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Varianten der formativen Leistungseinschätzung des Sprechens Sprechens

8. Grundlagen des ABT-Konzeptes zur Leistungseinschätzung des Sprechens Sprechens

8.3 Varianten der formativen Leistungseinschätzung des Sprechens Sprechens

Praktikabilität

Das dritte Gütekriterium ist die Praktikabilität. Dazu gehört die Frage, wie viele Kinder auf einmal erfasst werden können. Während z.B. bei schriftlichen Tests die ganze Klasse beteiligt sein kann, sind es bei der mündlichen Leistungseinschätzung immer nur einige Schüler. Dies wiederum hat Konsequenzen für die zeitliche Planung: Wie viel Zeit benötigt die Lehrkraft, um die Sprechleistung aller Schüler einer Klasse einzuschätzen? Wie viel Zeit muss für eine Aufgabe eingeplant werden, ohne dass die Schüler unter Zeitdruck geraten? Wie viel Zeit steht der Lehrkraft zur Verfügung? (vgl. Genesee & Upshur 1996: 57) Fachlehrer haben oft nur einzelne Stunden, während Klassenlehrer in der Regel zeitlich flexibel sind und auch eine Doppelstunde nutzen können. Zusätzlich zu der Zeit für die Durchführung, muss auch die Zeit eingeplant werden, die die Lehrkraft für die Vor- und Nachbereitung benötigt. So wird z.B. bei der Leistungseinschätzung für die Kompetenz Sprechen oft betont, dass es sinnvoll ist, wenn sich die Lehrkräfte die Äußerungen mehrmals anhören können und dass sie deswegen auf Audio- oder Videobänder aufgezeichnet werden sollten. Abgesehen von der Frage, ob die Klasse entsprechend ausgestattet ist und wie viel die Aufnahmen kosten, ist der Zeitaufwand, mit der die Lehrkraft die Aufnahmen auswertet, erheblich. Hinzu kommt, dass es aufgrund des Lärmpegels in der Klasse schwierig ist, die Kinderäußerungen in guter Qualität auf Band aufzunehmen. Grundsätzlich könnten Kinder natürlich auf andere Räume ausweichen. Doch in vielen Schulen stehen diese nicht zur Verfügung bzw. die Lehrkraft kann ihrer Aufsichtspflicht nicht in beiden Räumen nachkommen.

Auch bei der Dokumentation der Schülerleistung ist es wichtig zu sehen, was praktikabel ist: Wann können die Lehrkräfte die Aufzeichnungen machen? Wenn sie unterrichten ist während der Stunde oft kaum Zeit und auch nach dem Unterricht können sie nur selten in Ruhe Notizen machen, weil Kinder, Kollegen oder Eltern zu ihnen kommen oder sie den Raum wechseln müssen.

Die Praktikabilität ist das Gütekriterium, das insbesondere bei der Leistungseinschätzung des Sprechens eine entscheidende Rolle für die Lehrkräfte spielt. Viele sehen die Notwendigkeit, auch mündliche Leistung einzuschätzen, doch wissen nicht, wie sie das konkret umsetzen sollen. So stellt z.B. Diehr fest:

„Gleichzeitig sind praktikable Formen der mündlichen Leistungseinschätzung zu entwicklen. (…) Da noch keine grundschulespezifische Testtypologie für Englisch vorliegt, besteht eine vordringliche Entwicklungsaufgabe darin, (…) Verfahren und Materialien zur Leistungsfeststellung weiterzuentwickeln und zu erproben.“ (Diehr 2005b: 32). Welche Varianten der formativen Leistungseinschätzung des Sprechens gibt es also?

8.3 Varianten der formativen Leistungseinschätzung des

einigen Jahren auch speziell in den Aufsätzen zur Leistungbeurteilung des Sprechens im frühen Fremdsprachenunterricht (vgl. Behr & Kierepka 2002, Hoffmann 2004, Gerngross 2005, Genesee & Upshur 1996, Harris & McCann 1994, Pattison 1996, Diehr 2005a, 2005b und 2006). Auch in den zusätzlichen Handreichungen der Lehrwerke werden hierzu Vorschläge gemacht (u.a. Bausteine Magic 2004, Ginger 1 (2004), Ginger 2 (2005), Playway 3 Rainbow Edition 2004a, Playway 4 Rainbow Edition 2004b). Vielmals wird dabei jedoch nicht differenziert dargestellt, wie sich die Leistungseinschätzung, die Beobachtung und auch die Dokumentation der Ergebnisse praktisch vollziehen. Welche Varianten gibt es hierbei und welche Möglichkeiten und Grenzen haben diese?

Eine Variante ist, dass Lehrkräfte ihre Schüler wie in jedem anderen Fach während des Unterrichts beobachten und sich so ein globales Bild von der Mitarbeit und dem Leistungsstand und -fortschritt ihrer Schüler in der Kompetenz Sprechen machen.

Diese intuitive Leistungsbeurteilung, die nur impliziter Natur ist, wird ohne Vorbereitung und Aufwand durchgeführt und ist für konkrete Entscheidungen im Unterricht unabdinglich: Welche Fragen stelle ich als nächstes? Welchen Schüler rufe ich auf? Kann ich das Thema abschließen? Kann ich eine neue Aufgabe stellen?

(vgl. Schrader & Helmke 2002: 45f, Genesee & Upshur 1996: 79). Oft geben die Lehrkräfte nach ihrer impliziten Beurteilung auch unmittelbar eine Rückmeldung an die Schüler. Hierbei handelt es sich um explizites Urteil (Yes, that`s right. Okay.

You`ve done a good job. Try again, please. That`s not correct.). Allerdings gibt es bei dieser Form der Leistungseinschätzung zwei erhebliche Schwachpunkte. Zum einen ist sie nicht systematisch und zielorientiert und zum anderen wird sie nicht dokumentiert. Das hat u.a. zur Folge, dass nicht unbedingt alle Schüler erfasst werden und dass später nicht mehr nachvollzogen werden kann, wie ein Schüler vor einiger Zeit eingeschätzt wurde. Außerdem erfolgt die Einschätzung nicht nach zuvor festgelegten Überlegungen bzgl. der Kompetenzen und Kriterien, was die Vergleichbarkeit und Zuverlässigkeit der Beurteilung erheblich einschränkt.

Insgesamt besteht bei dieser Variante der Leistungseinschätzung die Gefahr, dass sie nicht nachhaltig ist: „Without a coherent strategy, teachers` observations and the inferences that they derive from them run the risk of being fragmented and disorganized and, consequently, ineffective.“ (Genesee & Upshur 1996: 81).

Deswegen müssen andere Formen der Leistungsbeurteilung gefunden werden:

(…) the challenges facing classroom teachers as observers are how to organize observations in a systematic and manageable way, how to record the resulting information and inferences, and how to make use of this information in planning effective instruction.

(Genesee & Upshur 1996: 81)

In der Literatur wird als Antwort auf diese Herausforderung eine Variante der Leistungsbeurteilung vorgeschlagen, die ein explizites und zugleich dokumentiertes Urteil als Ziel hat und systematisch ist: Die Lehrkraft plant, in einer Stunde eine geringe Anzahl an Schülern (drei bis fünf) bei verschiedenen Aufgaben im Unterricht gezielt zu beobachten und dabei die Sprechkompetenz der Lerner einzuschätzen (vgl.

Cameron 2001: 232f, Harris & McCann 1994: 11). Während oder nach der Stunde macht sie sich Notizen, entweder in einem Beobachtungsbogen mit vorgegebenen Kriterien oder als freie Stichpunkte. Diehr, die diese Variante der Leistungseinschätzung im Rahmen ihres TAPS-Konzeptes vorschlägt, spricht sich zudem dafür aus, dass die Schüler eine Audioaufnahme im Unterricht machen, die

die Lehrkraft zu Hause beurteilen kann (vgl. Diehr 2005a: 11 und 2005b: 27f).42 In der nächsten Stunde konzentriert sich die Lehrkraft auf andere Schüler, so dass sie am Ende des Schuljahres ein genaues Bild über den Leistungsstand und -fortschritt jedes einzelnen Schülers hat (vgl. Ioannou-Georgiou & Pavlou 2003: 43).

Dieses systematische und gezielte Vorgehen hat mehrere Vorteile: Die Lehrkraft beobachtet im Laufe des Schuljahres alle Schüler, ohne dass ihr dabei die stilleren und unauffälligen Lerner entgehen. Sie hat aufgrund dessen die Entwicklung der Schüler im Blick und kann sie dadurch individuell begleiten und fördern (vgl. Diehr 2005b: 26). Zudem hat die Lehrkraft bei diesem Vorgehen zahlreiche Aufzeichnungen, die ein umfassendes Bild jedes einzelnen Lerners darstellen. Mit deren Hilfe kann sie auf der einen Seite den Schülern, Eltern und anderen Lehrkräften eine Rückmeldung geben und auf der anderen Seite sich selbst nach einiger Zeit den Leistungsstand und Prozess der Lerner wieder ins Gedächtnis rufen.

Denn insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine Lehrkraft in der Regel in vielen Klassen und unterschiedliche Fächer unterrichtet, ist am Ende eines Schul(halb)jahres oft vergessen, wie die Leistung zu Beginn und im Laufe der Zeit war. Als letztes ist noch die entspannte Atmosphäre der Leistungsbeurteilung zu nennen: Die Schüler werden nicht unter Leistungsdruck gesetzt, da sie gar nicht wissen, dass ihre Kompetenzen eingeschätzt werden.

Auch wenn solch ein Vorgehen viele Vorteile mit sich bringt und valider und reliabler als die erste Variante ist, stellt die kontinuierliche Umsetzung in der Unterrichtspraxis oft eine Überforderung für Lehrkräfte dar. Denn in der Komplexität des pädagogischen Handlungsfeldes überlagern häufig die vielzähligen didaktischen, methodischen und disziplinarischen Entscheidungen, die spontan und flexibel getroffen werden müssen, die Möglichkeiten zur konzentrierten und gezielten Beobachtung einzelner Schüler: „Classroom teacher, unlike researchers, are engaged in teaching and classroom management while simultaneously trying to observe and make sense of their student`s learning and their own teaching.“ (Genesee

& Upshur 1996: 81). Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass sich bei dieser

„Vermischung von Unterrichten und Beurteilen klare Aussagen in Hinblick auf Schülerleistungen nur sehr schwer machen lassen.” (Gerngross 2005: 12).

Hinzu kommt, dass die Eingebundenheit der Lehrkraft in den Unterrichtsprozess nicht nur die Leistungseinschätzung, sondern auch die Dokumentation der Leistung während der Stunde nur bedingt möglich macht. Und auch nach der Stunde hat kaum eine Lehrkraft Zeit, sich Notizen zu machen. Kinder, Kollegen oder Eltern möchten mit ihr sprechen, sie ist für die Pausenaufsicht verantwortlich oder muss den Raum wechseln. Am Nachmittag hingegen, wenn die Lehrkraft Zeit zur Dokumentation ihrer Beobachtungen hat, sind diese oft überlagert von anderen Eindrücken und Erlebnissen am Schulvormittag. Insgesamt ist die Praktikabilität also nur bedingt gewährleistet.

Ein weiterer Aspekt, der bei dieser Form der Leistungseinschätzung problematisch erscheint, ist die mangelnde Transparenz der Beurteilung für die Schüler: Sie wissen nicht, dass ihre Leistung eingeschätzt wird, weswegen sie sich nicht unbedingt von ihrer besten Seite präsentieren können. Außerdem erfahren sie nicht, nach welchen Kriterien ihre Leistung beurteilt wird und sie erhalten keine unmittelbare Rückmeldung von der Lehrkraft. Ein Feedback nach einigen Wochen oder Monaten ist jedoch von den Lernern kaum mehr nachvollziehbar. Dementsprechend ist diese Variante nur bedingt fair und reliabel.

42 Zur Diskussion der Audioaufnahmen vgl. Kap. 9.2.9 Entscheidung 9.5.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen muss also nach einer anderen, systematischen und zugleich praktikablen Variante gesucht werden, wie Lehrkräfte die Sprechleistung ihrer Schüler einschätzen und die dadurch gewonnenen Informationen nachhaltig nutzen können. Diese Variante der formativen Leistungseinschätzung des Sprechens soll Folgendes gewährleisten:

1. Die Leistungseinschätzung soll kongruent zum Unterricht sein.

2. Der Leistungsstand und -fortschritt aller Lerner soll erfasst werden.

3. Die Kriterien der Leistungseinschätzung sollen von der Lehrkraft klar formuliert werden und für die Schüler transparent sein.

4. Die Lerner wissen, dass ihre Sprechleistung eingeschätzt wird, sollen aber aufgrund der entspannten Atmosphäre keinen bzw. kaum Leistungsdruck empfinden.

5. Die Lehrkräfte sollen – soweit möglich - vom unmittelbaren Handlungsdruck beim Unterrichten befreit sein, damit sie ihre Schüler konzentriert beobachten und zeitnah Aufzeichnungen machen können.

6. Die Lerner sollen nach der Leistungseinschätzung eine explizite Rückmeldung durch die Lehrkraft erhalten.

7. Die Ergebnisse sollen in die weitere Unterrichtsarbeit eingehen.

8. Die Leistungseinschätzung soll möglichst valide, reliabel, objektiv und fair sein.

9. Die Leistungseinschätzung soll für die Lehrkraft in der Komplexität des pädagogischen Handlungsfeldes praktikabel sein.

10. Sie soll das allgemeine Bild der Schüler, das die Lehrkraft im täglichen Unterrichtsgeschehen gewinnt, ergänzen.

Bei der Entwicklung des ABT-Konzeptes für die Unterrichtspraxis wurden all diese Punkte berücksichtigt. Dabei ist eine Form der Leistungseinschätzung entstanden, bei der regelmäßig teilformalisierte Situationen zur Bearbeitung von ausgewählten Aufgaben geschaffen werden, im Rahmen derer auf Grundlage eines Beobachtungsbogen die Sprechkompetenz der Schüler eingeschätzt und dokumentiert wird. Die Buchstaben ABT stehen für die drei Hauptelemente des Konzeptes:

A - Ausgewählte Aufgaben B - Beobachtungsbögen

T- Teilformalisierte Situationen

Das hier beschriebene ABT-Konzept stellt ein Konzept dar, das es Lehrkräften in der Komplexität des pädagogischen Handlungsfeldes ermöglicht, die Sprechleistung ihrer Schüler im Unterricht formativ einzuschätzen. Es unterscheidet sich von formalen Leistungseinschätzungen, bei denen die Rahmenbedingungen sehr strikt vorgegeben sind:

Typisch ist, dass die Schüler unter besonderen und beschränkten Bedingungen ihren Leistungsstand zeigen sollen. In der Regel gilt, dass die Aufgaben genau umschrieben und für alle gleich sind, dass die Zeit begrenzt ist, individuell gearbeitet werden muss und Hilfsmittel (wie Bücher oder Aufzeichnungen) nicht benutzt werden dürfen.

(Winter 2004: 33)

Während auch beim ABT-Konzept die Aufgabe grundsätzlich für alle gleich ist, sind die weiteren Bedingungen nicht so rigide: Jedem Kind wird die Zeit gegeben, die es

benötigt, um die Aufgabe bewältigen zu können. Sie sollen sich nicht gehetzt fühlen und unter unnötigen Druck gesetzt werden (vgl. Harris & McCann 1994: 51). Auch arbeiten die Kinder nicht immer nur individuell, sondern in Auseinandersetzung mit anderen Kindern oder der Lehrkraft. Das hat zum einen den Vorteil, dass auch Aufgaben der mündlichen Interaktion gewählt werden können, und zum anderen dass die Kinder Hilfe und Unterstützung voneinander oder von der Lehrkraft erfahren können (siehe Entscheidung 5). Dadurch wird versucht, eine angstfreie bzw. -reduzierte Atmosphäre zu schaffen, in der die Kinder sich sicher fühlen und ihre Kompetenzen bestmöglichst zeigen können.

Teilweise wird bei solchen offeneren Formen der Leistungsfeststellung von

„alternative assessment“ gesprochen (Shaaban 2001:17). Damit ist die Abkehr vom traditionellen, formalen Beurteilen gemeint:

Specifically, alternative ways of assessing students take into account variation in students` needs, interests, and learning styles; and they attempt to integrate assessment and learning activities. Also, they indicate successful performance, highlight positive traits, and provide formative rather than summative evaluation.

(Shaaban 2001:17)

Allerdings ist der Begriff der alternativen Leistungseinschätzung nicht eindeutig definiert und wird teilweise nicht kritisch genug hinsichtlich der Qualitätskriterien untersucht (vgl. Brown & Hudson 1998, 653ff). Deswegen wird das ABT-Konzept als „teilformalisiertes Konzept zur Leistungseinschätzung“ charakterisiert. Dadurch wird deutlich, dass Aspekte der formalen Leistungseinschätzung eine Rolle spielen, dass aber auch neue, alternative Wege gesucht wurden.

Wie das ABT-Konzept konkret aussieht, wird in Kapitel 9 ausführlich dargelegt.

Dabei wird der Stand des Konzepts nach den theoretischen Vorarbeiten vor der empirischen Studie dargestellt. In einigen Punkten wurde es bereits zu Beginn der Pilotphase, nach den ersten Gesprächen mit den beteiligten Lehrkräften und vor der ersten Erprobung im Unterricht, geändert. Auch diese Punkte werden erläutert, so dass das beschriebene Konzept die Grundlage ist, die für die ersten Unterrichtserprobungen zugrunde lag.

9. Darstellung des ABT-Konzepts