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Zweck-Mittel-Rationalität als Analyseheuristik, kulturtheoretisches Rahmenmodell des Handelns

4.7 Begriffliche Erläuterung der Untersuchungskategorien

4.7.2 Anwendungs- und Interpretationsspielräume von Normen

Annäherungen an den Problemzusammenhang und begriffliche Klärungen

Die Analyse der Anwendungs- und Interpretationsspielräume zielt darauf ab zu überprüfen, inwiefern die Normen Pädagogischer Professionalität und des Qualitätsmanagements jeweils Auslegungen durch die Akteure der Weiterbildung ermöglichen und somit an je spezifische Rahmenbedingungen sowie Handlungsanforderungen und -konzepte alternativer Qualitätskonzepte – und damit auch aneinander – angepasst werden können.

Insofern sind zum einen die Möglichkeiten des Handelns und Entscheidens zu beleuchten, die den Akteuren im Rahmen der Normenvorgaben der Qualitätsmanagementansätze gewährt werden.

Diese resultieren insbesondere aus dem Anspruch, universell nutzbare Systeme mit quasigesetzlichen, qualitätsverbürgenden Organisations- und Managementregeln für die Weiterbildungspraxis zu schaffen, die für die je spezifischen Bedingungen und Anforderungen der Einrichtungen adaptiert werden können.

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Zum anderen sind auch die Vorgaben der Ansätze pädagogischer Professionalität im Hinblick auf ihre

‚Dehnbarkeit‘ und Übertragbarkeit auf die Handlungsformen in Weiterbildungseinrichtungen zu beurteilen, insofern diese ebenfalls darüber bestimmen, inwiefern sich das Ideal der Professionalität im Rahmen der institutionellen Regeln des Qualitätsmanagements realisieren lässt.

Entsprechend der Vorarbeiten sind als Analysehilfsmittel folgende Einzelkategorien näher zu klären:

- Spezifizierungs- bzw. Konkretisierungsgrad der Handlungsvorgaben im Hinblick auf die einzelnen Strukturmomente des Handelns,

- Verbindlichkeitsgrad der Normen (z. B. fakultativ oder obligatorisch) sowie die mit ihnen verbun-denen Sanktionen.

Wenngleich die Einzeldimensionen analytisch relativ unabhängig voneinander sind, sind diese mit Blick auf die übergeordnete Kategorie nicht isoliert voneinander zu betrachten, sondern müssen als Teildimensionen sowie im Hinblick auf ihr Zusammenspiel betrachtet werden.

4.7.2.1 Zum Spezifizierungs-/Konkretisierungsgrad

Allgemein bezieht sich die Frage nach dem Spezifizierungs- und Konkretisierungsgrad der Handlungsvorgaben darauf, in welchem Umfang in den Vorgaben Handlungsweisen und -elemente beschrieben werden und wie genau diese beschrieben sind (z. B. Detailliertheit).

Eine genauere Bestimmung dieser Kategorie ermöglicht eine differenziertere Beschreibung der Funktion von Handlungsvorgaben sowie der von ihnen bestimmten Teilelemente. Normen liefern wie auch andere Regeln „allgemeine bedingte Handlungsanleitungen“, die „Bedingungen, d. h.

Konstellationen aus Agenten und Situationen, mit Modalitäten und Handlungen“ verknüpfen und somit „spezifizieren, welchen Agenten es in welcher Situation [es] erlaubt, geboten, verboten, empfohlen usf. ist, Handlungen welcher Art zu vollziehen“ (Siegwart, 2011, S. 1865 f.).77 Solche Handlungsanleitungen sind dabei im Hinblick auf die einzelnen Teilelemente – Bedingungskonstellationen sowie Modalitäten und Handlungen – sowie auch ihre Bestimmungen in unterschiedlichem Maße ausgearbeitet. Insofern kann zur Bestimmung des Spezifizierungs- und Konkretisierungsgrades danach gefragt werden, welche der genannten Bestimmungsfelder vorgegeben werden und in welchem Umfang diese durch die normativen Vorgaben beider Handlungsansätze konkretisiert sind.

Dabei bietet es sich an, zwischen formalen Bestimmungen zu unterscheiden, die lediglich vorgeben, dass etwas zu geschehen hat – z. B. die professionelle Aufforderung zur Entwicklung situativ passender Problemlösungen oder die Auflage zur Festlegung einer Qualitätspolitik beim Qualitätsmanagement –, sowie inhaltlichen Bestimmungen, die zudem benennen, welche Art von Problemlösungen und Zielen zu verfolgen sind.

77 Siegwarts Ausführungen beziehen sich auf Regeln. Eine „Regel“ kann mit Steinvorth allgemein als eine

„Handlungsanweisung oder Verfahrensvorschrift“ verstanden werden, „die sich im Unterschied zu einem Be-fehl nicht nur auf eine zeitlich bestimmte Situation bezieht, sondern universell entweder auf alle möglichen Umstände oder Bedingungen oder auf solche Umstände und Bedingungen, die den in der Formulierung der Regel ausdrücklich der unausdrücklichen Bedingungen gleich sind“ (Steinvorth, 1973, S. 1213). Sie lässt sich definieren als „eine universelle Anweisung (Gebot, Erlaubnis oder Verbot), in allen oder bestimmten Umstän-den ein bestimmtes Verhalten einzunehmen, die zur Rechtfertigung dafür angeführt werUmstän-den kann, daß das Verhalten eingenommen oder (wenn die Anweisung ein Verbot ist) nicht eingenommen wurde“ (ebd., S. 1212–

1213). Geht man von einem weiten Regelverständnis aus, lassen sich auch die von Professionalität und Quali-tätsmanagement formulieren Handlungsvorgaben – z.B. Prinzipien oder Normen – ebenfalls dieser Kategorie zuordnen.

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4.7.2.2 Verbindlichkeitsgrad und Sanktionen

Diese Dimension umfasst einerseits den Aspekt, inwiefern einzelne Normen und Normenbestandteile befolgt werden müssen, um der Kategorie der Professionalität respektive den Auflagen des Qualitätsmanagements zu entsprechen (Verbindlichkeit), sowie andererseits, welche Konsequenzen – positiv oder negativ – mit einer etwaigen Befolgung sowie Nicht-Befolgung von Normen verbunden sind (Sanktionen).

Beide Bestandteile beziehen sich gleichermaßen auf die Erwartungen, die an die Normadressaten und ihr Verhalten im Hinblick auf Normkonformität gestellt sind, wobei Verbindlichkeit sich darauf bezieht, in welchem Umfang Normeinhaltung erwartet wird, und Sanktionen auf die Konsequenzen, die eine Entsprechung bzw. ein Bruch mit den Erwartungen nach sich zieht.

Verbindlichkeit wird im Weiteren entsprechend einem alltagssprachlichen Gebrauch allgemein als ein Kriterium verstanden, das ihren Geltungsanspruch betrifft und angibt, in welchem Umfang die Einhaltung einer Norm erwartet wird und folglich befolgt/nicht befolgt werden muss. Beispielsweise kann allgemein zwischen obligatorischen und fakultativen Normen oder Muss-, Soll- und Kann-Normen unterschieden werden.

Sanktionen können entsprechend einer weit gefassten soziologischen Perspektive allgemein als „eine gesellschaftliche Reaktion sowohl auf normgemäßes als auch auf abweichendes Verhalten“ definiert werden, wobei für „Erfüllung einer Norm“ für den Handelnden „Vorteile gewährt“ und „für die Verletzung Nachteile – vom Tadel bis zur Todesstrafe – verhängt“ (Lautmann, 2011, S. 589) werden;

entgegen des alltäglichen Verständnisses als einer „(Straf-)Maßnahme, durch die ein bestimmtes Verhalten erzwungen werden soll“ (Duden, 2010, S. 784), bezeichnen sie hier also weitergefasst neben negativen auch positive Reaktionen für den Handelnden und folgen nicht nur auf normbrüchiges, sondern auch normkonformes Verhalten.

Weiterhin lassen sich Sanktionen feiner im Hinblick auf die Art und die Qualität sowie die Reichweite der Auswirkungen für den Handelnden weiter unterscheiden (z. B. Bedeutsamkeit der Folgen, Intensität und Ausmaß von Sanktionen, zeitliche Dauer …).

Zur Beurteilung der Normen des Qualitätsmanagements im Hinblick auf ihre Verbindlichkeit ist insbesondere die Unterscheidung von zertifizierungsrelevanten und nichtzertifizierungsrelevanten Normen bedeutsam bzw. Muss-Normen, die als Voraussetzung für eine erfolgreiche Zertifizierung eingehalten werden müssen sowie Soll-/Kann-Normen, deren Erfüllung keine Voraussetzung für die Zertifizierung darstellt. Darüber hinaus lassen sich zur Kennzeichnung der Verbindlichkeit der Normen je nach Ansatz auch unterschiedliche Niveaus oder Grade der Erfüllung von Normen unterscheiden. Sanktionen können beispielsweise den Erhalt oder der Entzug von Zertifikationen, Kundennachfrage oder Markterfolg darstellen oder aber Auflagen zur kostenintensiven Nachbesserung mithilfe weiterer organisationaler Anstrengungen zur Anpassung an die Forderungen.

Der Verbindlichkeitsgrad sowie die Sanktionierung der mit dem Ansatz pädagogischer Professionalität verbundenen Normen kann nicht in gleicher Weise differenziert werden, insofern es sich im Gegensatz zu den formalen, gesetzesartigen und zertifizierungsrelevanten Normen des Qualitätsmanagements eher um Idealvorstellungen und -ansprüche von Praxis handelt, ohne dass deren Entsprechung der Ansprüche mit einem Zertifikat sichtbar gemacht bzw. die Nichteinhaltung mit einer Nichtausstellung, Auflagen oder dem Entzug verbunden wäre.

Verbindlichkeit drückt sich im Professionalitätsdiskurs eher auf der Ebene der Identität aus in dem Sinne, dass ein bestimmtes Handeln der Kategorie der pädagogischen Professionalität zugeordnet und entsprechend etikettiert wird oder aber als nichtprofessionell gilt, ohne dass die Identität auf der

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Handlungsebene in gleichem Maße durch formale Normen kodifiziert und über ein Zertifikat nach außen sichtbar bestätigt wird.78 Auch die Frage nach der Sanktionierung erweist sich u. a. angesichts der Uneindeutigkeit der Kategoriengrenzen sowie der fehlenden Rückbindung des Handelns an Zertifikate durch die Überantwortung der Kontrolle an die professionelle, auf internalisierte berufsethische Vorgaben basierende Selbststeuerung als komplexer.

Probeweise kann hier auch mit der Unterscheidung zwischen Muss- und Kann-Normen gearbeitet werden, wobei die Muss-Normen definieren, welche Vorgaben befolgt werden müssen, damit ein Handeln der Kategorie der Professionalität zugeordnet werden kann, und die Kann-Normen, welche Formen des Handelns innerhalb dieser Kategorie möglich sind.

Tabelle 20 fasst die relevanten Grundlagen der Kategorie ‚Anwendungs-und Interpretationsspielräume‘ zusammen.

Tabelle 20: Anwendungs- und Interpretationsspielräume von Normen

Anwendungs- und Interpretationsspielräume

Definition

Grad, in dem die Normen/normativen Vorgaben den Akteuren in der Weiterbildung Spielräume für die Ausgestaltung lassen und an institutionell-organisatorische Bedingungen und Anforderungen (etwa an konkurrierende Qualitätsvorstellungen und -strategien) angepasst werden können

Erläuternde Bestimmungsmerkmale

Zusammengesetztes Konstrukt aus mehreren, im Zusammenhang zu beurteilenden Teildimensionen, z. B.

- Spezifizierungs-/Konkretisierungsgrad: Umfang und Detaillierungs-grad, in dem Handlungselemente und -modalitäten beschrieben werden

- Verbindlichkeit: Grad, in dem die Befolgung von Normen erwartet wird (Muss-, Soll- und Kann-Normen);

o im Kontext von Professionalität: identitätsrelevante Nor-men

o im Kontext von Qualitätsmanagement: zertifizierungsrele-vante Normen

- Sanktionen: Konsequenzen, die auf die Befolgung oder den Bruch mit Normen folgen (positiv, negativ)

o im Kontext von Professionalität (Bsp.)

positiv: Vertrauen gegenüber dem beruflich Han-delnden, Legitimation

negativ: Entzug des ‚Attributs‘ ‚professionell‘, z.B.

Kennzeichnung als ‚dilettantisch‘, Verlust an Ver-trauen und Legitimation

o im Kontext von Qualitätsmanagement

positiv: Zertifikat, Marktzugang, -erfolg; erhöhte Kundenzufriedenheit

negativ: Entzug von Zertifizierungen oder mit Ar-beits- und Kostenaufwand verbundene Auflagen;

Marktausschluss

78 Die Zertifikate im Professionalitätsdiskurs beziehen sich stärker auf die Personen- als auf die Handlungsebe-ne, ohne dass solche formalisierten Nachweise das Handeln von Personen garantieren könnten. Hierin – in der begrenzten Möglichkeit von Zertifikaten, ein bestimmtes Handeln sicherzustellen – zeigen sich wiederum Paral-lelen zum Qualitätsmanagementdiskurs.

175 Beispiele im

Problemzusammenhang

Im Kontext pädagogischer Professionalität: z. B.

- Spezifizierungs-/Konkretisierungsgrad: Allgemeine Prinzipien (z. B.

Teilnehmerorientierung), konkrete Vorgaben (Zielgruppenanalysen, Ermittlung von Teilnehmererwartungen)

- Verbindlichkeit: konstitutive Kriterien von Professionalität gegen-über möglichen Ausprägungen und Spielarten professionellen Han-delns

- Sanktionen: Zugehörigkeit zur Kategorie der Professionalität, Be-zeichnung als Dilettantismus

Im Kontext des Qualitätsmanagements

- Spezifizierungs-/Konkretisierungsgrad: allgemeine Prinzipien (z. B.

Kundenorientierung), konkrete Verfahrensstandards (z. B. Auflagen zur Durchführung von Evaluationen)

- Verbindlichkeit: zertifizierungsrelevante Normen gegenüber profil-schärfenden, optionalen Qualitätsbereichen

- Sanktionen: Vergabe oder Entzug von Zertifikaten, Auflagen Fragestellungen

Wie groß sind die Anwendungs- und Interpretationsspielräume, die mit den normativen Vorgaben der jeweiligen Ansätze mit Blick auf ihren Spezifizierungs-/Konkretisierungsgrad, ihre Verbindlichkeit

sowie etwaige Sanktionen verbunden sind?

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