• Keine Ergebnisse gefunden

146

6 Entwicklung und Darstellung des empirischen Untersuchungsmodells

Auf Grundlage der vorher benannten potenziellen Anknüpfungspunkte des CAs und der vorhandenen Forschungslücken erfolgt im Folgenden die Entwicklung und Darstellung eines empirischen Untersuchungsmodells. Für das CA Konzept von Amartya Sen gibt es bisher noch keine Konzeptualisierung oder Operationalisierung mittels Primärdaten für ältere Menschen in Deutschland. Es wird daher ein exploratives Studiendesign gewählt, das neben einer hypothesengenerierenden und gegenstandserkundenden Phase, eine explanative und deskriptive Phase u. a. zur Hypothesenprüfung und Betrachtung der Verteilung einzelner Merkmale innerhalb der Stichprobe anschließt. Ziel dieser Arbeit ist es, wie bereits angeführt, ein CA-Konzept unter der Berücksichtigung unterschiedlicher wissenschaftlicher Bezugsdisziplinen zu entwickeln. Hierbei sollen die Erkenntnisse aus den Bereichen der gerontologischen Lebensqualitätsforschung und der Sozialepidemiologie einfließen. In den beiden Bezugsdisziplinen werden allerdings jeweils andere Prämissen verfolgt (wie in den Kapiteln 2 und 3 dargelegt ist). Die gerontologische Disziplin, die sich mit den Facetten des „gelingenden“ Alterns auseinandersetzt, nimmt eher eine ressourcenbasierte Perspektive ein, wobei der CA aber noch wenig Berücksichtigung in der Dimensionsidentifikation des

„gelingenden“ Alterns gefunden hat. In der Sozialepidemiologie findet stattdessen verstärkt eine defizitorientierte Betrachtung hinsichtlich der vorhandenen Krankheitsrisiken statt. Jedoch hat in diesem Bereich der Diskurs um die Bestimmung sozialer Ungleichheiten und der Angleichung von Gesundheitschancen eine lange Tradition. Ziel dieser Arbeit ist es, eine Operationalisierung von Umwandlungsfaktoren und Verwirklichungschancen vorzunehmen unter dem Aspekt der Erfassung von „gelingendem“ Altern, um somit eine ergänzende bzw. alternative Abbildung sozialer Ungleichheiten für den Einsatz im sozialepidemiologischen Kontext zu testen. Dies erfordert die interdisziplinäre Verknüpfung der lebensqualitätsorientierten Forschungsperspektiven aus dem gerontologischen und dem sozialepidemiologischen Bereich.

Das empirische Untersuchungsdesign ist damit als Vorstudienmodell konzipiert worden (siehe auch Mayring 2001), um das Konzept der Verwirklichungschancen zunächst einer induktiven Logik folgend

zu erfassen. Zur Untersuchung der Forschungsfragen wurde ein sequenzielles qualitatives-quantitatives Studiendesign entwickelt (siehe zur Darstellung der einzelnen Teilschritte

Abbildung 24).

6. Entwicklung und Darstellung des empirischen Untersuchungsmodells

148 gegenüber den Erfordernissen des Untersuchungsfeldes gesehen. Durch die Fallorientierung und das induktive Vorgehen sollen Deutungsmuster der Individuen in Bezug auf notwendige Handlungs-und Entscheidungsfreiheiten entdeckt werden. Bisher gibt es erst vage bzw. unspezifische Vorkenntnisse über die Merkmale derartiger positiver Freiheiten auf den gelingenden Alterungsprozess. Auf Grund des nicht vorhandenen Konsenses in Bezug auf Lebensqualitätskonstrukte wurde deshalb qualitativ mit einer induktiv-schließenden Vorgehensweise gearbeitet. Die Ergebnisse der qualitativen Studienphase werden allerdings anhand der vorhandenen literaturbasierten, theoretisch abgeleiteten Lebensqualitätsdimensionen (siehe Kapitel 2.3) überprüft bzw. gegenübergestellt.

Das aus dem Interviewmaterial entstehende Kategorien- und Indikatorensystem wird anschließend innerhalb einer standardisierten Expertenbefragung validiert. Aus dem konsentierten Indikatorenset wird im nächsten Schritt ein Fragebogen entwickelt, der in einem zweistufigen Pretest-Verfahren mittels kognitiver Interviews und Standardpretestverfahren auf die Anwendbarkeit im Feld getestet werden soll. Nach mehrmaliger Revision wird der Fragebogen schließlich innerhalb einer Einwohnermeldeamtsstichprobe der kreisfreien Stadt Osnabrück eingesetzt und entsprechende quantitative Daten erhoben. Einbezogen werden hierbei Personen aus der zweiten Lebenshälfte (ab dem 61. Lebensjahr) auf Grund der Nähe zum Rentenalter.

Dieses Stichprobenverfahren wurde gewählt, da somit für alle Personen der Grundgesamtheit eine grundsätzlich gleiche Auswahlwahrscheinlichkeit garantiert wird (siehe auch MiD 2008). Durch eine Stichprobe aus den Einwohnermelderegistern ist außerdem eine Qualitätskontrolle möglich, indem die Verteilung der Personenmerkmale (Alter, Geschlecht) aus der Stichprobe mit denen der Grundgesamtheit verglichen werden und somit Generalisierungstendenzen abgeschätzt werden können (siehe auch MiD 2008). Innerhalb des quantitativen Studienteils werden die identifizierten Umwandlungsfaktoren und Verwirklichungschancen aus dem qualitativen Studienteil standardisiert abgefragt. Der Bereich der Funktionen, aus der theoriearchitektonischen Konzeption des CAs, wird damit nicht mit erhoben. In dem quantitativen Studienteil dieser Arbeit liegt das Evaluationsinteresse auf den verfügbaren Fähigkeiten und Möglichkeiten, die ältere Menschen haben, so dass tatsächliche Aktivitäten und Zustände der Befragten nicht von gesondertem Interesse für die Gerechtigkeitsbewertung sind.68 Die Zielgrößen der quantitativen Erhebung beziehen sich auf diverse Gesundheitsvariablen.

Für den qualitativen und quantitativen Studienteil gibt es damit unterschiedliche Zielsetzungen und entsprechend auch unterschiedliche forschungsleitende Fragestellungen. Dieses für sequenzielle

68 Nicht nur der CA „erlaubt“ diesen bewussten Ausschluss von Informationen für Gerechtigkeitsurteile, sondern nach Sen (2007, S. 73) wird jede wertende Theorie erst durch ihre Informationsbasis charakterisiert.

Der Ausschluss von Informationen sei deshalb ein wesentlicher Bestandteil jeder normativen Theorie (Sen 2007).

6. Entwicklung und Darstellung des empirischen Untersuchungsmodells

150 korrespondierende Methodenwahl, also etwas sehr Konkretes und Projektbezogenes, während Triangulation eine sehr allgemeine Konzeption von Validierung oder moderner gesprochen: der Bereicherung von Perspektiven ist, relativ weit ab von konkreten Umsetzungs- und Designformen“

(vgl. auch zur vertiefenden Diskussion des Verhältnisses zwischen Mixed-Methods-Ansätzen und Triangulation: Kuckartz 2014). In der Literatur werden sequenzielle Studiendesigns als ungeeignet für Triangulationen angesehen auf Grund dessen, dass die Ergebnisse der ersten Studienphase die Ergebnisse der zweiten Studienphase beeinflussen können (Kuckartz 2014). Auch Flick (2011) argumentiert ähnlich und sieht Vorstudienmodelle als ungeeignet für Triangulationsmodelle, wenn die Vorstudie kein eigenständiger Teil der Studie ist, sondern der Instrumentenentwicklung dient.

Der enge Definition von Triangulation als „Einnahme unterschiedlicher Perspektiven auf einen untersuchten Gegenstand oder allgemeiner: bei der Beantwortung von Forschungsfragen“

(Flick 2011, S. 12) kann somit, mit dem gewählten Untersuchungsdesgin für diese Studie, nicht entsprochen werden. In der vierten Studienphase wird dennoch, trotz des Wissens der Unzulänglichkeit und Grenzen auf Grund des Vorstudienmodells, eine Datentriangulation der Ergebnisse vorgenommen und ein theoretisch-konzeptionelles Rahmenmodell entwickelt.

Das konzipierte Untersuchungsdesign entspricht auch der Mixed-Methods Definition: „Unter Mixed-Methods wird die Kombination und Integration von qualitativen und quantitativen Methoden

im Rahmen des gleichen Forschungsprojekts verstanden. Es handelt sich also um eine Forschung, in der die Forschenden im Rahmen von ein- oder mehrphasig angelegten Designs sowohl qualitative als auch quantitative Daten sammeln. Die Integration beider Methodenstränge, d. h. von Daten, Ergebnissen und Schlussfolgerungen, erfolgt je nach Design in der Schlussphase des Forschungsprojektes oder bereits in früheren Projektphasen“ (Kuckartz 2014, S. 33). In dieser Studie liegt damit ein „Multimethod-Design“ vor, welches eine Form des Mixed-Methods-Designs darstellt, in der nacheinanderfolgend Kombinationen qualitativer und quantitativer Methoden eingesetzt werden.