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Entscheidung 9: Wie gestaltet die Lehrkraft den Unterricht, in dem die Leistungseinschätzung durchgeführt wird? in dem die Leistungseinschätzung durchgeführt wird?

9. Darstellung des ABT-Konzepts 1 Vorüberlegungen 1 Vorüberlegungen

9.2 Die Entscheidungen bei der Planung, Durchführung und Nachbereitung des ABT-Konzeptes Nachbereitung des ABT-Konzeptes

9.2.9 Entscheidung 9: Wie gestaltet die Lehrkraft den Unterricht, in dem die Leistungseinschätzung durchgeführt wird? in dem die Leistungseinschätzung durchgeführt wird?

Die neunte Entscheidung befasst sich damit, wie die Lehrkraft den Unterricht gestaltet, in dem die Leistungseinschätzung durchgeführt wird. Harris & McCann machen deutlich, dass ein festgelegtes Vorgehen die Fairness und Reliabilität steigern kann: „If we do not establish clear criteria and work out clear procedures for assessing beforehand and try to keep to them, there is a danger that we will discriminate against some students.” (Harris & McCann 1994: 4).

Die Gestaltung des Unterrichts, in dem die Leistungseinschätzung durchgeführt wird, impliziert zahlreiche Entscheidungen, die die Komplexität des Vorgehens veranschaulichen.

Entscheidung 9.1: Wie kann die Lehrkraft in bzw. trotz der Komplexität des Unterrichts die Kinder konzentriert beobachten?

Ein zentraler Aspekt für ein Konzept der formativen Leistungseinschätzung im Unterricht durch die Lehrkraft liegt in der Frage, wie eine Lehrkraft in bzw. trotz der Komplexität des Unterrichts die Kinder konzentriert beobachten kann.

Die Lösung findet im ABT-Konzept in der ansatzweisen Trennung von Unterricht und Leistungseinschätzung statt. Die Lehrkraft zieht sich nach dem gemeinsamen Unterrichtsbeginn (z.B. mit Begrüßung und Lied) aus dem Unterrichtsgeschehen - soweit möglich - zurück. Sie vertritt nun nicht mehr vorrangig die Rolle als Leiterin des Unterrichts, als Instrukteurin, als ständige Ansprechpartnerin und Helferin aller Kinder, sondern als Beurteilerin, Ansprechpartnerin und Helferin ausgewählter Schüler. Da in Deutschland in der Regel nicht - wie in einigen anderen Ländern - eine zweite Person in der Klasse ist, die die Unterrichtsleitung und Aufsicht übernehmen kann, während sich die Lehrkraft um einzelne Schüler kümmert und evtl. sogar den Raum verlässt, müssen andere Wege gefunden werden.

Hier ist der Rückgriff auf freie Unterrichtsformen hilfreich, die die selbständige Beschäftigung der Schüler mit Aufgaben in den Mittelpunkt stellen, wie z.B. das Stationenlernen, das auch Lernparcours, Lernzirkel, Lernstraße oder Lernkabinett genannt wird. Die Kinder erarbeiten sich bzw. wiederholen und üben ein Thema bzw. einen Themenbereich weitgehend eigenverantwortlich, indem sie verschiedene Aufgaben bewältigen. Meist werden die Aufgaben mit Hilfe eines Lösungsschlüssels selbst durch die Kinder korrigiert, und nicht unmittelbar der Lehrkraft präsentiert.

Die Aufgaben können in Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit bearbeitet werden und sich auf alle Fertigkeiten beziehen. Vorteil dieser Lernform ist, dass die Kinder bei entsprechendem Angebot und in einem festgelegten Rahmen ihr Lernen und Arbeiten individuell bezüglich ihres Lerntyps, ihrer Lernvoraussetzungen und ihrer Interessen gestalten können. Einige Lehrwerke bieten bereits entsprechende Handreichungen mit Freiarbeitsmaterial an, wie z.B. Playway (vgl. Becker, Carmen et al 2004a/b).

Entscheidend für diesen Zusammenhang ist, was Bauer in seinem Buch über das Lernen an Stationen als Chancen und Möglichkeiten der Lernform aufzählt:

- Der direkte Handlungsdruck im Unterricht wird abgebaut.

(...)

- Der Lehrer erhält mehr Möglichkeiten zum distanzierten Beobachten.

- Die individuelle Auseinandersetzung mit einzelnen Kindern oder Gruppen wird gefördert. (...)

- Die Lehrerin oder der Lehrer haben mehr Möglichkeiten, sich aus dem Mittelpunkt des unterrichtlichen

Geschehens herauszunehmen.

(Bauer 1997: 28f)

Somit arbeitet die Klasse, nachdem die Lehrkraft sie nach dem gemeinsamen Unterrichtsbeginn in die Stationen eingeführt hat, sinnvoll weiter an den Aufgaben und Themen des Unterrichts. Die Kinder sind dabei nicht ständig auf die Anleitung der Lehrkraft angewiesen und haben konkrete Verhaltensanweisungen erhalten: „Tell students about the test conditions. For example, there should be not talking and if they wish to ask a question they should raise their hand.“ (Harris & McCann 1994:

54). Ähnlich kann das Vorgehen in der Grundschule sein, wenn auch bei der Stationenarbeit keine absolute Ruhe verlangt werden kann, da die Kinder in der Regel auch kommunikative Aufgaben lösen müssen.

Die Lehrkraft ruft nach diesem Einstieg die Kinder nacheinander auf, um sie bei der Bewältigung der von ihr gestellten Aufgabe zu beobachten und zu beurteilen. Dabei stellt sich zunächst die Frage: Wo kann diese Leistungseinschätzung während des Unterrichts stattfinden?

Entscheidung 9.2: Wo wird Leistungseinschätzung durchgeführt?

Die Frage, an welchem Ort die Lehrkraft die Sprechleistung der Schüler einschätzt, stellt sich nur bedingt. Aufgrund der Aufsichtspflicht darf die Lehrkraft das Klassenzimmer nicht für längere Zeit verlassen, und sie hat, wie bereits erläutert, in der Regel keine zweite Person, die die Klasse beaufsichtigen kann. Die vertraute Umgebung des Klassenzimmers, die eine positive, angenehme Atmosphäre schafft, kann für Schüler und Lehrkraft Vorteile haben: Die Leistungsbeurteilung wird so nicht als ein mit Angst besetztes Erlebnis erfahren, dass hinter verschlossenen Türen in einem fremden Raum stattfindet (vgl. Underhill 1987: 17). Allerdings kann es im Klassenzimmer - insbesondere während des Stationenlernens - unruhig und lauter sein, was gerade bei einer mündlichen Leistungsbeurteilung sehr störend ist:

Tests should be held somewhere that is quiet and free from interruption.

Anybody trying to hold a conversation will become irritated if repeatedly disturbed by noise or by other people; a learner taking a test will also get the feeling that his test has not been given a very high priority. He may also lose his train of thought or flow of speech, and so lose confidence.

(Underhill 1987: 17)

Underhill macht deutlich, dass ein unruhiger Ort, an dem die Lerner abgelenkt werden, sich negativ auf die Leistung der Schüler auswirken kann. Da jedoch die schulischen Bedingungen einen Wechsel in einen ruhigen Raum nicht möglich machen, muss innerhalb der Klasse ein Ort gesucht werden, an dem die Lehrkraft und die Schüler, deren Sprechleistung beobachtet werden soll, relativ ungestört sein können. Dies ist in der Regel nicht an dem regulären Platz der einzelnen Lerner gegeben, da hier die Mitschüler unmittelbar daneben sitzen. Deswegen zieht sich die Lehrkraft an einen Platz am Rande der Klasse zurück und bittet einzelne Schüler

oder Schülergruppen zu sich. Mit diesem örtlichen Wechsel signalisiert sie auch die Veränderung ihrer Rolle: Sie wird sich nun mit ausgewählten Kindern auseinandersetzen, diese bei der Bewältigung einer Aufgabe beobachten und deren Leistung einschätzen. Die anderen Kinder sollen nun selbständig an den Stationen arbeiten und sie möglichst nicht stören.

Der Ort, an den sie sich zurückzieht, sollte genug Platz bieten, um mit Bewegung etwas darzustellen bzw. ausreichend Platz für einen Tisch sowie Stühle für Lehrkraft und Schüler bieten. Die Lehrkraft muss nicht unbedingt dem Schüler gegenüber sitzen, sodass eine recht formale Testsituation entsteht (vgl. Underhill 1987: 17).

Stattdessen kann sie sich, wenn sie mit einem Schüler arbeitet, über Eck setzen oder auch neben ihn, wenn sie z.B. gemeinsam ein Bild betrachten. Bei mehreren Schülern können alle in einem Kreis sitzen. Agiert die Lehrkraft nur als Beobachter, so kann sie sich etwas abseits setzen. Dabei muss aber gewährleistet sein, dass sie die Äußerungen der Schüler - trotz der Nebengeräusche in der Klasse - gut hören kann.

Entscheidung 9.3: In welcher Reihenfolge beobachtet die Lehrkraft die Kinder bei der Bewältigung der Aufgabe?

Bevor die Lehrkraft den Schüler zu sich ruft44, bereitet sie sich vor, indem sie den entsprechenden Beobachtungsbogen für das Kind vor sich liegen hat sowie - falls nötig - entsprechende Arbeitsmaterialien für die Aufgabe und Hilfen. Dann ruft sie ein Kind auf. Sie kann entweder ein Kind wählen, das sich freiwillig meldet, nach der Klassenliste vorgehen, zunächst leistungsstarke und dann leistungsschwächere Kinder aufrufen oder zuerst selbstbewusste und später schüchterne. In der Literatur findet sich kein Hinweis, inwiefern die Reihenfolge Auswirkungen auf die Leistung haben kann.

Entscheidung 9.4: Wie gibt die Lehrkraft die Arbeitsanweisungen?

Nachdem sie den Schüler zu sich gerufen hat, gibt die Lehrkraft die Arbeitsanweisungen. Diese müssen klar und präzise sein, damit die Schüler wissen, was sie genau machen sollen und nicht verunsichert werden. „The instructions themselves should not be the text; in other words, instructions should be clear and meaningful to students.” (Genesee & Upshur 1996: 201). Da bei der Leistungseinschätzung Aufgaben verwendet werden, die auch den Unterricht bestimmen, sind die Kinder mit den Anweisungen vertraut. Sollten sie trotzdem zunächst falsch reagieren, bemerkt die Lehrkraft dies - anders als bei schriftlichen Leistungsfeststellungen - in der Regel unmittelbar und kann einen hilfreichen Impuls geben.

Oft wird vorgeschlagen, dass besonders bei Kindern, die Kommunikationssprache für die Arbeitsanweisungen genutzt werden soll (vgl. Underhill 1987: 41, Genesee &

Upshur 1996: 201). Das ABT-Konzept geht jedoch - wie auch Legutke bei der Sprachstandsermittlung - einsprachig vor, da die Kinder in dem weitgehend einsprachig verlaufenden Fremdsprachenunterricht daran gewöhnt sind, Arbeitsanweisungen in der Fremdsprache zu erfassen. Deswegen erscheint es nicht logisch, bei der Leistungsfeststellung ins Deutsche zu wechseln. Zudem könnte dies

44 Im Weiteren wird zur besseren Lesbarkeit der Singular verwendet, auch wenn Situationen mit einem Schüler oder mehreren Lernern gemeint sind. Wenn zwischen Situationen mit einem oder mehreren Schülern unterschieden werden soll, werden Singular- und Pluralformen verwendet.

bei den Kindern suggerieren, dass die Lehrkraft auch im weiteren Verlauf der Leistungseinschätzung mit ihnen in Deutsch spricht, was jedoch nicht der Fall ist.

Entscheidung 9.5: Sollen die Äußerungen der Kinder auf Tonband aufgezeichnet werden?

Nachdem die Kinder die Arbeitsanweisung erhalten haben, bewältigen sie die Aufgabe - entsprechend des Aufgabentyps - entweder in Auseinandersetzung mit einem Mitschüler, mit mehreren Mitschülern, mit der Lehrkraft oder mit dem/den Mitschüler/n und der Lehrkraft (vgl. Entscheidung 3). Dabei beobachtet die Lehrkraft die Schüler. Teilweise wird in der Literatur vorgeschlagen, dass die Lehrkraft die Äußerungen der Kinder auf Tonband aufnehmen soll, wie das bei den Beispielen der summativen Leistungseinschätzung oft gehandhabt wird (vgl. Kap. 8).

Diehr fordert sogar, dass „Audioaufnahmen zu einem Standardverfahren in der Grundschule werden.“ (Diehr 2006: 11). Wenn jeder Lerner bzw. jede Gruppe von Lernern seine/ihre Äußerungen selbst aufnimmt, könne - sofern mehrere Aufnahmegeräte vorhanden wären - Zeit gespart werden. Außerdem würde der Text so dokumentiert und die Lehrkräfte könnten die Äußerungen ihrer Schüler in Ruhe zu Hause (auch mehrmals) anhören und dann eine Einschätzung vornehmen.

Obwohl dies sicherlich Vorteile sind, sind die im Folgenden dargestellten praktischen Gründe, die gegen eine Tonbandaufnahme sprechen, so gewichtig, dass im ABT-Konzept auf die Tonbandaufnahme (durch die Lehrkräfte) verzichtet wurde:

„...our assessment tasks need to be practical. They must not take too long to do or mark, be too difficult to organise or involve equipment and resources that we do not possess.” (Harris & McCann 1994: 34).

Zunächst ergab die Umfrage bei den Fachberatern, dass nicht alle Klassen über ein Tonbandgerät oder einen Computer mit Mikrophon verfügten, mit dem die Texte aufgezeichnet werden konnten: Während Geräte zum Abspielen in den meisten Klassen Standard sind und regelmäßig eingesetzt werden (92%), sind Audiogeräte zur Aufnahme nur in etwa einem Viertel der Klassenzimmer (28%) vorhanden. Auch bei den an der Untersuchung beteiligten Lehrkräften hatte nur ein Teil (50%) solch eine Ausstattung mit Mikrophon. Die zwei Lehrkräfte, die über ein Aufnahmegerät verfügen, gaben an, dass sie es nicht einsetzen. Das mag auch daran liegen, dass es für Lehrkräfte, deren Schulen darüber verfügen, einen hohen Aufwand darstellt, die Geräte in die Klasse und wieder zurück zu bringen. Außerdem ist oft die Qualität von Aufnahmen in der Klasse recht schlecht, da die Hintergrundgeräusche von den Kindern, die an den Stationen arbeiten, recht hoch sind. Insofern scheint weder die Akzeptanz noch die Praktikabilität der Aufnahmen auf einem Tonträger gewährleistet zu sein. Hinzu kommt, dass noch weitere Nachteile entstehen, wenn die Schüler ihre Texte unabhängig von der Lehrkraft aufnehmen. Zum einen handelt es sich, zumindest bei dem zusammenhängenden Sprechen, kaum um eine authentische Situation: Der Schüler spricht in ein Aufnahmegerät und sieht nicht - wie es in der Regel üblich ist - die Reaktionen seines Zuhörers. Außerdem kann die Lehrkraft bei diesem Vorgehen ihren Schülern nicht helfen, wenn diese ins Stocken geraten. Schließlich - und das ist noch ein ganz entscheidender Punkt - wird dabei die Schüleräußerung auf das Verbale reduziert: Nonverbale Elemente, wie Mimik und Gestik, die insbesondere im frühen Stadium des Fremdsprachenlernens eine entscheidende Rolle spielen, werden nicht abgebildet und können dann bei der Leistungseinschätzung nicht berücksichtigt werden.

Die Entscheidung gegen eine Aufnahme bedeutet allerdings einen hohen Anspruch an die Beurteilungskompetenz der Lehrkraft: Sie muss unmittelbar entscheiden, wie sie die Leistung einschätzt und kann sich im Nachhinein nicht noch einmal anhand des Textes vergewissern, ob ihre Einschätzung stimmt. Deswegen ist eine hohe Konzentration und genaue Beobachtung wichtig, während die Kinder die Aufgabe bewältigen.

Entscheidung 9.6: Inwieweit bringt sich die Lehrkraft reaktiv bzw. interaktiv in die Kommunikation ein?

Bei der Leistungseinschätzung des Sprechens stellt sich auch die Frage, inwieweit die Lehrkraft, neben ihren Äußerungen als direkter Gesprächspartner, kommunikativ in den Vortrag/das Gespräch eingreifen sollte und wann Zurückhaltung sinnvoll ist.

Es ergeben sich für die Lehrkraft drei Möglichkeiten, auf die Lerneräußerung zu reagieren, und zwar durch:

- hilfreiche Impulse - Korrektur

- unmittelbares Feedback45. Welches Verhalten ist hierbei sinnvoll?

Hinsichtlich der hilfreichen Impulse wurde bereits erläutert, dass sie eingesetzt werden sollten, wenn der Vortrag oder das Gespräch ins Stocken gerät (vgl.

Entscheidung 5). Diese Entscheidung ergab sich auch aus der Tatsache, dass dies der selbstverständliche Umgang im Unterricht ist.

Welcher Umgang ist bei Fehlern selbstverständlich? Betrachtet man die schriftliche Leistungsbeurteilung, so werden Fehler immer erst dann korrigiert, wenn der Lerner den Text zum Abschluss gebracht hat. Dies folgt der Logik, dass der Schüler zunächst eine eigenständige Leistung erbringen soll, die anschließend der Lehrkraft zur Korrektur und gleichzeitigen Beurteilung überreicht wird.

Beim Sprechen jedoch ist die Lehrkraft während der Produktion des Textes anwesend und teilweise sogar daran beteiligt. Sie beobachtet den Schüler und nimmt dabei bereits die Leistungseinschätzung vor, die sie anschließend auf dem Beobachtungsbogen dokumentiert. Korrigiert sie den Schüler, wie sie es sonst auch in ihrer Rolle der Lehrkraft im Unterricht tut, wird die im schriftlichen Bereich vorgenommene Trennung von Leistungseinschätzung und Korrektur aufgehoben.

Vorteil der Verbesserung, ist, dass der Lerner den Impuls aufnehmen und die richtige Form im weiteren berücksichtigen kann. Allerdings kann Fehlerkorrektur auch demotivierend wirken, was bei der Leistungseinschätzung kontraproduktiv ist, da sie - wie auch jeglicher Unterricht - auf das Können und nicht auf Defizite und Fehler hin orientiert sein sollte: „Assessment must be done constructively, focusing on achievement rather than on failure.” (Harris & McCann 1994: 4). Aus diesem Grunde sollte sich die Lehrkraft bei der Korrektur zurückhalten (vgl. Underhill 1987:

55) und wenn überhaupt, behutsam verbessern z.B. durch corrective feedback (vgl.

Cameron 2002: 239; Schmid-Schönbein 2001: 122). Wenn sie zunächst abwartet, hat der Schüler auch die Möglichkeit, sich selbst zu verbessern, was aufgrund der Unmittelbarkeit des Sprechens in der Muttersprache wie auch in der Zielsprache häufig geschieht (vgl. Kap. 3.3).

45 Dieses unmittelbare Feedback, das noch während der Bearbeitung der Aufgabe gegeben wird bzw.

direkt im Anschluss daran, unterscheidet sich von dem Feedback, das der Schüler in Anschluss an die Leistungseinschätzung erhält (vgl. Kap. 9.2.10). Das erste ist spontan und kurz, während beim zweiten detailliert und ausführlich eine Rückmeldung gegeben wird.

Auch beim unmittelbaren Feedback, das kurz und spontan während oder direkt im Anschluss an die Leistungseinschätzung gegeben wird, gibt es unterschiedliche Ansichten. So schlägt z.B. Underhill vor, dass die Lehrkraft dem Lerner ein positives Gefühl vermitteln sollte: „Leave the learner with a sense of accomplishment, feeling that he has done something interesting and learned something useful.“ (Underhill 1987: 43). Dies kann jedoch problematisch sein: verhält sich die Lehrkraft direkt nach der Leistungsbeurteilung sehr positiv gegenüber einem Schüler, der in ihren Augen keine gute Leistung gezeigt hat, und gibt ihm später ein detailliertes negatives Feedback, so wirkt ihr Verhalten unglaubwürdig und unehrlich. Die positive Bestärkung während der Leistungsfeststellung hingegen kann motivierend wirken und den Lerner zu besserer Leistung anspornen. Die Lehrkraft sollte also freundlich und unterstützend sein, sich aber mit voreiligen Bewertungen zurückhalten. Dies bietet ihr die Möglichkeit, sich auf das Beobachten zu konzentrieren und die Schüler können ungehindert zeigen, über welche Kompetenzen sie verfügen.

Entscheidung 9.7: Wie kann die Leistungseinschätzung objektiviert werden?

Anschließend, also unmittelbar nach der Beobachtung, bewertet die Lehrkraft die Leistungen des Schülers. Da die Beobachtung, also die aufmerksame, genaue Betrachtung, nicht objektiv ist, kann auch die Bewertung der Sprechleistung, wie aller produktiver Fertigkeiten, nicht objektiv sein (vgl. Weir 1988: 81, Underhill 1987: 88): „Das, was wir beobachten, unterliegt stets unserer subjektiven Auswahl.“

(Becker 1998: 57). Diese Tatsache einzugestehen und zu akzeptieren, ist wichtig, da sie erheblichen Druck von den Lehrkräften nimmt. Gleichzeitig muss und kann aber der Anspruch verfolgt werden, die Leistungseinschätzung so objektiv und zuverlässig wie möglich vorzunehmen. Dies kann z.B. durch die Anwesenheit mehrerer Beurteiler geschehen oder durch die Tonbandaufnahme der Äußerungen, was beides bereits diskutiert wurde. Eine weitere Möglichkeit ist ein Beurteiler-Training, bei dem die Lehrkräfte anhand von Beispielen lernen, genau und gezielt zu beobachten und möglichst zuverlässig die Leistung der Schüler einzuschätzen. Beim ABT-Konzept soll die Objektivität der Beurteilung durch die Formulierung eines Erwartungshorizonts und durch die Festlegung der Kriterien erhöht werden (Entscheidung 4 und 6).

Entscheidung 9.8: An welcher Bezugsnorm orientiert sich die Lehrkraft bei der Leistungsbeurteilung?

Bei der Beurteilung spielt stets die Bezugsnorm eine Rolle, nach der die Leistung des einzelnen Lerners eingeschätzt wird. Das Maß bzw. die Norm, mit dem die Schülerleistung verglichen wird, kann, wie bereits unter 9.2.4 erläutert, der frühere Leistungsstand eines Kindes (self-referencing), die Leistung der anderen Schüler (norm-referencing) oder das Lernziel (criterion-referencing) sein.

Der Vorteil der individuellen bzw. personenbezogenen Bezugsnorm, die sich an der persönlichen Lernentwicklung jedes einzelnen Schülers orientiert, ist, dass quantitative, qualitative und temporäre Leistungsunterschiede berücksichtigt werden.

Somit erkennen auch die leistungsschwachen Kinder einen Zusammenhang von Anstrengung und Erfolg und müssen sich nicht an dem Können und Wissen anderer Kinder messen (vgl. Sundermann & Selter 2006: 19). Allerdings bedeutet es eine

große Herausforderung für die Lehrkraft, jeden einzelnen Schüler in jedem Fach genau im Blick zu behalten.

Bei der anforderungsbezogenen oder zielbezogenen Bezugsnorm werden die Leistungen mit den gesetzten Zielen verglichen. Dass dafür Ziele bzw. Erwartungen realistisch festgelegt und möglichst schriftlich fixiert werden müssen, wurde unter 9.2.4 dargestellt. Beim criterion-referencing und dem self-referencing handelt es sich um faire Vorgehensweisen, die zudem gut miteinander kombiniert werden können, z.B. durch die Formulierung eines differenzierten Erwartungshorizonts.

Die vergleichsorientierte oder sozialbezogene Bezugsnorm, also die Orientierung an der Leistung der Mitschüler, hingegen ist sehr umstritten:

Competition is central to norm-referencing, which is a form of social referencing. This can lead to severe discouragement for students who have few academic successes in competition with their peers. It also discourages students from helping each other with their academic work, and encourages the covering up of misunderstandings. It threatens peer relationship, and tends to segregate groups into higher and lower achieving students. Neither does it encourage intrinsic motivation. It also tends to attribute success and failure to ability, rather than to effort, which is especially harmful to low-achieving students.

(Gipps 1994: 41)

Zu diesen pädagogischen Überlegungen kommt hinzu, dass die Orientierung an einer Norm nur sehr bedingt aussagekräftig ist, da sie von der zufälligen Zugehörigkeit zu einer Lerngruppe abhängt: Ein leistungsschwacher Schüler kann der Beste sein in einer Klasse, in der die anderen noch schwächere Leistung zeigen. Da die Beurteilung erst dann geschehen kann, wenn die Leistung mehrerer Schüler eingeschätzt wurde, da ein Vergleich vorgenommen wird, wird beim norm-referencing kein Erwartungshorizont erstellt, was wiederum die Realibilität vermindert.

Auch wenn die vergleichsorientierte Bewertungsnorm umstritten ist, stellt sie doch eine Realität in den Klassenzimmern dar, die oft mit der individuellen und zielbezogenen Bezugsnorm kombiniert wird (vgl. Becker 1998: 57, Sundermann &

Selter 2006: 20). Das hat zur Folge, dass Lehrkräfte selbst dann relativ, also subjektiv beurteilen, wenn genau definierte Kriterien und Bewertungsrichtlinien gegeben werden (vgl. Underhill 1988: 28). Hinzu kommt, dass Lehrkräfte auch nach persönlichen Sympathien beurteilen:

Teachers build up relationships with learners over a period of time. These are generally constructive and have a positive effect on learning, but not all relationships will be the same. Like all human beings, teachers react in different ways to different people, and this may be reflected, if only subconsciously, in their assessments.

(Underhill 1987: 28)

So gesehen kann es in der Praxis nur darum gehen, die Subjektivität und soziale Bewertungsnorm faktisch anzuerkennen und, wie bereits diskutiert, Möglichkeiten der Objektivierung umzusetzen.

Entscheidung 9.9: Wie gewichtet die Lehrkraft die einzelnen Kriterien?

Neben der Bezugsnorm kann die Gewichtung der einzelnen Kriterien bei der Beurteilung eine Rolle spielen (vgl. Harris & McCann1994: 7f, Underhill 1987: 97).

Wenn die Lehrkraft (bei gewissen Aufgaben) besonders viel Wert auf bestimmte

Aspekte der Sprechkompetenz legt, so kann sie dies bei ihrer Einschätzung deutlich machen. Am einfachsten lässt sich dies bei einer Bewertung anwenden, bei dem für die einzelnen Kriterien Punkte vergeben werden. Ist der Lehrkraft z.B. bei einer Bildbeschreibung die Flexibilität und Kreativität sowie der Wortschatz und die Strukturen wichtiger als die Aussprache und die Kommunikation, so kann sie dies durch die Multiplikation der einzelnen Gesichtspunkte mit unterschiedlichen Zählern umsetzen:

Erreichte Punktzahl Multipliziert mit Endpunktzahl

Kommunikation 4 1 4 Wortschatz und

Strukturen 6 3 18

Aussprache 5 1 5

Flexibilität und

Kreativität 3 3 9

So entsteht eine Endpunktzahl, die z.B. einer Leistungsbeschreibung oder einer Note zugeordnet werden kann.

Bei einer analytischen Beurteilung mit Hilfe einer definierten Skala, wie sie beim ABT-Konzept umgesetzt wird, kann grundsätzlich auch eine Gewichtung vorgenommen werden. Diese sollte dann vorher festgelegt werden und im Erwartungshorizont und auf dem Beobachtungsbogen deutlich formuliert bzw.

markiert werden.

Entscheidung 9.10: In welchem Zeitrahmen wird die Sprechleistung der Klasse erfasst?

Unabhängig von der Frage, ob die Lehrkraft eine Gewichtung vornimmt und welche Bezugsnorm bzw. -normen sie wählt, dokumentiert die Lehrkraft ihre Einschätzung auf dem Beobachtungsbogen, der allgemeine Informationen (Aufgabe, Thema, Datum) und den Namen des Kindes enthält. Anschließend ruft die Lehrkraft das nächste Kind auf, gibt ihm die Aufgabe, beobachtet und beurteilt es. Aus praktischen Erwägungen erhalten die Kinder erst eine ausführliche Rückmeldung, wenn die Sprechleistung der ganzen Klasse eingeschätzt wurde. So kann die Sprechkompetenz aller Kinder einer Klasse innerhalb weniger Stunden eingeschätzt werden.

Da manche Lerner mehr Zeit als andere für die Realisierung der Aufgaben brauchen, sollte für die Leistungsfeststellung kein einheitliches Zeitlimit festgelegt werden. Die Lehrkraft gibt jedem Schüler die Zeit, die er braucht, um die Aufgabe erfolgreich zu bewältigen: „In speaking tests where there is an interlocutor, unrealistic time pressures on answers and oral production should be avoided, eg hurrying students into an answer with no time for reflection or checking understanding or asking for repetition.“ (Harris & McCann 1994: 51).

Während die Lehrkraft das Kind beobachtet, macht sie sich Notizen auf dem Beobachtungsbogen. Wenn die Schüler die Aufgabe beendet haben, bedankt sich die Lehrkraft beim Lerner, und der geht zurück auf seinen Platz.

Ursprünglich war geplant, dass die Leistungsbeurteilung pro Unterrichtsstunde ungefähr 20 bis 25 Minuten einnimmt, in drei aufeinanderfolgenden Stunden