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3. Die Kompetenz Sprechen im Englischunterricht der Grundschule Grundschule

3.4 Die Anfangsphase

Die vier Prozesse des Sprechens werden im Folgenden in den größeren Rahmen der Entwicklungsmuster gestellt, um das schulische Fremdsprachenlernen vom Beginn bis hin zu der Stufe, die voraussichtlich am Ende der Klasse 4 nach zweistündigen Englischunterricht in den Jahrgängen 3 und 4 erreicht wird, darzustellen. Dabei wird der besondere Kontext, der sich vom Zweitspracherwerb sowie der Situation in Kindergarten und Sekundarstufe unterscheidet (vgl. Kap. 2.1), berücksichtigt und einzelne Aspekte, die in dieser Entwicklungsstufe eine elementare Rolle spielen (die Kompensation und Bereicherung der elementaren sprachlichen Kommunikationsfähigkeit sowie die Kontrollmechanismen) besonders erläutert.

Da es derzeit noch keine umfassenden Untersuchungen der Sprach- und Sprechentwicklung von Kindern im zweistündigen Englischunterricht der Grundschule gibt (vgl. Diehr 2006: 11), werden die vorhandenen Forschungserkenntnisse, die in vergleichbaren Unterrichtskontexten gesammelt wurden, durch Beobachtungen und Analysen aus dieser Studie gestützt bzw. in Frage gestellt.

führte sie das Wort says als [seis] ein. Eine Schülerin, die bilingual (deutsch und englisch) aufwächst, wies sie - nach Rücksprache mit der englischsprachigen Mutter - darauf hin, dass es [sais] heißen müsse.14

An diesem Beispiel wird deutlich, wie wichtig es ist, dass das Sprach- und Sprechmodell der Lehrkraft durch das Hören von muttersprachlichen Sprechern auf CD, DVD oder Video oder im besten Falle durch Begegnungen mit anderen fremdsprachlichen Sprechern ergänzt und damit gleichzeitig relativiert wird (vgl.

Quetz 1998: 70). So können sich die Schüler mit unterschiedlichen Sprachmodellen auseinandersetzen und schließlich für eines entscheiden.

Exkurs: Die Normfrage der Aussprache

Grundsätzlich stellt sich im Zusammenhang mit der Aussprache die Frage, was unter einer „guten“ und „korrekten“ Aussprache zu verstehen ist: Was ist gut und korrekt?

Ist Korrektheit das Leitmedium, an dem sich Aussprache orientieren sollte? Sollen die Kinder lernen, wie ein Muttersprachler zu sprechen? Ist dann der sogenannte inner circle, also der britische, US-amerikanische, kanadische, australische oder neuseeländische Muttersprachler das Vorbild? Oder können die Kinder sich auch an einer der vielzähligen anderen Varietäten des Englischen aus dem outer circle (u.a.

Bangladesh, Indien, Kenia, Sri Lanka etc.) orientieren15? Welche der Englishes soll im Englischunterricht der Grundschule berücksichtigt werden? Welche Norm wird von der Lehrkraft als Messlatte angelegt?

Hinsichtlich der Norm-Frage sind die Ausführung von Seidlhofer interessant und hilfreich als Grundlage für den Fremdsprachenunterricht. Seidlhofer macht deutlich, dass bei der Aussprache unterschieden werden muss zwischen Norm und Modell:

Regarding a particular native speaker variety as a norm which has to be imitated independently of any considerations of language use strongly connects it with ideas of correctness. Taken as a model, on the other hand, such a variety can be used as a point of reference, to which learners can approximate more or less closely (…)

(Seidlhofer 2001: 60)

Diesem Gedanken folgend, geht es bei der Aussprache im Englischunterricht weniger um eine normative Richtschnur im Sinne der Korrektheit, sondern vielmehr um die Orientierung an einem möglichen Modell, das gleichberechtigt neben anderen Modellen steht.

Trotzdem bleibt die Frage, welches Modell oder welche Modelle dem Schüler zur Verfügung gestellt werden. Auch wenn inzwischen die Bedeutung und Akzeptanz der vielfältigen englischen Varietäten des outer circle weniger als früher in Frage gestellt wird, ist es sicherlich nach wie vor das Ideal des Fremdsprachenunterrichts in Deutschland, dass die Kinder sich an einer Varietät des inner circle orientieren.

Während früher sogar Wert auf die Received Pronuncitaion (RP), ein im Südwesten Englands entstandener Standard, Wert gelegt wurde, wird heute - aufgrund der Mobilität und der Globalisierung - auch das US-amerikanische, australische,

14Dies wurde in der Klasse besprochen. Für die Kinder war in diesem Zusammenhang wichtig, dass bei der Leistungseinschätzung nun beide Formen als richtig akzeptiert wurden.

15 Zum inner und outer circle vgl. Quetz 1998: 13.

neuseeländische und kanadische Englisch akzeptiert. Dies wird sichtbar an der Formulierung Received Pronunciation Modified Standards (RPMS), der sich laut Doff & Klippel in aktuellen Lehrplänen findet (vgl. Doff & Klippel 2007: 43). Quetz macht deutlich, dass nach wie vor „RP ein didaktisch gut vertretbares Modell für Lernende ist“ (Quetz 1998: 14), da diese Varietät weltweit verstanden wird. Er schlägt vor, sich in der Grundschule auf ein bis zwei Varietäten zu beschränken (vgl.

Quetz 1998: 15).

Die Realität des Klassenraumes entspricht nur bedingt dem Ideal des Englischen des inner circles, des RP oder des RPMS. Die Lerner setzen sich mit verschiedenen Aussprachemodellen in der Klasse auseinander. Sie hören die Aussprache der Mitschüler und müssen entscheiden, ob sie diese akzeptieren oder als falsch verwerfen. Außerdem hören die Schüler auch muttersprachliche Vorbilder von CDs, Videos etc.. Trotzdem bleibt die Dominanz der Lehrkraft. Dementsprechend geht es in der Regel im Fremdsprachenunterricht der Grundschule zunächst darum, dass die Schüler sich dem maßgeblich vorgegebenen Modell, also dem der Lehrkraft, annähern bzw. dem annähern, was für die Lehrkraft als eine angemessene Aussprache gilt.

Dieser Gedanke lässt Rückschlüsse auf die fremdsprachliche Ausbildung der Lehrkräfte zu: Ist es z.B. das Ziel, dass die Schüler eine Aussprache erlernen, die sich an dem Modell eines Englisch des inner circle oder RP orientiert, so muss auch die Aussprache der Lehrkraft dementsprechend geschult sein. Hat die Lehrkraft eine dem Standard angenäherte Aussprache, so haben auch die Kinder eine Chance, diese zu erlernen. Dass in dieser Hinsicht, nämlich bei der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte, noch viel Arbeit zu leisten ist, wurde bereits eingangs erwähnt (vgl. Kap.

2.1).

Quetz hebt hervor, dass die Aussprache der Fremdsprachenlerner vor allem verständlich sein sollte (vgl. Quetz 1998: 96). 16 Denn in einem kommunikationsorientierten Ansatz, wie er im Englischunterricht der Grundschule verfolgt wird, geht es vor allem darum, dass die Aussprache der Kinder verständlich ist - und zwar nicht nur für die Lehrkraft und die Mitschüler, die regelmäßig damit konfrontiert werden (vgl. Quetz 1998: 17). Eine verständliche Aussprache läuft emotionalen Vorbehalten und Ablehnungen entgegen, erhöht die Akzeptanz der Aussage und erleichtert dadurch die Kommunikation (vgl. Mindt & Schlüter 2003:

56, Doff & Klippel 2007: 44, Böttger 2006: 173). Außerdem hat eine gute Aussprache auch Rückwirkungen auf den Sprecher selbst:

Ist die fremdsprachliche Äußerung nur mit Mühe verständlich, und ist der Lerner z.B. aufgrund seiner schlechten Aussprache wiederholt gezwungen, seine Äußerungen zu wiederholen, wirkt sich dies mit Sicherheit nicht fördernd auf seine Motivation aus.

(Sarter 1997: 91)

Über die Verständlichkeit hinaus ist es zudem sinnvoll, dass die Kinder eine Aussprache erlernen, die sich an das Vorbild eines Englisch des inner circle annähert, also eine RPMS. Da dies jedoch maßgeblich von dem dominanten Aussprachemodell (das der Lehrkraft) sowie von anderen personalen, affektiven, sozialen und kontextualen Faktoren sowie besonders von der Hördiskriminierungsfähigkeit der Schüler abhängig ist, müssen die Erwartungen den Bedingungen entsprechend formuliert werden.

16 Quetz stellt überzeugend dar, dass der foreign accent durchaus auch Vorteile hat, z.B. u.a. den

„Ausländerbonus“ (Quetz 1998: 15).

In der Anfangsphase des schulischen Fremdsprachenlernens wollen einige Kinder die neue Sprache unmittelbar ausprobieren. Doch viele Kinder sprechen in der Anfangsphase nicht oder nur wenig, daher wird sie auch häufig, in Anlehnung an den L1-Erwerb, als silent period (Schweigephase) bezeichnet. Hasiba, Jantscher &

Peltzer-Karpf weisen darauf hin, dass diese silent period „im Vergleich zum Erstspracherwerb nicht obligatorisch ist und kürzer sein kann (Hasiba, Jantscher &

Peltzer-Karpf 1997: 16). In dieser Zeit reagieren die Kinder oft nonverbal. Statt zu bejahen, nicken sie mit dem Kopf, statt einen Begriff zu nennen, zeigen sie darauf z.B. beim Ansehen eines Bilderbuches: Die Lehrkraft fragt: Can you see the rabbit?

und der Schüler nickt mit dem Kopf und zeigt darauf.

Die Tatsache, dass sich die Kinder in der silent period nicht verbal äußern, ist nicht als Verweigerung zu interpretieren (Sarter 1997: 33), sondern:

An extended listening period gives learners the opportunity to gather meanings and associate them with language. They can give their full attention to understanding the message that are being communicated, without the pressure to imitate or reproduce immediately.

(Curtain & Pesola 1994: 54)

Deswegen bezeichnet Sarter diesen Zeitraum als „aktive Verarbeitungsphase“ (Sarter 1997: 33). In dieser Phase sollten die Kinder nicht dazu gezwungen werden zu sprechen

Instead of calling for immediate imitations of words and patterns, they (the teachers; Anm. d. Verf.) allow for an initial period when students are not expected to respond in the target language (...). As children accumulate a stockpile of language meanings, they will also begin to speak, using vocabulary and structures drawn from the treasury of their own experience (…).

(Curtain & Pesola 1994: 84)

Und Klippel sagt: „Um die Sprechhemmungen nicht noch zu einer Sprechangst zu verstärken, wartet man geduldig ab, bis sich erste Zeichen von Sprechlust zeigen.“

(Klippel 2000: 23). Sie und Rück schlagen vor, dass schüchterne Kinder die Möglichkeit erhalten sollten, die ersten Versuche in der Klasse im gemeinsamen Sprechen (z.B. Chorsprechen) zu wagen und nicht dazu gezwungen werden sollten, alleine vor der Klasse zu reden (vgl. Rück 2004: 184).

Die Kinder nutzen diesen Zeitraum des Einhörens nicht nur, um lexikalische und sprachliche Elemente zu sammeln, sondern auch, um sich in die fremde Aussprache einzuhören. Sie nehmen neben der Geschwindigkeit, in der gesprochen wird

- die Laute in Silben, Wörtern und Wortverbindungen, - die Betonung in Wort und Satz und

- die Intonation (Stimmführung, Sprechmelodie)

der Fremdsprache wahr. Dabei spielt die Hördiskriminierungsfähigkeit eine wesentliche Rolle. Erst wenn die Kinder die Laute präzise und differenziert wahrnehmen, sind sie auch in der Lage, sie genau zu imitieren: „Eine gute Imitation vorgegebener Lautfolgen beruht auf einem ausgeprägten, wenngleich selten bewusst vorhandenem Differenzierungsvermögen in bezug auf die gehörten Laute.“ (Sarter 1997: 94). Laut Schmid-Schönbein ist das Differenzierungsvermögen bei den Kindern im Frühen Fremdsprachenunterricht in der Regel noch besonders gut ausgeprägt (vgl. Schmid-Schönbein 2001: 68). Auch Sarter beobachtet, dass Kinder grundsätzlich eine erhöhte Lautdiskriminationsfähigkeit haben, die sich positiv auf das Wahrnehmen der Laute und im Umkehrschluss auf das Erlernen der Aussprache

auswirkt (vgl. Sarter 1997: 44). Quetz widerspricht diesen Annahmen und sagt, dass es eine enorme „Streubreite der Fähigkeit der Lautnachahmung“ (Quetz 1998: 24) gibt, da viele Kinder zielsprachige Laute ungenau wahrnehmen und imitieren (vgl.

Quetz 1998: 22). Er erkennt auch einen Vorteil der Grundschulkinder (gegenüber älteren Kindern und Jugendlichen) hinsichtlich der Aussprache, sieht ihn jedoch eher bei den psychosozialen und motivationalen Faktoren (vgl. Quetz 1998: 24). Diese Diskussion zeigt, dass genauere Forschungen im Rahmen des spezifischen Kontextes in den nächsten Jahren wichtig sind.

Die Laute werden grundsätzlich nicht isoliert, sondern als Lautbilder aufgenommen.

Dabei bilden sich schon in frühester Kindheit mentale Kategorisierungsprozesse heraus. Es

werden in der mentalen Repräsentation der Laute ganze Lautgruppen um sog. Prototypen herumgruppiert, die in der Sprachwahrnehmung auf die Gesamtheit ihrer Varianten quasi einen Magneteffekt ausüben. Das hat zur Folge, dass bestimmte, akustisch sehr wohl unterschiedliche Laute als in einem zusammenfallend wahrgenommen werden.

(Sarter 1997: 95)

Beim Lernen einer neuen Sprache überträgt der Schüler nun die auditiven Wahrnehmungsgewohnheiten der Muttersprache auf die Fremdsprache. Diese besonderen Hör- und Aussprachegewohnheiten der Schüler aus der Muttersprache (z.B. die Auslautverhärtung im Deutschen) gilt es daher im frühen Fremdsprachenunterricht zu berücksichtigen (vgl. Böttger 2006: 174, Quetz 1998:

22ff). Sie können innerhalb einer Klasse unterschiedlich sein, da nicht alle Kinder das Deutsche als Muttersprache haben. Für Kinder mit der Erstsprache Deutsch sollte man vor allem auf Folgendes achten:

- die stimmhafte Aussprache der Konsonanten - die englischen Reibelaute /ð/ und /θ/,

- das im Deutschen nicht vorhandene /dʒ/, - der englische Halbvokal /w/,

- der englische Vokal [æ]

- das englische [r] und

- das helle [l] und das dunkle [ł].

(vgl. Mindt & Schlüter 2003: 56 ff).

Nicht nur bei der Aussprache kommen die Wahrnehmungsgewohnheiten der Kinder zum Tragen, sondern es gibt auch semantische Interferenzen mit dem Deutschen.

Eine Interferenz, die in dieser Studie in zahlreichen Klassen beobachtet werden konnte und die auch Hasiba, Jantscher & Peltzer-Karpf nennen, ist die falsche Interpretation des Fragepronomens Where?, das als deutsches Wer? gedeutet wird und somit zu falschen Antworten führt (vgl. Hasiba, Jantscher & Peltzer-Karpf 1997:

75):

38 1_L4 L4 Where is Wilbur?

39 1_L4 K1 Wilbur is a cat.

Oft finden sich in der Literatur Hinweise, dass die Kinder in der Grundschule die Aussprache des Englischen schnell, spontan, scheinbar mühelos und richtig übernehmen. Allerdings zeigen die Beobachtungen im Rahmen dieser Studie, die mit denen von Sarter und Quetz übereinstimmen (vgl. Sarter 1997: 41f, Quetz 1998: 24),

dass diese Annahme nicht uneingeschränkt aufrechterhalten werden kann. Zwar gibt es Kinder, die erstaunlich schnell die Aussprache der Fremdsprache erwerben, doch ist dies nicht die Mehrheit. Viele Kinder brauchen eine Phase der Annäherung an die fremden Laute und Intonation, was vielfältige Gründe haben kann. So haben z.B.

Kinder mit Lautdiskriminierungs-Schwierigkeiten im Deutschen (was z.B. oft bei Kindern mit Lese-Rechtschreib-Schwäche der Fall ist) auch Probleme, die Laute der Fremdsprache differenziert wahrzunehmen und wiederzugeben. Introvertierten Kindern kann es außerdem schwer fallen sich zu trauen, fremde Laute auszuprobieren. Auch spielen psychosoziale und motivationale Aspekte eine Rolle (vgl. Quetz 1998: 9ff). Darüber hinaus darf man nicht außer Acht gelassen werden, dass die zeitliche sehr geringe Präsenz der Fremdsprache (maximal 90 Minuten pro Woche) dazu beiträgt, dass die Kinder sich nur bedingt in das Englische einhören können.