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4 Theoretische Konzeption und Begrifflichkeiten des Capability Approachs

4.3 Begriff und Konzeption von Umwandlungsfaktoren

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4.3 Begriff und Konzeption von Umwandlungsfaktoren

Die Erreichung von Verwirklichungschancen ist in der Konzeption des CAs unmittelbar oder mittelbar mit Bestimmungsfaktoren verbunden. Diese Bestimmungsfaktoren bedingen die Freiheit, Ressourcen bzw. Güter, wie z. B. Einkommen, in Verwirklichungschancen umzuwandeln und damit auch den Umfang der vorhandenen Verwirklichungschancen. Diese Determinanten, die bei der Umwandlung von Ressourcen bzw. Gütern zu einem Leben verhelfen, das Menschen hochgeschätzt führen können, werden auch als Umwandlungsfaktoren benannt (vgl. u. a. Sen 2013). In der englischen Übersetzung des Ansatzes werden diese Faktoren als conversion factors bezeichnet. Diese Perspektive beschreibt vorhandene Mittel, die zur Entwicklung von substantiellen Freiheiten beitragen. Die Umwandlungsfaktoren dienen zum einen dazu, die Verwirklichungschancen zu erreichen bzw. zu erweitern, zum anderen ergänzen sie sich auch wechselseitig (Sen 2007). Die instrumentelle Funktion von Umwandlungsfaktoren kann sich dabei in unterschiedlichen Formen zeigen, wie z. B.

grundsätzliche Rechte, Normen und Werte oder Sozialleistungen. Diese Umwandlungsfaktoren sind in der Konzeption des Befähigungsansatzes grob differenziert und bestehen aus den instrumentellen Freiheiten (bzw. gesellschaftlich und umweltbezogene Potenziale) und den individuellen Potenzialen (Volkert 2005, S. 121) (siehe auch Abbildung 21).

Abbildung 21: Übersicht über die verschiedenen Formen von Umwandlungsfaktoren Quelle: Eigene Darstellung.

Die individuellen Potenziale bestehen aus materiellen Ressourcen, wie Einkommen und Güterausstattung sowie persönlichen Umwandlungsfaktoren (Bildungsstand, Gesundheit, Behinderungen, Alter, Geschlecht) und können dadurch erkannt werden, dass sie grundsätzlich

Umwand-lungsfaktoren Gesellschaftlich bedingte Potenziale

Instrumentelle Freiheiten

Politische Freiheiten

Soziale Chancen

Ökonomische Chancen

Sozialer Schutz

Transparenzgarantien

Umweltbezogene Potenziale

Klimatische, geographische Unterschiede

Infektionsraten

Umweltverschmutzung und -belastung

Individuelle Potenziale

Nichtfinanzielle Potenziale

(z. B. Geschlecht, Alter, Behinderungen etc.)

Finanzielle Potenziale

(z. B. Einkommen, Vermögen etc.)

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„transportabel“ sind, das heißt bspw. in jedes Land mitgenommen werden können (Volkert 2005).

Instrumentelle Freiheiten, auch als gesellschaftlich bedingte Potenziale benannt, sind hingegen, wie die Bezeichnung andeutet, an gesellschaftliche Strukturen gebunden. Sen (2007) erkennt an, dass es sich hierbei um eine unerschöpfliche Liste handelt, jedoch spezifische Aspekte besonders relevant erscheinen. Hierbei gibt es keine allgemeingültige Auflistung von Sen, vielmehr ergänzt oder modifiziert er je nach praktischem Bezug die ihm relevant erscheinenden Umwandlungsfaktoren in seinen Werken.53 Demnach gibt es keine allgemeingültige, absolute Liste an Faktoren, welche die Umwandlung zu Verwirklichungschancen bedingen. Diese Faktoren müssen hingegen je nach Evaluationsziel sowie in Bezug auf die jeweilige Funktion bzw. Verwirklichungschance neu definiert werden. Sen (2007) hebt deshalb folgende fünf Arten von instrumentellen Freiheiten besonders hervor: Diese umfassen demnach politische Freiheiten (z. B. Gewährung bürgerlicher Rechte) sowie soziale Chancen (wie der Zugang zum Bildungs- und Gesundheitssystem), aber auch ökonomische Chancen (z. B. sich ökonomischer Ressourcen bedienen zu können und der Zugang zum Arbeitsmarkt oder Führungspositionen), sozialer Schutz (z. B. in Form von Sozialleistungen) und Transparenzgarantien im sozialen Umgang (z. B. in Form der Gewährung gesellschaftlicher Offenheit und Durchsichtigkeit) (vgl. auch Volkert 2005). Zudem zählen umweltbezogene Potenziale, wie die ökologische Sicherheit, zu den Umwandlungsfaktoren. Diese Differenzierung der Umwandlungsfaktoren ist in weiteren einschlägigen Arbeiten zum Teil ergänzt oder modifiziert worden. Robeyns (2005a, S. 99) differenziert die Umwandlungsfaktoren bspw. in drei Gruppen:

Hierzu zählen die „Personal Conversion Factors“, worunter Robeyns auch bspw. den Metabolismus, Intelligenz und Lesekompetenzen erfasst. Die zweite Gruppe sind die „Social Conversion Factors“, welche exemplarisch soziale Normen, Diskriminierungspraktiken, Genderrollen und soziale Hierarchien umfassen. Als dritte Gruppe beschreibt Robeyns „Environmental Conversion Factors”. Diese schließen Faktoren wie klimatische und geographische Bedingungen mit ein, die bei der Umwandlung von Ressourcen oder Gütern einen relevanten Charakter haben können.

Der Berücksichtigung dieser Umwandlungsfaktoren wird als fundamentaler ethischer Vorteil für entwicklungspolitische und/oder gerechtigkeitsorientierte Debatten gesehen. Dies wird darin begründet, dass Umwandlungsfaktoren es ermöglichen, die menschliche Diversität in der Vielzahl an möglichen Aspekten, wie biologische, lebenslaufbezogene, soziale, kulturelle, umweltbedingte und

53 Sen (1999, S. 17 f.) beschreibt z. B. die Umwandlungsfaktoren für den Ernährungszustand mit folgenden Faktoren: „(1.) metabolic rates, (2) body size, (3) age, (4) sex (and, if a woman, whether pregnant or lactating), (5) activity levels, (6) medical conditions (including the presence or absence of parasites), (7) access to medical services and the ability to use them, (8) nutritional knowledge and education, and (9) climatic conditions. In the case of achievements involving social behaviour and entertaining friends and relatives, the functioning will depend on such influences as (1) the nature of the social conventions in force in the society in which the person lives, (2) the position of the person in the family and in the society , (3) the presence or absence of festivities such as marriages, seasonal festivals and other occasions such as funerals, (4) the physical distance from the homes of friends and relatives, and so on.”

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113 physisch bedingte Faktoren, zu berücksichtigen (Chiappero-Martinetti & Venkatapuram 2014).

Sen (2007, S. 95) erklärt den Vorteil von der Erfassung relevanter Umwandlungsfaktoren für Gerechtigkeitsurteile mit einem lebensnahen Beispiel: „So kann etwa ein Behinderter über einen größeren Korb von Grundgütern verfügen und dennoch eine geringere Chance haben, ein normales Leben zu führen (oder seine Zwecke zu verfolgen), als ein Nichtbehinderter mit einem kleineren Korb von Grundgütern. Ähnlich mag ein älterer oder kränklicher Mensch in einem allgemein akzeptierten Sinn benachteiligter sein, ungeachtet der Tatsache, daß [sic.] er ein größeres Bündel von Grundgütern besitzt.“

Die Bezugnahme und Anerkennung von Umwandlungsfaktoren in die Bewertung sozialer Ungleichheiten ist deshalb ein zentraler Kernpunkt des Ansatzes, der es ermöglicht, begünstigende

und benachteiligende Faktoren auch in einem konzeptionellen Rahmen aufzuarbeiten.

Chiappero-Martinetti & Venkatapuram (2014, S. 711) beschreiben den vorteilhaften Effekt für Gerechtigkeits- und Ungleichheitsdebatten wie folgt: „These conversion factors are of fundamental importance in the CA because understanding equality as treating people equally by giving everyone the same amount of some ‘thing’ would result in inequality in what we most care about — equal things plus different conversion factors create inequalities in the freedoms to be and do things.”

Ein weiterer gewinnbringender Effekt wird in der Möglichkeit gesehen, dass durch die Erfassung und Berücksichtigung von Umwandlungsfaktoren jene Aspekte betont werden auf die gesellschaftliche und staatliche Strukturen sowie Regelungen einen Einfluss haben könnten (Volkert 2005). Die explizite konzeptionelle Berücksichtigung derartiger determinierender Faktoren ermöglicht somit eine Voraussetzung für differenzierte Analysen.