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Elternschaft bei medizinisch assistierter Fortpflanzung

Auch eine Elternschaft, die sich an die Inanspruchnahme von Methoden der medizinisch assistierten Fortpflanzung anschließt, lässt sich in die Komponenten rechtliche, soziale und biologische Elternschaft aufspalten. Allerdings kommt hier ein weiteres Differenzierungskriterium hinzu: Aufgrund der Methoden der medizinisch assistierten Fortpflanzung ist es möglich, die biologische Elternschaft in zwei zusätzliche Komponenten aufzuspalten. Es ist nicht mehr - wie bei normaler Elternschaft - zwingend, dass ein Mann, der als einziger Geschlechtsverkehr mit der Mutter hatte, auch der genetische Vater des Kindes dieser Frau ist oder dass eine Frau, die ein Kind austrägt und zur Welt bringt, die genetische Mutter ist. Zum Beispiel besteht mittels einer gespendeten Eizelle die Möglichkeit, dass eine Frau ein Kind austrägt, dessen genetische Mutter die Spenderin der Eizelle ist.

Diese Aufspaltung der biologischen Elternschaft wird für diese Arbeit mit den Begriffen genetische und physiologische Elternschaft belegt.26

Physiologische Elternschaft bezeichnet das Verhältnis zu einem Kind in Anknüpfung an die Nutzung eigener körperlicher Möglichkeiten bei der Entstehung des Kindes, unabhängig von der genetischen Herkunft des Kindes. Für die physiologische Vaterschaft ist alleiniger Anknüpfungspunkt der geschlechtliche Zeugungsakt, dementsprechend ist physiologischer Vater derjenige, der ein Kind selbst gezeugt hat. Der Geschlechtsakt entfällt in der Regel bei medizinisch assistierter Fortpflanzung (Ausnahme:

Hormonbehandlung), es gibt dann keinen physiologischen, sondern nur einen genetischen Vater. Dennoch kann es im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Methoden der medizinisch assistierten Fortpflanzung ein relevantes Kriterium sein, ob der genetische Vater des Kindes grundsätzlich der Sexualpartner der Mutter ist, oder ob eine männliche Person außerhalb einer Paarbeziehung der genetische Vater ist (sog.

Samenspender). Bei der Frau ist neben dem Geschlechtsakt der Hauptanknüpfungspunkt für die physiologische Mutterschaft die Schwangerschaft, diese endet mit Geburt des Kindes. Fehlt es bei medizinisch assistierter Fortpflanzung an

26 Diese Begriffe verwendet auch Selb (SELB, Walter: Rechtsordnung und künstliche Reproduktion des Menschen; 1987, S. 73), die Nomenklatur ist aber insoweit nicht einheitlich. Was für diese Arbeit als physiologische Mutterschaft bezeichnet wird, findet sich u.a. auch unter den Bezeichnungen

"körperliche Mutterschaft" oder "biologische Mutterschaft". Der Begriff der genetischen Mutterschaft wird dagegen einheitlich verwendet. Da auch die genetische Mutterschaft ein biologisches Faktum darstellt, ist die Bezeichnung "physiologische Mutterschaft" für die zweite Komponente der biologischen Mutterschaft am besten geeignet, Verwirrungen vorzubeugen.

einem Geschlechtsakt, so liegt allein bei der Frau physiologische Elternschaft vor, die das Kind austrägt (physiologische Mutter).

Anknüpfungspunkt für die genetische Elternschaft ist die genetische Abstammung eines Kindes von zwei verschiedengeschlechtlichen Personen. Die Person, von deren Körpersubstanz die Samenzelle stammt, ist der genetische Vater und die Person, von deren Körpersubstanz die Eizelle stammt, ist die genetische Mutter. Ei- und Samenzelle sind menschliche Keimzellen, auch "Gameten" oder "Keimbahnzellen" genannt. Sie unterscheiden sich von normalen Körperzellen dadurch, dass sie keinen doppelten, sondern lediglich einen einfachen Chromosomensatz enthalten. Erst bei Kernverschmelzung von Ei- und Samenzelle entsteht wieder ein doppelter Chromosomensatz und damit ein neuer, durch eine individuelle genetische Struktur gekennzeichneter Mensch.

Sofern es in der Zukunft möglich wird, dass Menschen auch in anderer Weise als durch die Vereinigung von Ei- und Samenzelle verschiedengeschlechtlicher Personen entstehen, ist die genetische Abstammung voneinander ein Kriterium, das weiterhin für die Zuordnung von Elternschaft verwendet werden kann. Dies gilt allerdings nur, wenn die Erbinformation bestimmter Personen unverändert für die Kinder übernommen wurde (z.B. aus Zellkernen von Körperzellen). Wenn man jemals in der Lage sein sollte, die Erbinformation eines neuen Menschen frei festzulegen, sozusagen eine individuelle genetische Disposition aus den Grundbausteinen der menschlichen Erbinformation zu

„designen“, so versagt die Zuordnung zu einer anderen Person aufgrund genetischer Elternschaft.

Die drei Komponenten der Elternschaft (genetisch, physiologisch, sozial) können in Bezug auf die Entstehung eines Kindes nach medizinisch assistierter Fortpflanzung inzwischen vollständig auseinanderfallen, so dass im nachfolgend dargestellten Extremfall fünf Personen in irgendeiner Weise Elternfunktion erfüllen:

• Der soziale Vater und die soziale Mutter (= Wunscheltern) haben nichts zur Entstehung des Kindes beigetragen

• Es erfolgte eine Ei- und Samenspende durch zwei weitere Personen (genetischer Vater und genetische Mutter)

• Das Kind wurde von einer weiteren Person ausgetragen, der die befruchtete Eizelle eingepflanzt wurde (physiologische Mutter)

Dies ist allerdings nicht zwingend. Wird einem Paar mittels in vitro Fertilisation dazu verholfen, ein eigenes genetisches Kind zu bekommen, das von der Frau ausgetragen

wird, so handelt es sich um die Inanspruchnahme von Methoden der medizinisch assistierten Fortpflanzung, an der nur zwei Personen beteiligt sind, die alle Elternfunktionen ausüben (wie bei natürlicher Fortpflanzung). In Bezug auf die mögliche Anzahl von Personen mit Elternfunktion sind zwischen dem Vorhandensein von zwei Personen mit Elternfunktion und dem Extremfall von fünf (in besonderen Ausnahmefällen sogar noch mehr27) Personen zahlreiche weitere Konstellationen möglich.

Auch Personen, die ausdrücklich "allein" Kinder bekommen und als Einzelperson alle Elternfunktionen wahrnehmen wollen, benötigen zur Verwirklichung dieses Ziels eine gegengeschlechtliche Person, die aus ihrer Körpersubstanz eine Keimzelle zur Verfügung stellt, um ein Kind zu zeugen. Entscheidendes Merkmal der geschlechtlichen Fortpflanzung (und der Grund für die Entwicklung geschlechtlicher Fortpflanzung in der Evolution) ist die Kombination des Erbgutes von zwei verschiedenen Individuen mit dem Ziel, durch Kombination verschiedenartigen Erbgutes eine höhere Varianz der genetisch vorgegebenen Merkmale zu erreichen. Eine Person alleine kann sich nicht geschlechtlich fortpflanzen. Dementsprechend wird von diesen Einzelpersonen lediglich angestrebt, alleinige rechtliche und soziale Eltern eines Kindes zu werden.

In Anknüpfung daran, wer später die rechtlichen und sozialen Eltern eines Kindes sein sollen, wurden für die Inanspruchnahme medizinischer Methoden zur Erreichung dieses Ziels die Begriffe "homologe" und "heterologe" Fortpflanzung geprägt.

Bei homologer Fortpflanzung beabsichtigt ein Paar - unterstützt durch medizinische Hilfe - mit den eigenen Genen und allein mit Hilfe seiner eigenen körperlichen Möglichkeiten (= genetische und physiologische Fortpflanzung) Kinder zu bekommen und später zusammen die soziale Elternfunktion auszuüben. Dies umfasst Ehepaare ebenso wie dauerhafte nichteheliche Lebensgemeinschaften. Teilweise wird in der Literatur für die homologe Fortpflanzung bei einem unverheirateten Paar auch der Begriff

„quasi-homolog“ verwendet.28

Der Begriff heterologe Fortpflanzung bezeichnet die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe zu Fortpflanzungszwecken, die darauf abzielt, dass die soziale Elternfunktion später von Personen wahrgenommen wird, die nicht die vollständigen genetischen und physiologischen Eltern des Kindes sind. Dies umfasst auch Singles, welche allein die soziale Elternfunktion wahrnehmen wollen.

27 z.B. wenn das Kind genetisch von mehr als zwei Personen abstammt (vgl. hierzu die Ausführungen im Abschnitt 1.3., tabellarische Auflistung der Geschichte der medizinisch assistierten Fortpflanzung, Unterpunkt Mai 2001)

28 GÜNTHER in: KELLER, Rolf/GÜNTHER, Hans-Ludwig/KAISER, Peter: Embryonenschutzgesetz, 1992, Einführung S. 91, RN 5

Die Benutzung dieser Begriffe ist in der Literatur nicht einheitlich, z.B. wird teilweise auch medizinisch assistierte Fortpflanzung innerhalb einer nichtehelichen Gemeinschaft als Unterfall der heterologen Fortpflanzung betrachtet. Im Rahmen dieser Arbeit werden die Begriffe ausschließlich im Sinne der o.g. Definition verwendet.

1.1.3. Zwischenergebnis

Fortpflanzung ist eine Tätigkeit, während Elternschaft ein Zustand ist. Abgesehen von der Möglichkeit der Annahme eines bereits existierenden Kindes beginnt die Elternschaft mit der Entstehung eines Embryos bei Befruchtung einer Eizelle. Zu diesem Zeitpunkt ist der Vorgang "Fortpflanzung" bereits in Gang gesetzt, aber noch nicht abgeschlossen.

Elternschaft kann aufgrund folgender Anknüpfungspunkte vorliegen:

1. Genetische Abstammung des Kindes von einer Person (genetische Elternschaft);

2. Zeugung des Kindes in einem Geschlechtsakt, Austragung eines Kindes (physiologische Elternschaft);

3. Sozialer Umgang mit dem Kind, Erziehung und Pflege (soziale Elternschaft);

4. Abstammungsrechtliche Zuordnung des Kindes zu einer Mutter und einem Vater (rechtliche Elternschaft).

Bei normaler Elternschaft fallen die genetische und die physiologische Elternschaft immer zusammen (= biologische Elternschaft). Für diese Arbeit wird daher der Begriff der normalen Elternschaft definiert als Elternschaft im Anschluss an eine im Wege der Zeugung in einem Geschlechtsakt entstandene Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes ohne Inanspruchnahme von Methoden der medizinisch assistierten Fortpflanzung.

Bei Elternschaft nach medizinisch assistierter Fortpflanzung können genetische und physiologische Eltern auseinanderfallen.

Unter dem Begriff Fortpflanzung ist allein der biologische Vorgang der Fortpflanzung zu verstehen. Hierzu gehören

1. Weitergabe von eigenem Erbgut (genetische Fortpflanzung); und/oder 2. Zeugung und Austragung eines Kindes (physiologische Fortpflanzung)

Sozialer Kontakt zu einem geborenen Kind ist nur die Folge, aber kein Bestandteil der Tätigkeit Fortpflanzung.

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