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Zweck-Mittel-Rationalität als Analyseheuristik, kulturtheoretisches Rahmenmodell des Handelns

4.6.3 Theoretische Überlegungen zum Zusammenspiel von pädagogischer Professionalität und Qualitätsmanagement Professionalität und Qualitätsmanagement

4.6.3.2 Zum Verhältnis von Struktur und Handeln

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Räumlichkeitskategorien (Bereiche, Ebenen, Felder, Kreise u. Ä.) oder geordnet nach Funktions-, Aufgaben- und Berufsgruppen (Programm- und Angebotsplaner, Dozent); zudem werden diese entsprechend unterschiedlicher Gliederungsprinzipien aufeinander bezogen (z. B. vertikal oder horizontal, hierarchisch oder chronologisch). Als Beispiele können angeführt werden:

- das Modell didaktischer Handlungsebenen von Flechsig und Haller (vgl. Flechsig & Haller, 1975) als der prominenteste Entwurf (vgl. Tippelt, 2010), der ursprünglich für den institutionell-organisatorischen Kontext der Schule entwickelt und z. T. in modifizierter Form in der Erwachse-nenbildung genutzt wird (vgl. ebd., Siebert, 2003; Schäffter, 2001),

- das institutionentheoretische Modell von Schäffter, welches das eigene Modell institutioneller Operationskreise mit dem didaktischer Handlungsebenen von Flechsig verknüpft (vgl. Schäffter, 2001),

- Aufgabenfelder und Tätigkeiten von Erwachsenen- und Weiterbildner/inne/n (vgl. Kraft, 2006, S.

27 f.; Mania & Strauch, 2010, S. 81 ff.),

- Berufsgruppen bzw. Funktionen sowie zugehörige Aufgaben- und Tätigkeitskomplexe (vgl. Witt-poth, 2013; Mania & Strauch, 2010, S. 76 ff.).

Für die weitere Untersuchung wird an das Modell in Tabelle 14 angeschlossen, welches den Komplex von Tätigkeiten und Handlungen in der Weiterbildung nach Handlungsebenen differenziert.

Damit wird eine Unterscheidung zugrunde gelegt, die einerseits hinreichend allgemein ist, um die beiden unterschiedlichen, aus verschiedenen Kontexten und Zusammenhängen stammenden Qualitätszugänge aufeinander zu beziehen und diese zudem in heuristischer Weise zu nutzen;

andererseits ermöglicht es als Sehhilfe eine hinreichend differenzierende Betrachtung.

Tabelle 14: Handlungsebenen, Aufgaben- und Tätigkeitskomplexe in der Weiterbildung

Handlungsebene Aufgaben-/Funktionen (Tätigkeitskomplexe)

Leitung u. Management Organisation und Leitung einer Einrichtung (z. B. Management, Controlling u. a.)

Programmplanung Angebotsplanung, Bedarfserhebung, -analyse, Zielgruppenanalyse Projektorganisation u. a.

Lehr-Lern-Interaktion Vorbereitung, Erstellung von Materialien, Visualisierung, Moderation, (Selbst-)Evaluation, Lernberatung u. a.

(in Anschluss an Wittpoth, 2013; Kraft, 2006)

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Mit letzterem Gesichtspunkt ist die Frage verknüpft, welches ‚Gewicht‘ jeweils den beiden Polen

‚Struktur‘ und ‚Handeln‘ respektive dem ‚Akteurs-Willen‘ für das Handeln beigemessen wird sowie über welche Mechanismen Strukturen im Handeln respektive das Handeln für Strukturen wirksam wird.

Zu dieser Problemstellung lassen sich dabei innerhalb der sozialwissenschaftlichen Theorielandschaft vier idealtypische Positionen ausmachen, das Verhältnis von Struktur und Handeln zu denken (vgl.

Reckwitz, 1997, S. 45; Gabriel, 1998, S. 8 ff.), die sich anhand der zwei quer zueinander liegenden Kriterien – dem zugrunde liegenden Strukturbegriff sowie der Auffassung des Verhältnisses zwischen Struktur und Handeln – kennzeichnen und voneinander abgrenzen lassen: Die für das Handeln maßgeblichen Strukturen werden dabei entweder als „Regeln (Normen und Werte, Rollen etc., aber auch kulturell bzw. sozial vorgegebene Wissensbestände)“ oder als „nichtsinnhafte Konstanten oder Muster (Verteilungen)“ (Gabriel, 1998, S. 9; in Anschluss an Reckwitz, 1997) im Sinne von Ressourcen und Regelmäßigkeiten verstanden, wobei das Handeln entweder als (nicht)intendiertes Resultat des Handelns oder aber als strukturgeleitet betrachtet wird (vgl. Gabriel, 1998, S. 9; Reckwitz, 1997, S. 32 ff.).72 Neben diesen vier verschiedenen, klassischen handlungs- und strukturtheoretischen Idealtypen, haben sich in der gegenwärtigen Debatte zudem Syntheseversuche in der Auseinandersetzung mit den klassischen Entwürfen herausgebildet und versuchen, die verschiedenen Strukturtypen zu integrieren sowie die dualististischen Gegenüberstellungen z. B.

zwischen Strukturdeterminismus und Akteurs-Voluntarismus zu überwinden (vgl. z. B. Giddens, 1997;

aber auch Alexander und Bourdieu, vgl. Reckwitz, 1997, S. 75 ff.; Gabriel, 1998, S. 12 ff.).

Mit Blick auf den für die vorliegende Untersuchung zentralen Problemgesichtspunkt – das Verhältnis zwischen Struktur und Handeln – stehen sich innerhalb des Feldes der klassischen Sozialtheorien idealtypisch vereinfachend73 eine System- und eine Handlungsperspektive gegenüber (vgl. hierzu Abbildung 7), die sich übertragen auf den vorliegenden Problemzusammenhang wie folgt explizieren lassen:

Abbildung 7: Differenz zwischen System- und Handlungsperspektive

Systemperspektive Handlungsperspektive

Handlungsdeterminierende Struktur Strukturreproduktion Irrelevanz des Handlungskontextes

Handlungsabhängige Struktur Struktur(neu)produktion Kontextualität des Handelns

(Quelle: Reckwitz, 1997, S. 40)

72 Das Konzept der Regelmäßigkeiten wird im Weiteren nicht weiter verfolgt, insofern es im Kontext der vorliegenden Untersuchung um das Verhältnis unterschiedlicher Handlungsvorgaben und Ordnungsvorstellungen und damit um Regeln respektive um das Zusammentreffen unterschiedlicher Regeln geht.

73 Jede der beiden Perspektiven erscheint aus den gegenwärtig etablierten handlungs- und strukturtheoreti-schen Perspektiven unterkomplex, insofern die „Polarisierung Handlung vs. Struktur bzw. Mikro vs. Makro […]

an sich längst der Einsicht gewichen“ ist, „daß es sich um ein Problem unterschiedlicher Betrachtungsweisen, also eine Frage von perspektivischer Komplementarität handelt“ (Gabriel, 1998, S. 12). Gleichwohl gibt es ne-ben den Syntheseversuchen auch „Extremmodelle“, die Extrempositionen „offensiv vertreten“ (Reckwitz, 1997, S. 76), weil Synthesen als unrealisierbar eingeschätzt werden und einzelne Positionen als gleichberechtigt wahrgenommen werden (vgl. ebd.).

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Während aus einer deterministischen Systemperspektive heraus betrachtet die in den Organisationen implementierten Qualitätsmanagementregeln als (einengende) Strukturzwänge erscheinen, die von den professionell Handelnden in der Weiterbildung unabhängig von Kontextfaktoren sowie subjektiver Reflexion und Auslegung vorgabenkonform ausgeführt werden müssen, lassen sie sich aus einer (voluntaristischen oder situationistischen) Handlungsperspektive heraus – gleichsam ‚strukturvergessen‘ – als Ergebnis (beliebiger) kontext- und interpretationsabhängiger Handlungsvorgänge deuten. Um eine hinreichend komplexe Perspektive jenseits dieser dualistischen Betrachtung zu ermöglichen, wird in der weiteren Untersuchung an theoretische Annahmen der Strukturationstheorie von Giddens sowie von Reckwitz angeschlossen.

Dabei werden folgende Annahmen zum Verhältnis von Strukturen und Handeln zugrunde gelegt:

- Vor dem Hintergrund von Giddens strukturtheoretischen Überlegungen kann in der Interpretati-on des Verhältnisses der regelförmigen Strukturen (sowohl normativer als auch kognitiv-symbolischer Natur), die im Zuge der Implementierung von Qualitätsmanagementsystemen etab-liert werden, einerseits sowie professionellem Handeln andererseits weder von einem Struktur-determinismus noch von einem Situationismus oder Voluntarismus ausgegangen werden.

- Anstatt als dem Handeln äußerliche Elemente sind sie als konstitutiver und strukturgebend wir-kender Teil des Handlungsvollzugs zu bewerten, die gleichermaßen begrenzend als auch eröff-nend bzw. kontingenzlimitierend und -erzeugend wirken. Entsprechend der handlungstheoreti-schen Erkenntnisse sind sowohl die Wirkungskraft von Strukturen im Handeln als auch die Refle-xions- und Entscheidungsfähigkeit von Akteuren zu berücksichtigen.

- So sind Regeln einerseits handlungswirksam, insofern Handlungsvollzüge nicht voraussetzungslos sind, sondern erst auf der Folie von (z. T. nicht reflexiv zugänglichen) Regeln entstehen und diese als Strukturen den Handlungsvollzug respektive die zugrunde liegenden kognitiven Prozesse im Handlungsvollzug beeinflussen.

- Andererseits werden Regeln jedoch von den Akteuren in Weiterbildungseinrichtungen kontext-abhängig im Handeln interpretiert sowie zwischen den Akteuren ausgehandelt, so dass Struktu-ren durch die Akteure aktiv hervorgebracht und auch reproduziert werden.

- Die ‚Kompetenz‘ der Akteure zur Reflexion eröffnet prinzipiell auch die Möglichkeit der Aufde-ckung und kritischen Reflexion normativer und symbolisch-kognitiver Regelstrukturen sowie auch ihre Adaption an jeweils vorliegende Bedingungs- und Handlungsstrukturen.74

74 Der Erkenntnisstand im Diskurs dazu, inwiefern die aktive Reflexion und Modifikation etwa von sprachlichen Kategorien als Beispiel für symbolisch-kognitive Regelstrukturen gelingt, ist letztlich ambivalent und uneindeu-tig, wie am Beispiel der Fachdebatte aufgezeigt werden kann: Auf der einen Seite zeigt die Auseinandersetzung mit der Debatte seit den 1990er-Jahren, dass die Sprachspiele des Qualitätsmanagements auf breiter Front kritisch reflektiert und die Differenz zwischen ökonomischen Sprachkategorien und pädagogischem Gegen-stand bzw. Handlungspraxis wahrgenommen worden ist (vgl. für einen reflektiert-kritischen Umgang mit der Kundenkategorie Arnold, 1997b, Bastian, 2002, Nittel, 1997, Hartz & Meisel, 2011); hieraus haben sich aktive Modifikationen und Weiterentwicklungen von Qualitätsmanagementsystemen ergeben, in deren Zuge z. B.

auch die ökonomischen Kategorie des Kunden durch die des Teilnehmers (vgl. die branchenspezifische Version der EFQM bei Heinold-Krug et al., 2001) oder des Lerners (vgl. Ehses & Zech, 2002) ausgetauscht wurde; auf der anderen Seite verweisen andere Studien auf einen breiten Einzug ‚fremden Denkens‘ sowie subtile transforma-tive Wirkungen des ‚einheimischen Denkens‘ (vgl. Forneck & Wrana, 2005). Insofern bedürften die gegenwärti-gen pädagogischen Begriffsgebräuche und Sprachpraxis im Feld sowie ihre Veränderungegenwärti-gen und Überformungegenwärti-gen durch Qualitätsmanagement einer näheren empirischen Untersuchung.

154 Anwendungs- und Interpretationsspielräume

Bei Qualitätsmanagement handelt es sich um einen Metastandard (vgl. Uzumeri, 1997), der bewusst im Dienste einer Nutzbarkeit durch jede Einrichtung sowie einer Übertragbarkeit auf heterogene institutionelle Kontexte und Bedingungen offen gehalten ist und beansprucht, den Einrichtungen lediglich Orientierungen respektive die Möglichkeit einer Adaption an ihre je spezifischen Bedingungen, Anforderungen sowie normative Ausrichtungen zu geben. Analog dazu lässt sich auch die in der Theorie und Praxis weiter verbreitete Kategorie erwachsenenpädagogischer Professionalität als ein Gestaltungskonzept verstehen, das einrichtungs- und kontextübergreifend Geltung beansprucht und somit übergreifende, allgemein gehaltene Standards für eine gelungene pädagogische Praxis definiert, die innerhalb ihres Rahmens in unterschiedlicher Weise ausgefüllt werden können. Auch die allgemeinen handlungs- und normtheoretischen Ausführungen verweisen darauf, dass Normen sowohl Geltungsräume und Anpassungsmöglichkeiten definieren als auch durch die Akteure interpretationsbedürftig sind.

Insofern offerieren sowohl die Regelvorgaben von Qualitätsmanagement als auch von pädagogischer Professionalität mehr oder weniger große Anwendungs- sowie Interpretationsspielräume bzw.

Dehnbarkeiten, welche über die Möglichkeiten der Anpassung nicht nur an die jeweiligen einrichtungsspezifischen Kontextbedingungen, sondern auch an andere, in den Einrichtungen verbreitete normative Handlungskonzepte entscheiden.

Die Offenheit der einzelnen mit den Ansätzen verknüpften Ordnungsvorgaben für das Handeln entscheidet daher auch mit darüber, ob und in welchem Umfang Qualitätsmanagementregeln an die normativen Vorgaben pädagogischer Professionalität angepasst werden bzw. ob umgekehrt pädagogische Professionalität sich in ein Regelwerk einfügen kann, welches durch ein Qualitätsmanagementsystem innerhalb von Organisationen installiert wird.

Vor diesem Hintergrund sollen auch die Anwendungs- und Interpretationsspielräume der Normen von Qualitätsmanagement und pädagogischer Professionalität in die Analyse und Interpretation miteinbezogen werden. Dabei sind mit der Analysekategorie mehrere Teildimensionen angesprochen, insofern sich die Anwendungs- und Interpretationsspielräume aus mehreren Merkmalen von Regelwerken ergeben, im Einzelnen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – aus - dem inhaltlichen Konkretisierungs-/Abstraktionsniveau der einzelnen Regeln, also aus der

inhalt-lichen Offenheit bzw. der semantischen Weite, die diese abstecken,

- dem Ausmaß der Verbindlichkeit einzelner Regelungsbereiche und Regeln beider Ansätze, kor-respondierend zu den normtheoretischen Überlegungen z. B., ob es sich um Muss-, Soll- oder um Kann-Normen handelt,

- der Art sowie dem Umfang der Sanktionen, die mit einem etwaigen Bruch bzw. mit der Einhal-tung von Regeln verbunden sind.

Dabei stehen die einzelnen aufgezählten Regelattribute – Verbindlichkeit, inhaltliche Bestimmtheit und Sanktionierung – nicht isoliert voneinander, so dass diese Faktoren zur Beurteilung des Anwendungs- und Interpretationsspielraums erfasst und im Zusammenhang berücksichtigt werden müssen.

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