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Recht der nichtehelichen Mutter und des nichtehelichen Kindes

Teil 2: Grundrecht auf Fortpflanzung?

2.1. Rechtsgeschichte: Behandlung der Fortpflanzung zwischen 1871 und 1933

2.1.1. Die Rechtsstellung der Fortpflanzung zwischen 1871 und 1933 in Bezug auf Ehe und Familie (Familienrecht, Polizeirecht, Strafrecht)

2.1.1.2. Recht der nichtehelichen Mutter und des nichtehelichen Kindes

Trotz des Grundkonzeptes, dass menschliche Fortpflanzung ausschließlich in der Ehe statt finden sollte, kam es zwischen 1871 und 1933 häufig zu nichtehelichen Geburten.289 Es war nicht straf- oder polizeirechtlich verboten, sich außerhalb der Ehe fortzupflanzen.

Die nichteheliche Fortpflanzung führte lediglich zu vielfältigen rechtlichen (insbes.

familienrechtlichen) und gesellschaftlichen Diskriminierungen, in der Regel ausschließlich für die nichteheliche Mutter und das Kind. In der rechtlichen Handhabung des Phänomens der außerehelichen Fortpflanzung haben sich die unterschiedlichen, vor dem BGB-1900 im Kaiserreich gültigen Rechtsordnungen des gemeinen Rechts und des ALR extrem voneinander unterschieden, ihre Grundregelungen sind deshalb nachfolgend kurz dargestellt. Es ist an dieser Stelle erforderlich, auch die Zeit vor 1871 in die Darstellung einzubeziehen, da einige entscheidende Wertentscheidungen für den Wandel des Nichtehelichenrechts bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts getroffen wurden und diese Entwicklung sich im Untersuchungszeitraum fortsetzte.

In der gemeinrechtlichen Praxis des 19. Jahrhunderts lassen sich folgende Grundaussagen des Nichtehelichenrechts festhalten: Mit der Mutter und ihrer Familie war das illegitime Kind wie ein eheliches verwandt. Der Vater war nur dann alimentationspflichtig, wenn die Vaterschaft durch freiwilliges Anerkenntnis oder gerichtlich festgestellt war. Bei Vaterschaftsklage galt die Vaterschaftsvermutung bei Nachweis der Lebendgeburt und des Beischlafs während der Empfängniszeit (üblicherweise 180 bis 300 Tage vor der Geburt). Die Zulässigkeit der anspruchsausschließenden Mehrverkehrseinrede (d.h. der Einrede, die Mutter habe während der Empfängniszeit mit mehreren Männern Geschlechtsverkehr gehabt) war strittig, wurde aber im Interesse der Sicherung des Kindesunterhaltes von der herrschenden Meinung abgelehnt.290

Nach dem ALR hatte die außerehelich geschwängerte Frau ursprünglich einen Entschädigungsanspruch und das Kind einen Unterhaltsanspruch (Verpflegung und Erziehung) gegen den außerehelichen Vater (ALR II, 1. T., 11, § 1027). War der Frau die Ehe versprochen worden, so sollte ihr durch Richterspruch, obwohl sie nie verheiratet gewesen war, der rechtliche Statuts einer unschuldig geschiedenen Ehefrau eingeräumt werden. Dieser Stellung durfte sie sich nicht nur gegenüber dem Kindsvater, sondern auch in ihrem bürgerlichen Leben berühmen. Gleichzeitig wurden in diesem Fall die Kinder als „in rechtmäßiger Ehe gezeugt“ angesehen, allerdings waren sie ehelichen Kindern nicht völlig gleichgestellt. Die Durchsetzbarkeit dieser Ansprüche von Mutter und Kind wurde dadurch abgesichert, dass eine Reihe von gesetzlichen Vermutungen und

289 vgl. zur nichtehelichen Reproduktion in Preußen im 19. Jahrhundert: HARMS-ZIEGLER, Beate:

Illegitimität und Ehe - Illegitimität als Reflex des Ehediskurses in Preußen im 18. und 19. Jahrhundert, 1991, S. 387 ff.

290 HARMS-ZIEGLER, Beate: Illegitimität und Ehe - Illegitimität als Reflex des Ehediskurses in Preußen im 18. und 19. Jahrhundert, 1991, S. 287-289

prozessrechtlichen Vorschriften das rechtlich relevante Bestreiten der Vaterschaft vor Gericht erschwerte.291 Dieser nichtehelichenfreundliche Kurs wurde in Preußen 1854 aufgegeben. Mit dem „Gesetz betreffend die Abänderungen des Abschnitts 11. Titel 1.

Theil II. und des Abschnitts 9. Titel 2. Theil II des Allgemeinen Landrechts“ vom 24.04.1854 wurden die Ansprüche lediger Mütter und nichtehelicher Kinder umfassend neu geregelt und deutlich verschlechtert.292 Insbesondere wurde die vorher in § 597 II, 2 ALR enthaltene Legitimation von sog. „Brautkindern“ (nach förmlichem Verlöbnis, aber ohne anschließende Eheschließung gezeugte Kinder) aufgehoben. Vorher bestand die Möglichkeit, durch gerichtliche Erklärung des Vaters diese Kinder als eheliche Kinder anzuerkennen, ohne dass eine Eheschließung mit der Mutter erfolgen musste.293 Insbesondere wurde durch dieses Gesetz auch die Mehrverkehrseinrede und die Einrede der „Bescholtenheit“ der Mutter zugelassen. Von diesen Einreden wurde im Vaterschafts- und Unterhaltsprozess im Regelfall zumindest eine erhoben. Dies führte selbst seitens der Gerichte zu zahlreichen Klagen über das neue Nichtehelichenrecht. Die Gerichte, die das neue Recht in der täglichen Praxis anwenden mussten, stellten wiederholt fest, dass „die Untersuchung des Lebenswandels der Geschwächten zu den schmutzigsten Erörterungen führt“.294 Nach Harms-Ziegler hat sich die Gesetzgebung bei der Novellierung des Illegitimenrechts des ALR im Jahr 1854 unter einem liberalistischen Vorwand von sozialer Verantwortung, sowie von der Idee von Gerechtigkeit und Billigkeit losgesagt:

„Der angebliche Nicht-Interventionismus verdeckte kaum die eigentliche Motivationslage: Die Illegitimen erschienen der bürgerlichen Familie als äußerer Feind, der ihre ideologische und ökonomische Geschlossenheit bedrohte und den Traum der in der Liebesehe integrierten Sexualität desavouierte. Wenn der Versuch der Resakralisierung in der sonstigen Eherechtsreform (z.B. in der Frage der Scheidung und der Zivilehe) auch scheiterte: Zumindest das Nichtehelichenrecht fiel im Bemühen, das institutionelle Ordnungsmodell der Ehe durchzusetzen, als Vorgriff der geplanten Eherechtsreform hinter die normativen Errungenschaften einer aufklärerischen, praktischen Humanität des ALR zurück.“295

Das BGB-1900 hat die schlechte rechtliche Stellung nichtehelicher Mütter und Kinder übernommen. Insbesondere regelte § 1717 BGB in der Fassung vom 01.01.1900 die Zulässigkeit der Mehrverkehrseinrede.296 Erst in der Zeit der Weimarer Republik war eine Reform des BGB in Bezug auf die Verbesserung der Rechtsstellung nichtehelicher

291 BLASIUS, Dirk: Ehescheidung in Deutschland 1794-1945, 1987, S. 100

292 HARMS-ZIEGLER, Beate: Illegitimität und Ehe - Illegitimität als Reflex des Ehediskurses in Preußen im 18. und 19. Jahrhundert, 1991, S. 305 ff.

293 HARMS-ZIEGLER, Beate: Illegitimität und Ehe - Illegitimität als Reflex des Ehediskurses in Preußen im 18. und 19. Jahrhundert, 1991, S. 207, 306-307

294 BLASIUS, Dirk: Ehescheidung in Deutschland 1794-1945, 1987, S. 110-111

295 HARMS-ZIEGLER, Beate: Illegitimität und Ehe - Illegitimität als Reflex des Ehediskurses in Preußen im 18. und 19. Jahrhundert, 1991

296 HARMS-ZIEGLER, Beate: Illegitimität und Ehe - Illegitimität als Reflex des Ehediskurses in Preußen im 18. und 19. Jahrhundert, 1991, S. 309

Kinder297 vorgesehen. Man hielt dies nicht nur unter Gerechtigkeitsaspekten für erforderlich, Art. 121 WRV298 enthielt auch eine entsprechende Aufforderung zur Schaffung rechtlicher Gleichheit von Kindern ohne Ansehung des zivilrechtlichen Status ihrer Eltern. Es kam aber nicht mehr zur Verabschiedung dieses Gesetzes vor 1933.299

Bei der Betrachtung des Nichtehelichenrechts im 19. Jahrhundert und Anfang des 20.

Jahrhunderts fällt auf, dass die Entwicklung dieses Rechtsbereichs kontinuierlich zu einer Schlechterstellung von nichtehelicher Mutter und nichtehelichem Kind geführt hat.

Maßgebliche Ursache und gleichzeitig Rechtfertigungsgrund hierfür war das staatliche Leitbild des Ehe- und Familienverbandes als erwünschtes Umfeld der Fortpflanzung.

Entsprechend diesem kirchlich-konservativen Wertbild wurden die familien- und erbrechtlichen Schranken, die im Verhältnis zwischen dem nichtehelichen Kindsvater auf der einen Seite und nichtehelichem Kind und seiner Mutter auf der anderen Seite errichtet wurden, immer höher.300 Diese Entwicklung, die ideologische Ziele in bewusster

Missachtung der tatsächlichen Gegebenheiten in Form allgemeingültiger Rechtsnormen erließ, um damit das Verhalten der Bevölkerung auf diese ideologischen Ziele hin auszurichten, war nicht von Erfolg gekrönt: Es kam weder zu einer Vermeidung des außerehelichen Geschlechtsverkehrs, noch zur Verhinderung seiner Folgen, nämlich der Geburt nichtehelicher Kinder. Blasius bewertet diesen Vorgang der systematischen rechtlichen Schlechterstellung nichtehelicher Mütter und ihrer Kinder wie folgt:

„Dieser, zumeist wenig beachtete, Vorgang gehört mit in die Gründungsgeschichte der bürgerlichen Familie; er wirft ein fahles Licht auf den Mythos ihres Siegeszuges aus eigener Kraft.“301

Es ist auch davon auszugehen, dass die rechtliche Schlechterstellung der nichtehelichen Mutter sich als ein Faktor in Bezug auf Gesundheit und Lebenserwartung des Kindes ausgewirkt hat: Bei nichtehelichen Kindern war gegenüber den ehelich geborenen Kindern die Sterblichkeitsrate im Säuglingsalter deutlich erhöht, was nicht durch biologisch-genetische, sondern in erster Linie durch soziale Unterschiede begründet war. Solche soziologischen Faktoren waren z.B. Tötung durch die nichteheliche Mutter oder Beauftragte, Armut der nichtehelichen Mutter mit der Folge von schlechten Wohnverhältnissen, schlechter Ernährung und schlechter medizinischer Versorgung, Verminderung des Stillens und Vernachlässigung der Kinder wegen notwendiger außerhäusiger Erwerbstätigkeit der nichtehelichen Mutter, Unterbringung des Kindes in

297 „Entwurf eines Gesetzes über die unehelichen Kinder und die Annahme an Kindesstatt“ von 1924/25

298 Art. 121 WRV hatte insoweit folgenden Wortlaut: „Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern.“

299 BLASIUS, Dirk: Ehescheidung in Deutschland 1794-1945, 1987, S. 179

300 BLASIUS, Dirk: Ehescheidung in Deutschland 1794-1945, 1987, S. 99

301 BLASIUS, Dirk: Ehescheidung in Deutschland 1794-1945, 1987, S. 99

Pflegefamilien und Tötung oder Vernachlässigung mit Todesfolge durch die Pflegeeltern.

Dabei war die unzulängliche finanzielle Ausstattung der Mutter nicht der allein entscheidende Faktor für die erhöhte Säuglingssterblichkeit. Auch aufgrund der Diffamierung der nichtehelichen Geburt, nicht zuletzt auch durch den Gesetzgeber, wurde die pflegerelevante, mentale Einstellung der Mutter negativ beeinflusst. Im Ergebnis erfolgte die Durchsetzung familienpolitischer Ziele (Stärkung der ehelichen Geburt) in erheblichem Umfang auf Kosten der nichtehelichen Kinder.302

In der rechtlichen Diskriminierung von nichtehelicher Mutter und nichtehelichem Kind liegt nur ein mittelbarer staatlicher Eingriff in die Fortpflanzung. Da dieser zum Ziel hatte, unverheiratete Personen an der Fortpflanzung zu hindern oder zumindest abzuschrecken, kann davon ausgegangen werden, dass eine positive Fortpflanzungsentscheidung unverheirateter Personen vom Staat nicht gebilligt wurde.

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