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Subjektive und objektive Determinanten von „gelingendem“ Altern und Lebensqualität im Alter

2 Lebensqualität und „ gelingendes “ Altern

2.3 Subjektive und objektive Determinanten von „gelingendem“ Altern und Lebensqualität im Alter

Die Bestimmung und Diskussion, ob im höheren Lebensalter andere Dimensionen und Aspekte zur Lebensqualität beitragend sind, ist noch relativ jung in den Gesundheits- und Sozialwissenschaften (vgl. z. B. Rojo-Perez, Fernandez-Mayoralas & Rodriguez-Rodriguez 2015; Halvorsrud & Kalfoss 2007).

Es wurde allerdings bereits erkannt, dass Umstände der Gebrechlichkeit („frailty“) zu anderen

Bedürfnissen führen können, wie z. B. bestimmte Gesundheits- und Sozialdienstleistungen (Rojo-Perez, Fernandez-Mayoralas & Rodriguez-Rodriguez 2015). Hierbei Kriterien zu verwenden,

welche die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen inklusive der Ermöglichung und Hindernisse von zu erreichender individueller Lebensqualität beurteilen, erscheint insbesondere für das höhere Lebensalter sinnvoll (BMFSFJ 2002). Im höheren Lebensalter treten psychische, physiologische sowie auch charakteristische Veränderungen der Lebensumstände, wie z. B. der Verlust von Angehörigen und Freunden, Umzug in ein Altenheim sowie auch eine steigende Morbidität, ein (BMFSFJ 2002).

Hinzu kommen Veränderungen der persönlichen Wertvorstellungen und Prioritäten im Lebenszyklus, die im höheren Lebensalter zum Tragen kommen (BMFSFJ 2002). Diese altersspezifischen Veränderungen werden in den bisherigen Wohlfahrtssurveys, die sich v. a. auf die vertikalen Ungleichheitsdimensionen sowie der Durchführung bestimmter Aktivitäten im Freizeit- oder auch sozialen Bereich beziehen, allerdings erst wenig betrachtet. Dimensionen wie Schutz der Umwelt, Glaube oder Gesundheit können im höheren Lebensalter anderen Wertvorstellungen unterliegen. Im vierten Altenbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wurde die unterschiedliche Wichtigkeit von bestimmten Lebensbereichen im Alter wie folgt dargestellt: „Zu den Bereichen, die von älteren Befragten als weniger wichtig angesehen werden, gehören insbesondere

‚Arbeit‘ und ‚beruflicher Erfolg‘, aber auch ‚politischer Einfluss‘ und ‚Liebe‘ sowie darüber hinaus

‚Umweltschutz‘, ‚Freizeit‘, ‚Einkommen' und ‚Familie‘. Diejenigen Bereiche, die für ältere Menschen einen höheren Stellenwert einnehmen als für jüngere, sind ‚Gesundheit‘, ‚Glaube‘ und ‚Schutz vor Kriminalität‘ “ (BMFSFJ 2002, S. 75).

Grundsätzlich richtet sich, wie bereits beschrieben, der Fokus der Lebensqualitätsforschung nach dem Interessenshintergrund der Bezugsdisziplin. Die ausreichende Ausstattung mit materiellen und sozialen Ressourcen, also die objektiven Lebensbedingungen, galten in der sozioökonomischen

Forschung lange Zeit als ausschlaggebend für das individuelle Wohlergehen (Motel-Klingebiel et al. 2010).

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44 Die Ziele von Public Health23 sind durch die interdisziplinäre Perspektive mit einem umfassenden und ganzheitlichen Verständnis von Gesundheit und Wohlergehen24 sehr breit angelegt. Public Health zielt damit auf vielfältige Lebensqualitätsaspekte ab, was u. a. in der Zielformulierung „Health in all Policies“ ersichtlich ist. Die Public Health Untersuchungsausrichtung von Lebensqualität im Alter setzt sich damit aus unterschiedlichen Aspekten zusammen, wovon gesundheitsbezogene Facetten sicherlich einen Schwerpunkt ausmachen, jedoch wird diese ergänzt um weitere disziplinäre Ansätze.

Die vorhandenen gerontologischen Vorarbeiten zum Forschungsfeld der Lebensqualität im Alter können als Grundlagen dieser Arbeit betrachtet werden, die für weitere disziplinäre Auseinandersetzungen mit der Thematik genutzt wurden.

Im Folgenden werden überblicksartig die bekannten, einzelnen Merkmale und Dimensionen der psychosozialen Modelle der Lebensqualität bzw. des „gelingenden“ Alterns dargestellt, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu haben auf Grund der Diversität der wissenschaftlichen Ansätze, die bereits in diesem Feld existieren. Bis heute ist die Kriterienfrage nicht eindeutig konsentiert worden (vgl. z. B. Jopp et al. 2015; Jeste, Depp & Vahia 2010; Makai et al. 2014). Dennoch lassen sich aus den theoretischen Ansätzen sowie auch aus vorangegangenen empirischen Arbeiten einige übergreifende Kriterien für das „gelingende“ Altern identifizieren.

Eines der beschriebenen Merkmale ist die Erhaltung der Aktivität bzw. die Kontinuität eines aktiven Lebensstils (vgl. z. B., Rowe & Kahn 1997; Havighurst, Neugarten & Tobin 1963; Havighurst 1961;

Lemon, Bengston & Peterson 1972)25. Dabei sollen durch diese Aktivitäten unterstützende, soziale Beziehungen entstehen, die ein positives Selbstkonzept befördern und sich somit auch positiv auf die Lebenszufriedenheit auswirken.

Demgegenüber steht die Rückzugsmöglichkeit aus dem gesellschaftlichen Leben und von sozialen Rollen (vgl. Cumming & Henry 1961)26. Die Bewältigung von Diskontinuitäten ist ein weiteres Merkmal, das von der Kontinuitätstheorie von Atchley (1989) entstammt. Diese Diskontinuitäten im Alter können sich z. B. durch Aufgabe der Berufsrolle, Verlust der Elternrolle, Abbau körperlicher Leistungsfähigkeit, Verlust von Sozialkontakten oder Tod des Partners/der Partnerin oder den Umzug in ein Alters- bzw. Pflegeheim ergeben (Schelling 2003). Die Bewältigung dieser Diskontinuitäten

23 Die Ziele von Public Health lassen sich z. B aus der Definition der DGPH ableiten, in der es heißt: „Public Health ist – in Anlehnung an international verbreitete Definitionen (Winslow, Acheson, WHO) – die Wissenschaft und Praxis zur Vermeidung von Krankheiten, zur Verlängerung des Lebens und zur Förderung von physischer und psychischer Gesundheit unter Berücksichtigung einer gerechten Verteilung und einer effizienten Nutzung der vorhandenen Ressourcen“ (DGPH 2012, S. 1).

24 Siehe z. B. die Definition der Verfassung der WHO: „Die Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen“

(WHO 2014). Hurrelmann hat diese Definition der WHO noch erweitert und beschreibt Gesundheit als „Zustand des objektiven und subjektiven Befindens einer Person, der gegeben ist, wenn diese Person sich in den physischen, psychischen und sozialen Bereichen ihrer Entwicklung im Einklang mit den eigenen Möglichkeiten und Zielvorstellungen und den jeweils gegebenen äußeren Zielvorstellungen befindet“ (Hurrelmann 1990, S. 62).

25 Vgl. auch Aktivitätstheorie.

26 Vgl. auch Disengagementtheorie.

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45 hängt von verschiedenen Faktoren ab. Hierzu gehören bspw. die Geschwindigkeit der Veränderung, die Vorhersehbarkeit, die eigenen Rollenerwartungen oder die gesellschaftlichen Rollenerwartungen und Altersbilder (Schelling 2003). Zusätzlich spielen bei der Bewältigung dieser Diskontinuitäten auch die vorhandenen gesundheitlichen Fähigkeiten und vorhandenen Alltagskompetenzen eine entscheidende Rolle (Schelling 2003). In anderen Veröffentlichungen wird diese Bewältigungsfähigkeit auch mit einer positiven Adaptionsfähigkeit beschrieben, die sich in Bezug auf die Anpassungsfähigkeit an eintretende (altersbedingte) Lebensveränderungen ergibt und damit als Fähigkeit und Strategie angesehen wird, um Herausforderungen und Einschränkungen zu begegnen und diese zu bewältigen (vgl. z. B. Jeste, Depp & Vahia 2010; Featherman 1989). Featherman, Smith und Peterson (1988, S. 5) sehen die kognitive Anpassungsfähigkeit als eine der entscheidenden Komponenten für das „gute” Altern und definieren dies wie folgt: „Successful aging is but one expression of a generic transactional process, namely adaptive competence. In turn, and now just in terms of the person, adaptive competence is a generalized capacity to respond with resilience to challenges arising from body, mind, self and environment." Durch diese adaptive Kompetenz gelingt es dem Individuum sich an umweltbezogene Herausforderungen und einschränkende Bedingungen

anzupassen (Featherman 1989). Eine Vielzahl der psychosozialen Entwicklungsprozesse und -merkmale wurde bereits empirisch überprüft und zeigte, dass es älteren Menschen

grundsätzlich gut gelingt, altersbedingte Einschränkungen und Krisen zu kompensieren. Dies äußert sich bspw. in einer relativ stabilen Lebenszufriedenheit im Alter, die sich erst bei einer zunehmend negativen Bilanzierung der Lebensentwicklung, i. S. v. mehr (Entwicklungs-) Verlusten als (Entwicklungs-) Gewinnen, auch im schlechteren subjektiven Wohlbefinden niederschlägt (vgl. Baltes & Baltes 1989a). Die selbstbewertete Lebenszufriedenheit ist ein weiteres Kriterium, das zur Bewertung von „gelingendem“ Altern häufig verwendet wird und auch mit dem subjektiven Wohlbefinden gleichgesetzt wird (Wolff & Tesch-Römer 2017; Staudinger, Fleeson & Baltes 1999).

Eine geringe Wahrscheinlichkeit sowie Vorhandensein von Krankheiten und damit zusammenhängenden Behinderungen ist z. B. nach Rowe und Kahn (1997) eine der drei Hauptkomponenten für „erfolgreiches“ Altern, wie sie es benennen. Weitere Konstrukte relativieren dies auf möglichst wenige chronische Erkrankungen im höheren Lebensalter (vgl. z. B. Fuchs et al. 2013) als objektive Bewertungsvariante oder auch gesundheitliches Wohlbefinden (vgl. z. B. Kruse 1999) als Form der subjektiven individuellen Bewertung. Hierbei wurde als Indikator vielmals die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit bzw. ein hohes kognitives und physisches Funktionsniveau (Rowe & Kahn 1997) verwendet, was sich aber z. B. im Zusammenhang mit der Lebenszufriedenheit und dem subjektiven Wohlbefinden als nicht ausschlaggebend herausstellte (Jopp et al. 2015). Hierbei wird, in ähnlicher Konsequenz wie beim bereits benannten „Zufriedenheitsparadox“ von Zapf (1984), von einem „Paradox des subjektiven

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46 Wohlbefindens“ gesprochen. Es zeigte sich, dass sich Menschen unter widrigen Umständen bzw. trotz (tiefgreifender) Verlusterfahrungen wohlfühlen und zufrieden sein können und die subjektive Lebenszufriedenheit im Alter recht stabil ist (Wolff & Tesch-Römer 2017; Romo et al. 2012;

Staudinger 2000). Zahlreiche Studien (u. a. zur Resilienzforschung) haben bereits das „Paradox des subjektiven Wohlbefindens“ im höheren Lebensalter belegen können (vgl. u. a. Staudinger 2000;

Smith et al. 1996). Begründet wird dies durch innerpsychische Mechanismen und Regulationsprozesse, welche als Schutz für die Integrität des subjektiven Wohlbefindens im Rahmen von Anpassungen dienen.

Erikson (1973) hat verschiedene Entwicklungsstadien und -aufgaben für den Lebensverlauf beschrieben und damit zwar nicht direkt Kriterien für das „gelingende“ Altern bestimmt, sondern diese Stadien als psychosoziale Anforderungen aufgezählt, die im Lebensverlauf durchlaufen werden.

Eine der Entwicklungsstufen für das höhere Lebensalter ist die Generativität (vs. Stagnation). Diese bezieht sich auf das Interesse an der Erziehung und Erzeugung nachfolgender Generationen (Erikson 1973). Auch Kruse und Schmitt (2016) beschreiben die Generativität als Potenzial des Alters, indem der Mensch sich in die Fortsetzung der Generationenfolge gestellt sieht und in dieser auch Verantwortung übernimmt. Letztlich führt nach Erikson die letzte Entwicklungsstufe des Lebensverlaufs zu einer Ich-Integrität, die sich z. B. in der Annahme des eigenen Lebenszyklus zeigt und damit der Akzeptierung seiner Selbst und des Lebens (Erikson 1973). Zugleich wird als ein psychisches Potenzial des Alterns die Introversion gedeutet, was sich im Sinne des vertiefenden Auseinandersetzens des Menschen mit sich selbst offenbart (Kruse & Schmitt 2016).

Diese Fähigkeit wird im höheren Lebensalter auf Grund von Verlust- und Lebenserfahrungen bedeutsam, wenn das eigene Leben inklusive der positiven und negativen Aspekte allumfassend in sich stimmig akzeptiert und zufrieden betrachtet wird im Sinne einer Ich-Integrität, die auch Entsagung und Weisheit inkludiert (Kruse & Schmitt 2010). Kruse (2005, S. 275 ff.) hat als weitere Kategorien und Merkmale die „bewusst angenommene Abhängigkeit“ und „Mitverantwortung“ beschrieben, die eine hohe Relevanz für das persönlich zufriedenstellende (gute) Leben im Alter haben. Eine bewusst angenommene Abhängigkeit zeigt sich in der Fähigkeit, Einschränkungen und Verluste jeglicher Art anzunehmen und die Angewiesenheit auf Unterstützung als Ergebnis der persönlichen Vulnerabilität (vgl. auch „conditio humana“) anzuerkennen, wobei ein individuell angepasstes und gestaltbares Unterstützungssystem dazu beiträgt, Einschränkungen zu kompensieren (Fuchs, Kruse & Schwarzkopf 2012). Die genannten Merkmale wie Mitverantwortung und Generativität zeigen sich in Lebenssituationen, in denen es notwendig wird sich in andere Menschen hineinversetzen zu können und sich für andere Menschen einzusetzen, wobei v. a. die gesellschaftliche Perspektive angesprochen und fokussiert wird (Fuchs, Kruse & Schwarzkopf 2012;

Kruse & Schmitt 2010). Diese Fähigkeiten verdeutlichen, dass sich „gelingendes“ Altern auch auf

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47 soziale Kontexte bezieht, das heißt nicht ohne einen Bezug auf andere Menschen, wie Angehörige der eigenen sowie jüngeren Generationen, zu verwirklichen ist (Kruse & Schmitt 2010). Dabei ist die Anhängigkeit von anderen Menschen nicht im instrumentellen Sinne, sondern im existentiellen Sinne zu verstehen. Der Mensch als soziales und politisches Wesen benötigt bei der Verwirklichung von Potenzialen den Zugang zum öffentlichen Raum (Kruse & Schmitt 2010).

Etliche psychosoziale Modelle greifen den Bereich des Sozialen u. a. in Form von sozialer Unterstützung, sozialer Beziehungen, sozialen Aktivitäten, sozialem Engagement und Partizipation etc. auf (vgl. z. B. Fuchs et al. 2013; Schulz & Heckhausen 1996; Rowe & Kahn 1987).

Bowling et al. (2003) stellten in einer Studie aus Großbritannien fest, dass von den Befragten älteren Personen die sozialen Beziehungen sowie die Gesundheit als wichtigste beitragende Aspekte für die Lebensqualität im Alter benannt worden waren. Weitere benannte Dimensionen waren die häusliche Situation und nachbarschaftliche Umgebung sowie die finanzielle Situierung, das psychologische Wohlergehen sowie Unabhängigkeit (Bowling et al. 2003). Auch freiwilliges und ehrenamtliches Engagement wird als beitragend für ein „gelingendes“ Altern betrachtet, da es eine sozialintegrative Wirkung hat und ältere Personen ihre Erfahrungen und Wissen weitergeben können (Wetzel & Simonson 2017). Kruse und Schmitt (2016) sehen auch Offenheit für die Empfänglichkeit neuer Eindrücke, Erlebnisse und Erkenntnisse als weitere geistige Qualität des Alters, die sich im Hinblick auf sich selbst, aber auch auf die umgebende Umwelt zeigt. Voraussetzungen für die Möglichkeit sozialer Aktivitäten sind entsprechend Eigenschaften wie die körperliche und geistige Funktionsfähigkeit, wobei wiederum soziale Aktivitäten förderlich für die Wahrnehmung der Generativität und des Lebenssinns sein können. Dies verdeutlicht die vielfältigen Interdependenzen, die zwischen den Kriterien auftreten können. Zum Teil wird deshalb eine gewisse individuelle Autonomie als notwendige Bedingung für „gelingendes“ Altern betrachtet. Die Bedeutung der Unabhängigkeit sowie Autonomie wird in zahlreichen Modellen und Theorien thematisiert. Hierbei wird grundsätzlich zwischen selbstständigkeitsorientierten und selbstbestimmten Möglichkeiten und Fähigkeiten unterschieden. Zum Teil wird dies auch mit der Kontrollfähigkeit bzw. -wahrnehmung über das eigene Leben gleichgesetzt (vgl. z. B. Jeste, Depp & Vahia 2010). Die WHO (2002) grenzt Unabhängigkeit im Gegensatz zu Autonomie definitorisch dadurch ab, dass Unabhängigkeit die Durch- und Ausführung der (lebens-)notwendigen Funktionen beinhaltet, während Autonomie sich auf die Fähigkeit bezieht, notwendige persönliche Entscheidungen treffen, kontrollieren und mit ihnen umgehen zu können. Diese Abgrenzung bezieht sich demnach auf die Unterscheidung, dass Selbstständigkeit oder in diesem Sinne auch Unabhängigkeit die Fähigkeit beinhalte, Dinge selbst durch- oder ausführen zu können (Kammerer et al. 2012). Die Fähigkeit der Selbstständigkeit sowie auch der Selbstverantwortung, welche die individuelle Fähigkeit einschließt, nach einer den Vorstellungen des guten Lebens entsprechenden Art und Weise leben zu können und die damit

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48 verbundene selbstreflektierte Auseinandersetzung mit Anforderungen und Möglichkeiten der individuellen Lebenssituation, gehören zu den „aktiveren“ Gestaltungsmöglichkeiten des Alterns (Fuchs, Kruse & Schwarzkopf 2012; Kruse & Schmitt 2010). Selbstständigkeit sowie Selbstverantwortung deuten als Kriterien auf die Möglichkeit hin, verfügbare Ressourcen zur Verwirklichung persönlicher Bedürfnisse in der eigenen Lebensgestaltung einsetzen zu können (Kruse & Schmitt 2010), wohingegen für die Wahrnehmung von Selbstbestimmung die Voraussetzung ist, dass subjektiv geschätzte Wahlmöglichkeiten zur Verfügung stehen und das Individuum davon ausgehen kann, dass die getroffenen Entscheidungen gewisse Erfolgswahrscheinlichkeiten haben und auch umgesetzt werden (Kammerer et al. 2012). Das psychologische Wohlbefinden wird demnach im Zusammenhang gesehen, wie kompetent sich das Individuum fühlt, die Möglichkeit zu haben, erfolgreich in einem wertgeschätzten Bereich zu sein (Ryan & Deci 2000). Selbstbestimmung sowie auch die Berücksichtigung bzw. Realisierung von Wünschen und Bedürfnissen werden als entscheidende Faktoren für eine lebensqualitätsförderliche Lebensführung im Alter gesehen (BZgA 2013). Selbstständigkeit hingegen, z. B. messbar anhand eines hohen Scores im Index der „Acitivities of Daily Living“(ADLs), wird als eine Bedingung, jedoch nicht als Ziel gesehen, da erst Selbstbestimmung zu hoher subjektiver Lebensqualität führe (Kolland & Rosenmayer 2007). Ähnliches gilt für die physische Gesundheit, die in diesem Zusammenhang nicht als Ziel an sich, sondern als ein Mittel erachtet wird, um Ziele und Zustände zu erreichen (Kolland & Rosenmayer 2007). Je stärker demnach die Fremdbestimmung wahrgenommen wird, desto stärker wird auch die gesundheitliche Beeinträchtigung empfunden, so dass Selbststeuerung eine Fähigkeit ist, die für die Lebenszufriedenheit eine maßgebliche Größe darstellt (Kolland & Rosenmayer 2007), wobei derartigen subjektiven Kriterien das Problem von möglichen adaptiven Verzerrungen angeheftet ist und somit interindividuelle Vergleiche erschwert werden.

Zugleich kommen neben der unterschiedlichen Wahrnehmung auch externe, nicht direkt erfassbare Eigenschaften hinzu, wie z. B. der kulturelle und gesellschaftliche Einfluss auf die Bewertung von Lebensumständen (vgl. auch Schulz & Heckhausen 1996).

Zu den weiteren Determinanten gehören die persönliche Entwicklung (engl.: growth), Lebenssinn bzw. selbstbewertete Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens, mentale Balance, Selbstakzeptanz, Bewältigung des Alltags, Spiritualität, Sicherheit (finanziell und umweltbezogen), Copingstrategien, hohe Selbstwirksamkeitserwartungen, (Allgemein-)Bildung, Resilienz, Erreichung von (selbstformulierten, persönlichen) Zielen oder auch die Lebensdauer (vgl. Jopp et al. 2015;

Makai et al. 2014; Fuchs et al. 2013; Wiles et al. 2012; Jeste, Depp & Vahia 2010; Wozniak 2010;

Halvorsrud & Kalfoss 2007; Staudinger & Dörner 2007; Depp & Jeste 2006; Bowling et al. 2003;

Phelan & Larson 2002; Rowe & Kahn 1997; Schulz & Heckhausen 1996; Diener & Fujita 1995;

Ryff 1995, 1989a, 1989b; Ryff & Keyes 1995; Baltes & Baltes 1990).

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49 Ein systematischer Review zu beitragenden Lebensqualitätsaspekten im Alter von Brown, Bowling und Flynn (2004, S. 78 ff.) ergänzte noch familiäre Beziehungen, Religion und Spiritualität, Mobilität, (soziale) Freizeitaktivitäten, Gesundheit Dritter sowie die Lebensqualität in Institutionen.

Ein grundsätzliches Problem bei der Identifikation von Determinanten stellen, neben den unterschiedlichen Bedeutungs- und Aggregationsebenen, die verschiedenen Zieldimensionen dar auf welche die Determinanten abzielen. Dies können neben den bedingenden und prozessbezogenen Faktoren für „gelingendes“ Altern, wie z. B. finanzielle oder umweltbezogene Aspekte, Selbstwirksamkeitserwartungen oder die benannte persönliche Entwicklung, auch Zielgrößen wie (Lebens-)Zufriedenheit oder Selbstbestimmung sein. Die Differenzierung der Determinanten in eben diese umschriebenen Prozess- und Ergebnisgrößen ist in der Literatur nur selten trennscharf voneinander getrennt worden. Die Determinanten werden hingegen auch in wechselseitiger Kombination beschrieben. Ein exemplarisches Beispiel hierfür ist die vorgenommene Systematisierung von Brandtstädter, Meiniger und Gräser (2003), die eine positive Selbst- und Lebensperspektive im höheren Alter in vier Bereiche einteilen. Dies sind personale Handlungsressourcen (z. B. Selbstständigkeit, Gelassenheit, Gesundheit), soziale und materielle Handlungsressourcen (z. B. gute soziale Beziehungen, Konzepte positiver Entwicklung, Einfluss und Ansehen, finanzielle Situation), lebensgeschichtliche Sinnressourcen (Lebensbilanzierung, Erinnerung an frühere Zeiten) sowie Wert- und glaubensbezogene Sinnressourcen (z. B. die Betonung von Werten und Idealen, Glaube und Religion). Diese Kategorisierung verdeutlicht, dass eine allgemeingültige, distinkte Bestimmung und Benennung von generalisierbaren Kriterien des

„gelingenden“ Alterns kaum möglich ist. Die genannten Kriterien sind jedoch jeweils mehr oder weniger durch das Zusammenspiel verschiedener Determinanten bedingt. Hierzu gehören neben kultur- oder genderbedingten Faktoren bspw. die physikalische oder soziale Umwelt, das Verhalten, individuelle Persönlichkeitseigenschaften, biologische und genetische Aspekte, ökonomische und soziale bzw. gesellschaftliche Umstände (vgl. auch Fuchs et al. 2013; Kahana et al. 2003;

Lawton 1983b). Diese gesamten Kriterien sind bis heute nicht in einer übergreifend anerkannten Definition des „gelingenden“ Alterns zusammengefasst worden und werden entsprechend immer wieder modifiziert bzw. erweitert. Die folgende Tabelle stellt die identifizierten Dimensionen und Merkmale nochmals zusammengefasst dar (siehe Tabelle 4).

2.3 Subjektive und objektive Determinanten von „gelingendem“ Altern und Lebensqualität im Alter

50 Tabelle 4: Identifizierte Dimensionen und Merkmale des gelingenden Alterns

Dimension/Merkmal Finanzielle Situierung

Ausreichende Ausstattung mit materiellen und sozialen Ressourcen Erhaltung der Aktivität bzw. die Kontinuität eines aktiven Lebensstils

Rückzugsmöglichkeit aus dem gesellschaftlichen Leben und von sozialen Rollen Bewältigung von Diskontinuitäten

Positive Adaptionsfähigkeit/adaptive Kompetenz Lebenszufriedenheit

Subjektives Wohlbefinden/Psychologisches Wohlergehen

Geringe Wahrscheinlichkeit sowie Vorhandensein von Krankheiten und damit zusammenhängende Behinderungen

Wenige/keine chronischen Erkrankungen Gesundheitliches Wohlbefinden

Körperliche und geistige Leistungsfähigkeit bzw. ein hohes kognitives und physisches Funktionsniveau/objektive Gesundheit

Soziales (z. B. soziale Unterstützung, soziale Beziehungen, soziale Aktivitäten, soziales Engagement und Partizipation)

Offenheit für die Empfänglichkeit neuer Eindrücke, Erlebnisse und Erkenntnisse Freiwilliges und ehrenamtliches Engagement

2.4 Theoretisch-konzeptionelle Ansätze zum „gelingenden“ Altern und Lebensqualität im Alter

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2.4 Theoretisch-konzeptionelle Ansätze zum „gelingenden“ Altern und