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2 Lebensqualität und „ gelingendes “ Altern

2.2 Begriffsbestimmung: „Gelingendes“ Altern

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2.2 Begriffsbestimmung: „Gelingendes“ Altern

Eine einheitliche Abgrenzung eines distinktiven Lebensabschnittes „Alter“ ist im Grunde nicht möglich. Vielmehr ist Altern ein mehrdimensionaler Prozess, der sich über weite Teile der Biografie erstreckt und durch graduelle Veränderungen erklärbar ist (Kruse 2008b). Das kalendarische Altern, welches das Alter eines Menschen anhand seines Geburtsdatums identifiziert, differenziert unzureichend die zahlreichen Faktoren für eine umfassende Betrachtung des Lebensabschnitts

Alter“. Die interindividuellen Unterschiede des Alterungsprozesses sprechen für eine Abgrenzung zwischen dem „dritten“ und „vierten“ Lebensalter, wobei sicherlich weitere Unterkategorien mit Merkmalsausprägungen bestimmbar sind, so dass die Einteilung in das dritte und vierte Lebensalter nur als ein erstes Ordnungsprinzip zu verstehen ist (vgl. u. a. Kruse 2008b). Obwohl auch in der wissenschaftlichen Literatur eine Unterscheidung zwischen dem dritten und vierten Lebensalter häufig zu finden ist, wird die Abgrenzung jedoch bisher nicht einheitlich in Alters- oder Jahresangaben definiert. Baltes (1999) klassifiziert die chronologische Altersspanne zwischen 60 und 75 Jahren in das dritte Lebensalter, wobei er diese Gruppe als „junge Alte“ benennt sowie Personen im vierten Lebensalter (ab 75 Jahren) durch die Begriffsbeschreibung „hohes Alter“ umschreibt (Baltes 1999). Eine andere altersbezogene Einteilung benennt die Lebensphase zwischen 65 und

84 Jahren als drittes Lebensalter sowie ab 85 Jahren als viertes Lebensalter (Böhm, Tesch-Römer & Ziese 2009). Die individuelle Bedeutung und Erfahrung dieser biographischen

Abgrenzungen bzw. Übergänge ist sicherlich nicht generalistisch bewertbar. Neben dem

„kalendarischen Alter“ kommen weitere Alterskategorisierungen dazu, z. B. nach dem „biologischen Alter“. Dieses bezieht sich auf die Abnahme der Leistungsfähigkeit und -kapazität in Bezug auf physiologische Veränderungen (z. B. Muskelmassenabbau) des Körpers mit zunehmendem Alter (Backes et al. 2006). Die Dimension „psychologisches/kognitives Altern“ ist durch Stärken und Schwächen geprägt und bezieht sich bspw. auf Sinneswahrnehmungen, kristalline und fluide Intelligenzleistungen sowie Persönlichkeitsveränderungen i. S. v. Einstellungen, Emotionen oder auch in Bezug auf das Selbstbild (Backes et al. 2006). Das „soziale Altern“ entstammt hingegen aus einer soziologischen Perspektive. Hierbei werden Veränderungen der sozialen Position und Rollen der Individuen in der Gesellschaft betrachtet, wie z. B. die Übernahme ehrenamtlicher oder familiärer Verpflichtungen als Großeltern (Backes et al. 2006). Jede Betrachtungsebene hat damit gewisse positive und negative Ausprägungen in Bezug auf das Alter. In dem empirischen quantitativen Studienteil dieser Arbeit wird die Alterseinteilung analog zu Tesch-Römer und Wurm (2009) und Küpper (2008) gewählt, die sich an derer von der WHO orientiert. Demnach werden folgende

Altersgruppen unterschieden: Junge Alte (61- bis 74-Jährige), Betagte und Hochbetagte (75- bis 89-Jährige), Höchstbetagte (90- bis 99-Jährige) und Langlebige (100-Jährige und älter).

2.2 Begriffsbestimmung: „Gelingendes“ Altern

40 Grundsätzlich ist das Alter auch eines der sozialen Stratifizierungsmerkmale in der Gesellschaft, neben Geschlecht oder der Ethnizität etc., die den Zugang zu sozialen Rollen determiniert (vgl. auch Kruse 2010). Das höhere Lebensalter, inklusive der körperlichen und geistig-seelischen Entwicklungsprozesse, ist aber nach wie vor nicht abschließend hinsichtlich potenzieller Faktoren, die ein „gelingendes“ oder auch „gesundes Altern“ ermöglichen, erschöpfend wissenschaftlich untersucht. An dieser Stelle sollen die Erläuterung und ein Diskurs zum Begriff „gelingendes“ Altern stattfinden. Der Begriff „gelingendes“ Altern ist von dem Term „erfolgreiches“ Altern abzugrenzen.

Erfolgreiches“ Altern sowie „gelingendes“ Altern beschreiben beide Attribute, die in der englischsprachigen Literatur weitestgehend unter „successful aging“ zusammengefasst werden.

Havighurst (1961, S. 8) erwähnte Anfang der 1960er Jahre als einer der ersten den Begriff des

erfolgreichen” Alterns in der gerontologischen Forschung (vgl. auch Schroeter 2002). Er unterschied hierbei bewusst das erfolgreiche Altern von der „theory of process of aging19 und beschreibt diese wie folgt: „A theory of successful aging is a statement of the conditions of individual and social life under which the individual person gets a maximum of satisfaction and happiness and society maintains an appropriate balance among satisfactions for the various groups which make it up—old, middleaged, and young, men and women, etc.” (Havighurst 1961, S. 8). In der deutschen, einschlägigen Literatur werden die Begrifflichkeiten wie „erfolgreiches“, „optimales“, „produktives“ oder „gelingendes“ Altern häufig vermengt, so dass hiermit gemeinsam eine positive Konnotation des Alterns beschrieben werden soll, die jedoch noch nicht eindeutig voneinander separiert wird (vgl. auch Schroeter 2002).20In dieser Arbeit wird der Begriff „erfolgreiches“ Altern, wenn möglich, vermieden. Zum einen ist dies damit begründet, dass „Erfolg“ definiert wird über das „positive Ergebnis einer aktiven Bemühung“ oder das Erzielen einer „beabsichtigten, erstrebten Wirkung21, was somit eine aktive und evtl. zielgerichtete Handlung impliziert, in Bezug auf das Altern aber fraglich erscheint. Zum anderen ergibt sich aus der bewertenden Beurteilung des sogenannten

Erfolges“ in Bezug auf das Altern, dass es auch nicht erfolgreiche „Verlierer“ des Alterungsprozesses geben würde. Diese defizitäre Betrachtung führt zu einer diskriminierenden Herabsetzung von benachteiligten älteren Menschen, die bspw. gesundheitlich depriviert sind. Diese dichotomische Assoziation22soll vermieden werden mit der Verwendung der Begrifflichkeit „gelingendes“ Altern, die nicht zwingend mit einer negativen Komplementarität verknüpft ist.

19 Diese sieht Havighurst alleinig auf den Prozess des Älterwerdens bezogen, die physisch, kognitiv oder innerhalb der sozialen Umwelt stattfinden, ohne einen Bezug zur „Qualität“ des Alterungsprozesses herzustellen wie Zufriedenheit oder die Frage nach dem „Gelingen“ des Alterns (Havighurst 1961, S. 9).

20 Auch eine Abgrenzung zu weiteren Begriffskombinationen, wie z. B. „glückliches Altern“ oder „aktives Altern“, scheint nicht immer eindeutig gewählt oder bestimmt zu sein.

21 Vgl. die Definition des Dudens: „Erfolg“.

22 Baltes & Baltes (1994, S. 24) sprechen gar von einer sozialdarwinistischen Assoziationsmöglichkeit, die zu

gefährlichem Konkurrenzdenken“ anregen könnte.

2.2 Begriffsbestimmung: „Gelingendes“ Altern

41 Die WHO (2002) hat die positive Besetzung des Begriffs und dessen Konzeptualisierung mit dem Term „aktives“ Altern umschrieben. Die Definition hierzu heißt: „Unter aktiv Altern versteht man den Prozess der Optimierung der Möglichkeiten von Menschen, im zunehmenden Alter ihre Gesundheit zu wahren, am Leben ihrer sozialen Umgebung teilzunehmen und ihre persönliche Sicherheit zu gewährleisten, und derart ihre Lebensqualität zu verbessern“ (WHO 2002, S. 12). Die Wahrung der Autonomie wird hierbei in engem Zusammenhang mit der „aktiven” Teilnahme am sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, spirituellen und zivilen Leben gleichgesetzt, die nicht nur an die Möglichkeit gebunden sein soll, z. B. körperlich aktiv zu sein (WHO 2002). Vielfach wird Altern gleichgestellt mit dem Rückgang körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit. Fälschlicherweise wird jedoch häufig Altern mit Krankheit gleichgesetzt. Wissenschaftlich ist diese Ansicht jedoch zurückzuweisen bzw. nicht zu belegen, dass Altern und Krankheit eine unumgängliche Kombination darstellen müssen. Funktional eintretende Einbußen im Alter sind möglichst sorgfältig zu unterscheiden zwischen den bislang vielfach überschätzten altersbedingten und den im Gegensatz dazu unterschätzten krankheitsbedingten Ursachen (Kruse 2012). Im Falle der bisher wissenschaftlich erst wenig vorangebrachten Differenzierung zwischen alters- und krankheitsbedingten Einschränkungen ist der populäre Begriff „Gesundheitsförderung“ im Alter allerdings fragwürdig bzw.

nicht klar definierbar. Insofern wären altersbedingte endogene und exogene Veränderungen in Verbindung mit der Entwicklungsbiographie des Lebens als natürlicher und irreversibler Prozess des Lebensverlaufs zu verstehen. Der Alterungsprozess lässt sich in normative und nonnormative Verlusterfahrungen unterscheiden in den Bereichen geistige Leistungsfähigkeit, Körperlichkeit, soziale Beziehungen und Rollen, (außerhäusliche) Mobilität und Zeit- und Zukunftsperspektiven (Wahl & Heyl 2008). Deutlich wird anhand dieser Unterscheidung, dass Altern in mehrere Endpunkte kategorisiert werden kann: „Pathologisch“ (z. B. in Form von Krankheiten oder frühzeitigem Tod mit entsprechenden Autonomieeinbußen), „normal“ (z. B. durch Erreichen der durchschnittlichen Lebenserwartung bei nur geringen, kompensierten Einbußen, ohne biologische und mentale Pathologie und somit ohne die Ausbildung eines manifesten Krankheitsbildes) oder „optimales“ Altern (z. B. durch die Erreichung der durchschnittlichen Lebenserwartung bei weitreichender Autonomie und Wohlbefinden). Zugleich bestehen ein geringes Erkrankungsrisiko und ein gutes Funktionsniveau (Anders 2009; Baltes & Baltes 1989a; Rowe & Kahn 1997). Eine Unterscheidung zwischen normalem, optimalem und krankem Altern stellt auch entsprechende neue bedingungsspezifische Anforderungen an gesundheitsförderliche Ansätze im Alter. Viele der gegenwärtigen Forschungsaktivitäten beschränken sich jedoch auf defizitäre und krankheitsbezogene Betrachtungsebenen anstatt auf Potenziale und Ressourcen für das „gelingende“ Altern (Fuchs et al. 2013).

2.2 Begriffsbestimmung: „Gelingendes“ Altern

42 Altern umfasst nicht zwingend nur Abbauprozesse, sondern zumindest in der dritten Lebensphase bestehen oftmals Möglichkeiten noch nicht genutzte Potenziale zu verwirklichen. Zu den Gewinnchancen des Alterns gehören bspw. der Gewinn an lebenspraktischer Intelligenz, neue Verhaltensmerkmale oder auch soziokulturelle Fortschritte (Anders 2009). Diese Attribute sind allerdings nicht mit „erfolgreichem“ oder „optimalem“ Altern gleichgesetzt. Die Definition eines allgemeingültigen Indikatoren-Sets bzw. von Merkmalen, die einen positiven Alterungsprozess umfassen, ist aufgrund der kontextgeprägten Heterogenität der Kriterien nach wie vor nicht generalistisch möglich (Jopp et al. 2015; Baltes & Baltes 1989a). Die Identifikation von Indikatoren für

gelingendes“ Altern bleibt weiterhin komplex und bedarf des Einbezugs und der Kombination quantitativer und qualitativer Dimensionen des Lebens (Baltes & Baltes 1989a). Baltes und Baltes (1989a, S. 6) umschreiben dabei exemplarisch folgende Indikatoren als relevant: Lebenslänge, biologische und mentale Gesundheit, psychosoziale Funktionstüchtigkeit, Lebenszufriedenheit, Selbstwertgefühl, Handlungskontrolle und Selbstwirksamkeit. Die Festlegung von Kriterien erfordert notwendigerweise den Einbezug einer Werthaltung, deren Implikationen bekannt und bestimmt werden sollten (Baltes, Kohli & Sames 1989).

2.3 Subjektive und objektive Determinanten von „gelingendem“ Altern und Lebensqualität im Alter

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2.3 Subjektive und objektive Determinanten von „gelingendem“ Altern