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3 Soziale Ungleichheit und gesundheitliche Ungleichheit im höheren Lebensalter

3.3 Gesundheitliche Ungleichheit im Alter: Aktuelle Daten

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3.3 Gesundheitliche Ungleichheit im Alter: Aktuelle Daten

Evident ist bisher, dass sich der bereits erwähnte lineare Zusammenhang zwischen dem Sozialstatus und der Mortalität bzw. der erhöhten Inzidenz und Prävalenz bei einer Vielzahl von Erkrankungen, wie z. B. Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenkrebs oder Depressionen, konsistent bei Menschen im erwerbstätigen Alter in der nationalen sowie internationalen gesundheitlichen Ungleichheitsforschung zeigt (vgl. z. B. Richter & Hurrelmann 2009; Mackenbach et al. 2008;

Mielck 2005). Zugleich ist bekannt, dass wenige Erkrankungen, wie z. B. Brustkrebs oder Allergien, im Erwerbslebensalter in den höheren Statusgruppen höhere Inzidenzraten ausweisen (Richter & Hurrelmann 2009).

Diese Studien geben auf Grund unterschiedlicher Gründe, wie z. B. Ausschluss von älteren Personen oder des lediglichen Einbezugs von Menschen in Privathaushalten, jedoch keine verlässlichen oder repräsentativen Daten zur gesundheitlichen Lage von älteren bzw. hochaltrigen Personen (Motel-Klingebiel, Ziegelmann & Wiest 2013; Amrhein et al. 2015). Hinzu kommt, dass in einigen Studien keine weitere Differenzierung der höheren Lebensjahre stattfindet, wie z. B. bei GEDA 2012, welche die älteren Befragungsteilnehmer/-innen zu einer Restkategorie 65+ zusammenfassen (RKI 2014; Amrhein et al. 2015). Diese Studiendaten stellten jedoch erste längsschnittlich und ausreichend große Datensätze zur Verfügung, die eine Analyse der sozialen Einflüsse auf Gesundheits- bzw. Krankheitsmerkmale bzw. deren Zusammenhänge ermöglichen. Lange Zeit wurde das höhere Lebensalter in Studien häufig sogar ausgeschlossen, so dass die meisten der sozialepidemiologischen Studien die gesundheitliche Ungleichheit in dieser Lebensphase vernachlässigten (von dem Knesebeck & Schäfer 2009). Dementsprechend mangelt es bisher nach Lampert et al. (2016) v. a. auf Grund der mangelnden nationalen Datenlage zu hochaltrigen Menschen an lückenlosen Forschungsergebnissen, die zu einer fundierten Evidenzgrundlage beitragen. Dieser Forschungsbereich ist deshalb sicherlich noch nicht soweit analysiert wie die Morbidität und Mortalität von Populationen unterhalb des Rentenalters, da die bisherigen Forschungsbemühungen sich auf die Bevölkerung im Erwerbsalter zentriert haben, dadurch dass diese als Entstehungsphase für gesundheitliche Ungleichheiten gilt (von dem Knesebeck & Vonneilich 2009; Lampert et al. 2016). Gefolgt wurde dieses Forschungsinteresse hin zu der Analyse der Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen als „[…]

Weichen für ein langes und gesundes Leben“ (Lampert et al. 2016, S. 1).

Die Befunde zur gesundheitlichen Ungleichheit im höheren Lebensalter sind bislang eher ein Randgebiet der sozialepidemiologischen, aber auch der gerontologischen Forschung gewesen. Einige größere nationale Studien beschäftigen sich erst seit den letzten zwei Jahrzehnten mit der Analyse

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80 und Darstellung der Auswirkungen sozialer Ungleichheiten auf gesundheitliche Unterschiede (Lampert et al. 2016). Exemplarisch hierfür sind die vom Robert Koch-Institut (RKI) unter dem Namen

„Gesundheitsmonitoring“ bundesweiten Gesundheitsstudien „Gesundheit in Deutschland aktuell“

(GEDA)33 oder die „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS)34 anzuführen. Weitere Studien, die sich auf nationaler Ebene speziell mit der Lebenssituation und gesundheitsspezifischen Analysen im höheren Lebensalter auseinandergesetzt haben, sind die Generali Altersstudie (Generali Deutschland AG 2017; Köcher & Bruttel 2012) oder der repräsentative bundesweite

„Deutsche Alterssurvey“ (DEAS)35. Auf internationaler Ebene beschäftigt sich bspw. der „Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe“ (SHARE) 36 mit Fragestellungen über die gesundheitliche und soziale Stellung von älteren Personen in 27 europäischen Ländern, darunter auch Deutschland.

Diese genannten Studien liefern Befunde über die Auswirkungen sozialer Unterschiede auf die gesundheitliche Ungleichheit auch im höheren Lebensalter. Teile dieser Studien dienten auch für weitere Expertisen zur Lebenslage von älteren Personen, wie die BZgA Schriftenreihen (Amrhein et al. 2015; Heusinger, Kammerer & Wolter 2013; Heusinger & Wolter 2011). Nach und nach erfolgten erst in den letzten Jahren, u. a. durch die oben genannten Studien, mehr und mehr empirische Arbeiten, die sich damit beschäftigen, ob gesundheitliche Ungleichheiten sich auch im höheren Lebensalter abbilden bzw. wie sich der Zusammenhang zwischen sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit im höheren Lebensalter verändert (Lampert et al. 2016;

Kruse & Schmitt 2016; von dem Knesebeck et al. 2015; Kümpers 2012a;

von dem Knesebeck & Vonneilich 2009). Im Folgenden werden ausgewählte Zusammenhänge und Analysen der nationalen und internationalen gesundheitlichen Ungleichheitsforschung hierzu vorgestellt.

Huisman et al. (2005) haben die bildungsbedingten Mortalitätsunterschiede von älteren Männern und Frauen in Westeuropa untersucht. Es ergaben sich demnach insgesamt höhere Mortalitätsraten bei Frauen und Männern mit einer niedrigen Bildung (Huisman et al. 2005). Die bildungsbedingten Mortalitätsunterschiede waren bei Männern bedingt durch kardiovaskuläre Erkrankungen, Lungenkrebs und anderen Krebsarten sowie durch externe Umstände (Huisman et al. 2005). Bei Frauen zeigten sich die bildungsbedingten Mortalitätsunterschiede ebenso bei kardiovaskulären

33 GEDA ist eine deutschlandweite Gesundheitsbefragung von Personen, die in Deutschland (leben oder wohnen), ab einem Alter von 15 Jahren (RKI o. J.).

34 DEGS liefert bundesweit repräsentative Daten hinsichtlich der gesundheitlichen Situation von in Deutschland lebenden Erwachsenen im Alter zwischen 18 bis 79 Jahren (Querschnitte) (RKI 2015b).

35 DEAS ist eine repräsentative bundesweite Quer- und Längsschnittbefragung von Personen über mindestens 40 Jahren und älter (DEAS o. J.).

36 SHARE ist eine Längsschnittstudie, die Fragen hinsichtlich der Veränderung von wirtschaftlichen, gesundheitlichen sowie sozialen Aspekten von Menschen ab 50 Jahren erhebt (SHARE 2016).

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81 Erkrankungen, Krebsarten (ausgenommen hiervon ist Brustkrebs, hierbei waren höher gebildete Frauen benachteiligt) sowie COPD (Chronic Obstructive Pulmonary Disease) (Huisman et al. 2005).

Demgegenüber haben Helmert et al. (1993) in ihrer Untersuchung mit Daten der Deutschen Herz-Kreislauf-Präventivstudie festgestellt, dass die schichtspezifischen Unterschiede bei Herzinfarkt

und Schlaganfall bei beiden Geschlechtern zwar vorhanden waren, jedoch im höheren Alter (60- bis 69-Jährige) geringere Sozialschichteffekte auftraten als in den vorangegangenen

Altersgruppen (Helmert et al. 1993). In Abgrenzung zu Huisman et al. (2005) haben diese nicht nur Bildung, sondern die Dimensionen berufliche Stellung und Einkommen zusätzlich hinzugezogen sowie auch nicht die Mortalität betrachtet, so dass die Ergebnisse nicht vollkommen vergleichbar sind.

Marengoni et al. (2011) identifizierten in einem systematischen Review, dass bei allen international einbezogenen Studien in den unteren Statusgruppen bei älteren Personen eine erhöhte Multimorbidität37 vorhanden war. In vier der insgesamt acht identifizierten Studien von Marengoni et al. (2011), die sich mit der Multimorbidität im Alter beschäftigen, wurden auch Inzidenz- und Risikofaktoren untersucht, die sich z. B. in Eigenschaften wie einem erhöhtem Alter oder aber auch im niedrigen sozioökonomischen Status bzw. Bildung zeigten. Als protektive Faktoren vor Multimorbidität ergaben sich hingegen eine starke interne Kontrollüberzeugungskraft, das Zusammenleben mit jemandem sowie große soziale Netzwerke (van den Akker et al. 2001). In keiner der einbezogenen internationalen Studien wurden genetische oder biologische Faktoren, Lebensstile oder umweltbezogene Risikofaktoren für Multimorbidität im höheren Lebensalter untersucht (Marengoni et al. 2011).

Aus der amerikanischen „Health and Retirement Study“, die zehn Jahre das Gesundheitsverhalten und sozioökonomische Unterschiede in Bezug auf die Mortalität und funktionale Beeinträchtigungen untersucht hat, gibt es Belege, dass das gesundheitsschädliche Verhalten dazu beiträgt, dass gesundheitliche Ungleichheiten im höheren Lebensalter beibehalten werden (Shaw et al. 2014). Das Mortalitätsrisiko zeigte sich im höheren Lebensalter (ab 66 Jahren) bei Frauen sowie Männern in der unteren Sozialschicht niedriger ausgeprägt als in der Altersgruppe zwischen 51-65 Jahren (Shaw et al. 2014). Die Wahrscheinlichkeit für gesundheitsgefährdendes Verhalten, wie Rauchen oder sportliche Inaktivität, zeigte sich allerdings in der „Health and Retirement Study“ zunehmend bei sozial niedrigen Schichten (Shaw et al. 2014). Die Assoziation von Übergewicht und soziale Ungleichheit stellte sich stärker bei älteren Frauen als bei älteren Männern dar, so dass bei Männern nur ein geringer Zusammenhang zwischen dem Sozialstatus und einem Übergewichtsrisiko gefunden wurde (Shaw et al. 2014). Andere Studien, wie von Mackenbach et al. (2004), zeigen keine

37 Es besteht keine einheitliche Definition des Multimorbiditätsbegriffs. Je nach zugrunde gelegter Definition gelten mehrere, mindestens jedoch zwei, vorhandene chronische Erkrankungen als Multimorbidität (Wolff, Nowossadeck & Spuling 2017).

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82 eindeutigen Befunde für den Rückgang des sozialen Gradienten im höheren Lebensalter.

Mackenbach et al. (2004) haben bspw. innerhalb von europäischen Populationen die Mortalität bei Lungenkrebs im Zusammenhang mit sozialer Ungleichheit, bestimmt anhand des Bildungsniveaus, untersucht. Hierbei ergab sich, dass zumeist die Lungenkrebsraten in weniger gebildeten Populationen sowie die Mortalitätsraten bei Männern höher waren als bei Frauen (Mackenbach et al. 2004). Generell zeigte sich über alle Altersgruppen, dass die Mortalitätszahlen bei Lungenkrebs in allen zehn europäischen Populationen bei Männern mit einem niedrigen Bildungsniveau höher waren (die größten Unterschiede wurden in Österreich und die geringsten für diesen Zusammenhang in Madrid gefunden) (Mackenbach et al. 2004). Bei Frauen wiederum zeigte sich dieser Zusammenhang nicht so ausgeprägt, so dass nur in fünf Populationen höher gebildete Frauen begünstigt waren (Mackenbach et al. 2004).

Für die deutsche Bevölkerung ergaben sich innerhalb des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) Befunde, dass Personen im Alter von 65 Jahren mit einem hohen Einkommen eine höhere Lebenserwartung haben als Personen mit einem niedrigeren Einkommen bzw. hier bestimmt anhand des Netto-Äquivalenzeinkommens (Kroh et al. 2012). Demnach beträgt der Unterschied in der Lebenserwartung in Bezug auf die mittlere Lebenserwartung bei der Geburt elf Jahre bei Männern und acht Jahre bei Frauen im Vergleich von der niedrigsten bis zur höchsten Einkommensgruppe (Kroh et al. 2012). Die einkommensabhängige Differenz der Lebenserwartung ab dem 65. Lebensjahr beträgt 3,5 Jahre bei den Frauen bzw. 5,3 Jahre bei den Männern (Lampert & Kroll 2014). Die enge Verknüpfung des sozioökonomischen Status mit der Gesundheitsbilanz bestätigt auch die aktuelle Generali Altersstudie: Hierbei gaben 52 % der 65- bis 85-Jährigen aus den höheren sozialen Schicht an, eine positive Bilanz ihres Gesundheitszustandes ziehen zu können, aber lediglich 28 % in der gleichen Altersgruppe aus der niedrigen sozialen Schicht (Generali Deutschland AG 2017). Der soziale Gradient hatte in der GEDA-Studie auch bei statistischer Kontrolle der Alterseinflüsse einen bedeutenden Einfluss auf die Gesundheit. Demnach ist das Risiko für einen mittelmäßigen bis sehr schlecht selbstwebewerteten Gesundheitszustand bei beiden Geschlechtern der 65-Jährigen und älteren Menschen in den unteren sozialen Schichten im Vergleich zu Gleichaltrigen mit einem hohen

Sozialstatus mehr als dreifach so hoch [Frauen: OR= 3,45; KI= 2,83-4,19; Männer: OR= 3,06;

KI= 2,44-3,85 (jeweils 95 %- Konfidenzintervall)] (Lampert et al. 2016). Ähnliche Befunde ergeben sich bei statistischer Alterskontrolle für das Risiko der gesundheitlich bedingten Aktivitätseinschränkungen. Dieses Risikoverhältnis ist bei über 65-jährigen und älteren Männern und Frauen mit einem niedrigen Sozialstatus etwa doppelt so hoch wie bei gleichaltrigen Personen mit

einem hohen Sozialstatus [Frauen: OR= 2,33; KI= 1,93-2,81; Männer: OR= 2,46;

KI= 1,95-3,09 (jeweils 95 %-Konfidenzintervall)] (Lampert et al. 2016). In der Generali Altersstudie 2013 (Köcher & Bruttel 2012) zeigten sich bei der Einschätzung der eigenen

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83 Gesundheit weniger Alterseffekte als geschlechterdifferenzierte Effekte. In allen Altersgruppen gaben die Männer an, sich gesundheitlich besser zu fühlen als die Frauen (Köcher & Bruttel 2012).

Dieses bestätigen auch internationale Studien. Trotz des Mortalitätsvorteils von Frauen ist die Gesundheit von diesen im höheren Lebensalter insgesamt jedoch schlechter als bei älteren Männern, wie sich in der Analyse von van Oyen et. al (2013) gezeigt hat, die Daten aus 25 europäischen Ländern ausgewertet haben und dies als „female-male health-survival paradox“ bezeichnen.

Von dem Knesebeck und Mielck (2008) haben zudem mit Daten aus der SHARE-Studie gesundheitliche Ungleichheiten in Bezug auf die Diagnostikunterschiede des geriatrischen Assessments durch den Hausarzt sowie hinsichtlich der Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen untersucht. Hierbei zeigte sich, dass je höher der soziale Status ist (bestimmt anhand der Ungleichheitsindikatoren Bildung, Äquivalenzeinkommen und Geldvermögen), desto weniger oft wurden die Personen vom Hausarzt nach relevanten diagnostischen Merkmalen des geriatrischen Assessments gefragt, wie z. B. nach der Kontrolle des Gleichgewichts (von dem Knesebeck & Mielck 2008). Dabei haben Einkommen und Geldvermögen einen stärkeren Zusammenhang mit dem diagnostischen Verhalten beim geriatrischen Assessment des Arztes als Bildung (von dem Knesebeck & Mielck 2008). Dies würde die These teilweise entkräften, dass ältere Angehörige niedriger Sozialschichten in der gesundheitlichen Versorgung benachteiligt werden (von dem Knesebeck & Mielck 2008). Dieser Befund scheint bei der Analyse der Zusammenhänge zwischen sozialen und gesundheitlichen Unterschieden jedoch eher eine Ausnahme darzustellen.

Zugleich haben Personen mit einem hohen sozialen Status aber eine höhere Wahrscheinlichkeit an Vorsorgeuntersuchungen teilzunehmen (von dem Knesebeck & Mielck 2008). Hierbei ergab sich, dass Darmspiegelungen zur Krebsfrüherkennung besonders häufig in Anspruch genommen wurden im Vergleich zu Personen mit einem niedrigen sozialen Status (von dem Knesebeck & Mielck 2008).

Der Zusammenhang von Lebensqualität im höheren Lebensalter und dem sozialen Gradienten wurde auch bereits in Studien dargelegt. Es ergab sich hierbei, dass ein niedrigerer Sozialstatus mit einer niedrigeren Lebensqualität einhergeht (von dem Knesebeck et al. 2007, S. 278 ff.). Ebenso hat sich gezeigt, dass der Zusammenhang zwischen selbstberichteter Gesundheit und Sozialstatus einem sozialen Gradienten folgt (siehe z. B. Wolff, Nowossadeck & Spuling 2017 (hier bestimmt anhand des Differenzierungsmerkmals Bildung); Chandola et al. 2007 (Soziale Ungleichheit bemessen anhand des Beschäftigungsstatus); Köcher & Bruttel 2012 (Sozialstatus bestimmt durch die Indikatoren Einkommen und Bildung)).

Von dem Knesebeck und Vonneilich (2009) haben im Rahmen des „European Social Survey“ mit Daten aus 22 europäischen Ländern aus den Jahren 2006 und 2007 von Personen über 60 Jahren den Zusammenhang zwischen dem Ungleichheitsindikator Bildung mit depressiven Symptomen

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84 untersucht. In fast allen Ländern zeigte sich ein Zusammenhang zwischen niedriger Bildung und einem erhöhten Risiko für depressive Symptome im höheren Lebensalter. In der gleichen Studie belegten die Daten auch, dass im Verhältnis zur funktionalen Gesundheit der lineare Zusammenhang des sozialen Gradienten bei der subjektiven Gesundheit stärker ausgeprägt war (von dem Knesebeck & Schäfer 2009). Lampert et al. (2017) beschreiben hingegen mit den Ergebnissen der GEDA-Studien 2009, 2010 und 2012, dass die Verbreitung von diagnostizierten Depressionen bei älteren Männern nicht signifikanten statusbezogenen Unterschieden unterliegt, bei älteren Frauen waren allerdings bei den niedrigen und mittleren Statusgruppen signifikante Unterschiede in Bezug auf die diagnostizierten Depressionen vorhanden. Dennoch weisen die Ergebnisse der diagnostizierten Depressionen von Lampert et al. (2017) bei beiden Genussgruppen auf einen generellen sozialen Gradienten hin.

Einen aktuellen systematischen Review zum Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status mit der subjektiven Gesundheit und dem Wohlbefinden in der älteren (über 60 Jahren) europäischen Bevölkerung haben Read, Grundy und Foverskov (2016) publiziert. Ein niedrigerer Sozialstatus war hier assoziiert mit einer geringeren subjektiven Gesundheit und Wohlergehen (Read, Grundy & Foverskov 2016). In den meisten der ausgewerteten Publikationen wurde ein Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status, ungeachtet des gewählten Indikators, und der selbstbewerteten Gesundheit gefunden (Read, Grundy & Foverskov 2016). Je nach dem ausgewählten Indikator variierten diese Zusammenhänge jedoch in ihrer Deutlichkeit (Read, Grundy & Foverskov 2016). In Bezug auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Betrachtung der Zusammenhänge zwischen dem sozioökonomischen Status und der subjektiven Gesundheit und dem Wohlergehen wurden sehr heterogene Ergebnisse gefunden, so dass in einigen Studien die Männer stärkere Assoziationen diesbezüglich aufwiesen und in anderen vice versa die Frauen, entsprechend konnte keine abschließende Erkenntnis über eine bevorteilte Genusgruppe in dieser Studie erlangt werden (Read, Grundy & Foverskov 2016). Die ausgewerteten Studien ließen außerdem darauf schließen, dass soziale Unterstützung und gesundheitsbezogene Verhaltensweisen einen abmildernden Effekt auf den Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status und Wohlergehen im höheren Lebensalter hatten (Read, Grundy & Foverskov 2016). Inwiefern soziale Unterschiede und die subjektive Gesundheit auch im Prozess des Älterwerdens in einem engen Zusammenhang stehen oder ob sich dieser ggf. abschwächt, geht aus der vorhandenen Datenlage nicht eindeutig hervor (Lampert et al. 2016).

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85 Für die funktionale Gesundheit38 gilt auch, dass diese bei Älteren im Zusammenhang mit dem sozialen Status steht (Wolff, Nowossadeck & Spuling 2017 (auch hier ist der soziale Status mit dem Merkmal Bildung erfasst)). Im Deutschen Alterssurvey gaben lediglich 45,8 % der Befragten aus der unteren Sozialschicht an, eine gute funktionale Gesundheit zu haben, wohingegen 79,1 % aus der oberen sozialen Schicht berichteten, eine gute funktionale Gesundheit zu haben (Wolff, Nowossadeck & Spuling 2017). Des Weiteren fanden von dem Knesebeck et al. (2015) mit einer prospektiven, beobachtenden Kohortenstudie bei älteren Personen (MW des Alters 74.2 + 5.2) heraus, dass in der längsschnittlichen Analyse nur das Einkommen (anstatt Bildung und vorherige Beschäftigung) eine eigenständige Assoziation mit der selbstberichteten Gesundheit, dem funktionalen Status sowie der gesundheitsbezogenen Lebensqualität hatte.

Des Weiteren gibt es fundierte Hinweise, dass auch „frailty“ (Gebrechlichkeit) ebenfalls in den unteren sozialen Schichten häufiger vorkommt als in den höheren Sozialschichten (Szanton et al. 2010 (sozialer Status bestimmt anhand schulischer Bildung und Haushaltseinkommen)). Ebenso zeigen sich beim Zugang zu Pflegeleistungen sozial bedingte Ungleichheiten. Auch das Risiko der Pflegebedürftigkeit ist sozial ungleich verteilt und betrifft untere Einkommensgruppen eher bzw. überproportional häufig, wobei untere Einkommensgruppen jedoch

seltener eine Pflegestufe beantragen (Alisch & Kümpers 2015). Mittels Untersuchungen an MDK-Daten aus Westfalen-Lippe wurde von Alisch und Kümpers (2015) zudem herausgefunden, dass

ältere Personen mit Migrationshintergrund deutlich häufiger als nicht pflegebedürftig oder in niedrige Pflegestufen eingestuft worden sind im Gegensatz zu Deutschen. Bezüglich der informellen Pflege zeigen sich genderspezifische Unterschiede, so dass Frauen häufiger diese ausüben und Männer eine größere Chance haben von Familienangehörigen gepflegt zu werden (Alisch & Kümpers 2015).

Die vorhandene fragmentierte und heterogene Datenlage lässt (noch) keine eindeutigen Feststellungen zu, ob von einem Fortbestehen („Kontinuität“) auszugehen ist in Bezug auf das weitere bestehen der statusbedingten gesundheitlichen Ungleichheit im höheren Lebensalter.

Hierfür spricht allerdings, dass sich sowohl der formelle (z. B. gesetzliche Ruhestandsregelungen) als auch informelle (inkorporierte) Status beim Übergang vom mittleren ins höhere Lebensalter nicht verändert (Lampert et al. 2016). Es könnte nach Lampert et al. (2016) aber auch von einer Ausweitung („Divergenz“) oder von einer Angleichung („Konvergenz“) der statusbedingten gesundheitlichen Unterschiede im höheren Lebensalter auszugehen sein (Lampert et al. 2016). Mit

38 Unter der funktionalen Gesundheit wird der Grad der Einschränkungen in der Mobilität oder den Alltagskompetenzen verstanden, der nicht gleichzusetzen ist mit körperlichen Erkrankungen, das heißt körperlich Erkrankte müssen nicht zwingend funktionale Beeinträchtigungen haben (Wolff, Nowossadeck & Spuling 2017).

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86 der Divergenzthese, auch teilweise als Kumulationsthese bezeichnet, wird angenommen, dass sich bspw. die angenommenen Verluste von sozialen und personalen Ressourcen in den unteren Statusgruppen schwerwiegender auswirken als in den höheren Statusgruppen und somit weniger Kompensationsmöglichkeiten bestehen (Lampert et al. 2016). Die Divergenzthese ähnelt damit der Kontinuitätsthese, allerdings geht letztere nicht von einer weiteren Verschärfung der gesundheitlichen Ungleichheiten aus (Lampert et al. 2016). Einige der bisherigen Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass in den ersten Jahren nach dem Austritt aus dem Erwerbsleben die sozialen Unterschiede in der Gesundheit und der Lebenserwartung bestehen bleiben und sich erst im höheren Lebensalter (ab etwa dem 80. Lebensjahr) abmildern (vgl. z. B. Lampert et al. 2017). Nach dem Alter von 65 Jahren bestehen demnach weiterhin soziale Unterschiede in der Gesundheit und etwa ab dem 75. Lebensjahr ergeben sich nicht mehr eindeutige Ergebnisse, inwiefern die gesundheitlichen Unterschiede im höheren Lebensalter fortbestehen (Lampert et al. 2016). Zum einen ist dies, wie bereits erwähnt, durch das erst recht junge Forschungsfeld begründet. Zum anderen besteht auch in der Erhebung der jeweiligen Gesundheitsindikatoren in den Studien erst wenig Homogenität, so dass auch hier wenig Vergleichbarkeitspotenzial vorhanden ist.

Die herausgearbeiteten Ergebnisse von Lampert et al. (2016) aus der GEDA-Studie tendieren jedoch zur Annahme, dass die Kontinuitäts- oder Konvergenzthese zutreffend ist, wobei sich die Ungleichheiten eher bei Männern als bei Frauen im höheren Lebensalter verringerten, was durch die frühere Sterblichkeit von Männern begründet sein könnte laut den Autoren. Huisman et al. (2004) fanden z. B. Hinweise, dass sich die relativ betrachteten Bildungsungleichheiten im höheren Alter verringern, so dass von einer Angleichung auszugehen ist (Konvergenzthese, auch als Destrukturierungsthese bezeichnet). Demgegenüber wird jedoch auch die Frage des Einflusses der selektiven Mortalität auf Altersverläufe diskutiert, der einen Teil der sich verringernden gesundheitlichen Ungleichheiten erklären könnte (von dem Knesebeck & Schäfer 2009). Insgesamt gibt es zur tiefergehenden Analyse und Beurteilung des Einflusses der selektiven Mortalität jedoch auch noch zu wenige Studien. In der GEDA-Studie hat sich ergeben, dass bei der Verbreitung von chronischen Erkrankungen die statusspezifischen Unterschiede sowohl bei Frauen als auch bei Männern mit zunehmendem Alter verringerten (Lampert et al. 2016). Zudem ergaben sich auch hier geschlechtsspezifische Unterschiede. Bei Männern bestanden ab 75 Jahren39 im Gegensatz zu den Frauen keine signifikanten Statusunterschiede mehr bei der Verbreitung von chronischen Erkrankungen (Lampert et al. 2016). Das würde für die Angleichung von statusbedingten Unterschieden im höheren Lebensalter und die Konvergenzthese sprechen.

39 Daten wurden gepoolt.

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87 Mit der Frage der Divergenz, Konvergenz oder Kontinuität40 von Bildungsunterschieden auf gesundheitliche Unterschiede im höheren Lebensalter haben sich u. a. auch Leopold und Engelhardt (2011) beschäftigt. Die Analyse der Längsschnittdaten aus der SHARE-Studie zeigen, dass es diversifizierende Bildungseffekte im höheren Lebensalter auf die körperliche, psychische und kognitive Gesundheit gibt (Leopold & Engelhardt 2011). Es konnten bspw. bei den Indikatoren Greifkraft, Einschränkungen bei Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) sowie den instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens (IADL), in der Mobilität und bei depressiven Symptomen bildungsbedingte Unterschiede festgestellt werden, die sich mit zunehmendem Alter noch vergrößerten (Leopold & Engelhardt 2011). Dies entspräche der theoretischen Logik der Divergenzthese (Leopold & Engelhardt 2011). Zudem wurden geschlechterbezogene Unterschiede festgestellt. Männer haben demnach im Vergleich zur ersten Erhebung bei den Indikatoren chronische Erkrankungen, Greifkraft, Anzahl depressiver Symptome sowie den numerischen Fähigkeiten bessere Werte erlangt in Bezug auf die Gesundheitsveränderung als die gleichaltrigen Frauen (Leopold & Engelhardt 2011). Lediglich bei den Indikatoren Gedächtnis und Kurzzeitgedächtnis zeigten Männer schlechtere Gesundheitsentwicklungen im Vergleich von der ersten zur zweiten Erhebungswelle in der SHARE-Studie (Leopold & Engelhardt 2011).

87 Mit der Frage der Divergenz, Konvergenz oder Kontinuität40 von Bildungsunterschieden auf gesundheitliche Unterschiede im höheren Lebensalter haben sich u. a. auch Leopold und Engelhardt (2011) beschäftigt. Die Analyse der Längsschnittdaten aus der SHARE-Studie zeigen, dass es diversifizierende Bildungseffekte im höheren Lebensalter auf die körperliche, psychische und kognitive Gesundheit gibt (Leopold & Engelhardt 2011). Es konnten bspw. bei den Indikatoren Greifkraft, Einschränkungen bei Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) sowie den instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens (IADL), in der Mobilität und bei depressiven Symptomen bildungsbedingte Unterschiede festgestellt werden, die sich mit zunehmendem Alter noch vergrößerten (Leopold & Engelhardt 2011). Dies entspräche der theoretischen Logik der Divergenzthese (Leopold & Engelhardt 2011). Zudem wurden geschlechterbezogene Unterschiede festgestellt. Männer haben demnach im Vergleich zur ersten Erhebung bei den Indikatoren chronische Erkrankungen, Greifkraft, Anzahl depressiver Symptome sowie den numerischen Fähigkeiten bessere Werte erlangt in Bezug auf die Gesundheitsveränderung als die gleichaltrigen Frauen (Leopold & Engelhardt 2011). Lediglich bei den Indikatoren Gedächtnis und Kurzzeitgedächtnis zeigten Männer schlechtere Gesundheitsentwicklungen im Vergleich von der ersten zur zweiten Erhebungswelle in der SHARE-Studie (Leopold & Engelhardt 2011).