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7 Qualitative Methodik 69

7.2 Darstellung der qualitativen Ergebnisse

7.2.2 Dimension Soziales

Die Dimension Soziales besteht aus den zwei Oberkategorien Partizipationsmöglichkeit und -fähigkeit sowie das soziale Unterstützungsnetzwerk. Die erstgenannte Oberkategorie beinhaltet die Möglichkeit in der Gesellschaft partizipieren zu können und sich als Teil dieser wahrgenommen zu fühlen. Die einzelnen Kategorien dieser Oberkategorie beziehen sich dabei zum einen auf sehr enge zwischenmenschliche Kontaktmöglichkeiten, wie die Körperkontaktmöglichkeit. Zum anderen beziehen sie sich aber auch auf abstraktere Möglichkeiten, wie die Selbstwahrnehmung des Individuums innerhalb der vorherrschenden gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse, wie die Kategorie sich ohne Scham in der Öffentlichkeit zeigen zu können widerspiegelt. Das soziale Unterstützungsnetzwerk beinhaltet die Möglichkeit im Bedarfsfall, z. B. im Krankheitsfall oder in kritischen persönlichen Ausnahmesituationen, jemanden um physische Hilfe oder auch geistigen, psychischen Beistand bitten zu können. Die Systematisierung und die Kategorien der Dimension Soziales sind in der Abbildung 30 ersichtlich.

Abbildung 30: Darstellung der Dimension Soziales Quelle: Eigene Darstellung.

Die Kategorie sich ohne Scham in der Öffentlichkeit zeigen zu können und am Leben der Gemeinschaft teilzunehmen stammt aus dem Material, ist aber auch zugleich von Sen (2007) eine benannte Freiheit, die er mit Güterbesitz in Verbindung bringt. Sen (2007) nennt dazu die Beispiele,

Verwirklichungschancen Soziales

Partizipationsmöglichkeit und -fähigkeit

Soziales Unterstützungsnetzwerk

Sich ohne Scham in der Öffentlichkeit zeigen zu können

Kontakt zu Personen mit ähnlichem lebensgeschichtlichen

Erfahrungshintergrund

Zugehörigkeitsgefühl zu einer Clique/

Gemeinschaft (i.e.S. und i.w.S.) Körperkontaktmöglichkeit

Kommunikations- und Interaktionspartner Kontaktmöglichkeit zur jüngeren Generation

Teilhabemöglichkeit an der Gesellschaft Teilhabe an kulturellen Veranstaltungen

Vertrauensvolle Kontaktperson zu haben Jemanden um Hilfe bitten zu können

7.2 Darstellung der qualitativen Ergebnisse

173 dass es ohne Telefon, Fernsehen oder ein Auto Amerikanern oder Westeuropäern deutlich schwerer fallen würde, an einem Leben in der Gemeinschaft teilhaben zu können. Ähnliche Aussagen zeigen sich auch im Interviewmaterial, jedoch wird dies hier teilweise mit einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung begründet, wie in den folgenden zwei Beispielen angedeutet wird:

„Ja, ich denke mir, die rühren sich eigentlich auch nicht, weil sie irgendwo..Ja,. sich vielleicht ein bisschen für ihre Situation. Ja, ich möchte nicht sagen schämen, aber irgendwo..Das nicht outen wollen, dass dass sie Hilfe oder Unterstützung brauchen.“ (Quelle DS, Z. 329-332)

„Aber das Angebot ist da. Die könnten mitmachen auch die, die also finanziell nicht äh aber die haben auch häufig den Mut nicht. Den Grund weiß ich nicht. Aber ich bleibe dabei: Das Angebot ist da, es fehlt der Antrieb...“ (Quelle GK, Z. 238-240)

Hieraus ersichtlich ist, dass die Scham häufig zu groß ist andere Personen anzusprechen, um Unterstützung zu bekommen. Die Befangenheit und Gehemmtheit älterer Personen, vorhandene Angebote in Form von speziellen Unterstützungsleistungen für Ältere anzunehmen, scheint durch Schamgefühle beeinträchtigt. Dies verdeutlicht auch das folgende Zitat, das zur Verbesserung des Verständnisses notwendigerweise in einer größeren Kontexteinheit beschrieben wird.

„I: Ok...Und wie beschreiben Sie Altersarmut? Sehen Sie das auch nur finanziell? Oder können Sie sich weitere Dimensionen vorstellen?

B: Ah ich glaube, das passiert oft vielen Leuten, äh die einsam sind. Die sich nicht äußern möchten:

"Helft mir" oder "Komm doch mal" oder wir bieten das ja manchmal an.

I: Die dann nicht die Hilfe annehmen wollen?

B: Ja, die das auch nicht äußern?

I: Können Sie sich vorstellen warum?

B: Aus Scham...

I: Aus Scham, obwohl es ja, also es wird ja schon in der Öffentlichkeit mehr Altershilfe und so weiter...

B: Aber trotzdem. Das erlebe ich sehr oft, weil ich ja die Senioren auch betreue von der katholischen Kirche alle vierzehn Tage und da muss man die Leute so richtig darauf stoßen, die Hilfe anzunehmen...

I: Mmh, aber das sehen Sie dann auch unter Altersarmut, dass Sie nicht einsam sind und diese sozialen Kontakte.

B: Ja, die gehen ja auch nicht zum Amt und sagen ich hab...Oder kommen an und sagen: "Ich kann nicht mitfahren, mir reicht das Geld nicht". Dann äh wir schreiben immer dazu, eine Bezuschussung ist möglich, wenn wir einen Ausflug machen.

7.2 Darstellung der qualitativen Ergebnisse

174 I: Und dann ist diese Scham so groß, die Hilfe anzunehmen?

B: Dann kommen die gar nicht erst.“ (Quelle RS, Z. 168-198)

Bei den älteren Personen schien auch der Kontakt zu Personen mit einem ähnlichen lebensgeschichtlichen Erfahrungshintergrund für das Wohlbefinden förderlich zu sein. Dieser lebensgeschichtliche Erfahrungshintergrund zeigt sich z. B. dadurch, dass Personen aktuell in einer ähnlichen Lebenssituation sind oder aber auch in einer vergleichbaren Biografie. Der kommunikative Austausch bzw. der Kontakt zu derartigen Menschen scheint eine förderliche Freiheit für den gelingenden Alterungsprozess darzustellen:

„B: Also...mmh...auf der einen Seite fühle ich mich ganz wohl hier alleine, aber es gibt dann so Momente, wo ich denn denke, ach wenn du jetzt einen Gesprächspartner hättest, das wäre auch schön. Aber dann, na gut dann, greift man zum Telefon und ruft Leute an, die vielleicht in derselben Situation sind, die den Partner im Pflegeheim haben und ähm ja und sich dann austauscht..“ (Quelle GD, Z. 114-117)

Ein weiteres Zitat bezieht auch die Ebene der gleichen Interessen bei dieser Kontaktmöglichkeit zu Personen mit einem ähnlichen lebensgeschichtlichen Erfahrungshintergrund mit ein. Zugleich werden auch die finanziellen Potenziale als bedingender Umwandlungsfaktor zur Erreichung dieser Kategorie benannt:

B: „[…] wenn eine Schwester gleiche Interessen hat, das ist ja wie ein Neuner im Lotto oder, wie sagt man, Sechser im Lotto, nech. Und aber auch ganz wichtig ist, wenn man was mit Freunden oder Freundin unternimmt, dass der Geldbeutel ähnlich ist. Also ich übertreibe nicht. Also ich sag zum Beispiel, ich will First Class essen und die andere, die will auf der Mauer sitzend lieber einen Apfel oder einen Joghurt essen. Das geht nicht. Das geht nicht. Das ist leider so. Aber das geht nicht. Geht nicht.“

(Quelle GK, Z. 90-95)

Bei der Kategorie Kommunikations- und Interaktionspartner handelt es sich v. a. um die generelle Möglichkeit, sich mit jemandem kommunikativ austauschen und etwas mit jemandem unternehmen zu können. Diese positive Freiheit bezieht sich dabei eher auf eine lockere Basis, ohne dass eine tiefere Vertrauensbeziehung benötigt wird. Hierbei spielt die Kontakttiefe und -intensität eine nachrangige Rolle, so dass diese bei dieser Kategorie eher als oberflächlich einzustufen ist. Die Möglichkeit, je nach Bedarf einen Kommunikations- und Interaktionspartner kontaktieren zu können, scheint nach Auswertung des Interviewmaterials jedoch für das „gelingende“ Altern einen förderlichen Beitrag zu haben und wurde auch als menschliches Grundbedürfnis bezeichnet:

„I: Und welche Beweggründe sehen Sie darin oder welchen Ansporn haben Sie dafür?

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175 B:.. Äh.. Das ich auch soziale Kontakte habe, behalte. Das ich jetzt nicht nur zu Hause sitze und da ähm.. So denke mich will jetzt keiner mehr oder was weiß ich.. Ich bin ein Mensch, ich muss raus. (4)“

(Quelle EK, Z. 599-603)

In der Dimension Soziales gab es, wie auch in den anderen Dimensionen, keine speziellen Hinweise für geschlechtsspezifische Unterschiede in den eingeschätzten Möglichkeiten und Fähigkeiten. Von beiden Geschlechtern wurden je nach Lebensumständen förderliche oder beeinträchtigende Faktoren für positive Freiheiten beschrieben. Es wurde von einem Mann bspw. geäußert, dass er auf Grund seiner langjährigen intensiv zeitbeanspruchenden Berufstätigkeit keine Möglichkeit des Rückgriffs auf ein soziales Netzwerk habe und erst jetzt im Ruhestand dieses Bedürfnis als auch Nachholbedarf sehe:

„B: Weil ich einfach festgestellt habe, dass das bei Weitem nicht alles ist, wonach ich gestrebt habe und was ich gemacht habe. Ich habe jetzt erkannt, dass die Gesundheit im Vordergrund, habe ich vorher, früher nie so gesehen. Weil ich hatte ja auch damals nichts Großes gehabt und habe wie gesagt, dass war auch wieder eine positive Seite, aber äh inzwischen habe ich das gemerkt und ich habe jetzt auch erst mitgekriegt, bei mir im Umfeld im Bekanntenkreis, Verwandtenkreis.. Was da zum Teil auch für Krankheiten waren, was ich vorher gar nicht so mitbekommen habe. Aber wie gesagt, ich war ja fast nie zu Hause.. Ich wusste ja nicht einmal, wie unsere Nachbarn heißen.“

(Quelle JM, Z. 513-519)

Die gleiche Argumentation der mangelnden Zeit im Erwerbsleben und ein damit verbundener verringerter sozialer (Bekannten-) Kreis wurde ebenso auch von einer Frau angeführt:

„Denn die Gefahr, sich hängen zu lassen, die die ist relativ groß...Besonders da ich auch keinen sehr großen Bekanntenkreis habe, denn während meiner Ehe ich ja immer im Betrieb mitgearbeitet habe und also im Büro und wir zu der Zeit wenig Kontakte gepflegt haben, weil wir dann dazu keine Zeit hatten oder müde waren. Und es gibt andere, die hier allen möglichen, also aus der Siedlung, die sind in diesen und jenen Clubs und das hab ich so nicht.“ (Quelle GD, Z. 155-160)