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Geschichte der medizinisch assistierten Fortpflanzung

Die künstliche Befruchtung ist die älteste Form der medizinisch assistierten Fortpflanzung.

Sie wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts praktiziert96. Die Befruchtung einer Frau mit anderem Samen als dem ihres Ehemannes (heterologe Insemination) ist lange vor der gesellschaftlichen Diskussion um die künstliche Fortpflanzung als juristisches Problem gesehen und diskutiert worden.97 Die Geschichte der in-vitro-Fertilisation (IVF) beginnt Ende des 19. Jahrhunderts. An Tieren wurden extrakorporale Befruchtung und anschließender Embryotransfer im Experiment versucht. Diesen Tierversuchen folgte 1944 die erste Fertilisation einer weiblichen menschlichen Eizelle außerhalb des Mutterleibes.98

Um den rasanten Entwicklungsverlauf der letzten Jahre übersichtlich zu halten, sind die weiteren Ereignisse tabellarisch aufgelistet. Die Geschichte des Rechts der medizinisch assistierten Fortpflanzung ist kursiv gestaltet:

1978 Geburt des ersten Retortenbabys Louise Brown: Beginn einer breiten gesellschaftlichen Diskussion über medizinisch assistierte Fortpflanzung 1982 Geburt des ersten deutschen Retortenbabys in der Frauenklinik der

Universität Erlangen-Nürnberg99

1982 Erste freiwillige Behandlungsregistrierungen durch IVF-Zentren in Deutschland

1985 Die Zahl der Geburten aus IVF wird weltweit auf etwa 900 geschätzt, die Tendenz ist steigend100

1985 Verabschiedung der ersten Musterrichtlinien zum Thema der künstlichen Befruchtung durch den Deutschen Ärztetag (seither mehrfach überarbeitet, zuletzt 1998)

Ende 1990 Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung

96 SELB, Walter: Rechtsordnung und künstliche Reproduktion des Menschen; 1987, S. 9; Urteil des RG vom 04.06.1908, 443/07 IV., JW 1908, S. 485-486

97 vgl. zum Meinungsstand in den 50er Jahren: DÜRIG in: MAUNZ, Theodor/DÜRIG, Günter (Hg.):

Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 33. Ergänzungslieferung, Nov. 1997, Art. 1 Abs. 1 RN 39 m.w.N.

98 SELB, Walter: Rechtsordnung und künstliche Reproduktion des Menschen; S. 11-12

99 Bericht der Ärztezeitung vom 14./15.04.2000, „Deutschlands erstes Retortenbaby wird am Sonntag volljährig“, S. 24

100 SELB, Walter: Rechtsordnung und künstliche Reproduktion des Menschen; 1987, S. 9

01.01.1991 Inkrafttreten des Embryonenschutzgesetzes vom 12.12.1990 (damals nur Bundeskompetenz für Strafrecht)101

1994 Schaffung einer konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die künstliche Befruchtung beim Menschen, die Untersuchung und die künstliche Veränderung von Erbinformation (§ 74 Abs. 1 Nr. 26 GG)102 1994 Einführung der Technik der Injektion eines Spermiums in eine Eizelle

(intrazytoplasmatische Spermieninjektion - ICSI) zur Unterstützung der IVF von unfruchtbaren Paaren in der ärztlichen Praxis103

1996 „Übereinkommen des Europarates zum Schutze der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biotechnologie und Biomedizin“104

1997 Geburt des Schafes Dolly, des ersten geklonten größeren Säugetiers:

Auslöser einer erneuten gesellschaftlichen Diskussion über alle Gebiete der Biomedizin

Ende 1998 Entwicklung von menschlichen embryonalen Stammzellen durch Klonung und Übertragung in die entkernte Eizelle einer Kuh in Massachusetts, USA (zur Züchtung menschlicher embryonaler Stammzellen für medizinische Zwecke, das entstandene Wesen [Chimäre] wurde nach 14 Tagen entsprechend den U.S.-Richtlinien abgetötet).105

1999 Weltweit verdanken ungefähr 300.000 Kinder ihr Leben einer IVF, davon ca. 80.000 einer IVF mit ICSI. In Deutschland ist bei ca. 3 % aller

Geburten (bei ca. 25.000 Kindern pro Jahr) eine Sterilitätstherapie vorausgegangen.106

2000 Weltweit verdanken mehr als 500.000 Kinder, in Deutschland ca. 80.000 Kinder ihr Leben einer IVF107

101 vgl. zur Entstehungsgeschichte des ESchG: KELLER in: KELLER, Rolf/GÜNTHER, Hans-Ludwig/KAISER, Peter: Embryonenschutzgesetz, 1992, Einführung S. 65-81

102 Gesetz zur Änderung des GG vom 27.10.1994, BGBl I 3146

103 Bericht der Ärztezeitung vom 10./11.09.1999, „Kontroversen um Kostenübernahme bei einer ICSI“, S. 12 ; NEIDERT, Rudolf: Brauchen wir ein Fortpflanzungsmedizingesetz? MedR 1998, 347 ff.

104 ETS No. 164

105 Ärztezeitung vom 18./19.06.1999, Titelseite

106 Berichte der Ärztezeitung vom 10./11.09.1999, „Vielen kinderlosen Paaren kann heute geholfen werden“ und „Kontroversen um Kostenübernahme bei einer ICSI“, S. 12

107 Bericht der Ärztezeitung vom 14./15.04.2000, „Deutschlands erstes Retortenbaby wird am Sonntag volljährig“, S. 24

Mai 2000 Symposium des Bundesgesundheitsministeriums in Berlin zur Vorbereitung des Entwurfes eines Fortpflanzungsmedizingesetzes108 Mai 2001 Weltweit existieren ca. 30 Babies, die Gene von drei Personen (statt

normal 2) aufweisen109. Neben den überwiegenden Genen von genetischem Vater und genetischer Mutter weisen diese Kinder in geringem Umfang Gene einer weiteren Frau auf. Dies kommt wie folgt zustande: Aus einer Eizelle der zusätzlichen Frau wird Zellflüssigkeit (Zytoplasma) entnommen und in die Eizelle der genetischen Mutter injiziert, deren Eizellen ohne dieses Zytoplasma nicht entwicklungsfähig sind. Hierbei wird mit dem Zytoplasma auch in geringem Umfang Erbinformation in die Eizelle übertragen, was dazu führt, dass das entstehende Kind zwei genetische Mütter hat.110

Februar 2004 Weltweit geht durch die Presse, dass es in Korea gelungen ist, mit dem Erbmaterial der Körperzellen von Frauen, das in von ihnen stammende, entkernte Eizellen eingesetzt wurde, in vitro die Entwicklung von

30 Embryonen bis zum Blastozystenstadium anzuregen. Die Embryonen wurden zerstört, um Stammzellen zur Entwicklung von Stammzelllinien zu entnehmen (therapeutisches Klonen). Aus Ihnen wurde eine Stammzell-linie entwickelt. Damit sind erstmals erfolgreich (bis zum Blastozysten-stadium) Menschen geklont worden.111

11.11.2004 In Lübeck kommt nach Polkörperdiagnostik ein gesunder Junge zur Welt, dessen Eltern die Anlage zu ein und derselben schweren Erbkrankheit haben. Sie hatten wegen dieser Krankheit vorher ein Kind nach ca. drei Jahren verloren und bereits einmal eine Schwangerschaft unterbrochen.112

108 Bericht der Ärztezeitung vom 29.05.2000, „Bald neue Regeln zur Fortpflanzung in vitro - trotz mancher Widersprüche“; Anmerkung: Die Arbeit am Entwurf eines Fortpflanzungsmedizingesetzes wurde nach dem Wechsel der zuständigen Ministerin bis auf weiteres eingestellt.

109 The New York Times, Bericht „Babies Born in Experiments Have Genes From 3 People“ vom 05.05.2001

110 BAKER, Debra: „Catching Up to Science“, American Bar Association Journal (ABA Journal), December 1999, S. 88

111 Berichte (u.a.): Science „Scientists Take Step Toward Therapeutic Cloning“ vom 13.02.2004; The Washington Post „Mature Human Embryos Cloned“ vom 12.02.2004; Stern „Koreas Klon-Coup“ vom 19.02.2004; Frankfurter Allgemeine Zeitung „Klonpremiere“ vom 13.02.2004; Süddeutsche Zeitung

„Erstmals menschliche Embryos geklont“ vom 13.02.2004; Die Welt „Stammzellen aus geklonten menschlichen Embryonen“ vom 13.02.2004; Der Spiegel „Da explodiert gerade etwas“ vom 16.02.2004; Focus „Hochgekochtes Klon-Konzept“ vom 16.02.2004

112 Bericht des Rheinischen Merkur „Lübecker Genexperiment - Versteckter Meilenstein“ vom 02.12.2004

November 2004 Der Versuch, eine UN-Konvention gegen das Klonen von Menschen zu schaffen, wird im dritten Verhandlungsjahr vorerst aufgegeben. Der Grund ist, dass ein Teil der Mitgliedsstaaten das therapeutische Klonen erlauben will, während andere Staaten darauf bestehen, gleichzeitig therapeutisches und reproduktives Klonen zu verbieten. Statt einer UN-Konvention wird nunmehr lediglich eine allgemein gefasste Deklaration gegen das Klonen ausgearbeitet, die keinen verbindlichen Charakter hat.113 Dezember 2004 In den USA wird von einem kommerziellen Unternehmen das erste

aus den Genen seines verstorbenen Vorgängers geklonte Haustier (eine Katze) der Auftraggeberin ausgehändigt. Der Preis betrug 50.000 $, das Unternehmen plant, dieses Geschäft auszuweiten.114

Bis zum Jahr 2004 sind weltweit mehr als 1,8 Millionen Kinder geboren worden, deren Leben mit der Befruchtung einer Eizelle im Reagenzglas begann. In Deutschland werden derzeit (2004) 1-2% aller Kinder (etwa 10.000 von 700.000) nach assistierter Reproduktion geboren.115

Seit den 80er Jahren sind in zahlreichen Staaten Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der künstlichen Fortpflanzungsmethoden erlassen worden.116 Im Zuge aufsehenerregender wissenschaftlicher Entwicklungen auf dem Gebiet der Biomedizin, sowie bei damit thematisch verbundenen Gesetzesinitiativen hat seither immer wieder weltweit eine breite politische und gesellschaftliche Diskussion aller mit der medizinisch assistierten Fortpflanzung verbundenen Bereiche stattgefunden.

113 Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung „UN-Konvention gegen das Klonen von Menschen gescheitert“ vom 20.11.2004

114 Berichte: Frankfurter Allgemeine Zeitung „Erste Klonkatze als Haustier bestellt - Bald sind auch Hunde lieferbar“ vom 24.12.2004; ZDF heute online „‘Little Nicky‘ auf Bestellung - Geklontes Heimtier sorgt für neue Ethikdebatte in den USA“ vom 23.12.2004

115 Angaben laut Pressemeldung Nr. 3 der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) vom 14.09.2004, verfügbar über die Internt-Seiten der DGGG (http://www.dggg.de)

116 Eine internationale Zusammenstellung findet sich in: STEPAN, Jan (Hg.): International Survey of Laws on Assisted Procreation, 1990

1.4. Das Recht der medizinisch assistierten Fortpflanzung in Deutschland

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