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Schutz der Fortpflanzung als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts?

Teil 2: Grundrecht auf Fortpflanzung?

2.3. Einzelne Grundrechte

2.3.2.1.2. Schutz der Fortpflanzung als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts?

Nunmehr ist zu prüfen, ob und mit welcher Intensität die Tätigkeit der normalen Fortpflanzung von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt wird.

Zu diesem Zweck ist zunächst festzustellen, ob die normale Fortpflanzung dem von Art.

2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten, unantastbaren Intimbereich oder dem nicht völlig staatlichen Eingriffen entzogenen Privatbereich zuzuordnen ist. Hier kann auf das Ergebnis der Prüfung des Schutzbereiches der Menschenwürde zurückgegriffen werden, wonach die normale Fortpflanzung innerhalb einer Geschlechtspartnerschaft dem Bereich der engsten persönlichen Lebensgestaltung und damit dem unantastbaren Intimbereich zuzuordnen ist (vgl. Abschnitt 2.3.1.1.2.).

Die Zuordnung der normalen Fortpflanzung zum unantastbaren Intimbereich als Bestandteil des Schutzbereichs der Menschenwürde wird durch die Aussagen von Literatur und Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht bestätigt.

Grundsätzlich wird in Bezug auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht als private Sphäre des Einzelnen der Bereich angesehen, in dem er allein zu bleiben, seine Entscheidungen in eigener Verantwortung zu treffen und von Eingriffen jeder Art unbehelligt zu bleiben

527 DI FABIO in: MAUNZ, Theodor/DÜRIG, Günter (Hg.): Kommentar zum Grundgesetz; Art. 2 Abs. 1 RN 159, Stand: 43. Ergänzungslieferung, Februar 2004

528 DI FABIO in: MAUNZ, Theodor/DÜRIG, Günter (Hg.): Kommentar zum Grundgesetz; Art. 2 Abs. 1 RN 160, Stand: 43. Ergänzungslieferung, Februar 2004

wünscht.529 Hierzu zähen auch der Sexualbereich, die Einstellung zum Geschlechtlichen und die Gestaltung des Geschlechtslebens.530

Zum Schutz des menschlichen Intim- und Sexualverhaltens führt das BVerfG folgendes aus:

„Das Grundgesetz hat den Intim- und Sexualbereich des Menschen als Teil seiner Privatsphäre unter den verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gestellt. Diese Vorschriften des Grundgesetzes sichern dem Menschen das Recht zu, seine Einstellung zum Geschlechtlichen selbst zu bestimmen. Er kann sein Verhältnis zur Sexualität einrichten oder grundsätzlich selbst darüber befinden, ob, in welchen Grenzen und mit welchen Zielen er Einwirkungen Dritter auf diese Einstellung hinnehmen will.“531

Der Intim- und Privatsphäre werden vom BVerfG auch ausdrücklich der familiäre Bereich und die persönlichen, einschließlich der geschlechtlichen, Beziehungen zu einem Partner zugewiesen.532 Dementsprechend ist anerkannt, dass der Sexualbereich eines

Menschen seiner Privatsphäre, in der Regel auch der unantastbaren Intimsphäre zuzurechnen ist. Menschliches Verhalten mit sexueller Zielrichtung genießt über Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG einen besonderen Autonomieschutz. Einer Person steht das Recht zu, selbstbestimmt darüber zu entscheiden, wie sie zum Geschlechtlichen steht und wie sie ihr Sexualleben gestaltet.533

Zahlreiche Entscheidungen deutscher Gerichte haben sich mit Fragen der normalen Fortpflanzung befassen müssen und sich zum Schutz dieses Vorganges durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geäußert. Neben Urteilen des BVerfG hat insbesondere die Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte zu Vorgängen der menschlichen Fortpflanzung als Teil des Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG in einigen Urteilen Stellung nehmen müssen, allerdings i.d.R. nur zur Klärung einer Vorfrage zur Auslegung von Rechtsvorschriften, die unmittelbar keinen Zusammenhang mit der menschlichen Fortpflanzung aufweisen (z.B.: zivilrechtliche Schadensersatzansprüche, steuerliche Absetzbarkeit von Behandlungskosten). Es wurden folgende Feststellungen zu Fortpflanzungstätigkeiten, bzw. den daraus resultierenden rechtlichen Konsequenzen getroffen:

529 BVerfG, Beschluss vom 14.02.1973, 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269 (281); BVerfG, Beschluss vom 16.07.1969, 1 BvL 19/63, BVerfGE 27, 1 ff. (6); MURSWIEK in: SACHS, Michael (Hg.):

Grundgesetz Kommentar, 1999; Art. 2 RN 60

530 BVerfG, Beschluss vom 21.12.1977, 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75, BVerfGE 47, 46 (73); BVerfG, Beschluss vom 16.03.1982, 1 BvR 938/81, BVerfGE 60, 123 ff. (134); MURSWIEK in: SACHS, Michael (Hg.): Grundgesetz Kommentar, 2003; Art. 2 RN 69

531 BVerfG, Beschluss vom 21.12.1977, 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75, BVerfGE 47, 46 (73)

532 BVerfG, Beschluss vom 06.05.1997, 1 BvR 409/90, BVerfGE 96, 56 (61)

533 DI FABIO in: MAUNZ, Theodor/DÜRIG, Günter (Hg.): Kommentar zum Grundgesetz; Art. 2 Abs. 1 RN 200, Stand: 43. Ergänzungslieferung, Februar 2004

Urteile des BVerfG zum Schwangerschaftsabbruch vom 25.02.1972 und 28.05.1993

Die zwei wohl bekanntesten Gerichtsentscheidungen zum Thema Fortpflanzung stammen vom Bundesverfassungsgericht und betreffen das (Straf-)Recht des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland.534

Da es bei allen Fragen zur rechtlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs nicht darum geht, dass der Staat die Fortpflanzung einer Person beschränken oder verhindern will, sondern um das Gegenteil (Fortsetzung einer bereits eingetretenen Schwangerschaft), sind nur diejenigen Wertungen dieser Entscheidungen behandelt, die das Grundverständnis der Fortpflanzung betreffen. In der ersten Entscheidung des BVerfG vom 25.02.1975 heißt es zu den betroffenen Grundrechten der schwangeren, abtreibungswilligen Frau:

„Die Schwangerschaft gehört zur Intimsphäre der Frau, deren Schutz durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verbürgt ist. [...] Das Recht der Frau auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit, welches die Handlungsfreiheit im umfassenden Sinn zum Inhalt hat und damit auch die Selbstverantwortung der Frau umfasst, sich gegen eine Elternschaft und die daraus folgenden Pflichten zu entscheiden, kann zwar ebenfalls Anerkennung und Schutz beanspruchen. Dieses Recht ist aber nicht uneingeschränkt gewährt - die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung, das Sittengesetz begrenzen es. Von vornherein kann es niemals die Befugnis umfassen, in die geschützte Rechtssphäre eines anderen ohne rechtfertigenden Grund einzugreifen oder sie gar mit dem Leben selbst zu zerstören, am wenigsten dann, wenn nach der Natur der Sache eine besondere Verantwortung gerade für dieses Leben besteht.“535

Das BVerfG stellt in dieser Entscheidung grundlegend fest, dass eine befruchtete Eizelle nach der Einnistung in der Gebärmutter der Frau bereits als menschliches Leben einzustufen ist. Dieses Leben genießt nach Ansicht des BVerfG bereits den vollen Schutz des Grundgesetzes (in dem Umfang, in dem die Anwendung von Grundrechten angesichts der frühen menschlichen Entwicklungsstufe Sinn macht). Bei der Abwägung zwischen den Grundrechten der Mutter und denen des Kindes wird festgestellt, dass das Recht des entstandenen Kindes auf Leben gegenüber dem Recht der Schwangeren auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit als höherwertig einzustufen sei.

Die zweite Entscheidung des BVerfG zum Schwangerschaftsabbruch vom 28.05.1993 nennt ausdrücklich neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch die Menschenwürde der Frau als bei einer Entscheidung über die Fortpflanzung betroffenes Rechtsgut:

„Als vom Lebensrecht des Ungeborenen berührte Rechtsgüter kommen dabei - ausgehend vom Anspruch der schwangeren Frau auf Schutz und Achtung ihrer Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) - vor allem ihr Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG), sowie ihr Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) in Betracht. [...] Grundrechte der Frau tragen nicht so weit,

534 BVerfG, Urteile vom 25.02.1975, Az.: 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74, BVerfGE 39, 1 ff. und vom 28.05.1993, Az.: 2 BvF 2/90, 4/92, 5/92, BVerfGE 88, S. 203-366

535 BVerfG, Urteil vom 25.02.1975, Az.: 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74, BVerfGE 39, 1 ff., 42-43

dass die Rechtspflicht zum Austragen eines Kindes - auch nur für eine bestimmte Zeit - generell aufgehoben wäre.“536

Aus beiden Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch geht eindeutig hervor, dass das BVerfG eine uneingeschränkte negative Fortpflanzungsfreiheit der Frau zum Zeitpunkt einer bereits eingetretenen Schwangerschaft (nach Nidation) nicht anerkennen wollte. Soweit die staatliche Duldung von Abtreibungen als verfassungskonform angesehen wurde, wird dies mit Unzumutbarkeitskriterien gerechtfertigt. In Bezug auf die Frage nach einem Recht auf Fortpflanzung (= positive Fortpflanzung) enthalten die Urteile keine expliziten Aussagen.

Urteil des BGH vom 29.06.1976 zur freiwilligen Sterilisation

Mit Urteil vom 29.06.1976 hat der BGH mit ausführlicher Begründung dazu Stellung genommen, dass eine freiwillige und nach umfassender Aufklärung der Betroffenen stattfindende Sterilisation nicht rechtswidrig ist.537 Laut der Begründung ist eine Einwilligung in ärztliche Eingriffe vom Grundrecht der Persönlichkeit und ihrer Entfaltung in Selbstbestimmung und Freiheit (Art. 1, 2 Abs. 1 GG) geschützt. Die Einwilligung kann bei ärztlichen Eingriffen regelmäßig die Rechtswidrigkeit der damit verbundenen Körperverletzung ausschließen. Diese Wirkung tritt allerdings nicht ein, wenn die Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Dies ist nach den Feststellungen des BGH bei einer freiwilligen Sterilisation nicht der Fall. Hierzu wird in den Entscheidungsgründen folgendes ausgeführt:

„Jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden verletzt die freiwillige Sterilisation nicht die Grundvorstellungen von dem, was nach den herrschenden Anschauungen unseres Rechts- und Kulturkreises innerhalb der sozialen Gemeinschaft vom Einzelnen an sittlichem Verhalten verlangt wird.“538

Ein Recht des Einzelnen, über seine Fortpflanzungsfähigkeit endgültig zu verfügen, wird ausdrücklich vom BGH anerkannt und mit dem grundrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht begründet. Insoweit heißt es in den Entscheidungsgründen:

„Nach den herrschenden Moralvorstellungen ist weder Empfängnisverhütung als solche noch ärztliche Mithilfe dazu verwerflich. Im Gegenteil wird die freie Entscheidung für oder gegen eine Elternschaft als Möglichkeit zu einer humaneren Lebensführung verstanden. Das entspricht der Wertordnung unserer Verfassung, die der Einzelpersönlichkeit für diesen innersten Bereich der Lebensverwirklichung einen Freiheitsraum gewährt, zu dem die Gemeinschaft keinen Zugang hat, sei es auch nur in der Form der moralischen Kritik. [...]“539

536 BVerfG, Urteil vom 28.05.1993, Az.: 2 BvF 2/90, 4/92, 5/92, BVerfGE 88, S. 203-366, Leitsatz 5 und 7 (Auszug)

537 BGH, Urteil v. 29.06.1976, Az.: VI ZR 68/75; BGHZ 67, 48 ff.

538 BGH, Urteil v. 29.06.1976, Az.: VI ZR 68/75; BGHZ 67, 48 ff. (50-51)

539 BGH, Urteil v. 29.06.1976, Az.: VI ZR 68/75; BGHZ 67, 48 ff. (51)

Da im Gegensatz zur Empfängnisverhütung die freiwillige Sterilisation dauerhaft ist, schränkt der BGH die von ihm grundsätzlich festgestellte Vereinbarkeit mit den guten Sitten allerdings dahingehend ein, dass es jeweils auf die Umstände des Einzelfalles ankomme. Dem Ehemann der sterilisierten Frau wurde kein Mitspracherecht in Bezug auf die endgültige Entscheidung seiner Ehefrau zugesprochen. Der BGH stellte ausdrücklich fest, dass gegenüber der auf dem Selbstbestimmungsrecht beruhenden freien Entscheidung eines Ehepartners für eine Sterilisation etwa entgegenstehende Wünsche und Interessen des anderen Ehegatten zurückstehen müssen.540

Entscheidungen zum Mitspracherecht des Kindsvaters bei Abtreibung

Im Zusammenhang mit der Abtreibung ist auch über das Mitspracherecht des Mannes bei der Entscheidung über die Durchführung der Abtreibung eines von ihm gezeugten Kindes diskutiert worden. In Literatur und Rechtsprechung ist kein eigenes Recht des ehelichen oder nichtehelichen Vaters auf ein Mitspracherecht bei der Abtreibungsentscheidung der schwangeren Frau anerkannt.541 Der Erzeuger kann die Abtreibung seines ungeborenen Kindes weder mit rechtlichen Mitteln verhindern, noch eine zur Austragung entschlossene Frau mit rechtlichen Mitteln zur Abtreibung zwingen.542 Dies ist folgerichtig, da die Duldung der Abtreibung durch den Staat nach der Rechtsprechung des BVerfG nur auf einer Güterabwägung zwischen kollidierenden Rechten der Schwangeren und Rechten des Kindes beruht, denen gegenüber möglicherweise bestehende Rechte des Erzeugers des Embryos als nachrangig anzusehen sind.

Fortpflanzungsgrundrechte des Mannes wurden in Bezug auf eine Beteiligung an der Entscheidung über die Abtreibung seines ungeborenen Kindes nicht thematisiert. Dies ist sachgerecht, denn zum Zeitpunkt einer bereits eingetretenen Schwangerschaft hat der Mann bereits seinen Anteil an der Tätigkeit Fortpflanzung ausgeübt, die Fortpflanzung bedarf nur noch der Vollendung durch die Frau. Es wird dementsprechend in der Literatur die Ansicht vertreten, der Erzeuger des Embryos könne allein aus seinem von Art. 6 Abs. 2 GG geschützten Elternrecht die Möglichkeit haben, die Rechtmäßigkeit der Abtreibung gerichtlich überprüfen zu lassen.543

540 BGH, Urteil v. 29.06.1976, Az.: VI ZR 68/75; BGHZ 67, 48 ff., (54); a.A. HÜBNER, Heinz/VOPPEL, Reinhard in: STAUDINGER (Begr.): J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2000, § 1353, RN 42 m.w.N.

541 RAMM, Thilo: Die Fortpflanzung - Ein Freiheitsrecht? JZ 1989, S. 861-874 (866, 867)

542 OLG Stuttgart, Urteil vom 13.05.1986, 17 UF 344/85, FamRZ 1987, 700 (701); vgl. hierzu auch die Dissertation von LINKE, Christine: Die rechtlichen Einflußmöglichkeiten des werdenden Vaters auf die Entscheidung über Fortdauer oder Abbruch der Schwangerschaft, 1991

543 LINKE, Christine: Die rechtlichen Einflußmöglichkeiten des werdenden Vaters auf die

Entscheidung über Fortdauer oder Abbruch der Schwangerschaft, 1991, S. 108; v. KALER, Matthias:

Die Rechtsstellung des Vaters zu seinem ungeborenen Kind unter Geltung einer Fristenregelung, 1997, S. 174-175, 219

Entscheidung des BGH vom 09.11.1993 zur Vernichtung einer Spermakonserve Eine Entscheidung des BGH vom 09.11.1993 betrifft den Schmerzensgeldanspruch eines Mannes, dessen tiefgefrorenes Sperma von der mit der Aufbewahrung betrauten Klinik vernichtet worden war und der inzwischen aus medizinischen Gründen seine Zeugungsfähigkeit verloren hatte.544 Mit der Vernichtung seines Spermas war dem Kläger die Möglichkeit, genetisch eigene Kinder zu bekommen, endgültig verwehrt. Der BGH erkannte an, dass das nach der Trennung vom Körper an dem Sperma entstehende Sacheigentum des Klägers von seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht überlagert wird.

Da es Zweckbestimmung des Spermas war, eine körpereigene Funktion (Zeugung genetisch eigener Kinder) zu ersetzen und weil dieser Zweck zum Zeitpunkt der Vernichtung des Spermas noch fortbestand, bejahte der BGH trotz der räumlichen Trennung des Spermas vom Körper einen Anspruch auf Schmerzensgeld aus § 847 BGB. Der BGH nahm in dieser Entscheidung keine direkte Stellung zur Fortpflanzung, sondern stellte bei der Beurteilung der angemessenen Höhe des Schmerzensgeldes lediglich fest, dass die Belastung durch den Umstand, dass der Kläger mit seiner Ehefrau keine eigenen Kinder mehr haben kann „schwer wiegt“.

Urteile zur unerwünschten Geburt eines Kindes (durchkreuzte Familienplanung) Im Zusammenhang mit der menschlichen Fortpflanzung sind auch einige aufsehenerregende Urteile des BGH und des BVerfG ergangen, die sich mit der Frage befassen, ob die ungeplante Geburt eines Kindes einen Schaden darstellen kann.

Hierbei sind zwei grundlegende Fallgruppen zu unterscheiden: (1) ob eine Verpflichtung zur Anwendung von Verhütungsmitteln zwischen Partnern wirksam vereinbart werden kann und (2) ob ärztliche Kunstfehler in Form von Behandlungs- oder Beratungsfehlern, die zur Geburt eines Kindes führen, den Arzt zum Schadensersatz verpflichten.

Infolgedessen sind zum einen Ansprüche wegen der Geburt eines Kindes, die untereinander von den Eltern geltend gemacht werden können, und zum anderen Ansprüche, die ein Paar gegenüber Dritten (i.d.R. Ärztinnen, Ärzten oder Kliniken) geltend machen kann, zu untersuchen:

a) Ansprüche der Eltern oder eines Elternteils gegen Dritte

Die Rechtsprechung des BGH erkennt an, dass die Familienplanung eines Paares gegen verletzende Eingriffe Dritter geschützt ist. Als solche Eingriffe kommen in Frage: Falsche Auswahl eines Medikamentes (Magenmittel statt Anti-Baby-Pille) durch einen Apotheker545, ärztliche Kunstfehler bei genetischer Beratung546, Sterilisation547 oder

Schwangerschaftsabbruch548. Insoweit wird der Entscheidung eines Paares, sich nicht

544 BGH, Urteil vom 09.11.1993, Az.: VI ZR 62/93, FamRZ 1994, 154 ff.

545 LG Itzehoe, Urteil v. 21.11.68, FamRZ 1969, 90

546 BGH, Urteil v. 18.01.1983, BGHZ 86, 240; BGH, Urteil v. 22.11.1983, BGHZ 89, 95, grundlegend:

BGH, Urteil v. 16.11.1993, BGHZ 124, 128 ff. (135 ff. mit ausführlichen weiteren Nachweisen)

547 BGH, 2 Urteile v. 18.03.1980, BGHZ 76, 249 und 259; BGH, Urteil v. 19.06.1984, NJW 1984, 2625

548 BGH, Urteil v. 27.11.1984, NJW 85, 671

fortzupflanzen, von der Rechtsordnung Schutz in Form von Schadensersatzansprüchen gewährt.

Die Schadensersatzpflicht eines Arztes oder einer Ärztin wird vom BGH damit begründet, dass die gegenüber den behandlungssuchenden Personen übernommene vertragliche Verpflichtung in erster Linie darin bestand, die Geburt eines Kindes (oder eines Kindes mit bestimmten Eigenschaften) zu verhindern. Solche Verträge werden vom BGH nicht als sittenwidrig, sondern als wirksam eingestuft. In einer Entscheidung vom 16.11.1993549 nimmt der BGH ausführlich dazu Stellung, dass er entgegen den in der Entscheidung vom 28.05.1993 geäußerten pauschalen Bedenken des BVerfG550 an seiner Schadensersatzrechtsprechung bei unerwünschter Geburt festhält. Nach Ansicht des BGH ist eine Verletzung der Würde des unerwünscht geborenen Kindes hierdurch nicht gegeben. Nicht die Existenz des Kindes soll durch die Rechtsprechung des BGH als Schaden qualifiziert werden, eine solche Einschätzung wäre auch nach Ansicht des BGH in Bezug auf die Würde des Kindes aus Art. 1 GG bedenklich. Vielmehr liegt der Schaden in dem durch die Geburt des Kindes ausgelösten planwidrigen Unterhaltsaufwand. Die Kompensation dieses Unterhaltsaufwandes stelle den Wert der Persönlichkeit des Kindes nicht in Frage.551

Diese Rechtsprechung des BGH wurde durch Beschluss des 1. Senates des BVerfG vom 12.11.1997 bestätigt.552 Das BVerfG stellt in diesem Beschluss ausdrücklich fest, dass die ärztliche Hilfe bei der Familienplanung durch Sterilisation oder die Beratung über genetisch bedingte Risiken vor der Zeugung eines Kindes nicht Art. 1 Abs. 1 GG berühren.553

Die Rechtsprechung des BGH zur unerwünschten Geburt lässt den Schluss zu, dass er auch die Entscheidung eines Paares gegen Kinder als schützenswert und nicht sittenwidrig einordnet.554 Allerdings hat der BGH es bislang vermieden, sich grundsätzlich zur

Rechtsnatur der Fortpflanzung unter Berücksichtigung von Grundrechtsaspekten zu äußern und hat seine Erwägungen auf das Vertrags- und Schadensersatzrecht des BGB gestützt. Hierzu heißt es in einer Entscheidung des BGH zur fehlgeschlagenen Sterilisation:

„Dahinstehen kann ferner, ob sich hinsichtlich der Bestimmungsfreiheit bei der Familien- oder Fortpflanzungsplanung ein besonderes Schutzrecht aus der Verfassungsgarantie der Familie oder des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ableiten ließe, wie dies auch das Berufungsgericht

549 BGH, Urteil v. 16.11.1993, BGHZ 124, 128 ff. (135 ff.)

550 BVerfG, Urteil v. 28.05.1993, Az.: 2 BvF 2/90; BVerfGE 88, S. 203-366

551 BGH, Urteil v. 16.11.1993, BGHZ 124, 128 ff. (135 ff.)

552 BVerfG, Beschluss vom 12.11.1997, 1 BvR 479/92 und 307/94, BVerfGE 96, 375 ff.

553 BVerfG, Beschluss vom 12.11.1997, 1 BvR 479/92 und 307/94, BVerfGE 96, 375 ff. (402-403)

554 BGH, Urteil v. 16.11.1993, BGHZ 124, 128 ff. (137)

erwogen hat. Denn diese Ansprüche könnten sich jedenfalls, wie auch das Berufungsgericht zutreffend annimmt, schon auf die Schlechterfüllung des Behandlungsvertrages stützen (§§ 611, 276, 278, 249 BGB).“555

An dieser vertragsrechtlichen Betrachtungsweise hält der BGH weiterhin fest.556 Er führt zwar in den Entscheidungsgründen aus, dass man den Schadensersatzanspruch der Eltern vielleicht auch auf den Anspruch wegen „billiger Entschädigung in Geld“ für einen immateriellen Schaden (Verletzung des Persönlichkeitsrechts) stützen könnte, lehnt eine solche Lösung dann aber mit der Begründung ab, dass dies unter Berücksichtigung der Würde des Kindes kein besserer dogmatischer Weg sei, als die vertragsrechtliche Lösung. Eine darüber hinausgehende Auseinandersetzung mit einer möglichen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Eltern durch die unerwünschte Geburt ist nicht aus den Entscheidungsgründen ersichtlich.557

b) Ansprüche der Betroffenen untereinander (Partner/Kinder)

Bei Vereinbarungen zur Verhinderung von Kindern, die unter den Partnern einer Geschlechtsgemeinschaft getroffen werden, beurteilt der BGH die Rechtslage anders.

Hier erkennt er nicht an, dass die Entscheidung eines Partners, sich nicht fortpflanzen zu wollen, gegenüber dem anderen Partner, der sich fortpflanzen will, geschützt ist.

Dogmatisch wird dies damit begründet, dass beim einverständlichen Geschlechtsverkehr immer auch das Einverständnis mit einer möglichen Empfängnis anzunehmen ist.

Vereinbarungen der Sexualpartner, die z.B. Verpflichtungen zur Anwendung empfängnisverhütender Mittel enthalten, werden als sittenwidrig und daher als unwirksam eingestuft.558 In Intimbereich zwischen Frau und Mann gilt das zivilrechtliche Deliktsrecht als nicht anwendbar.559 Hierzu heißt es in einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1986:

„Zur personalen Würde und zum Persönlichkeitsrecht von Partnern, die miteinander Geschlechtsverkehr haben, gehört es, sich immer wieder neu und frei für ein Kind entscheiden zu können. Sie müssen daher in ihrer Entscheidung, ob sie zur Vermeidung einer Schwangerschaft empfängnisverhütende Mittel gebrauchen, frei bleiben. Diese Entscheidungsfreiheit betrifft den engsten Kern ihrer Persönlichkeit und ihrer Entfaltung in Selbstbestimmung.“560

Innerhalb einer Geschlechtsgemeinschaft wird daher kein vom einverständlichen Geschlechtsverkehr unabhängiges, eigenständiges Recht eines Partner auf Entscheidung über die Nicht-Fortpflanzung von der Rechtsprechung anerkannt. Die Partner können nur wirksam darüber entscheiden, ob sie zu einverständlichem Geschlechtsverkehr bereit sind.

555 BGH, Urteil v. 18.03.1980, BGHZ 76, 259 ff. (261)

556 BGH, Urteil v. 15.02.2000, Az.: VI ZR 135/99, MedR 2000, S. 323 ff.

557 BGH, Urteil v. 16.11.1993, BGHZ 124, 128 ff. (141)

558 OLG Stuttgart, Urteil vom 13.05.1986, 17 UF 344/85, FamRZ 1987, 700 (701)

559 BGH, Urteil vom 17.04.1986, Az.: IX ZR 200/85, BGHZ 97, 372 ff.

560 BGH, Urteil vom 17.04.1986, Az.: IX ZR 200/85, BGHZ 97, 372 ff. (379)

Urteile des BFH zur steuerlichen Absetzbarkeit von Behandlungskosten

Der deutsche Bundesfinanzhof hatte mit Urteil vom 18.06.1997561 über die steuerliche Absetzbarkeit von Kosten einer homologen künstlichen Befruchtung zu entscheiden. In der Begründung der Entscheidung wird ausdrücklich festgestellt, dass “das Recht Nachkommen zu gebären, zum Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gehört“. Zum Beleg dieser Feststellung beruft sich der BFH auf das Gutachten von Starck562 und eine Entscheidung des Schweizer Bundesgerichts Lausanne. In dieser Entscheidung stellt das Schweizer Bundesgericht ausdrücklich fest, dass in der Schweiz davon auszugehen ist, dass auch die medizinisch assistierte Fortpflanzung von den in der EMRK verbrieften Menschenrechten geschützt wird, wodurch die Möglichkeit staatlicher Eingriffe eingeschränkt wird.563

Im Urteil des BFH vom 18.05.1999 zu der Frage, ob auch Aufwendungen für eine heterologe Befruchtung eine außergewöhnliche Belastung im Sinne des Steuerrechts darstellen, beschränkt sich der BFH ohne Angabe einer Begründung auf die Aussage:

“Die Verwirklichung des Wunsches nach einem eigenen Kind im Wege einer künstlichen Befruchtung ist zwar zweifelsohne Ausdruck der freien Entfaltung der Persönlichkeit, die nach Art.

2 Abs. 1 GG geschützt ist. [Es folgt die Feststellung, dass dennoch keine steuerlich relevante unentrinnbare Zwangslage vorliegt.]“564

Hier erfolgt eine eindeutige Zuordnung der Inanspruchnahme von Methoden der medizinisch assistierten Fortpflanzung zum Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

Urteil des österreichischen VfGH vom 14.10.1999565

Dieses Urteil soll nur kurz vorgestellt werden, da es für die Beurteilung der deutschen

Dieses Urteil soll nur kurz vorgestellt werden, da es für die Beurteilung der deutschen

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