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7 Qualitative Methodik 69

7.2 Darstellung der qualitativen Ergebnisse

7.2.1 Dimension Lebenssinnkonstrukt

Die aggregierte Dimension Lebenssinnkonstrukt unterliegt stark individuellen Bedingungen und kann deshalb nicht absolut erfasst werden. Dieser Aspekt von Freiheit bezieht sich auf eine wahrgenommene Innenperspektive des Individuums, welches aus einem intrinsisch egozentrischen Konzept und dem extrinsisch motivationalen Konzept besteht. Das intrinsisch egozentrische Konzept umfasst intraindividuelle Einstellungen und Haltungen, die intern im Individuum veranlagt sind und keiner zwingenden Reaktion bzw. Interaktion mit der Umwelt bedürfen. Die konzeptuellen Inhalte der Dimension sind in der Abbildung 29 erkenntlich.

Abbildung 29: Darstellung der Dimension Lebenssinnkonstrukt Ziele im Leben zu haben und zu verfolgen

Individuelle

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168 Die beschriebenen Kategorien des Lebenssinnkonstrukts sind positive Freiheiten des Individuums, welche das Individuum in Bezug auf seine persönlichen Entscheidungs- und Handlungsfreiheiten nur subjektiv bewerten kann. Dennoch scheint diese Dimension bzw. die damit beinhalteten Kategorien einen relevanten Beitrag zum Wohlbefinden im Alter zu leisten.

Eine hohe Bedeutung scheint dem Aspekt Selbstbestimmung zu zukommen. Diese Freiheit wurde als substantiell für das menschliche Leben angesehen, wobei die Reichweite der Selbstbestimmungsmöglichkeiten auch eine entscheidende Rolle zu spielen scheint:

„[…] Bei manchen ist das vielleicht nur noch die Frage, ob ich selbstbestimmen kann, ob ich morgens was weiß ich, Honig oder Marmelade auf das Brot nehme. Das ist ganz riesig und bei den anderen ist es vielleicht eher, kann ich dann überhaupt noch oder eigenständig mich rund um das Haus oder rund in dem Ort bewegen? Kann ich das noch selbstbestimmen? Kann ich noch selbstbestimmen über mein Vermögen? Hauptsache, dass ich das noch lange Zeit kann. Dass es noch reicht. Aber ich meine eben halt, wenn kein Vermögen mehr da ist, ist auch keine Bestimmung mehr da. Unter 5 Euro Taschengeld, was also ein Sozialhilfeempfänger bekommt, damit macht ein Raucher keine großen Sprünge. Also ich rauche nicht aber. Ja, also ich finde Selbstbestimmung, also ich glaube das ist sehr sehr von der Situation abhängig eigentlich und das verändert sich ja.. Auch die Erwartungen glaube ich an die Selbstbestimmung..“ (Quelle DS, Z. 276-286)

Dies verdeutlicht, dass Selbstbestimmung als Konstrukt auch individuell schwer zu quantifizieren oder messen ist und lediglich durch die abgefragte Wahrnehmung der individuell vorhandenen Selbstbestimmungsmöglichkeiten, z. B. in Form von Entscheidungs- und Handlungsfreiheiten, erfasst werden kann. Selbstbestimmung wird aber auch mit einer zu treffenden Entscheidung und konkreten folgenden Handlungen verbunden, so dass eine konkrete Verbalisierung des Bedeutungsinhalts von einer selbstbestimmten Lebensweise nicht ganz leicht erscheint:

„[…] Ja, also ich weiß, dass im Zusammenhang mit diesen Patientenverfügungen... ähm... das ...ja, ich selbstbestimmen soll, wenn ich in irgendeiner gesundheitlichen Situation bin, was mit mir passiert oder was mit mir nicht passiert. Äh in dem Zusammenhang ist mir das sehr intensiv bewusst geworden…“ (Quelle ER, Z. 263-266)

Diese Kategorie zeigt, dass das Abstraktionsniveau der Dimension Lebenssinnkonstrukt weiter entfernt vom Material ist, als es bei den anderen Dimensionen zum Teil der Fall ist. Dennoch haben die Kategorien für die Innenperspektive des Individuums eine bedeutende Relevanz und werden zur Erlangung von Chancengleichheit als relevante lebensqualitätsbeeinflussende Aspekte gesehen.

Einige Kategorien der Lebenssinndimension haben auch einen konkreten Lebensabschnittsbezug, wie die Vorbereitung auf die Zeit im Ruhestand im höheren Alter. Der Übergang in den Ruhestand wurde als ein Faktor genannt, in der Entscheidungs- und Handlungsfreiheiten einen entscheidenden Einfluss

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169 auf das Wohlbefinden im Alter haben können. Dieses kann mit der Planung für die zeitliche Gestaltung im Ruhestand zusammenhängen, wie in dem folgenden Beispiel dargestellt ist:

„I: Was würden Sie sagen, was müssen die mitbringen oder haben für einen gelingenden Alterungsprozess?

B: Hmm. Also für Berufstätige, dass Sie nicht in ein Loch fallen, irgendwelche Hobbies oder äh Interessen, die man dann stärker ausleben kann als während des Berufslebens auf Grund der mangelnden Zeit.. ähm... was ich ganz wichtig finde und auch schätzen gelernt habe.. hmm...ein

Freundeskreis, aber... (hmm) im wahrsten Sinne des Wortes "Freunde" zu haben...“ (Quelle: ER, Z. 81-87)

Aber auch Aspekte, wie die Verwendung der Zeit mit einem Inhalt oder einer Aufgabe zur Sinngebung des eigenen Lebens, sind Bestandteile dieser Kategorie:

„I: Und Sie sind ja selber ehrenamtlich tätig, welchen Ansporn sehen Sie da drin für sich selber oder welche Beweggründe?

B: Pff. Welche Beweggründe?! A. sicherlich der Beweggrund A., ja der Auslastung. Ausfüllung des Lebens. Einfach. Egal ich könnte auch was anderes tun. Zweitens natürlich eben halt, dass es eben etwas ist, was halt ein neuer Bereich, ein anderer Bereich ist. Äh es ist einfach, ich finde das ja so gerade mit den älteren Herrschaften so ein bisschen zu arbeiten. Das macht mir eigentlich, ja Spaß ist falsch glaube ich. Oder freut mich manchmal. Also irgendwie finde ich das schön. Und äh ja, wenn man dann auch noch so ein bisschen zurückbekommt, dass die eigentlich auch dadurch ganz, ein bisschen zufriedener werden ist das noch schöner.“ (Quelle DS, Z. 443-452)

Deutlich wird hieran, dass bei diesen intrinsischen Kategorien die Antriebskraft in etwas liegt, dass das Individuum in den Mittelpunkt stellt und damit einen selbstzentrierten Kern hat, der vorangestellt wird. Anders bei den extrinsischen Kategorien, die ihre motivationale Kraft auf andere bzw. Dritte beziehen, bleibt es bei den intrinsisch egozentrischen Kategorien bei einem starken Selbstbezug als primäre Intentionsquelle. Auch wenn dies den Einbezug der Umwelt bzw. des sozialen Umfelds nicht ausschließt, können die intrinsisch egozentrischen Kategorien ohne diese auskommen, es ist somit keine notwendige Bedingung. Ein weiteres Beispiel hierfür ist die Kategorie Sinn im Leben zu haben. Diese Kategorie, zugehörig zum Lebenssinnkonstrukt, wird als extra Kategorie aufgeführt, da der absolute Lebenssinn, wie bereits beschrieben, nicht mit einer Kategorie erfassbar scheint. Die Kategorie Sinn im Leben zu haben erfasst die durch persönliche Sinnkonfiguration zugeschriebene Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens. Ein beschriebenes Gegenbeispiel aus dem Material ist Folgendes:

„[…] ich habe hier in der Nähe eine Institution für Reisen für Senioren..Ah, wenn die schon an Weihnachten nicht mehr wissen, dass sie wo sie denn nun noch wirklich mal hinfahren könnten, weil

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170 es sonst zu langweilig ist, dann hat es nichts mehr mit Geld zu tun, sondern das ist nur noch innere Leere.“ (Quelle SS, Z. 235-238)

Ein weiteres Zitat aus dem Material verdeutlicht auch die Angst, keinen zu verfolgenden Sinn im Leben zu haben:

„[…] Wichtig ist mir auch, dass ich noch in der Lage bin, diese Berufstätigkeit auszuüben...und ähm..., weil die eben immer noch so ein bisschen meinen Horizont erweitert und mir immer auch ein, ein, ein Ziel gibt. Das ich also gezwungen bin, etwas zu machen. Denn die Gefahr, sich hängen zu lassen, die die ist relativ groß...“ (Quelle GD, Z. 153-156)

Die Suche weniger nach Sinnerfüllung, denn nach Sinnhaftigkeit scheint demnach eine wertgeschätzte Freiheit zu sein für einen gelingenden Alterungsprozess, wobei hierbei der kennzeichnende hedonistische Grundgedanke der intrinsisch egozentrischen Kategorien deutlich wird. Wohingegen die extrinsisch motivationalen Kategorien von einem gesellschaftlichen sowie auch individuellen Werte- und Normensystem geprägt scheinen. Anhand der Kategorie Soziales Engagement/Nächstenliebe und einem Zitat aus dem Material kann dieser Einfluss verdeutlicht werden:

„I: Und welche Beweggründe haben Sie dafür gesehen oder welchen Ansporn?

B: Mich sozial zu engagieren?

I: Genau.

B: Ähm...mir ging es in meinem Leben immer, immer recht, recht gut und es ähm es gibt ganz viele Menschen, denen es sich nicht so, so ergangen ist und jetzt im Alter sehr isoliert sind und um die möchte ich mich eigentlich so ein bisschen kümmern.“ (Quelle ER, Z. 341-349)

Maßgeblich für diese Kategorie ist es, die Möglichkeit zu haben, sich sozial engagieren zu können.

Dieses Engagement kann in jüngeren Generationen oder auch in der gleichen oder höheren Generation stattfinden. Dieses wurde auch entsprechend kategorisch differenziert in die Kategorien Engagement in jüngeren Generationen/Generativität und Engagement in der gleichen/höheren Generation. Diese Unterscheidung erschien insofern sinnvoll, da jeweils ein anderer Zweck mit dem Engagement verbunden bzw. benannt wurde. Ziele, wie das Aufziehen und die Erziehung der nächsten Generation sowie Merkmale, wie Mitverantwortung und Fürsorge für nachfolgende Generationen, wurden v. a. in Bezug auf die Gründe für das Engagement in jüngeren Generationen genannt. Ein Zitat aus dem Material charakterisiert dieses zwischenmenschliche Bedürfnis:

I: „[…] und ein Unterstützungssystem oder Unterstützungsformen von Ihrem familiären Umfeld, das Ihre Handlungsfähigkeit fördern könnte, gibt es da was?

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171 B: ... Nein, ich ich unterstütze eben die Eltern indem ich, also die Eltern meiner Enkelkinder, indem ich das also ja meistens auch das befürworte und den Kindern nahebringe, was was die Meinung auch der Eltern ist.“ (Quelle GK, Z. 306-311)

Das soziale Engagement in der gleichen/höheren Generation beinhaltet eher das Vermögen des Gefühls des Mitwirkens und der Sinngebung des eigenen Lebens durch die motivationale Haltung, für andere etwas tun zu wollen, um daraus auch eigene Genugtuung zu erfahren:

„B: Und diese Leute, die wir so haben. Die wir hier so, ich nenne das immer, hausintern auch ein bisschen betreuen. Zwar nicht das richtige Wort. Ähm..Da kommt auch Dankbarkeit rüber und das tut jedem so gut“ (Quelle JM, Z. 279-281)

Die Kategorie Soziales Engagement/Nächstenliebe hat damit viele Anknüpfungspunkte in dem semantischen Verständnis zur Kategorie Reziprozität. Die Unterscheidung findet sich allerdings in der Erwartungshaltung des Individuums. Die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit, sich sozial engagieren zu können, wird ohne Gegenleistung vom Individuum angenommen, wohingegen bei der Annahme einer reziproken Entscheidungs- und Handlungsfreiheit das Individuum von einer Gegenseitigkeit ausgeht. Das folgende Zitat aus dem Material macht diese Differenzierung deutlicher:

„I: …So ein Netzwerk da mit Leuten, die in der ähnlichen Position sind-

B: Ja. Und äh die Nachbarin zum Beispiel, ist auch zu Hause. Die bekommt von mir Hilfe und ich bekomme von ihr Hilfe. Das ist ein gegenseitiges Nehmen. Geben und Nehmen. Und das wünsche ich mir eigentlich mehr so in der Nachbarschaft auch. Jetzt gar nicht mal von der Verwandtschaft her.“

(Quelle EK, Z. 404-409)

Dieses Zitat kennzeichnet die Erwartungshaltung, die mit dieser Entscheidungs- und Handlungsfreiheit verbunden ist und von wechselseitiger Abhängigkeit geprägt sein kann.

Wohingegen die Kategorie Altruismus/Etwas zurückgeben wollen ein noch exzentrischeres (im Gegensatz zum egozentrischen) Bedürfnis des Individuums innehat. Das heißt, hierbei steht die altruistische Motivation des Individuums im Vordergrund und beinhaltet somit eine gewisse Aufopferung des Individuums gegenüber dem Umfeld. Diese Motivation kann auch zum Zweck des Individuums sein, welche nicht zwingend das Ziel der Maximierung des eigenen Wohlergehens beinhaltet, sondern sich ergibt aus der wahrgenommenen Sinngebung des Lebens. Eine entsprechende Aussage beinhaltet auch das folgende Zitat:

„B: Und was ich auch wichtig finde, sich ein bisschen... ähm...ehrenamtlich, sozial zu engagieren, um auch ein bisschen zurückzugeben, dass man in seinem Leben... ja...relativ viel Glück hatte...

Berufstätig sein zu dürfen und was auch alles so dazu gehört.“ (Quelle ER, Z. 91-94)

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