei dieser Beurteilung keine erkennbare Rolle. Eine negative Fortpflanzungsentscheidung war bei Durchführung einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs weder vor noch nach Entstehung eines Kindes anerkannt. Besonders interessant ist, dass sich dieser Anspruch des Staates nicht nur auf die eheliche Fortpflanzung beschränkte, sondern auch die Verhinderung der Zeugung mit künstlichen Mitteln und der Schwangerschaftsabbruch bei unverheirateten Personen von den gesetzlichen Regelungen betroffen waren. Der Staat hatte zwar ein Interesse daran, die „Unmoral“ des außerehelichen Geschlechtsverkehrs zu unterbinden, fand allerdings außerehelicher Geschlechtsverkehr mit der Folge der Zeugung eines Kindes statt (z.B. weil der Zugang zu Verhütungsmitteln erschwert war), so wurde auch von der nichtehelichen Schwangeren die Austragung des Kindes gefordert, worauf dann die rechtliche Diskriminierung der nichtehelichen Mutter und ihres Kindes durch die Rechtsordnung folgte.

Aus der Diskussion um die Zwangssterilisation kann gefolgert werden, dass zumindest die körperliche Fähigkeit zur Zeugung oder Empfängnis von Kindern als Individualrecht einer einzelnen Person anerkannt war. In diesem Bereich wurde eine Eingriffskompetenz des Staates zwar nicht völlig abgelehnt, aber doch extrem restriktiv beurteilt. Daher war im Untersuchungszeitraum anerkannt, dass die notwendigen körperlichen Voraussetzungen zur Umsetzung einer positiven Fortpflanzungsentscheidung grundsätzlich gegen staatliche Eingriffe geschützt waren.

Es ist festzuhalten, dass sich aus den dargestellten rechtlichen Regelungen auch geschlechtsspezifisch verschiedene Haltungen des Staates in Bezug auf fortpflanzungsrelevante Rechtspositionen seiner Bürgerinnen und Bürger ableiten lassen.

Gerade bei der Tätigkeit Fortpflanzung, die nur von zwei gegengeschlechtlichen Personen durchgeführt werden kann, fällt auf, dass die Diskriminierung der Frau im Umfeld der Fortpflanzung (z.B. ihre weitgehend rechtlose Stellung in der Beziehung der Ehegatten untereinander oder ihre schlechte Rechtsposition als Mutter eines

nichtehelichen Kindes, sowie der auch mit bevölkerungspolitischen Gründen gerechtfertigte Anspruch des Staates auf Austragung ungewollter Schwangerschaften durch seine Bürgerinnen) Tradition in der Geschichte des deutschen Rechts hat.

Der Vergleich der Rechtslage mit der Gesellschaftswirklichkeit zwischen 1871 und 1933 in Bezug auf das Verbot der Abtreibung, den Umgang mit Verhütungsmitteln und die Regelungen der Ehe und der nichtehelichen Gemeinschaft zeigt zudem deutlich, dass der staatliche Wille, mit rechtlichen Regelungen auf das Intimleben seiner Bürger Einfluss zu nehmen, nicht die gewünschten Wirkungen hatte.

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