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7. Forschung

7.2 Analyse

7.2.4.2 Staatliche Interessen

Die Unterkategorie staatliche Interessen enthält alle Aussagen, aus denen die Ziele und Ab-sichten des Staates an Bibliotheksgesetzen ersichtlich werden.

In der polnischen bibliothekarischen Literatur zur Bibliotheksgesetzgebung wird den staatli-chen Interessen kaum Beachtung gesstaatli-chenkt. Diese empfindliche Forschungslücke lässt im theoretischen Teil der Studie nur Vermutungen zu. Was hat Osóbka-Morawski77 für die biblio-thekarischen Angelegenheiten sensibilisiert? Welche Ziele verfolgte Osóbka-Morawski An-fang Dezember 1944, als er Janiczek und Fleszarowa mit der Erarbeitung eines Dekrets über Gemeindebibliotheken betraute? Diesen spannenden historischen Fragen ging die polnische Literatur zum Bibliothekswesen nicht nach. Die Interessen des Staates am Dekret über Biblio-theken, aber auch an den Neufassungen des nationalen Bibliotheksgesetzes, lassen sich ledig-lich erahnen.

Dass der Wille des Staates, das Bibliothekswesen zu gestalten, für die Schaffung eines Biblio-theksgesetzes notwendig ist, wird von einem Interviewten bestätigt:

„... interes państwowy był tutaj stawiany na głównym ... miejscu ...” [… das Interesse des Staates stand im Vordergrund …] (Anhang E5, Z. 100-101).

Aus der Sicht eines befragten Bibliothekars standen die staatlichen Interessen mit den biblio-thekarischen Interessen in Konkurrenz:

„... myśmy chcieli, żeby w interesie państwa był rozwój bibliotekarstwa, żeby biblioteki były otwarte, dostępne dla ludzi. ... w interesie państwa był rozwój nauki” [… wir wollten, dass die Entwicklung des Bibliothekswesens im Interesse des Staates ist, und dass die Bibliotheken offen sind, zugänglich für die Menschen … die Entwicklung der Wissenschaft war im Interes-se des Staates] (Anhang E1, Z. 270-274).

Wobei er hinzufügt, dass sich beim Zustandekommen des Dekrets über Bibliotheken die pri-mären Interessen der Beteiligten im Einklang befanden:

77 Vgl. Kapitel 3.2.1 bis 3.2.2.

„... to była próba uporządkowania, która była dość łatwa z tego powodu, że wszystkim na tym porządku zależało, bo biblioteki były zniszczone, rozproszone. Chodziło o to, żeby jak najlepiej wykorzystać te zasoby materialne biblioteczne, które są” [... das war ein Versuch, Ordnung zu schaffen. Der war relativ einfach, weil es allen an dieser Ordnung lag, denn die Bibliotheken waren zerstört, [sie waren] zerstreut. Es ging darum, wie die noch erhaltenen Bibliotheksbestände am besten genutzt werden können] (Anhang E1, Z. 87-90).

Die Erarbeitung eines Dekrets über Gemeindebibliotheken wurde von der kommunistischen Regierung bereits 1944 eingeleitet. Der Entwurf von Grycz fand Zustimmung in Regierungs-kreisen, obwohl er nicht nur Gemeindebibliotheken, sondern alle wesentlichen Bibliotheksty-pen umfasste. Die exponierte Stellung der öffentlichen allgemeinen Bibliotheken war nicht nur für Grycz und seine Mitstreiter, sondern auch für die polnische Regierung wichtig. Eine planmäßige Entwicklung dieser Bibliotheken war für den polnischen Staat essenziell. Die folgende Äußerung lässt dies erkennen:

„... od początku było wiadomo, że bibliotekami publicznymi zarządzają w jakiś sposób te samorządy terytorialne, więc odpowiednie rozmieszczenie, żeby w każdym powiecie, w każdej gminie była co najmniej jedna bibliotek, prawda? To określało właśnie ten interes państwa, żeby pokazać jak to ma wyglądać” [… es war von Anfang an bekannt, dass die territorialen Selbstverwaltungen in irgendeiner Weise die öffentlichen [allgemeinen] Bibliotheken verwal-ten, also eine entsprechende Verteilung, damit in jedem Kreis [und] in jeder Gemeinde min-destens eine Bibliothek sein wird, nicht wahr? Bereits dies bestimmte das Interesse des Staa-tes, damit gezeigt wird, wie dies aussehen soll] (Anhang E4, Z. 283-287).

Allerdings wird in den Interviews auch deutlich, dass das lebhafte staatliche Interesse viel-schichtig ist und sich nicht allein auf eine erfolgreiche Entwicklung dieser Bibliotheken be-schränkte. Ein Bibliothekar bringt die große Bedeutung der öffentlichen allgemeinen Biblio-theken, aber auch der öffentlichen wissenschaftlichen BiblioBiblio-theken, und die ideologische Neuausrichtung des polnischen Staates in einen kausalen Zusammenhang:

„... ideologia komunistyczna ... dostarczyć książkę masom ludowym, że masy ludowe trzeba kształcić, oczywiście tam w duchu stalinizm ... popularyzacja nauki, oczywiście nauki komu-nistycznej” [… die kommunistische Ideologie ... die Versorgung der Volksmassen mit dem Buch, dass das Volk erzogen werden muss, selbstverständlich im Geiste des Stalinismus …

die Popularisierung der Wissenschaft, selbstverständlich der kommunistischen Wissenschaft]

(Anhang E3, Z. 187-191).

Das Bildungsideal der kommunistischen Regierung erstreckte sich auch auf die persönliche Entwicklung der Menschen. Ein Befragter beschreibt, dass eine Erziehung, welche die indivi-duellen Denkprozesse und Eigenaktivität stärkt, nicht erwünscht war:

„... to była kwestia, założona na samym początku, wychowywania nowego człowieka spolegliwego, takiego pokornego, który będzie wszystko robił ... A to wychowywanie tego nowego człowieka musiało mieć miejsce …” [… das war ein Thema, das bereits zu Beginn angelegt war: die Erziehung eines neuen, demütigen Menschen, der alles tut … Und die Er-ziehung des neuen Menschen musste einen Platz haben ...] (Anhang E2, Z. 136-144).

Das Fortbestehen des Bibliotheksgesetzes stand außer Frage. Ein interviewter Bibliothekar berichtet, dass die Notwendigkeit eines nationalen Bibliotheksgesetzes von der Staatsmacht nicht angezweifelt wurde:

„... był dobry początek stworzony przez dekret, to uważano, że już inaczej być nie może, czyli że trzeba to kontynuować ...” [… das Dekret ermöglichte einen guten Anfang, insofern galt, dass es anders nicht sein kann und fortgesetzt werden muss ...] (Anhang E1, Z. 385-387).

Nach den Ausführungen eines anderen Bibliothekars unterlag dies sogar nach dem Wendejahr 1989 keinem Wandel, wobei in das bestehende Bibliotheksgesetz nur insoweit eingegriffen werden sollte, wie dies erforderlich erschien:

„... cała uwaga została skupiona na tym, ażeby nie zmieniać zasadniczych treści ustawy z `68 roku, ale tylko dostosować ją do tej nowej sytuacji. W związku z tym to były takie formalne dosyć zmiany, które właściwie zachowały ducha i sens dekretu, ducha i sens w sensie takim, że tam był przedstawiony pewien punkt widzenia całości, pewna wizja tego bibliotekarstwa, jako pewnego systemu, który formalnie został tam jakoś opisany, zapisany, ale który nigdy nie funkcjonował dobrze, niemniej jednak ta wizja scentralizowanego zarządzania w ogóle wszystkimi bibliotekami została w nim utrzymana, chociaż zdecydowanie osłabiona” [… die gesamte Aufmerksamkeit konzentrierte sich darauf, die grundlegenden Bestimmungen des Bibliotheksgesetzes von 1968 nicht zu verändern, sondern lediglich an die neue Situation im Land anzupassen. In diesem Zusammenhang waren es solche formalen Änderungen, die

prak-tisch den Geist und den Sinn des Dekrets bewahrten, Sinn und Geist in dem Sinne, dass dort [im Dekret] der Aspekt der Gesamtheit vorgestellt war, eine Vision des Bibliothekswesens als ein bestimmtes System, das dort geschildert und festgeschrieben wurde, aber nie gut funktio-nierte, dessen ungeachtet wurde die Vision der zentralen Verwaltung aller Bibliotheken darin [im Bibliotheksgesetz von 1997] erhalten, auch wenn sie wesentlich geschwächt wurde] (An-hang E2, Z. 44-52).

Ein Bibliothekar erwähnt das besondere Interesse des Staates bei der Neufassung des Geset-zes über Bibliotheken von 1968 den Begriff „nationaler Bibliotheksbestand“ einzuführen, wodurch historische Bibliotheksbestände im Hinblick auf das kulturelle Erbe des Landes eine herausragende Stellung erhielten. Denn ein solcher Bestand unterliegt einem besonderen Schutz:

„Narodowy Zasób Biblioteczny – też w interesie państwa było zadbanie o to, żeby taka konstrukcja powstała ...” [Nationaler Bibliotheksbestand – es war auch im Interesse des Staa-tes dafür Sorge zu tragen, dass eine solche Konstruktion entstand ...] (Anhang E4, Z. 295-297).

Trotz des vitalen Interesses des Staates an einem nationalen Bibliotheksgesetz schien die Fi-nanzierung des Bibliothekswesens immer ein neuralgischer Punkt zu sein. Es war im Interesse des Staates, dass der Verein Polnischer Bibliothekare und seine Aktivisten die finanzielle Be-lastung des Staates bei der Erarbeitung der Gesetzentwürfe im Blick behalten:

„... też to wszystko jest realizowane z podatków, że wszystko to są środki publiczne, czyli myśląc o rozwoju bibliotek, o tych nakładach, które są łożone na te biblioteki w poszczególnych resortach, że to zawsze było brane pod uwagę, żeby te nakłady na finansowanie bibliotek się nie dublowały, żeby te zapisy w ustawie no chociażby temu naszemu zespołowi taki cel przyświecał ...” [… alles ist auch durch Steuergelder realisiert, und es sind öffentliche Einrichtungen, das heißt, an die Entwicklung der Bibliotheken [und]

die Aufwendungen, die zur Aufrechterhaltung der Bibliotheken in den jeweiligen Ressorts entstehen, denkend, wurde dies immer unter dem Aspekt betrachtet, dass die finanziellen Be-lastungen für Bibliotheken sich nicht duplizieren, damit die Bestimmungen im Gesetz, also dieses Ziel zumindest unserem Verein einleuchtet …] (Anhang E5, Z. 120-124).

Es wird deutlich, dass der 1944 erwachte politische Wille, das polnische Bibliothekswesen einem Bibliotheksgesetz zu unterstellen, bis heute währt. Das Interesse des Staates an den Bibliotheksgesetzen war und ist überwiegend bildungspolitischer Natur. Wobei die Ziele der Bildungspolitik bis in das Jahr 1989 stets ideologisch motiviert waren. Das visionäre Men-schenbild des Kommunismus stand im Vordergrund. Die Intention des Staates, Menschen her-anzuziehen, die das kommunistische System optimal unterstützen und darin ihre Erfüllung finden, war ein bedeutendes Ziel. Die Bibliotheken sollten hierbei von Anfang an einen we-sentlichen erzieherischen Beitrag leisten. In der Entstehungsphase des Gesetzes über Biblio-theken von 1997 sah der Staat den Wert eines Bibliotheksgesetzes primär in der Entwicklung der Wissenschaft. Auch der Schutz der historischen Bibliotheksbestände als kulturelles Erbe des Landes sollte in dem neuen Bibliotheksgesetz angemessen berücksichtigt werden. Das neue Bibliotheksgesetz sollte dem Gesetz über Bibliotheken von 1968 so weit wie möglich entsprechen und lediglich mit punktuellen Änderungen an die Situation im Land angepasst werden. Es sollte den Leitlinien des Dekrets über Bibliotheken nicht widersprechen, aber die Kompetenzen der für die Bibliotheken zuständigen Ministerien weiter stärken. Der Aspekt der Wirtschaftlichkeit war stets von hoher Relevanz. Das Potenzial, mithilfe der Bibliotheksgeset-ze die erforderlichen Mittel für das Bibliothekswesen effizient einzusetBibliotheksgeset-zen, sollte genutzt und die Möglichkeiten zu Kosteneinsparungen ausgeschöpft werden.

Aufgrund der Tatsache, dass die Verwirklichung der Bibliotheksgesetze zum großen Teil in den Händen des Staates liegt, erhöht sein lebhaftes fortdauerndes Interesse an einem nationa-len Bibliotheksgesetz die Bedeutung der Bibliotheksgesetze für das Bibliothekswesen.