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5 Verbreitung und Anknüpfungspunkte des Capability Approachs im Public Health- und gerontologischen Bereich Health- und gerontologischen Bereich

5.3 Verbindungslinien zwischen dem Capability Approach und der Gesundheitsökonomie

Bisher können nach Lorgelly et al. (2010) Outcome-Bestimmungen in gesundheitsökonomischen Evaluationen wie folgt kategorisiert werden:

• Bedingungsspezifisch, z. B. Anzahl der symptomfreien Tage

• Morbiditätsspezifisch, z. B. Prävalenz von Erkrankungen oder klinische Messgrößen (meistens in natürlichen Einheiten)

• Präferenzbasiert, z. B. wie der EQ-5D

• Monetärbezogen, z. B. in Form der Bewertung von „willingness-to-pay“-Einschätzungen für Interventionen.

Diese kategorisierten Maßgrößen unterliegen allerdings jeweils einigen Limitationen.

Präferenzbasierte Maßgrößen enthalten bspw. kaum Informationsgehalt über die individuelle (generische) Lebensqualität, wie Partizipationsfähigkeit, und damit relevante Informationen, die über (enge) Gesundheitsaspekte hinausgehen (Lorgelly et al. 2010). Die Berücksichtigung unterschiedlicher subjektiver und objektiver Aspekte für eine konvergente Bewertungsannäherung von Lebensqualität aus der Fremd- und Selbstperspektive hat sich in den Gesundheitswissenschaften allerdings als sinnvoll erwiesen. Lebensqualität ist dabei jedoch grundsätzlich eine von der Person oder den Umständen abhängige Größe, welche durch einen Vergleichsstandard bedingt ist, der sich in Abhängigkeit vom zeitlichen und räumlichen Kontext ändern kann (Holzhausen 2009). Andere gesundheitsökonomische Maßgrößen wie der „willingness-to-pay“- Ansatz, haben hingegen gezeigt, dass dieser stark mit dem Einkommen zusammenhängt und damit nur schwer interindividuell vergleichbar ist (Lorgelly et al. 2010). Der CA wird als nützliche Fundierung in der Bewertung gesundheitsökonomischer Evaluationen gesehen, um die gesundheits- und sozialpolitische Ressourcenallokation, die teilweise sehr einseitig fokussiert ist auf gesundheitsbezogene Outcomes, mit weitergehenden Messgrößen zu ergänzen (insbesondere im höheren Lebensalter) (Grewal et al. 2006).

Der CA proklamiert die Implementierung objektiver Evaluationsgrößen als eine der zentralen Assessmentstärken des Ansatzes. Zugleich widerspricht Sen der Auffassung, nur objektive Güter als Bewertungsgrundlage zu verwenden, da diese eine nachgeordnete Rolle spielen und nicht, wie Wohlfahrtstheoretiker behaupten, zwingend einen Nutzen darstellen müssen (Sen 2002a).

Bereits verwendet wurde der theoretische Rahmen des CAs innerhalb von gesundheitsökonomischen Evaluationen im internationalen Kontext (vgl. u. a. Coast et al. 2008a, b; Flynn et al. 2015;

Makai et al. 2014). Eine Übersicht der vorhandenen operationalisierten Instrumente für den gesundheitsökonomischen Bereich ist in Tabelle 6 zu finden.

5.3 Verbindungslinien zwischen dem Capability Approach und der Gesundheitsökonomie

135 Hintergrund des Einsatzes eines Capability-Indexes ist die Kritik an bisherigen Modellen zur Bestimmung von Lebensqualität, wie eine Erhebung mittels „QALYs“, welche nur eine Proxy für die Lebensqualität darstellen, da v. a. der Gesundheitsstatus erfasst wird (Grewal et al. 2006). Aber auch gesundheitsbezogene Lebensqualität, bspw. erhoben mit dem SF-36 oder dem EQ-5D, sind nicht geeignet, um positive Freiheiten von Menschen zu erheben. Diese fragen Funktionszustände ab, nicht aber, was Menschen in der Lage zu tun oder sein sind bzw. ob sie alternative Möglichkeiten haben. Weitere Messkonstrukte, die den Gesundheitszustand mit nicht-gesundheitsbezogenen Proxys kombinieren, wie die Vorhandenheit eines sozialen Netzwerkes oder materieller Besitzstand, messen hingegen den Einfluss auf die Lebensqualität anstatt die wirkliche Lebensqualität für sich (Hyde et al. 2003). Der CA wurde auch mit der „International Classification of Functioning, Disability and Health“ (ICF) in Verbindung gebracht bzw. dessen gemeinsame Anknüpfungspunkte diskutiert.

Die ICF bildet allerdings ein bio-psychosoziales Modell ab, welches soziale Aspekte wie Teilhabe etc.

nicht misst, sondern ein Klassifikationssystem darstellt und keinen ethisch-theoretischen Hintergrund hat (siehe auch Bickenbach 2014; Mitra 2014). In der Arbeit von Behrens und Zimmermann (2017, S. 13) wird der CA als „[…] geradezu kongenialer ungleichheitstheoretsicher Hintergrund für die Klassifikation funktionaler Gesundheit (ICF)…, insbesondere der Klassifikation von Teilhabe“

beschrieben. Dennoch benennen Behrens und Zimmermann (2017) hierbei die Problematik der Erfassung von Verwirklichungschancen, die zwar strukturell beeinflussbar sind, jedoch die Wahl an sich nicht strukturell beeinflussbar erscheint.65

Cookson (2005) sprach sich deshalb dafür aus, „Capability QALYs“ zu bestimmen und für gesundheitsökonomische Studien zu verwenden. Allerdings räumte er selber ein, dass die Beurteilungen von positiven Freiheiten auf einer Verhältnisskala nur schwer möglich scheinen.

Dennoch gäbe es nach Lorgelly et al. (2015) zahlreiche Interventionen, dessen gesundheitsökonomische Evaluation mit QALYs nicht möglich sei, da nicht jede Intervention in Form eines inkrementellen Kosten-Effektivitäts-Verhältnisses zu messen sei, das heißt die zusätzlichen Kosten pro zusätzlichem QALY, welche durch die Intervention hinzukommen würden.

Grewal et al. (2006) haben eine empirische Erhebung durchgeführt, um Attribute zu identifizieren, die Lebensqualität von älteren Menschen ausmachen. Ziel war es, ein präferenzbasiertes Messkonstrukt zur Bestimmung von Lebensqualität für ältere Menschen zu entwickeln, wobei jedoch herauskam, dass die Fähigkeit, bestimmte Eigenschaften und Funktionen zu erreichen, wichtiger für ältere Menschen sei als das endgültige Erreichen von Funktionen (Grewal et al. 2006). Im Rahmen des „ICEPOP” (Investigating choice experiments for the preferences of older people) Programms

65 Behrens und Zimmermann (2017) bringen in ihrer Arbeit den CA in Verbindung mit sozialer Ungleichheit am Fallbeispiel der präventiven Rehabilitation.

5.3 Verbindungslinien zwischen dem Capability Approach und der Gesundheitsökonomie

136 wurde ein capabilityorientiertes generelles Lebensqualitätskonstrukt (QoL) für die Bevölkerung in Großbritannien im höheren Lebensalter auf Grundlage von Interviewergebnissen konzipiert mit der Bezeichnung „ICEPOP CAPability (ICECAP-O)“ (vgl. u. a. Flynn et al. 2011).

Der CA wird hierbei als ein alternatives Rahmenkonstrukt zur Bestimmung von Wohlergehen und Lebensqualität betrachtet, welches anders als vorherige Konstrukte erfasst, was ein Mensch „tun“

und „sein“ kann, anstatt zu bemessen, was er aktuell wirklich „macht“ oder „erreicht“ hat. Ziel war es hierbei, ein alternatives gesundheitsökonomisches Messinstrument zu den QALYs zu entwickeln. Der daraus entwickelte Fragebogen, auf Grundlage von fünf Verwirklichungschancen, wurde auch bereits in diversen Studien in Australien, Kanada und den Niederlanden zum Zweck der Validitätsprüfung eingesetzt. Ein weiteres Instrument ist der „ICECAP-A“ (ICEpop CAPability measure for adults), der für die allgemeine, erwachsene Bevölkerung in Großbritannien mit dem gleichen Methoden-Mix wie der ICECAP-O entwickelt wurde (Al-Janabi, Flynn & Coast 2012). Hierbei werden jeweils die Befähigungen mittels fünf Dimensionen abgefragt und zu einem Capability-Index aggregiert. Bei der Konzeptionierung von ICECAP-O wurde im Sinne der Methodik einer diskreten Entscheidungstheorie vorgegangen (vgl. u. a. Coast et al. 2008a). Diskrete Entscheidungsmodelle basieren auf präferenzbasierten Auswahlmöglichkeiten. In der Vergangenheit wurde von Ökonomen „Nutzen“ als Endpunkt verwendet, um die Präferenzen für Güter und Dienstleistungen auszudrücken (Grewal et al. 2006).

Ein weiteres verwirklichungschancenorientiertes entwickeltes Instrument, das auf der Grundlage von qualitativen Interviews basiert, ist das „Adult Social Care Outcomes Toolkit“ (ASCOT) (Netten et al. 2012). Mit dem Instrument ist die Bewertung von sozialbezogenen (Langzeit) Versorgungsleistungen möglich. Wie auch z. B. ICECAP-O, wurde ASCOT mit dem Ziel konzipiert, ein ergänzendes bzw. äquivalentes Messinstrument zu QALYs abzubilden.

Lorgelly et al. (2015) entwickelten auf Grundlage von Nussbaums Liste und folgenden qualitativen und quantitativen Erhebungen ein Instrument zur Erfassung der Effektivität (auch Kosten-Effektivität) von Public Health Interventionen in Großbritannien, den sogenannten OCAP-18. Die Autoren beschreiben des Weiteren, dass sie verwirklichungschancenbasierte Outcomes als potenzielle Alternative bzw. sogar Ersatz für QALYs in der gesundheitsökonomischen Evaluation sehen (Lorgelly et al. 2015). Simon et al. (2013) entwickelten auf Basis von Nussbaums Liste und dem OCAP-18 den Oxford Capabilities-Mental Health (OxCAP-MH) zur Bestimmung von Outcomes in der psychischen Gesundheitsforschung auf Verwirklichungschancenbasis.

Eine weitere Operationalisierung des CAs nach Sen fand mit qualitativen Methoden für Menschen mit chronischen Schmerzen statt (Kinghorn, Robinson & Smith 2015). Das entwickelte Instrument ist

5.3 Verbindungslinien zwischen dem Capability Approach und der Gesundheitsökonomie

137 für die Anwendung im Bereich der Evaluation von Behandlungen und Leistungen angedacht und soll, u. a. für gesundheitsökonomische Zwecke oder politische Entscheidungen, im Vergleich zu QALYs alternative bzw. ergänzende Informationen liefern (Kinghorn, Robinson & Smith 2015).

Bei all diesen entwickelten Messinstrumenten ist gleich, dass sie nicht auf den Gesundheitsstatus als alleinige Größe für Verwirklichungschancen abzielen und statt der Berücksichtigung von Funktionen bzw. Erreichtem, die Einbeziehung von Verwirklichungschancen empfehlen (Mitchell et al. 2017).

Mitchell et al. (2017) fassen in ihrem systematischen Review des Weiteren zusammen, dass in den vorhandenen gesundheitsökonomischen Studien, die sich mit dem CA befassen, kaum Studien enthalten sind, die als alleinige Basis den CA verwenden.

Tabelle 6: Übersicht gesundheitsökonomische Instrumente mit Bezug zum CA Instrument Gesundheitsökonomischer

5.3 Verbindungslinien zwischen dem Capability Approach und der Gesundheitsökonomie

66 Deutsche Übersetzung des ICECAP-O vohanden.

5.3 Verbindungslinien zwischen dem Capability Approach und der Gesundheitsökonomie

139 OxCAP-MH

(Oxford Capabilities-Mental Health)67

Operationalisierung für Outcome-Messungen der psychischen Gesundheit

Simon et al.

(2013)

Life expectancy

Daily activities

Suitable accommodation

Neighbourhood safety

Potential for assault

Freedom of expression

Imagination and creativity

Love and support

Losing sleep

Planning one’s life

Respect and appreciation

Social networks

Discrimination

Appreciate nature

Enjoy recreation

Influence local decisions

Property ownership

Access Quelle: Eigene Darstellung.

67 Eine deutsche Übersetzung des Oxford Capabilities-Mental Health (OxCAP-MH) liegt durch die Arbeit von Baumgardt et al. (2017) vor.

5.4 Weitere Anwendungs- und Umsetzungsmöglichkeiten des Capability Approachs in der Gesundheitsförderung

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5.4 Weitere Anwendungs- und Umsetzungsmöglichkeiten des Capability